schandfleck.ch_archiv/2005/april |
joachim
ehrismann
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rekruten und erwerbslose in fremden diensten teil 11: das freundliche lächeln | |||||
endlich - nach jahren!
- hatte telegonos sich einigermassen in europa eingelebt. fester job,
feste freundin, fester wohnsitz (plus-minus). so weit hatte er es geschafft,
was fehlte war alles, was mit dem alten klischee zu tun hatte: haus, familie
mit kind/ern, auto, fernseher, fester beruf und natürlich karriere,
das alles schien ihm unerreichbare utopie. obwohl er alle diese dinge
nicht erstrebenswert fand, hatten sich diese erwartungen von klein auf
fest in seinem hinterkopf festgesetzt. und vor diesem hintergrund war
alles andere tendenziell das unerreichte, das versagen.je älter er
wurde, desto stärker wurde das. - diese chefs, lassen sich vorzugsweise kollegin oder kollegen rufen und beim vornahmen versteht sich, man ist ja per du, nein sicher nicht so distanziert, nein, alltäglicher befreundeter umgang herrscht vor. diese vorgesetzten - sie sind es ja nicht mehr wirklich, obschon sie es schon sein wollen, aber eben doch nicht so offen, "wir haben flache hierarchien bei uns", heisst es -, befehlen auch nicht mehr. nein, keineswegs, diese menschen sind wie du und ich und haben einfach wünsche oder wenn es ernster wird, sind es natürlich erwartungen. - sein chef lachte nur, wenn telegonos ihm chef sagte, "ich, chef? guter witz!", meinte er. konsequenterweise ordnete er auch nichts an, gab keine anweisungen sondern äusserte seine fragen und wünsche. - das hat auch tatsächlich gewisse vorteile. doch wer könnte widerstehen, den subtil durchklingenden erwartungen. immer oder jedenfalls manchmal nein sagen und ein kollegenschwein sein? nicht selber im sinne, im rahmen der mehr erahnten als gewussten zielsetzungen des betriebes mitdenken - man weiss ja ganz genau, was das beste für die firma ist -, mit am karren ziehen? das ist aber unangenehm! aus dem team, fast könnte man sagen aus dem einvernehmlichen familienkreis, auszuscheren, sich aus welchen gründen auch immer quer zu legen. - die erwartungen waren übrigens hoch, ja ausufernd hoch, hatte er gemerkt, vor allem wenn man nichts dagegen unternahm, um sie herunterzuschrauben. bis telegonos das realisiert hatte, hatte er sich aber schon ziemlich aufgerieben. - manchmal wird ja auch einfach nur geplaudert, das braucht es ja auch zwischendurch. kleine scherze, bemerkungen von kollege zu kollegin und so, manchmal auch eine ernsthaftere diskussion über die fehler oder unzulänglichkeiten von anderen kollegen und kolleginnen oder noch anderer leute. oder man regt sich gar auf... aber so ganz nebenbei oder machmal auch direkter, werden dann - gezielt oder auch nicht - gewisse wertvorstellungen platziert, wenn es sein muss auch mal eine indirekte drohung ausgesprochen, z. b: so einen wie den müsste man auf der stelle entlassen, jedenfalls wird ein weltbild entworfen, platziert, möglichst gefestigt. da heisst es dann: aufgepasst junge! lass dich nicht einwickeln und unterkriegen. das ist nicht die wahre welt, meine welt, bzw. die welt sieht ganz anders aus, oder ist jedenfalls vielfach interpretierbar. - um seine welt nicht noch ganz zu verlieren, hatte er sich daher angewöhnt, immer sofort ein gegenbild zu entwerfen, mitzuteilen wie er es sah. und das sah dann schon ziemlich anders aus. natürlich immer im rahmen des möglichen. manchmal musste man ja auch den mund halten. war ja ganz normal. wer kann schon immer sagen, was er denkt. ein aufmümpfiger querulant war man ja nicht gern. - wobei... um das "den-anderen-verletzen" geht es hier jedenfalls nicht. ganz im gegenteil: man selbst wird ja irgendwie, wenn auch manchmal schwer fassbar, verletzt. es wäre also nur notwehr. die gedanken sind frei? nicht wirklich. es genügt keineswegs, nur das richtige oder das eigene denken zu wollen. es ist unmöglich, wenn man tagtäglich was anderes schlucken muss. das geäusserte wort, der geäusserte gedanke hat viel mehr macht, vermag viel mehr in der welt zu bewirken, als der blosse, gedachte gedanke. das geäusserte wort ist bereits eine art handlung. deshalb hören sie, die chefs, es ja auch nicht gerne. - wie meistens kam die
kollegin mit einem guten-morgen auf dem freundlich lächelnden gesicht,
scheinbar oder wirklich energiegeladen, in den raum gestürzt. "guten
morgen" lächelte sie. sie war auch wirklich freundlich, zu allen,
auch die, die sie nervten. und wenn nicht freundlich dann bestimmt. "bei
dieser sache habe ich ein absolutes no-go!", konnte sie z. b. sagen.
doch obwohl es echt schien, konnte telegonos trotzdem nicht genau wissen,
woran er war, da sie des öfteren über leute her zog, die nicht
anwesend waren. aber er zweifelte manchmal, ob diese leute etwas davon
ahnten, dass schlecht über sie geredet wurde. ausser, dass die kollegin
allenfalls bestimmt einen anderen standpunkt vertreten hatte, hatte man
keinen anhaltspunkt, da sie einen ja immer freundlich anlächelte. - wer lange genug
so tut als ob, glaubt schliesslich selber an das, was er sagt und vorgibt
zu tun, meint er sei das, was er zu sein scheint, glaubt schliesslich
selber an seine falschheit, sein als ob, - verschmilzt mit seiner falschheit
zu etwas neuem? - und vergisst, dass er ein schauspieler ist. oder man
vergisst es nicht, spielt aber ein falsches spiel. - |
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