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schandfleck.ch_archiv/2006/dezember
joachim ehrismann
rekruten und erwerbslose in fremden diensten teil 12: zivilisierter kannibalismus

als er in die wie immer kühle, firmeneigene kantine trat, sassen bereits alle arbeitskollegen und kolleginnen an den tischen. das ganze team, knapp 30 personen. de invito setzte sich an den freien platz zwischen zwei kollegen und liess seinen blick in die runde schweifen. irgend etwas fiel ihm auf, er wusste nicht was. unmittelbar nachdem der geschäftsleiter mit seinen erläuterungen zum strategieprozess begonnen hatte, bemerkte de invito, dass jemand fehlte. es war s. von der logistik-abteilung, de invitio ass öfter mit ihm zusammen mittag und kannte ihn gut. an der wand leuchtete jetzt ein organigramm auf. einen moment lang war nur das leise rauschen der beamer-kühlung zu hören. "hier sehen sie die vom verwaltungsrat festgesetzte neue strukturierung unserer firma." führte der geschäftsleiter mit angestrengter stimme aus, "wie hier links aufgezeichnet, wird die abteilung kommunikation aufgelöst und dem marketing angegliedert." de invito blieb gefasst. er arbeitete zwar selber in der kommunikationsabteilung, aber dieser schritt war ihm schon vor einigen wochen eröffnet worden und er hatte bereits zeit gehabt, abzuwägen, was das für ihn bedeutete. es würde ihn auch weiterhin noch geben, auch im projizierten organigramm war sein name als kleines, rechteckiges kästchen unter dem überbegriff marketing verzeichnet, wie es sich gehörte. "nun zur abteilung logistik. die abteilung hat, wie sie vielleicht wissen, schon seit längerem überkapazitäten und dieses jahr bis dato insgesamt 400 stunden minuszeit. wir haben zwar nach anderen lösungen gesucht, aber kein unternehmen kann es sich leisten in so einer situation nicht zu reagieren. daher haben wir herrn s. und frau b. gekündigt." nur der beamer rauschte in das schweigen, das folgte. de invito schaute nochmals in die runde. ja tatsächlich, s. war nicht da und b. konnte er auch nirgends entdecken. war ja auch verständlich, wer wollte sich bei einer solchen schmach noch den blicken der kollegen aussetzen. und dann noch der überraschungsschock, selbst er war ja geschockt, wie musste es da wohl den anderen beiden ergangen sein, als sie am morgen vor die geschäftsleitung zitiert worden waren? das durfte doch einfach nicht war sein. das firmenergebnis stand zwar noch nicht endgültig fest, aber jeder wusste, dass sie einen guten abschluss erzielt hatten, ja so gut wie noch nie in den letzten jahren. also war jetzt bestimmt nicht der zeitpunkt um leute zu entlassen. ausserdem - 400 minusstunden. er rechnete. wenn man es auf die sechs mitarbeitenden der logistik verteilte, war das kaum nennenswert. und hatte die lager-logistik nicht jedes jahr im sommer minuszeiten, die dann im winter wieder aufgeholt wurden? damit konnten sie doch niemals das wegstreichen von zwei stellen begründen. irgendetwas war an der sache faul. und wo blieb eigentlich der verwaltungsrat, der ihnen die ganze sache eingebrockt hatte? im hintergrund hörte er stimmengemurmel und kurz realisierte de invito, dass der geschäftsleiter seine ausführungen fortgesetzt hatte. ihm war jetzt wirklich kalt und er zitterte leicht. sein magen hatte sich abgekapselt und zu einem klumpen verkrampft. er zwang sich ruhig zu bleiben und schaute wieder nach vorne zum geschäftsleiter. "das marketing wird im rahmen unserer vorwärtsstrategie stark ausgebaut. die zahl der inland- und auslandkunden soll markant erhöht werden. daher werden wir im marketing drei neue stellen schaffen, eine im export, zwei für den inlandmarkt. gibt es dazu noch fragen?" vom einkauf meldete sich jemand zu wort. in der einkaufsabteilung seien sie schon lange mit arbeit vollkommen überlastet. mit der neuen nachfrage, die aus dem marketing mittelfristig auf sie zukommen werde, werde das ja noch schlimmer. auch die logistik brauche doch dann wieder mehr leute, da ja bald grössere warenmengen umgeschlagen werden müssten. eine weitere stimme erkundigte sich wer für personalfragen zuständig sei, es sei doch einmal eine ombudsperson für das personal versprochen worden. bei dieser frage erstarrte der geschäftsleiter etliche sekunden. daran könne er sich nicht erinnern, er sei selbstverständlich der personalverantwortliche, zwängte er dann hervor. wieder entstand eine leere, weiter geschah aber nichts. der geschäftsleiter bekam sich wieder in den griff. mit zwar angespannter stimme aber geübten floskeln beendete er den informationsanlass. "dann darf ich jetzt allen zum mittagessen guten appetit wünschen, es gibt fleisch vom grill und diverse salate." de invito stand zittrig auf und steuerte fahrig auf den ausgang zu. was zu viel war, war zu viel. er dachte an kannibalismus und menschenfleisch.

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