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schandfleck.ch_archiv/1999/nr.1
joachim ehrismann
 
rekruten und erwerbslose in fremden diensten teil 2: rechtlose und falschmünzer im reich der verknappung

falschmünzer
alles wird verknappt: arbeit, zeit, sicherheit, boden, wasser. allgemein alle menschlichen und natürlichen quellen und vorräte. da diese knapp gemacht werden entstehen die bedürfnisse danach. z. b. das bedürfnis nach sinnvoller, bezahlter arbeit oder nach sicherheit. wo es annerkannte bedürfnisse gibt, können die dazugehörigen rechte beansprucht werden. das recht auf arbeit, das recht auf sicherheit. die obrigkeit hat die tendenz, die rechte in pflichten umzumünzen: z. b. das recht auf arbeit zur arbeitspflicht, menschenrechte zu menschenpflichten, das recht auf sicherheit zur pflicht zum verteidigungsdienst. es regiert sich natürlich wesentlich einfacher, wenn man statt aufbegehrende und selbstbewusst rechte einfordernde menschen leute vor sich hat, denen man von aussen pflichten auferlegen kann. diese nehmen handkehrum den charakter reiner zwänge an, verinnerlichter oder auferlegter, doch pflichten tönt viel schöner.

die verknappung ist für die mächtigen sehr vorteilhaft. sie ist zentraler bestandteil der machtausübung. die mächtigen schaffen die verknappung. die obrigkeit kann sie benützen, indem sie einzelnen bedürftigen privilegien gewährt, boden oder geld, und kann sie so dankbar an sich binden. die kapitalisten sind ganz besonders an der verknappung interessiert. sie sind bestrebt, möglichst viel knapp zu machen. denn alles, was knapp ist, kann wieder künstlich hergestellt und teuer den knapp gehaltenen verkauft werden. so können unzählige bedürfnisse und die nachfrage nach gütern geschaffen werden. nehmen wir z. b. die sicherheit: hat man sie einmal knapp gemacht, können spezialisierte firmen und institutionen sicherheit produzieren und diese den leuten verkaufen.

arbeit ist ein spezialfall. diese brauchen die kapitalisten, auf ihr gründet ihre herrschaft. da arbeit nur von menschlichen arbeitskräften geleistet werden kann, sind sie an einem überfluss dieser arbeitskräfte interessiert, um sie möglichst leicht, also billig zu bekommen. die verknappung der bezahlten arbeit und die gewährung der bezahlten lohnarbeit ist ihr herrschaftsinstrument. durch den überfluss der arbeitskräfte sinkt deren wert, viele sind überflüssig, die kapitalisten verachten sie, obschon sie es sind, die sie erzeugen. die bezahlte arbeit oder die selbständige erwerbsarbeit kann in vieler hinsicht sinnlos sein, sie dient lediglich der herstellung gewinnbringender produkte, wie schädlich und überflüssig diese auch immer sein mögen, hauptsache, sie lassen sich im reich der verknappung gewinnbringend absetzen.

verknappung tönt natürlich auch nicht so toll. deshalb hat man lieber von überfluss geredet. überflussgesellschaft. güter in rauhen mengen, wohlstand, reichtum. jetzt kommt doch häufiger die kehrseite der medaille zur sprache: überfluss an arbeitskräften, abfall, verschmutzung, zu hohe staatsausgaben. überfluss an gütern also: stereoanlagen, autos, kopfwehpillen, kaffee, strassen usw. diese verdecken die verknappung, versuchen sie vergessen zu lassen. über die verknappung soll nicht geredet erden, denn sie ist das mittel um zu herrschen.

wie produzieren die mächtigen die verknappung? sie existiert ja nicht von natur aus, da die natur die pure verschwendung ist. erstens durch aussperren: man nehme einen stacheldraht, hege ein möglichst grosses gebiet ein und stelle sich in die mitte und behaupte: dies ist meins. durch diesen akt entsteht schon eine stattliche anzahl bedürfnisse, da für die ausgesperrten vieles knapp geworden ist. für die leute im eingehegten gebiet - vielleicht konnten sich einige einkaufen - entsteht z. b. das sicherheitsbedürfnis. zweitens durch isolieren: man nehme ein gruppe menschen und trenne sie in die individuen auf und sondere diese von einander ab. auf einen schlag wird sehr vieles knapp, eine wahre bedürfnis-kaskade entsteht.

moderne herrschaftsmetoden machen natürlich längst nicht mehr halt vor dem scheinbar unteilbaren individuum. nein, man nehme es und trenne es auf und sondere die einzelnen teile voneinander ab. neue verknappung und bedürfnisse sind geschaffen. z.b. männer, nur noch männer, väter, arbeiter, geber, sexmaschinen. frauen, nur noch frauen, mütter, natur, empfängerinnen, objekte. dies geschieht vor allem, indem man mit sprache und bildern in das innerste der menschen vordringt.
weitere möglichkeiten zu verknappen sind: verschmutzen, sparen, zugänge beschränken.

rechtlose
ist arbeit wirklich knapp? nein, es gibt sie in hülle und fülle, liegt überall herum, begegnet auf schritt und tritt. nur zwei spezifische tätigkeiten sind verknappt: die gut oder nur angemessen bezahlte lohnarbeit und die selbständige erwerbsarbeit. ausserdem werden durch aussperrung und isolation die möglichkeiten einzelner oder ganzer gruppen, gewisse tätigkeiten und arbeiten auszuführen, stark begrenzt. diese tatsachen lassen das bedürfnis nach arbeit entstehen. dabei geht es jedoch darum, die durch die oben erwähnten verfahren hergestellte verknappung überwinden und bedürfnisse erfüllen zu können. wenn es sich um sinnvolle und/oder gut bezahlte lohnarbeit oder einträgliche arbeit handelt, kann dies durch diese tätigkeiten direkt geschehen. im übrigen wird einfach der lohn benötigt, um sich zugang zu den verknappten gütern oder überflüssigen ersatzgütern erkaufen zu können. beim recht auf arbeit reden wir eigentlich vom recht auf zugang zu den natürlichen und menschlichen quellen und vorräten. ausserdem von der frage der verteilung der gesellschaftlichen erzeugnisse. ansonsten umgibt uns die arbeit wie die luft zum atmen, ja sie ist manchmal nicht einmal als arbeit erkennbar, da sie in die unterschiedlichsten tätigkeiten zerfällt, lebensnotwendige und überflüssige, sinnvolle und sinnlose. deshalb gibt es kein bedürfnis nach arbeit und da kein bedürfnis auch kein recht auf arbeit.

gibt es ein recht auf sicherheit/ wirklich?

das bedürfnis nach sicherheit entsteht durch die von der macht produzierte unsicherheit. der mangel an sicherheit wird geschaffen durch die herrschaftsmetoden aussperren, isolieren und spalten des individuums.
aussperren der besitzlosen (mittels militär, polizei, grenzwacht, justiz, verwaltung), beraubten und jener ohne einkommen, ihre isolierung voneinander und das schüren von ängsten und ressentiments und das erwecken falscher hoffnungen und vorstellungen. das bedürfnis nach sicherheit ist vor allem das bedürfnis der mächtigen und der an der macht beteiligten. sie beanspruchen deshalb das recht auf sicherheit (und münzen es um, zur pflicht zum sicherheitsdienst, dieser gibt ihnen ersatzsicherheit, obwohl er gerade die unsicherheit mitbegründet.) ohne das erzeugen von unsicherheit würde es kein bedürfnis nach sicherheit geben und kein recht auf sicherheit. ohne die produktion der spezifischen unsicherheiten würde es nur die sicherheit/unsicherheiten und risiken geben, die uns sowieso umgeben wie das wasser die fische. diese sind/waren alltäglich.

ähnlich verhält es sich mit den sicherheitsdienstzwang, sprich militärdienst. im militär werden wir durch die dort herrschenden speziellen formen der entfremdung von uns selbst abgespalten.

in uns entsteht das starke bedürfnis, unsere haut zu retten. wir verweigern. vielleicht gewährt uns die macht, wenn es ihr beliebt, als ersatz für den sicherheitsdienstzwang, eine allgemeine zwangsarbeit, sprich ziviler ersatzdienst, wenn wir gezwungen durch die strafandrohung ein gesuch stellen. es macht keinen sinn, von einem recht auf verweigerung zu sprechen, beziehungsweise: dieses recht zu fördern bedeutet einfach, die militärdienstpflicht abschaffen zu wollen. auch wenn die militärdienstpflichtigen bedingungslos zwischen militärdienst und arbeitsdienst wählen könnten, könnten wir nicht von einem recht auf zivildienst sprechen. die militärdienstpflicht würde einfach zur allgemeinen zwangsarbeit dienstpflicht erweitert. wir könnten nur die form der unterdrückung wählen.

um vom recht auf zivildienst sprechen zu können, müsste dieser freiwillig sein, ausserdem müsste es ein entsprechendes bedürfnis geben, also auch einen mangel an oder schweren zugang zu diesbezüglichen arbeitsmöglichkeiten.

im nächsten teil dieser reihe folgen wir dem blauen weg und geraten unversehens ins wunderland.

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