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schandfleck.ch_archiv/1999/nr.2
joachim ehrismann
rekruten und erwerbslose in fremden diensten teil 3: in den fängen der psychiater
vorgeschichte
das militär, primär ein verwaltungsapparat des staates, ebensogross wie der ganze rest der bundesverwaltung zusammen, neuerdings als eidgenössisches departement für verteidigung, bevölkerungsschutz und sport bezeichnet, lastet mit seinen einheiten, gattungen, divisionen, kommissariaten und kommandos sowie kasernen und waffenstarrenden arsenalen, kanonen und panzern wie eine geologische gesteinsschicht der alpen schwer auf der kleinen schweiz.

an diese formationen starrer abläufe prallen die zumeist jungen helden und antihelden dieser essay-reihe auf ihrem weg, nachdem sie schon mehr oder weniger erfolgreich den gefahren des elternhauses, der schule und lehre getrotzt haben. ein weiteres mal gilt es nun die eigene haut zu retten und dabei möglichst nicht vom regen in die traufe zu geraten. beschreiten wir also, zusammen mit unseren antihelden, den sogenannten blauen weg, um der einverleibung in die grüngrauen formationen zu entkommen.

einmal zur militärischen aushebung aufgeboten, sind wie ja für das militär wie geboren und grundsätzlich und primär immer im militär. sogar wenn wir definitiv ins ausland flüchten wollen, uns abmelden aus der schweiz, das ganze in der rekrutenschule gefasste uniform- und kriegsmaterial ins zeughaus zurückbringen, samt dem sogenannten grabstein, wünscht man uns dort bloss einen schlönen urlaub und drückt uns das entsprechend quittierte dienstbüchlein in die hand. selbstverständlich nützt es auch nichts, das dienstbüchlein aus dem ausland zerrissen und zusammen mit einem erklärenden schmähbrief nach bern zu retournieren, ebensowenig, es einzubetonieren, anzuzünden oder in den fluss zu werfen. spätestens beim nächsten, unweigerlich erfolgenden kontakt mit der armeebehörde wird es höflich aber bestimmt ersetzt.
diesem quasi urzustand im mutterschoss des militärs könen die allermeisten nur entfliehen, indem sie sich - unehrenhaft! - ausmustern lassen. militärdienstpflichtige, die den zivilen ersatzdienst leisten dürfen, sind ja irgendwie noch im militär, wenn wir einmal ehrlich sind.
da das militär einen grossen apparat exekutiver gewalt unterhält und zur verfügung hat, genügt es leider nicht, den ausmusterungswilligen den witz zu erzählen, den die psychiater ihren an mutterkomplexen leidenden patienten zu erzählen pflegen. soviel ich mich erinnern kann, geht er ungefähr so: ein irrer wird in eine klinik eingewiesen, weil er glaubt, er sei eine maus und seine mutter eine katze. nach wochen intensiver psychoterapie gleingt es dem psychiater, dem irren klarzumachen, dass er doch keine maus sei. als geheilt wird der patient entlassen, kehrt jedoch schon nach kurzer zeit wieder in die anstalt zurück. verwundert fragt der arzt, was denn los sei. der patient antwortet: ich weiss schon, dass ich keine maus mehr bin, aber die katze weiss es nocht nicht!

geleitet vom gesunden eigeninteresse und um einem gerichtsverfahren, gefängnis und anderen unannehmlichkeiten vorzubeugen, lassen wir uns also vom militär ausmustern aufgrund eines ärztlich-psychiatrischen gutachtens. vielleicht lassen wir uns ausmustern, weil wir ganz einfach keine zeit für den quatsch haben und schauen müssen, wie wir zu unseren brötchen kommen. oder die vorstellung, von grüngrauen gesteinsschichten zermahlen zu werden, schlägt uns tatsächlich wie ein alptraum aufs gemüt. ausserdem haben wir in der heutigen superneokapitalistischen welt auch noch ein paar andere sorgen. kurzum, wir suchen im elektronischen telefonbuch oder anderweitig nach einem psychiater oder einer psychiaterin und vereinbaren möglichst rechtzeitig einen termin.

modern minimal moral (mmm)

die blauäugigen
herr psychiater, wir möchten gerne erwachsen werden, uns vom grünen rockzipfel mater militaria befreien und aus dem kreis der patriotisch formatierten dissuasionsfamilie in den bereich der mündigen bürger und der gesellschaft eintreten. wir suchen den pressionen der naturwüchsig aufgefalteten, schrammenden massivschichten zu entkommen und in das reich der kultur zu gelangen. können sie uns freischreiben?

der analytiker x
hm nun ja, selbstverständlich werde ich ihnen helfen. freischreiben kann ich sie zwar nicht gerade, aber krankschreiben. allerdings müssten sie mir dazu geeignetes psychisches material liefern: negative, belastende gefühle, verstimmungen, alpträume, ängste, ach ja und natürlich konflikte, verinnerlichte seelische konflikte, nicht die etischen oder gar sozialpolitischen, die interessieren hier nicht! ausserdem wäre es natürlich weitaus besser, wenn sie schon eine gewisse erfahrung mit dem militär gemacht hätten, dann könnte ihr gutachten mit den negativen erinnerungen, also erhärteten empirischen tatsachen sozusagen, untermauert werden. vielleicht sollten wir auch ihre eltern - vater oder mutter, das ist egal - fragen, was sie dazu meinen, in anlehnung an die milieu- und familienterapie?

die blauäugigen
material, material, ahben wir denn material zu liefern? das tönt ja eher nach einem kleinen industriebetrieb. ausserdem fühlen wir uns gar nicht mehr so krank. das militär ist doch krank! obwohl, schon die pure vorstellung ans exerzieren lässt uns übel werden. der gedanke an rot erigierte, schreiende militärköpfe lässt uns schaudern. homofobie vielleicht?

der analytiker x
das material sollte kein problem sein. alle haben doch ihre konflikte und sind ab und zu depressiv verstimmt. anlass dazu gibt es ja genug. sie selbst bestehen aus dem material, eigentlich sind sie nichts....als dieses material.....im besten fall das resultat des zusammenwirkens des materials. das ich ist ja sowieso bloss eine illusion, ob wir es wollen oder nicht, die psychologische wissenschaft hat dies längst bewiesen, auch wenn wir im alltagsleben beständig versuchen, dies zu vergessen. ....verzeihen sie, ich bin ins assoziieren gekommen. - das wäre also geklärt.
da sie sich nicht dem rational organisierten militärbetrieb eingliedern können, sind sie - immer gesellschaftlich gesehen natürlich - krank. persönlich gebe ich ihnen recht, obwohl....äh nichts. indem ich sie jetzt, leider leider, krank schreiben muss, füge ich sie gleichzeitig wieder in einen rationalen, gesellschaftlich anerkannten diskurs ein. statt eines frei flottierenden, spontanen und unberechenbaren lebewesens sind sie wieder ein klar verort- und objektivierbares gechöpf, von der gesellchaft deutlich zu fassen: psychisch krank. so erhalten sie wieder einen minimalen status als mensch, ein jemand also, der sich nolens volens hochrationalen abläufen unterzieht . die gegenwärtige gesellschaftliche arbeitsorganisation und -moral darf keinesfalls gefährdet werden. schliesslich wollen wir ja alle unsere profite machen, nicht wahr (x zwinkert mit dem auge).
das mit der homofobie lassen wir mal lieber weg. wir wollen ja nicht die herren der untersuchungskommission verstimmen, indem wir ihnen indirekt unterstellen, sie litten an verdrängten und versteinerten homosexuellen trieben. nein, was wir brauchen, darf absolut individuell nur auf sie zutreffen, muss aber dennoch möglichst schlimm und krank tönen. zum beispiel "ist manisch-depressiv" eignet sich gut, oder "leidet an psychischen wahnvorstellungen". gut, fast alle sind häufig depressiv und funktionieren wie wahnsinnige. nicht umsonst macht die chemieindustrie diese formidablen gewinne (x' augen leuchten kurz auf, dann wieder mit besorgter miene). aber gerade deswegen leuchten diese beiden diagnosen der untersuchungskommission so gut ein.

die blauäugigen
einer
oh je, ich glaube, mir wird schlecht.
ein anderer
und ich fühle mich plötzlich so niedergeschlagen.
wieder ein anderer
ich halt das nicht mehr aus, ich werd' noch wahnsinnig!
noch ein anderer
bin ich überhaupt noch was wert? vielleicht bin ich wirklich nur ein haufen fett und wasser und ein paar genetisch fixierte triebe?

der analytiker x
ah gut, da haben wir ja schon das erste material. ich notiere. was das gutachten betrifft, da machen sie sich mal keine sorgen. ausser den leserinnen und lesern wird niemand etwas von diesem schandfleck in ihrer biografie erfahren. jedenfalls ist kein fall bekannt, wo ein psychiatrisches ausmusterungs-gutachten weitergegeben oder veröffentlicht wurde, sie wissen ja, der datenschutz.

die blauäugigen
noch à propos arbeitsorganisation: was sind wir ihnen denn für das ganze schuldig?

der analytiker x
oh billig, billig. zugegeben, es handelt sich um einen deal zwischen dem militär und der psychiatrie. das militär erhält ein billiges ventil, um den überschüssigen militärischen nachwuchs elegant loszuwerden und trotzdem nach aussen hin die sogenannte wehrgerechtigkeit wahren zu können. denn eigentlich wäre ja jeder schweizer wehrpflichtig. die psychiater und psychiaterinnen erhalten die gelegenheit, vorwiegend jungen menschen helfen zu können und sich allgemein nützlich zu machen. ausserdem kann wieder einmal klar die grenze zur niederen und ausufernden psychologengilde abgesteckt werden. sowohl wir in der psychiatrie wie die leute beim militär müssen ja auch von etwas leben. keinesfalls missbrauchen wir das erstellen von gutachten, um gross profit zu machen mit diesem deal. ausserdem haben sie ja auch etwas davon. es macht also bloss ein paar lumpige hunderter pro seele.

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