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schandfleck.ch_textkritik/2009/juli
daniel costantino
   

zu david kerns "tod der kunst

"Es ist die Sehnsucht nach dem Leben, nicht das beschriebene Leben in den Büchern, das echte Leben, das schillernde, erlebte, dasjenige, das Mann von seinem Schreibtisch aus nicht erblickt, dessen Unvertrautheit der Preis der Künstlerschaft ist."
ich denke, wir müssen über das empfinden reden. empfinden als grundlage. die gedanken seine schatten (nietzsche), ein mehr oder weniger starker abglanz. reden wir vom gesteigerten empfinden, von der nervenspannung, der intensität, von einer erregung oder einer tiefen zufriedenheit, von farbe und fülle, von einem gegensatz zur monotonie, zum trott, zum blossen vegetieren. in geistiger hinsicht muss das bedeuten: die gedanken tiefer denken, präziser, umfassender als die konvention sie kennt, vielleicht auch in andrer weise. sie überhaupt zu denken imstande sein mit ganzer seele, ihnen seele und leben einhauchen. eine ganz persönliche, unverwechselbare sprache wird das ergebnis sein. (eine unverwechselbare sprache bedeutet nicht, fortlaufend neue worte zu erfinden. aber den worten ein unverwechselbares gepräge zu geben, eine gestalt. z.b. die rede vom herz-schmerz-kitsch; aber ein meister versteht eben richtig und mit gestalt zu reimen. goethe, 'an den mond':


Jeden Nachklang fühlt mein Herz

Froh- und trüber Zeit

Wandle zwischen Freud und Schmerz

In der Einsamkeit.)

es kann durchaus ein gefühl des (erlebnis)mangels sein, welches einen jungen menschen an den schreibtisch zwingt. ein gefühls- oder gedankenüberschuss, den er mit niemandem teilen will oder kann. eine mangelhafte sprache aber ruft dem publikum bloss jene gedanken und gefühle in erinnerung, die es ohnedies hat (kraus). nicht die unvertrautheit mit dem leben bildet die grundlage der kunst, im gegenteil.

die unvertrautheit mit der deutschen sprache ergibt einen schriftsteller wie thomas mann. seine sehnsucht wirkt reichlich luxuriös und klischiert, sofern sie überhaupt wirkung verbreitet. es kann niemals genügen, zu beschreiben. ein dichter muss sprachlich gestalten und verlebendigen können, den überschuss an empfinden, sei es am prallen leben, sei es am leiden, dass ein pralles leben nicht stattfinde (nizon), seine seele also in den text bringen. überaus gespannte nerven muss er nicht nur haben, sondern auch in den text legen können. thomas mann, das beweist mir eben seine sprache, vermag dies nicht. ich habe es dargelegt. und darum bedeutet mir seine novelle nichts (mehr). ich spreche ihm gerade die künstlerschaft, welche allein ' die existenz rechtfertigt (kern), ab. es ist alles mitteilungsdrang, aufzählung, behauptung, ein einziges referieren, renommieren, rekapitulieren. einschläfernde wirkung infolge auf mich als leser, zuweilen gestört vom ärger, dass da einer sich anheischig macht, über grosse temen zu reflektieren und doch nur abspeisung liefert, angelesenes und erkaltetes wissen.

ob denn die einsamkeit im naturgemässen die gefährtin des künstlers sei, kann im falle thomas mann ruhig dahingestellt bleiben. wer wäre nicht ein einsamer mensch? thomas mann kompensiert etwas anderes als die einsamkeit. das wahre (er)leben ist nicht der feind der kunst, sondern ihre bedingung. er meistert die sprache nicht, sondern scheitert geradezu an ihr. auch seine ironie kann sich mir als qualität nicht erschliessen. die ironie eines sprachstümpers wirkt entblössend auf ihn selbst zurück. wer hat erfunden, von seiner ironie zu reden? ironie setzt nun tatsächlich eine meisterschaft voraus. und sonst ist sie wohlfeiles geschwätz. es kühlt sich da einer am eigenen unvermögen sein mütchen.


'die überwindung des körpers durch den tod' gegen die 'plumpe pragmatik' der welt gesetzt. was soll der satz heissen? ein künstler überwinde durch den tod seinen körper, andre dagegen, stumpf und dumpf, stürben bloss ab, oder wie? 'das alter triumfiert über die jugendlichkeit' – ich wäre der letzte, der das unterschriebe.

'der tod ist allgegenwärtig. er widerfährt dem leser bereits im ersten satz'. da hat der kritiker kern den ultimativen kriminalroman entdeckt. der leser wird schon im ersten satz ermordet. welch ein paukenschlag!


thomas mann bedient sich der sprache wie einer rezeptur. er formt und gestaltet sie aber nicht. und ich glaube, er kreiert und formt auch keinen eigenen gedanken, sondern greift überall zum allbekannten intellektuellen 'on dit'. er ist infolgedessen kein sprachschöpfer und damit kein dichter. kunst schaffen heisst tradition schaffen. nur mit den mitteln der tradition zu schaffen, heisst meistens, und im vorliegenden falle bestimmt, nachahmer, imitator, bestenfalls nachempfinder zu sein. inhalt und aufbau der kapitel können diesen mangel nicht ausgleichen. ein dichter erreicht seinen rang niemals durch den stoff.

'in tadzio und seiner rolle der passivität wird (einerseits) all jene sehnsucht projiziert, die sich der schriftsteller zeitlebens versagte'.

nein, das glaube ich nicht. eine solche ausgereifte und hochstilisierte sehnsucht wäre plötzlich, im alter, einfach da? ich halte dafür, dass sie über jahrzehnte in dem manne unterhalten und grossgezüchtet. die erwähnung seiner biografie in deinem essay sagt es ja eigentlich auch. die sehnsucht hat er sich nicht versagt, jedoch möglicherweise die tat, nach der ihn verlangte. die erfüllung hätte die sehnsucht transformiert, die nun keine mehr gewesen wäre. (die höchste sehnsucht aber kann nicht erfüllt werden). 'das wort kann die sfäre der sinnlichkeit nicht erfassen'. doch, kann. manns wort allerdings kann es nicht. (daneben gäbe es noch, und vorallem, die komposition der worte, wie sie zusammenstehn und einander reflektieren und was zwischen den zeilen so zum leben erwacht.) ebensowenig kann ich deinen ausführungen zur homosexualität folgen. ich denke, mann verrät 'seine homosexualität'. ein aussenstehender kann nicht auf diese weise darüber schreiben, die kunstfigur aschenbach hin oder her. mann weiss und kennt zuviel und zu genaues. dass er aber überdies ekel empfinde und die geschlechtlichkeit hasse, leuchtet mir noch einmal nicht ein. es muss ja schon ein knabe sein, nicht wahr, anders gings nicht. er müsste sich konsequenterweise vor ihm ekeln. mir ist schon klar, dass die erotik den grösseren und weiteren begriff abgibt als der sex, den man sich ohne sie vorstellen kann und der wohl auch am häufigsten so praktiziert wird auf der welt. sex und geschlechtlichkeit als das ursprüngliche, angeborene, primitive, erotik als kultur (auch durch verbote inspiriert, als deren überwindung in der extase). manns erotische vorstellungen also ans jugendliche geschlecht gebunden, aber es kommt noch ein quantum hochmut zur verklärung dazu, mit dem er sich (und viele andere tuns ihm gleich) aus der gesellschaftlichen ächtung rettet und vielleicht aus der verachtung seiner selbst ob seiner kuscherei. kein verdacht ist hinfällig, mit deinen worten zu reden. hege ihn nur. ich aber kann gerade an diesem verdachte nichts erkennen, was nun mir suspekt wäre.

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