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vorgeschichte
das militär, primär ein verwaltungsapparat des staates, ebensogross
wie der ganze rest der bundesverwaltung zusammen, neuerdings als eidgenössisches
departement für verteidigung, bevölkerungsschutz und sport bezeichnet,
lastet mit seinen einheiten, gattungen, divisionen, kommissariaten und kommandos
sowie kasernen und waffenstarrenden arsenalen, kanonen und panzern wie eine
geologische gesteinsschicht der alpen schwer auf der kleinen schweiz.
an diese formationen
starrer abläufe prallen die zumeist jungen helden und antihelden
dieser essay-reihe auf ihrem weg, nachdem sie schon mehr oder weniger
erfolgreich den gefahren des elternhauses, der schule und lehre getrotzt
haben. ein weiteres mal gilt es nun die eigene haut zu retten und dabei
möglichst nicht vom regen in die traufe zu geraten. beschreiten wir
also, zusammen mit unseren antihelden, den sogenannten blauen weg, um
der einverleibung in die grüngrauen formationen zu entkommen.
einmal zur militärischen
aushebung aufgeboten, sind wie ja für das militär wie geboren
und grundsätzlich und primär immer im militär. sogar wenn
wir definitiv ins ausland flüchten wollen, uns abmelden aus der schweiz,
das ganze in der rekrutenschule gefasste uniform- und kriegsmaterial ins
zeughaus zurückbringen, samt dem sogenannten grabstein, wünscht
man uns dort bloss einen schlönen urlaub und drückt uns das
entsprechend quittierte dienstbüchlein in die hand. selbstverständlich
nützt es auch nichts, das dienstbüchlein aus dem ausland zerrissen
und zusammen mit einem erklärenden schmähbrief nach bern zu
retournieren, ebensowenig, es einzubetonieren, anzuzünden oder in
den fluss zu werfen. spätestens beim nächsten, unweigerlich
erfolgenden kontakt mit der armeebehörde wird es höflich aber
bestimmt ersetzt.
diesem quasi urzustand im mutterschoss des militärs könen die
allermeisten nur entfliehen, indem sie sich - unehrenhaft! - ausmustern
lassen. militärdienstpflichtige, die den zivilen ersatzdienst leisten
dürfen, sind ja irgendwie noch im militär, wenn wir einmal ehrlich
sind.
da das militär einen grossen apparat exekutiver gewalt unterhält
und zur verfügung hat, genügt es leider nicht, den ausmusterungswilligen
den witz zu erzählen, den die psychiater ihren an mutterkomplexen
leidenden patienten zu erzählen pflegen. soviel ich mich erinnern
kann, geht er ungefähr so: ein irrer wird in eine klinik eingewiesen,
weil er glaubt, er sei eine maus und seine mutter eine katze. nach wochen
intensiver psychoterapie gleingt es dem psychiater, dem irren klarzumachen,
dass er doch keine maus sei. als geheilt wird der patient entlassen, kehrt
jedoch schon nach kurzer zeit wieder in die anstalt zurück. verwundert
fragt der arzt, was denn los sei. der patient antwortet: ich weiss schon,
dass ich keine maus mehr bin, aber die katze weiss es nocht nicht!
geleitet vom gesunden
eigeninteresse und um einem gerichtsverfahren, gefängnis und anderen
unannehmlichkeiten vorzubeugen, lassen wir uns also vom militär ausmustern
aufgrund eines ärztlich-psychiatrischen gutachtens. vielleicht lassen
wir uns ausmustern, weil wir ganz einfach keine zeit für den quatsch
haben und schauen müssen, wie wir zu unseren brötchen kommen.
oder die vorstellung, von grüngrauen gesteinsschichten zermahlen
zu werden, schlägt uns tatsächlich wie ein alptraum aufs gemüt.
ausserdem haben wir in der heutigen superneokapitalistischen welt auch
noch ein paar andere sorgen. kurzum, wir suchen im elektronischen telefonbuch
oder anderweitig nach einem psychiater oder einer psychiaterin und vereinbaren
möglichst rechtzeitig einen termin.
modern
minimal moral (mmm)
die blauäugigen
herr psychiater, wir möchten gerne erwachsen werden, uns vom grünen
rockzipfel mater militaria befreien und aus dem kreis der patriotisch
formatierten dissuasionsfamilie in den bereich der mündigen bürger
und der gesellschaft eintreten. wir suchen den pressionen der naturwüchsig
aufgefalteten, schrammenden massivschichten zu entkommen und in das reich
der kultur zu gelangen. können sie uns freischreiben?
der analytiker
x
hm nun ja, selbstverständlich werde ich ihnen helfen. freischreiben
kann ich sie zwar nicht gerade, aber krankschreiben. allerdings müssten
sie mir dazu geeignetes psychisches material liefern: negative, belastende
gefühle, verstimmungen, alpträume, ängste, ach ja und natürlich
konflikte, verinnerlichte seelische konflikte, nicht die etischen oder
gar sozialpolitischen, die interessieren hier nicht! ausserdem wäre
es natürlich weitaus besser, wenn sie schon eine gewisse erfahrung
mit dem militär gemacht hätten, dann könnte ihr gutachten
mit den negativen erinnerungen, also erhärteten empirischen tatsachen
sozusagen, untermauert werden. vielleicht sollten wir auch ihre eltern
- vater oder mutter, das ist egal - fragen, was sie dazu meinen, in anlehnung
an die milieu- und familienterapie?
die blauäugigen
material, material, ahben wir denn material zu liefern? das tönt
ja eher nach einem kleinen industriebetrieb. ausserdem fühlen wir
uns gar nicht mehr so krank. das militär ist doch krank! obwohl,
schon die pure vorstellung ans exerzieren lässt uns übel werden.
der gedanke an rot erigierte, schreiende militärköpfe lässt
uns schaudern. homofobie vielleicht?
der analytiker
x
das material sollte kein problem sein. alle haben doch ihre konflikte
und sind ab und zu depressiv verstimmt. anlass dazu gibt es ja genug.
sie selbst bestehen aus dem material, eigentlich sind sie nichts....als
dieses material.....im besten fall das resultat des zusammenwirkens des
materials. das ich ist ja sowieso bloss eine illusion, ob wir es wollen
oder nicht, die psychologische wissenschaft hat dies längst bewiesen,
auch wenn wir im alltagsleben beständig versuchen, dies zu vergessen.
....verzeihen sie, ich bin ins assoziieren gekommen. - das wäre also
geklärt.
da sie sich nicht dem rational organisierten militärbetrieb eingliedern
können, sind sie - immer gesellschaftlich gesehen natürlich
- krank. persönlich gebe ich ihnen recht, obwohl....äh nichts.
indem ich sie jetzt, leider leider, krank schreiben muss, füge ich
sie gleichzeitig wieder in einen rationalen, gesellschaftlich anerkannten
diskurs ein. statt eines frei flottierenden, spontanen und unberechenbaren
lebewesens sind sie wieder ein klar verort- und objektivierbares gechöpf,
von der gesellchaft deutlich zu fassen: psychisch krank. so erhalten sie
wieder einen minimalen status als mensch, ein jemand also, der sich nolens
volens hochrationalen abläufen unterzieht . die gegenwärtige
gesellschaftliche arbeitsorganisation und -moral darf keinesfalls gefährdet
werden. schliesslich wollen wir ja alle unsere profite machen, nicht wahr
(x zwinkert mit dem auge).
das mit der homofobie lassen wir mal lieber weg. wir wollen ja nicht die
herren der untersuchungskommission verstimmen, indem wir ihnen indirekt
unterstellen, sie litten an verdrängten und versteinerten homosexuellen
trieben. nein, was wir brauchen, darf absolut individuell nur auf sie
zutreffen, muss aber dennoch möglichst schlimm und krank tönen.
zum beispiel "ist manisch-depressiv" eignet sich gut, oder "leidet
an psychischen wahnvorstellungen". gut, fast alle sind häufig
depressiv und funktionieren wie wahnsinnige. nicht umsonst macht die chemieindustrie
diese formidablen gewinne (x' augen leuchten kurz auf, dann wieder mit
besorgter miene). aber gerade deswegen leuchten diese beiden diagnosen
der untersuchungskommission so gut ein.
die blauäugigen
einer
oh je, ich glaube, mir wird schlecht.
ein anderer
und ich fühle mich plötzlich so niedergeschlagen.
wieder ein anderer
ich halt das nicht mehr aus, ich werd' noch wahnsinnig!
noch ein anderer
bin ich überhaupt noch was wert? vielleicht bin ich wirklich nur
ein haufen fett und wasser und ein paar genetisch fixierte triebe?
der analytiker
x
ah gut, da haben wir ja schon das erste material. ich notiere. was das
gutachten betrifft, da machen sie sich mal keine sorgen. ausser den leserinnen
und lesern wird niemand etwas von diesem schandfleck in ihrer biografie
erfahren. jedenfalls ist kein fall bekannt, wo ein psychiatrisches ausmusterungs-gutachten
weitergegeben oder veröffentlicht wurde, sie wissen ja, der datenschutz.
die blauäugigen
noch à propos arbeitsorganisation: was sind wir ihnen denn für
das ganze schuldig?
der analytiker
x
oh billig, billig. zugegeben, es handelt sich um einen deal zwischen dem
militär und der psychiatrie. das militär erhält ein billiges
ventil, um den überschüssigen militärischen nachwuchs elegant
loszuwerden und trotzdem nach aussen hin die sogenannte wehrgerechtigkeit
wahren zu können. denn eigentlich wäre ja jeder schweizer wehrpflichtig.
die psychiater und psychiaterinnen erhalten die gelegenheit, vorwiegend
jungen menschen helfen zu können und sich allgemein nützlich
zu machen. ausserdem kann wieder einmal klar die grenze zur niederen und
ausufernden psychologengilde abgesteckt werden. sowohl wir in der psychiatrie
wie die leute beim militär müssen ja auch von etwas leben. keinesfalls
missbrauchen wir das erstellen von gutachten, um gross profit zu machen
mit diesem deal. ausserdem haben sie ja auch etwas davon. es macht also
bloss ein paar lumpige hunderter pro seele.
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