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schandfleck.ch_archiv/2001/nr.2
joachim ehrismann
rekruten und erwerbslose in fremden diensten teil 10: der rochenstachel
die welt war ihm vertraut. gleich nach der geburt hatte sie ihn an ihren körper genommen. sie hatte ihn immer herumgetragen oder bei sich gehabt, bis er genug davon hatte und manchmal wegkrabbelte. auf seinen kleinen erkundungstouren wusste er immer, wo sie war, und sie war auch tatsächlich immer dort, wo er sie vermutet hatte. in seinem innersten hörte er noch heute ihren gesang und ihre stimme. spasseshalber hatte sie ihn damals immer "mein kleines äffchen" genannt. das war in keiner weise abwertend gemeint. während einer zweijährigen reise nach nordindien hatte sie längere zeit hanuman-affen beobachtet. sie hatte festgestellt, dass diese dort teilweise als götter verehrt wurden. als zum beispiel einmal eine gruppe dieser presbytis-affen ein feld plünderten, hatte sie gesehen, wie es von den dorfbewohnern geduldet wurde.
als er das dritte altersjahr vollendet hatte, brachte ihn die magierin nach gudaut'a an der schwarzmeer-küste zu einer pflegefamilie. dort nannten die leute ihn telegonos, weil er weit ab im wald des kaukasusgebirges zur welt gekommen war.
sein pflegevater war fast immer im betrieb oder auf reisen, da er eine leitende stellung in einer grossen handelsfirma einnahm.
eines tages, er war dreizehn jahre alt, ruderte er mit zwei seiner schulfreunde der küste entlang, um rochen zu jagen. tatsächlich entdeckten sie nach längerem suchen in der nähe eines riffs, im warmen sandigen gewässer einen stechrochen. telegonos holte aus, stiess die fischerlanze ins wasser und bohrte sie dem rochen zwischen die augen. mit der lanze hob er das tier aus dem meerwasser. es zappelte wild mit seinen flügelflossen, der meterlange schwanz peitschte in alle richtungen und streifte ihn am oberschenkel. dabei riss ihm der giftstachel des tieres eine wunde ins fleisch. telegonos harrte aus, schlug dann das langsam erschöpfte tier mehrmals an die bootswand, bis sein freund dem rochen mit einem langen messer den rest gab. sie hievten den rochen vorsichtig an bord. endlich schafften sie es, sich der vier giftstacheln des tieres zu bemächtigen. aus den stacheln wollten sie sich dolche machen.
die wunde an telegonos' oberschenkel heilte monatelang nicht richtig aus wegen des giftes. er verband sie sich selbst. den rochendolch trug er fortan immer mit sich herum. mit siebzehn jahren verliess er kolchis und ging als lehrling eines syrischen händlers mit diesem nach aleppo. hier blieb er drei jahre, lernte die probleme und vorzüge des handels kennen, lernte arabisch und trat dem islam bei. später reiste er mit einem arabischen textilhändler in den sudan. für den händler ging er regelmässig auf den markt, um stoffe zu verkaufen. eines morgens lernte er so den magier, seinen lehrer, kennen.

ihre flügel waren golden und hellblau, ihr schlanker körper gleichmässig erdbraun. um die hüften hatte sie ein rosagelbes tuch geschlungen, sie stand auf einem felsvorsprung über der sudanesischen wüste, die schmalen wolkenstreifen am horizont hatten sich rosa gefärbt, ihren blick richtete sie mit einem leichten lächeln nach oben, über das wüstenmeer hinweg. sie war ein engel. mit lockeren flügelschlägen flog sie los über die wüste, immer ein lächeln auf den lippen.

nachdem telegonos fünf jahre beim magier studiert hatte und die fähigkeiten seines willens und geistes kannte, machte er sich auf nach westeuropa, um dort sein wissen anzuwenden. zu fuss durchquerte er mit einer touristen-karawane die wüste. der afrikanische engel begleitete ihn nach europa. da telegonos ursprünglich aus dem kaukasus war, konnte er selbstverständlich nicht normal und unbehelligt wie ein mensch von nordafrika nach westeuropa gelangen. er hätte als illegaler gegolten, doch der braune engel mit den goldblauen flügeln half ihm dabei.
seinen vater, den er zwar nicht kannte, aber den er während seiner jugend gehasst hatte, suchte telegonos nicht mehr. den rochenstachel, mit dem er ihn vernichten wollte, brauchte er nicht mehr. die rochenwunde war endgültig verheilt, denn der magier hatte ihm zur heilung verholfen. er vertraute sich jetzt selbst.

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