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schandfleck.ch_archiv/2001/nr.1
joachim ehrismann
rekruten und erwerbslose in fremden diensten teil 9: 2001 - das ende der irrfahrt
im warmen küstengewässer gleitet der stechrochen mit wellenartigen bewegungen seiner flügelflossen langsam vorwärts. sein platter körper schwebt wenige zentimeter über dem hellen sandigen untergrund auf nahrungssuche. er gleitet über ein krebschen und zermahlt es mit seinen stumpfen zähnen. das augenpaar auf dem rücken starrt nach oben ins helle blau, weit oben eine grenze erahnend. seinen peitschenartiger schwanz, dessen ende mit giftstacheln bewehrt ist, lässt er scheinbar ziellos hin und herpendeln.

die jupiter-mission war aus einem militärischen projekt des nordatlantikpaktes heraus entstanden. nur die besten der härtesten astronauten waren ausgewählt und in langjährigem training auf die milliardenteure mission vorbereitet worden. zuerst war alles gut gelaufen. sauberer start von der erde, perfekte abläufe, wie sie eingeübt worden waren, perfekte technik. doch dann waren wegen eines computerfehlers vier der sechs astronauten im tiefschlaf entschlafen. sein mit ihm übriggebliebener kollege war später, als er für reparaturarbeiten an der ausgefallenen funkantenne in den weltraum ausgestiegen war, aus unerklärlichen gründen ums leben gekommen. er selbst, john hatred, hatte es nicht unbeschadet überstanden. er konnte sich nicht mehr richtig erinnern. er musste am rande des wahnsinnes gewesen sein. er wusste nur noch, dass es ihm irgendwie gelungen war, die unkontrollierbar gewordene zentraleinheit des computers auszuschalten und von einer nebenkonsole aus mit übermenschlicher anstrengung in ununterbrochener, bis zur totalen erschöpfung reichender arbeit eine neue steuereinheit zu programmieren. die zeit war wie eine ewigkeit gewesen, es gab weder stunden noch minuten, weder tag noch nacht. ausser seinem atem, dem klappern der computertastatur und einem entfernten summen, das vom bordkraftwerk herrührte, herrschte totale stille. er war vollständig in einer technoiden umwelt eingekapselt. jede verbindung zur aussenwelt war gekappt, bis auf ein kleines sternensichtfenster im kontrollraum. durch dieses sichtfenster hatte er zwischendurch ewigkeiten lang in das auge des jupiters, dieses gigantischen wirbelsturmes, gestarrt, wie er sich entsann. die sonne oder die erde hatte er nicht sehen können.
über das ziel der mission war er nie informiert
worden, das wäre sache der drei wissenschafter und der wissenschaftlerin gewesen. im ausbildungslager hatten ihnen die ausbildner nur immer wieder so allgemeine floskeln eingepaukt wie: "ihr erforscht den raum jenseits des jupiters!", "ihr erweitert die grenzen der menschheit", "ihr seid die neuen pioniere der menschheit", und so weiter. das konkrete ziel war geheim, aber natürlich gab es im camp zahlreiche spekulationen: "es geht sicher um den jupitermond ganymed. denk nur an dessen grosse vorkommen an wasser und eis. ihr sollt die ersten schritte einleiten, damit er besiedelt werden kann, du wirst sehen" - "und wieso sollten sie das geheim behalten? nein ich denke eher, sie wollen abklären, ob die riesigen wasserstoffvorkommen des jupiters angezapft werden können, das würde bedeuten, unendlich grosse energiereserven zu erschliessen." - "ich habe allerdings gehört, dass computerauswertungen der radiosignale aus dem all auf fremde intelligenzen schliessen lassen, vielleicht sollt ihr jenseits des störenden strahlungsgürtels der sonnensystems kontakt mit den ausserirdischen aufnehmen, ha ha ha."
zwanzig jahre lang war er von zuhause weg gewesen. erst die zehn jahre im ausbildungscamp, dann zehn jahre lang die mission selbst. im camp war jeder kontakt mit der aussenwelt verboten gewesen, nur ganz wenige male durften sie während der ausbildung in urlaub. einmal waren sie zusammen in den kaukasus gereist, um sich an den küstennahen berghängen zu erholen. seine kollegen zog es dann rasch zur schwarzmeerküste und zum typischen strandleben mit 'rumfaulenzen und der anmache von einheimischen frauen. ihn zog es mehr in die berge. auf einer seiner ausgedehnten wanderungen war ihm diese magierin begegnet. sie behauptete, mit den tieren sprechen zu können und die pflanzen zu verstehen. selbstverständlich hatte er ihr diesen blödsinn nicht geglaubt. trotzdem hatte sie ihm gefallen. er konnte auch nicht verleugnen, dass sie gewisse heilkräfte besass. sie besuchte die dörfer der region und heilte dort die leute mit den ihr eigenen mitteln. er hatte sie zwei-, dreimal auf solche besuche begleitet. die wälder dort, die berghänge, die ganze natur hatten ihn fasziniert. er war dann tatsächlich drei tage zu spät ins camp zurückgekehrt, was natürlich ein disziplinarverfahren nach sich zog und beinahe seinen auschluss aus dem projekt bedeutet hätte.
aber das war schon lange her. später, als er alleine im raumschiff war, hatte er oft von ihr und den wäldern geträumt. er stellte sich vor, wie er durch die wälder streifen würde, in flüssen baden und abends mit nachbarn und bekannten schlemmen würde und so ähnliches.
niemand hatte mehr daran geglaubt, dass er zurückkehren würde. monatelang war noch vergeblich versucht worden, wieder kontakt zum raumschiff herzustellen. es misslang. wie durch ein wunder war es ihm gelungen, mittels seines selbstgebastelten steuerprogrammes um jupiter herum zu kreisen, das raumschiff unter ausnutzung der fliehkraft aus dem starken gravitationsfeld des planeten herauszubringen und es schliesslich auf die erde zurückstürzen zu lassen.
sein sohn hatte ihn gut aufgenommen, obwohl er schon zweiundzwanzig war. er hatte nie ganz aufgehört zu hoffen, dass sein vater eines tages noch auftauchen würde. er wollte journalist werden, immer auf der suche nach nachrichten, die, einmal übermittelt, fern bei anderen menschen etwas auslösen können. zum spass nannte er sich telemachos, da er einmal die odyssee gelesen hatte.
seine frau hatte in der zwischenzeit verschiedene freunde und liebesbeziehungen gehabt, die sie aber offenbar letztlich nicht befriedigt hatten. zuerst hatte sie ihn lange zeit vermisst, dann aber auch gehasst, obwohl sie wusste, dass er vom militär in dieses unternehmen gezwungen worden war. er hatte sich damals sogar überlegt, seine karriere zu beenden, bei seiner familie zu bleiben und sich dazu von einem psychiater krankschreiben zu lassen und hatte auch schon zwei-dreimal einen psychiater aufgesucht. schliesslich hatten sein mannesstolz und die versprechen und überredungskünste seiner vorgesetzten doch gesiegt und dazu geführt, dass er lange zeit mit feuer und flamme beim projekt dabei war.

trotzdem lebten sie jetzt wieder zusammen, auch wenn sie nicht mehr sehr viel gemeinsam hatten. eine zeit lang wurde er noch vom militär belästigt. die nato verlangte eine interne untersuchung der angelegenheit, unter ausschluss der öffentlichkeit. doch das verfahren wurde bald mangels beweisen eingestellt. beim rücksturz durch die erdatmosfäre war das raumschiff fast vollständig verglüht, und so war er der einzige zeuge. jetzt erhielt er vom militär eine grosszügige rente mit der auflage, nicht mehr über das jupiterprojekt zu sprechen.

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