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schandfleck.ch_archiv/1998/nr.2
joachim ehrismann
 

rekruten und erwerbslose in fremden diensten teil 1: dein recht auf zwangsarbeit

zwangsarbeit wird in zwei - auch von der schweiz ratifizierten und somit rechtlich bindenden - internationalen abkommen verboten. erstens in der europäischen menschenrechtskonvention von 1953, artikel 4, abschnitt 2: "niemand darf gezwungen werden, zwangs- oder pflichtarbeit zu verrichten." allerdings wird in abschnitt 3 a, b und c festgehalten, dass dies nicht gilt für personen, die in haft gehalten werden oder bedingt freigelassen worden sind. ebenso ist der militärdienst und der zivile ersatzdienst im falle der verweigerung aus gewissensgründen von dieser bestimmung ausgenommen, sodann "jede dienstleistung im falle von notständen und katastrofen ...". [nach dem dringlichen bundesbeschluss zum asylrecht wissen wir, dass die regierung, parlament und bundesrat, nicht zögert, einen notstand auszurufen, wenn es ihr gerade passt.] zweitens wird die zwangs- und pflichtarbeit in den übereinkommen 29 und 105 der internationalen arbeitsorganisation (ilo) untersagt. im übereinkommen vom juni 1930 heisst es: artikel 1, abschnitt 1, "jedes mitglied der internationalen arbeitsorganisation, das dieses übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, den gebrauch der zwangs- oder pflichtarbeit in allen ihren formen möglichst bald zu beseitigen." artikel 2, abschnitt 1, "als zwangs- oder pflichtarbeit im sinne dieses übereinkommens gilt jede art von arbeit oder dienstleistung, die von einer person unter androhung irgendeiner strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur verfügung gestellt hat." dieses übereinkommen sieht zwar ähnlich wie später die europäische menschenrechtskonvention ebenfalls ausnahmen von diesen bestimmungen vor. aber artikel 2, absatz 2a besagt: "jede arbeit oder dienstpflicht aufgrund der gesetze über die militärdienstpflicht, soweit diese arbeit oder dienstleistung rein militärischen zwecken dient, {gilt nicht als zwangsarbeit}." [das bedeutet also, der zivile ersatzdienst widerspricht entweder diesem übereinkommen, da er sonst nirgends erwähnt wird, oder er hat "rein militärischen" charakter.] interessant ist auch artikel 1 des übereinkommens vom juni 1957: "jedes mitglied der internationalen arbeitsorganisation, das dieses übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, die zwangs- oder pflichtarbeit zu beseitigen und in keiner form zu verwenden {weder} a) als mittel politischen zwangs oder politischer erziehung oder als strafe gegenüber personen, die gewisse politische ansichten haben oder äussern oder die ihre ideologische gegnerschaft gegen die bestehende politische, soziale oder wirtschaftliche ordnung bekunden; b) als metode der rekrutierung und verwendung von arbeitskräften für zwecke der wirtschaftlichen entwicklung; c) als massnahme der arbeitsdisziplin ..." im vorspann dieses übereinkommens wird ausserdem noch erwähnt, dass die ilo-konferenz das übereinkommen zur abschaffung der sklaverei von 1926 zur kenntnis genommen hat, das dazu bestimmt sei, "dass zweckmässige massnahmen ergriffen werden sollen, um zu verhüten, dass die pflicht- oder zwangsarbeit der sklaverei ähnliche zustände herbeiführt ..."
[beim militär- und zivildienst handelt es sich klar um staatlich verordnete zwangsarbeit. unabhängig davon, ob der militärische oder zivile charakter des letztern überwiegt. unter androhung von freiheitsentzug und dessen folgen wird von männern eine dienstleistung erzwungen. dass der militärdienst in den internationalen abkommen vom verbot der zwangsarbeit ausgenommen wurde, ist zumindest heute nicht mehr akzeptabel. ein ziel der friedensbewegung und der kriegsdienstgegnerinnen sollte es sein, diese abkommen entsprechend zu korrigieren (dies forderte z.b. ulrich finck, exponent der deutschen kriegsdienstgegnerinnen, am europäischen friedenskongress in osnabrück an pfingsten)].
komplizierter verhält es sich mit den im zug der revision des arbeitslosenversicherungsgesetzes eingeführten sogenannten beschäftigungsprogrammen. nach einer bestimmten bezugsdauer von arbeitslosen-taggeldern können die versicherten erwerbslosen verpflichtet werden, an einer sogenannten arbeitsmarktlichen massnahme teilzunehmen, um weiter geld von der versicherung zu erhalten (bis zum ende der zweijährigen rahmenfrist). bei diesen massnahmen handelt es sich meistens um auf sechs monate angelegte arbeitsprogramme. die "beraterinnen" der regionalen arbeitsvermittlungsstellen (rav) können also die erwerbslosen nach einer bestimmten zeit in diese schlecht bezahlten programme zwingen oder auch in einen meist sehr schlecht bezahlten zwischenverdienst (befristeter job). eine solchermassen drangsalierte erwerbslose person kann sich weigern, an einem beschäftigungsprogramm teilzunehmen, nur erhält sie dann auch kein geld von der arbeitslosenversicherung mehr und auch nicht von anderen stellen, welche die arbeitslosenversicherung für zuständig erklären.
[die arbeitsleistung wird erzwungen durch die gewährung oder verweigerung eines grundlegenden menschenrechts, des rechts auf soziale sicherheit, ein allerdings nur in der allgemeinen erklärung der menschenrechte von 1948 deklariertes recht. gedroht wird in diesem falle nicht mit freiheitsentzug wie beim militärdienst, sondern mit der existenziellen notlage (hunger, obdachlosigkeit usw.), die entsteht oder entstehen kann, wenn die versicherungsleistungen nicht mehr erbracht werden.

dem militär- und zivildienst sowie beschäftigungsprogrammen wird zumindest in der öffentlichen diskussion kaum vorgeworfen, es handle sich um zwangsarbeit, obwohl der zwangscharakter den meisten bewusst ist. wer geht schon gerne ins militär und wer ärgert sich wirklich nicht über die geringe entlöhnung von zivildienst und beschäftigungsprogrammen. nur zwangsarbeit kann so gering entlöhnt werden. der zwang zur arbeit, auch sinnloser und stupider arbeit, ist den allermeisten, den lohnabhängigen, allzuvertraut. sie muss gemacht werden, um das eigene überleben zu sichern. staaten, die die allgemeine wehrpflicht abgeschafft und eine "freiwillige" berufsarmee eingerichtet haben, sind die zwangsarbeit nur scheinbar los: auch bei ihnen bleibt eine form von zwang bestehen - für diejenigen lohnabhängigen, die sich mangels anderer alternativen zum militärdienst verpflichten, um überleben zu können. in der arbeitslosenversicherung ist die unter aktiver mithilfe der gewerkschaften eingeführte schlecht bezahlte zwangsarbeit ein neues fänomen. hier wurde ein recht, das recht auf arbeit falsch ausgelegt und zur pflicht oder eben zum arbeitszwang umgemünzt.]

geplant sind für die nächsten schandflecke unter anderem folgende verunsicherungen: wer hat hier wem gegenüber recht, soll arbeit wirklich entlöhnt werden, und können wir dem joch der fremden dienste entrinnen?

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