ein
streitdialog zwischen dr. dieter porth und daniel costantino
aus anlass einer hesse-kritik
und auf anregung von daniel costantino entstand die idee zu diesem schriftdialog
über die frage, was eine gute kritik sei - für dr. dieter porth
eine reflexion über seine gewählte form der musikkritiken. seine
hoffnung ist, dass der leser vielleicht viel schneller erkennt, welche
grenzen eine kritik hat und welche zielrichtungen kritiker mit ihren kritiken
verfolgen. für daniel costantino willkommener anlass, sich gedanken
zu machen, was ihn umtreibt und eigentlich (literatur)kritiken schreiben
lässt.
startartikel dr. dieter
porth www.buergerstimmen.de/kultur/kultur_94.htm
(homepage dr. dieter porth: www.buergerstimmen.de)
Hierzu fallen mir
verschiedenen Unterfragen ein, die über die Qualität einer Kunstkritik
entscheiden?
- Welchen Zweck soll eine Kunstkritik haben?
- Welche Rolle hat der Kritiker beim künstlerischen Schaffensprozess?
- Welche Form muss eine Kritik erfüllen?
- Gibt es für die verschiedenen Bereiche der Kultur (Malerei, Dichtung,
Musik) unterschiedliche Prinzipien für eine Kunstkritik; oder gibt
es gemeinsame Prinzipien, die bei der Form, beim Stil und beim Aufbau
einer Kunstkritik einzuhalten sind?
- Was grenzt eine Kunstkritik von einer Meinungsäußerung, von
einer Schmährede, von einer Hymne oder von einem Nachruf ab?
- Welchen Stellenwert sollte die Meinung des Kritikers in eine Kunstkritik
haben?
Ich möchte den Artikelwettlauf mit der Frage nach dem Zweck einer
Kunstkritik beginnen.
--- Zweck einer Kunstkritik
---
Für mich hat Kunstkritik auch immer einen praktischen Bezug. Eine
Kunstkritik hat viel mit einem Gutachten gemeinsam. Es soll bei der Entscheidungsfindung
helfen. Gerade deshalb setzt man sich doch mit Themen auseinander.
Aktuell beschäftige ich mich damit, ob die Inszenierung eines Diskjockey-Set
in einer Diskothek vergleichbar ist mit der Kultur typischer staatlich
alimentierter Veranstaltungen wie klassischer Konzerte, Theateraufführungen,
Lesungen oder Jazzkonzerte. Mich interessiert dabei die speziellere Frage,
ob ein Diskjockey-Set kulturell auf gleicher Höhe steht wie ein klassisches
Konzert, ein Ska-Pop-Konzert oder ein Jazzkonzert.
Was ist an der zweiten spezielleren Frage praktisch? Nun ich mache in
Göttingen beim nichtkommerziellen Lokalfunk (Stadtradio Göttingen)
eine Radiosendung. Zu meiner Radiosendung gehört ein Konzertkalender,
wo ich möglichst alle Konzerte aus der Region mit Hörprobe kurz
ankündige. Die Antwort auf die Frage, ob ein klassisches Konzert
vergleichbar mit einem Diskjockey-Set oder anderen Pop-Konzerten ist,
entscheidet über echte Sendezeit.
Nun habe ich den Anspruch, dass die Entscheidung über Ankündigung
und Nichtankündigung gerecht fallen muss. Die Konzertkritik muss
über meine eigene Meinung hinausgehen und offenlegen, nach welchen
formalen Prinzipien und Regeln sie vorgeht. Die Beschreibung und die Offenlegung
der Regeln wird in dem speziellen Fall zur Maßschnur für den
Veranstalter. Der Veranstalter lernt aus den Regeln, wann sich die Information
über eine bestimmte Veranstaltung lohnt und wann sie sich nicht lohnt.
Dies Prinzip gilt aber auch allgemein. Mit der Beschreibung und Offenlegung
der Regeln einer Kunstkritik mache ich die Kunstkritik gerechter, selbst
wenn sie zu einem vernichtenden Urteil führt.
Damit eine Kunstkritik gerecht sein kann, muss die neutrale Beschreibung
ein sehr großes Gewicht in der Kritik haben. Das abschließende
Urteil des Kritikers ist in einer guten Kritik nicht so wichtig. Im Prinzip
sind Kritiken denkbar, die ohne explizites Urteil des Kritikers auskommen.
Das Urteil in einer Kritik ist weniger wichtig, insbesondere wenn man
eine Kritik mit einer Schmährede oder einer Hymne vergleicht. In
einer Hymne wird die Lob des Autors zur Autorität erhoben, gleiches
gilt für den Spott in einer Schmährede. Auch bei einer Meinungsäußerung
hat die Meinung des Schreibers einen hohen Stellenwert, so dass eine gute
Meinungsäußerung mit ihren verschiedenen rhetorischen Tricks
und Fallen oft keine gute Kritik darstellt.
Abschließend lässt sich sagen: Weil die Kritik der Entscheidungsfindung
dient, muss sie ihre eigenen Regeln nachvollziehbar offenlegen und das
Objekt ihrer Kritik beschreiben.
daniel costantinos replik hiezu:
der zweck einer kunstkritik,
in meinem falle textkritik, ist das urteilen selbst. ich muss schärfe
des verstandes und intensität der empfindung entwickeln, um mich
überhaupt in die lage zu versetzen. ich muss wahrheit suchen, zu
klarheit kommen. ein fortgesetzter prozess. ich messe gewiss ein literarisches
erzeugnis nur höchst sekundär, wenn überhaupt, am stoff.
ich messe es am ästetischen anspruch, an seiner sprache, daran, ob
seele in die struktur fliesst oder nicht. ob die schöpfung der welt
oder ein relativ unbedeutendes ereignis wie ein waldspaziergang dargestellt
werden, ist kein kriterium für mich: entscheidend alleine, wie der
autor es schildert. um das wort vom gutachten aufzugreifen: ein guter
arzt wird sich schützend vor seinen patienten stellen, durchaus parteiisch
für den kranken sich ins zeug legen. gutachten, aufgrund derer ein
richter- oder polit- oder ärztegremium entscheiden kann, wie es will,
dienen bloss der erreichung einer hinter verschlossenen türe ausbaldowerten
quote. und deren wurstige kriterien bleiben - geheim.
eine kritik, die sich des lobs oder des tadels enthält, stützt
die herrschenden verhältnisse, macht sich zum komplizen der korruption.
der geistigen hier, in unserm falle. und der seelischen. und verdient
den namen nicht einmal. kritik
ist die kunst der beurteilung. und kunstkritik soll beurteilen, ob ein
werk kunst ist oder ob es sich um blosse imitation, stümperhaftigkeit
oder kitsch handelt. was kann es gradlinigeres geben, als einander zu
sagen, was man denkt und fühlt, was man wirklich denkt und fühlt?
und wie müsste ich etwa hesse gerecht zu werden haben, an eines seiner
gedichte knüpft sich ja unsre diskussion? der hat doch genug eingeheimst
und ist lange tot. oder etwa grass, dessen schreibe ('vom häuten
der zwiebel') ich entlarve als eine unsäglich rührselige, verkitschte,
ja unredliche art, geld zu verdienen? wird es ihm schaden? da lachen ja
die hühner. nein nein, man soll die dinge beim namen nennen, für
anderes ist das leben viel zu schade. lesen ist eine sehr kreative auseinandersetzung
mit dem autor, in einer einszueins-situation. klar, dass ich der massstab
bin. meine erfahrungen mit der
sprache, dem denken, dem leben gegen die seine. er kann an mir scheitern.
oder ich an ihm. dann soll man mir meine lächerlichkeit vor augen
führen. und immer schön dem ästetischen gegenstand, der
sprache nach.
dass sie zum erwähnten hesse-gedicht keine stellung nehmen wollen,
verstört mich. wie muss man ein expliziter hesse-kenner sein, um
dies einzelne gedicht zu beurteilen? sind doch nur ein paar strofen, in
sich ein vollendetes werk. jedes kind kann doch sagen, was ihm dazu einfällt!
einverstanden bin
ich nur mit ihrem schlusssatz.
dr. dieter porth antwortet:
Was ist eine gute
Kunstkritik?
- Zweck einer Kunstkritik -
Der Schlusssatz lautete: "Weil die Kritik der Entscheidungsfindung
dient,
muss sie ihre eigenen Regeln nachvollziehbar offenlegen und das Objekt
ihrer Kritik beschreiben."
Wenn sie mit dem Schlusssatz einverstanden sind, dann sind wir uns über
den Zweck einer Kunstkritik einig - egal, ob die Kunstkritik nun im Konzertbereich,
im Theaterbereich oder im Textbereich oder auch im Bereich der bildenden
Künste angesiedelt ist. Die Kunstkritik soll den Leser der Kritik
bei der Entscheidungsfindung helfen. Sie muss beschreiben und ihre
eigenen Regeln offen legen.
Ein großer Meinungsunterschied
zwischen uns beiden liegt in der
Herangehensweise an einer Kritik. Ich habe sie so verstanden, dass sie
bei Beginn einer Kritik von der Wirkung ausgehen, die ein Text auf sie
ausübt. Sie nähern sich also persönlich einem Werk. Ich
nähere mich dagegen von der Beschreibung dem Objekt der Kritik. Dieser
Unterschied ist grundsätzlich, wobei beide Formen ihre Vor- und Nachteile
haben. Der Unterschied ist so
grundsätzlich, wie der Unterschied in der Denkkultur zwischen
Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. [Anmerkung: Dabei haben
die heutigen Naturwissenschaften im Vergleich zur Denkkultur am Anfang
des letzten Jahrhunderts viel verloren. Auf die Begründung komme
ich am Ende dieses Disputs kurz zurück.]
Der Unterschied lässt sich vielleicht auch an einem Zitat aus ihrem
Text festmachen: "... ich messe es [das Objetkt der Kritik] am ästetischen
anspruch, an seiner sprache, daran, ob seele in die struktur fliesst oder
nicht. ...". Ich würde in dem Text nach Merkmalen suchen, die
bestimmten ästhetischen Ansprüchen zuzuordnen sind und prüfen,
wie stark sich das
Kunstwerk von anderen Objekten abgrenzt. Im Bereich der Denkstrategien
gibt es kein richtig oder falsch. Für mich
gibt es übrigens auch keine Wahrheit, sondern bestenfalls viele
Querverweise. Ich sehe diese Diskussion als Möglichkeit, die Grenzen,
die Stärken, die Schwächen und die Anwendungsgebiete der beiden
Herangehensweisen auszuloten. Doch ich möchte nur langsam und sorgfältig
vorgehen. Im folgenden werde ich mich auf die Unterschiede im formalen
Aufbau der Kritik beschränken, da ich glaube, dass sie in einer Kritik
die Schwerpunkte anders als ich setzen würden. Als Anlass möchte
ich den typischen Aufbau meiner Kritiken beschreiben, die bestimmte Aspekte
meines Denkens widerspiegeln.
--- Wie kann eine
Kritik aufgebaut werden ---
Bei den Konzertkritiken gehe ich üblicherweise immer von dem beschreibenden
Element aus. Dabei beobachte ich während des Konzerts mehrere Aspekte.
Dabei ergeben sich aus der Beschreibung der Aspekte bestimmte natürliche
Implikationen. Am Ende wird geschaut, ob die verschiedenen Aspekte
zusammenpassen. Wenn dies der Fall ist, dann ist das Kunstwerk gut, gelungen
und durchdacht, selbst wenn ich persönlich es abscheulich finde.
Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen. Bei einer Konzertkritik
beschreibe ich üblicherweise vier Dinge: die musikalische Stilrichtung,
das Verhalten der Musiker auf der Bühne, die Inszenierung des Konzerts
und das Verhalten des Publikums. Anschließend werden zwischen den
Handlungen und den Rückkopplungen mit dem Publikum Beziehungen hergestellt.
Beispielsweise ist Free-Jazz sehr anstrengend, weil man nie weiß,
was in der nächsten Sekunde kommt. Wenn jedoch der Free-Jazz als
Untermalung zu einem Film entsteht, dann wirkt die Improvisation manchmal
sogar bereichernd. Hier passen Inszenierung und Musik gut zusammen. Normalerweise
gleiche ich diese Passigkeit immer noch mit der Reaktion des Publikums
ab. Wenn das Publikum während des Konzerts redete, dann hat die Musik
ihren Zweck verfehlt, denn
es hat das Publikum nicht unterhalten. In solchen Fällen kann man
bestenfalls noch überlegen, an welchen Stellen der Musiker die Kommunikation
mit dem Publikum vergeigt hat. (Vielleicht hat er nur den falschen Veranstaltungsort
gehabt - Beispielsweise wird ein Punkband in einer Kirche nicht unbedingt
ihr Stammpublikum erreichen.)
In einer Konzertkritik behandele ich als verschiedene Aspekte, wie Musikrichtung,
Inszenierung des Konzerts, Art der Darbietung und die Reaktion des Publikums.
Meistens behandle ich auch noch den Aspekt Merchandising, da die Kritik
oft Nachwuchsbands betrifft, die in diesen Bereichen oft Schwächen
haben. Gleichzeitig lege ich als Beobachter offen, wie das Publikum gewirkt
hat.
Nach diesen Beschreibungen zur Musik und dem Konzert komme ich anschließend
zu Verbesserungsideen, wobei ich dabei auf Erfahrungen aus früheren
Konzerten zurückgreife. Diesen Aspekt nutze ich aber nur zurückhaltend,
da das Kunstwerk "Konzert" in erster Linie ein Werk des Künstlers
ist. Auch bei der Beurteilung der Musik bin ich eher zurückhaltend.
Nur wenn mir die Musik völlig gegen den Strich gegangen ist, dann
kennzeichne ich die
Einschätzung als persönliches Statement. Manchmal beschränke
ich mich auch auf ein persönliches Statement - nämlich dann,
wenn ich nur für kurze Zeit zum Schießen von Fotos auf dem
Konzert gewesen bin. Dann fehlt mir nämlich
die Zeit, um mich mit dem Kunstwerk auseinander zusetzen. Dann bin ich
allein auch meinen persönlichen Eindruck angewiesen.
Meine Kritik hat also immer folgenden Aufbau:
1. Beschreibung verschiedener Aspekte des Kunstwerkes
2. Herstellung von Beziehungen zwischen den verschiedenen Aspekten
3. Analyse, ob die Aspekte zusammenpassen
4. wenig: Entwicklung von Verbesserungsideen
5. selten: persönliche Bewertung des Kunstwerkes
Bei meinem Vorgehen
bin ich natürlich immer auf die Reaktion des Publikums angewiesen.
Das ist vielleicht ein wesentlicher Punkt, der bei Textkritiken ein anderes
Vorgehen erforderlich macht. Aber auch bei literarischen Werken würde
ich erwarten, dass der Kritiker Verbesserungsvorschläge macht und
Fehlwirkungen aufzeigt. Im Gegensatz zu meinem ersten Eindruck muss ich
vielleicht doch zubilligen, dass man bei literarischen Werken stärker
den eigenen Eindruck als Maßstab bei der Kritik verwenden muss.
Aber ich bin mir nicht sicher. Erst einmal bin ich gespannt, wie sie ihre
Kritiken aufbauen.
daniel costantino
entgegnet:
zu anfang eine präzisierung:
ich bin mit den zwei letzten dritteln deines erwähnten schlusssatzes
vollkommen eins: die regeln meiner kritik offenlegen, nachvollziehbar
machen. den massstab (offen)legen, ja. und das objekt der kritik beschreiben
(und in meinem falle: überprüfbar machen, deshalb zitiere ich
ziemlich viel). ob aber die kritik uneingeschränkt oder hauptsächlich
der entscheidfindung zu dienen habe - das kann ich nicht reinen herzens
unterschreiben. oder doch nur in einer richtung: sie dient nämlich
mir selbst, der ich sie verfasst, zur entscheidfindung, was ich vom kritisierten
werk halte. welche literatur mich überhaupt stimuliert, welche mich
enttäuscht. meine art, literaturkritiken zu schreiben, stellt wohl
literatur grundsätzlich zur diskussion: was von ihr zu erwarten,
zu erhoffen wäre. gerade deshalb messe ich den anspruch eines werkes
an seiner wirkung auf mich. wobei dieser anspruch häufig auch von
der literaturkritik gestellt oder als erfüllt postuliert wird. meine
kritiken sind fast immer auch kritiken am literatur-, am kunstbetrieb.
ich prüfe also auch, ob ein schriftsteller dem ruf, den er geniesst,
auch gerecht wird, ob ein dichter die bezeichnung verdient oder nicht.
ob mein leser meinen text zur entscheidfindung benutzt, bleibe dahingestellt.
vielleicht stellt er ja was ganz andres damit an, nicht wahr. sollte meine
arbeit dazu beitragen, sein eigenes denken und sein beurteilungsvermögen
zu schärfen, wäre das ein grosses kompliment für mich.
selbst dann noch, wenn seine beurteilung gegensätzlich ausfiele.
ja, du hast recht: ich ordne keine ästetischen ansprüche zu,
ich beurteile, ob meine ästetischen ansprüche befriedigt, vielleicht
gar übertroffen werden. und glaube, diese ansprüche immer auch
zu formulieren im text. und ein grosser anspruch, den ich stelle: eine
künstlerische sprache ist unverwechselbar. ein künstler hinterlässt
seinen daumenabdruck. er muss mir nicht zwingend was neues zu sagen haben
- alles wurde vielleicht schon gesagt - aber die art und weise, wie er
es tut, die muss neu, nicht austauschbar, unverwechselbar sein. dies ein
wichtiges kriterium. und dann will ich nicht billig abgespeist werden.
wenn einer bloss stammtischgeschwätz zum besten gibt, kann mich das
nicht interessieren. dazu ist die kneipe da. wenn aber einer stammtischgeschwätz
gestaltet, menschen am stammtisch beschreiben kann, dialoge inszeniert,
klatsch, schablonen imitiert, ists natürlich was anderes. dann läuft
das ganze auf etwas anderes hinaus, was durchaus kunst sein kann. aber
hohe worte und banaler inhalt sind für mich kitsch. (siehe grass.
und er scheitert auch an den hohen worten noch.)
ich bringe überhaupt mein leben damit zu, mir einen persönlichen
eindruck zu machen. mich interessiert die subjektivität. es gibt
nicht DIE wahrheit. wir können gar nicht erfassen, was realität
eigentlich sei. ich versuche, meine empfindungen zu beschreiben, eine
sprache zu schreiben, die ihnen entspricht. ich unterscheide nicht einmal
zwischen gefühl und verstand. für mich sind das keine gegensätze,
vielleicht verschiedene aggregatszustände. das wahrste, echteste,
unmissverständlichste, was ich kenne, ist die empfindung - gefühl,
eindruck, ahnung sind andere worte dafür. was ich zur sprache bringe,
hat dem zu entsprechen. das ist meine art, nach existentiellem, nach erkenntnis
und wahrheit zu suchen. ist denken nicht selbst ein instinkt?
das heisst, ich muss die sache stimmungs- und gefühlsmässig
in den griff bekommen, im griff behalten. nach dieser logik (es gibt berechtigterweise
auch andere logiken) entsteht meine schreibe. da ich ohne auftraggeber
arbeite, verlangt niemand etwas anderes von mir. das heisst auch, dass
ich die dinge aus mir heraus entwickeln muss. hier finde ich meine art
zu existieren.
ich habe mir nie - oder lange nicht mehr - überlegt, wie ich einen
text aufbaue. eine textkritik, um bei der sache zu bleiben. es geschieht
intuitiv. ich beschnüffle die sache. ich brauche tage, bis ich beginne,
bis mich ein ansatz überzeugt. aber den lege ich mir nicht gedanklich
zurecht. ich schreibe ein paar zeilen hin und lege das papier zur seite.
ich bin nicht zufrieden. ich habe den punkt noch nicht gefunden. ich weiss
überhaupt nicht, wie ich beginnen soll und wo. so geht es einige
zeit. eines morgens erwache ich und schreibe die rohfassung des textes.
oder einen guten teil davon, im wissen, wie es weitergehen kann. vielleicht
schenkt mirs der herr im schlaf. plötzlich ist alles da und ich bin
mitten im geschehen.
du kannst deinen aufbau genau in fünf punkten auflisten und benennen.
ich glaube, ich würde schummeln, versuchte ichs. das muster wird
einfach da sein, in mir selbst mittlerweilen, mein stil, meine zwei drei
möglichkeiten, die ich mir in zwanzig jahren erarbeitet habe, ich
achte nicht mehr darauf. ein abbild meines (literarischen) wesens. was
weiss ich!
meine versuche, einem werke 'gerecht' zu werden, halten sich gewiss in
engen grenzen. ich versuche, die aspekte (oder sogar nur einen?), die
mich interessieren, zu durchdringen. mir einen text, den ich behandle,
einzuverleiben. wie nahrung: wonach schmeckt er, riecht er mir, wie verdaue
ich ihn? deine aspekte unter punkt eins ergeben sich mir vielleicht entlang
der nervlichen, stimmungsmässigen berührungspunkte. oder abstossungsreaktionen.
ich zeige also gewiss, wie ich auf einen text reagiere. das will ich darstellen.
heureka!
herstellung von beziehungen zwischen den aspekten? tönt sehr, sehr
teoretisch für mich. glaube nicht, dass ich sowas denke beim schreiben.
analyse ja, doch: indem ich beurteile. die machart offenlege, begrüsse
oder blossstelle. denke, das kann was mit sprachanalyse zu tun haben.
mit sprachkritik. genau: meine textkritik ist immer auch sprachkritik!
verbesserungsideen: nee, in meinem falle nicht. das buch ist ja geschrieben,
und es hat mich keiner um rat gefragt.
ja, klar, persönliche bewertung. aufgrund der oben dargelegten kriterien.
oder jenen, die ich im text selber aufstelle. die hauptsache ist schon
die sprache: scheitert ein schriftsteller daran, am wichtigsten, was er
zu seinem berufe hat, kann er mir eigentlich nichts erzählen. (immer
unter dem aspekt kunst. an ein sachbuch stelle ich nicht dieselben hohen
ansprüche diesbezüglich). am schluss dann häufig das urteil:
gut oder ausgezeichnet: ein dichter! oder ein dilettant. durchschnittskost.
kein grosser. oder noch ganz anderes.
eine ganz wichtige
sache: die sinnlichkeit. ohne die kommt meiner meinung nach keine kunst
aus. (kriterien: anschaulichkeit, farbe, stimmung, ausdruckskraft, wortschatz....)
fehlwirkungen aufzeigen, schreibst du. ein literaturkritiker soll dir
fehlwirkungen aufzeigen. ich glaube, das mache ich. manche, die als dichter
austrompetet werden, schlagen bloss die sprache tot. ich beanstande also,
dass man sie lobt. und zeige, wie verkitscht ihre sprache ist, spiessig,
dummmachend und antierotisch. damit kriegen meine kritiken häufig
auch eine stark gesellschaftskritische tendenz. ich analysiere oft ebenso
den mainstream, die oberflächlichkeit und die verlogenheit unserer
zeit. und damit, wie ich glaube, das, was uns niedermacht.
dr. dieter porth schreibt darauf:
--- Zweck einer Kunstkritik ---
Wenn ich das richtig verstanden habe, ist für Dich die Kritik insbesondere
auch eine Darlegung des "Selbstfindungsprozesses". Dabei steht
die Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk im Vordergrund, die Prüfung
mit den eigenen Vorstellungen, Gefühlen und Empfindungen. Dabei stellst
du als "Messwerkzeug" deine eigene Person in den Vordergrund.
Neben der Selbstfindung lese ich aus deinem Text auch das Ziel nach Verortung
heraus, wie das folgende Zitat zeigt: " ... ich prüfe also auch,
ob ein
schriftsteller dem ruf, den er geniesst, auch gerecht wird, ob ein dichter
die bezeichnung verdient oder nicht. ...".
Gerade dieser Begriff der Verortung hat mich schon früher an den
Geisteswissenschaftlern gestört. Der Begriff hat dabei zwei
Bedeutungsebenen. Einmal meint er natürlich, dass man als Kritiker
ein Kunstwerk oder einen Text nur aus einer Sicht darstellen kann. Mit
der Verortung stellt man fest, welcher Aspekt das ist. Der Begriff Verortung
hat aber auch eine soziologische Bedeutung. Mit seiner eigenen Verortung
legt man fest, welcher Meinung man in der wissenschaftlichen Gemeinschaft
gewogen ist und welcher nicht. Verortung ist also gleichzeitig eine Meinungsbekundung
und führt zur Parteienbildung innerhalb einer Gemeinschaft. Mit deiner
oft geäußerten Kritik am Kulturbetrieb suchst nach meinem Eindruck
deinen Platz innerhalb des Kulturbetriebes zu erkämpfen - denn auch
eine Kritik an den Kritikern ist ein Kommunizieren mit den Kritikern.
Mit der Verortung zeigst du aber gleichzeitig auch, welchen Zweck deine
Kritiken haben. Du suchst einen Platz innerhalb der Gemeinschaft der Kritiker.
Für die Bestimmung des Zwecks ist es egal, ob deine Kritik gelesen
wird oder nicht. Für die Bestimmung des Zwecks ist nach meiner Ansicht
immer nur wichtig, welche Absicht du mit der Arbeit und deren Veröffentlichung
verfolgst. (P.S. Auch ich werde für meine veröffentlichten Konzertberichte
nicht bezahlt, und bin so ersteinmal nur mir selbst verpflichtet. Aber
mir ist es wichtig, zu wissen, warum ich die Texte veröffentliche,
denn jede Veröffentlichung hat eine Wirkung - wie diese Auseinandersetzung
zeigt.)
Ich möchte noch einmal auf den Begriff Verortung zurückkommen.
Der Begriff der Verortung hatte und hat für mich einen unangenehmen
Beiklang. Er impliziert, dass es - auch bei der Literaturkritik - keine
absolute Wahrheit geben kann. Dem stimme ich zu; denn selbst in den Naturwissenschaften
kann es niemals eine absolute Wahrheit geben. Aber zurück zum Begriff
Verortung und dem Bild der multiplen Wahrheiten. Für manchen macht
die Nichtexistenz einer absoluten Wahrheit eine systematische Darstellung
überflüssig und wertlos wird. Diese Folgerung halte ich für
falsch, denn eine Systematik ist ein sehr effizientes Erinnerungssystem,
in welchem man seine Erfahrungen und Erkenntnisse gießt und verfügbar
hält. Systematik ist eine mächtige Denksprache, die in vielen
Lebenslagen hilfreich sein kann. Du schreibst, dass du dich lange mit
einem Problem auseinandersetzt, wobei durchaus mehrere Tage vergehen können,
bevor du eine Sache wirklich durchdrungen hast. Dies geht mir bei Dingen,
wo ich mich überhaupt nicht auskenne, ähnlich. Aber ich bemühe
mich schon bald, für diese Dinge eine Systematik zu entwickeln. Anschließend
beginne ich zu prüfen, ob die Systematik die Wirklichkeit angemessen
beschreibt. Wenn sie es nicht tut, dann muss ich die Systematik ändern.
Für mich ist also nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk
wichtig, sondern auch die Auseinadersetzung mit der Systematik. Diese
Systematik ist später hilfreich, wenn ich die nächste Kritik
schreibe. Diesen Aspekt des Meta-Lernens vermisse ich bei deinen Ausführungen.
Die Verwendung von systematischer Darstellung hat auch einen Nachteil;
man muss häufiger prüfen, ob die gewählte systematische
Darstellung überhaupt noch sinnvoll ist. Hier stellt sich die Frage,
wie man das macht. Nach langem Nachdenken über Kreativität und
gute wissenschaftliche Theorien bin ich irgendwann für naturwissenschaftliche
Theorien zu dem Schluss gekommen, dass eine Theorie immer dann gut ist,
wenn sie (1)bestimmte Aspekte der Erfahrung (2)mit einem überschaubaren
Theoriesystem (3)mit gewünschter Zweckmäßigkeit beherrscht
werden können. Wissenschaftliche Theorien sind schlecht, wenn einer
der drei Aspekte schwach repräsentiert ist.
Beispielsweise ist die Urknalltheorie schlecht, weil die Erfahrungen eher
dürftig sind. Beispielsweise sind viele philosophische Überlegungen
schlecht, weil ihr theoretischer Rahmen oft zu kompliziert ist. Manches
Kunstwerk wie auch manche wissenschaftliche Arbeit ist schlecht, wenn
man nicht erkennt, welchen Zweck und/oder Ziel das Ganze verfolgt.
Da die Naturwissenschaften die Wirklichkeit beschreiben versuchen, so
wie Kunstwerke Gefühle und Stimmungen beschreiben versuchen, glaube
ich, dass analog auch gute Kunstwerke die (1)"realen Erfahrungen
des Einzelnen" (2)"mit einfachen und treffenden Mitteln"
(3)"für eine bestimmte Zielgruppe" darstellen will. In
einer systematischen Kritik muss ich also prüfen, inwieweit der Künstler
dieses schafft. Für eine gute Kunstkritik stelle ich also das Kunstwerk
dar und prüfe, ob der Künstler sein (unterstelltes) Ziel erreicht.
Die systematische Struktur hilft mir, nichts wesentliches zu vergessen.
denn die Systematik ist nur der Rahmen für meine Gedankengänge.
--- Wie kann eine
Kritik aufgebaut werden ---
Du schreibst, dass du konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschläge
nicht einfließen lässt. Das ist immer auch eine Frage des eigenen
Stils. Das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun besagt, dass jede
Kommunikation immer vier Aspekte transportiert. Dies bedeutet bei Verbesserungsvorschlägen
folgendes
a) die sachliche Information ("Das hätte man so anders machen
können.")
b) Selbstdarstellung ("Ich habe das Zeug zum Schriftsteller, Musiker,
Künstler! :-) )
c) Aufforderungscharakter ("Bei nächsten Auftritt könntest
du so besser wirken.")
d) Beziehungsaspekt (" Da ich dir einen Verbesserungsvorschlag anbiete,
befinden wir uns auf gleicher Augenhöhe")
Ein Verbesserungsvorschlag ist eigentlich eine sanfte Form der Kritik,
wo ich auf der gleichen Augenhöhe mit dem Künstler zu bleiben
versuche. (Das ist mir wichtig, da ich mit meinen Kritik im Nachwuchsbereich
eine Verbesserung der Konzertkultur bewirken möchte. Dies erreicht
man nur seltener, wenn man statt der Kumpelposition eine Oberlehrerposition
einnehmen würde.) Die Wahl der Mittel ist also immer durch den Zweck
bestimmt.
Trotz der scheinbaren
Rationalität bin ich ein sehr empfindsamer Mensch, der viele Entscheidungen
intuitiv fällt und viele Überlegungen spontan anstellt. Da unterscheide
ich mich wahrscheinlich nicht wesentlich von dir. Ohne Spontaneität
lässt sich keine Innovation entwickeln, so wie das Vergessen zum
Lernen führt. Ein systematischer Aufbau meiner Kritiken ist für
mich also lediglich ein Mittel, effizient mit meinem Denkmuskel umzugehen.
Aber auch du hast doch starke Ansätze zur Systematik, wenn du schreibst:
"... eine ganz wichtige sache: die sinnlichkeit. ohne die kommt meiner
meinung nach keine kunst aus. (kriterien: anschaulichkeit, farbe, stimmung,
ausdruckskraft, wortschatz....) ...". Wenn du jetzt überlegen
würdest, ob es Wichtigkeitsunterschiede zwischen den Kriterien gibt
und ob bestimmte Beziehungen zwischen Kriterien bestehen, und wenn du
für den Leser eine "einheitliche" Reihenfolge festlegen
würdest, dann würdest du deine Artikel
strukturieren ähnlich wie ich meinen Artikel strukturiere.
--- 1. Nachfrage ---
Ich habe oben Schulz von Thun erwähnt. Jede Kritik ist immer auch
eine Selbstdarstellung. Reich-Ranicki soll ein Meister der Selbstdarstellung
sein. (Ich habe ihn nie gelesen.) Ich würde bei meinen Konzert-Kritiken
folgende Bewertungen vornehmen:
a) Sachinformation (wenig aussagekräftig, aber systematisch)
b) Selbstdarstellung ("Ich schaue mir genau die Kommunikation zwischen
Musiker und Publikum an.")
c) Aufforderungscharakter (Musiker: was ist gut/schlecht? - Zuschauer/Leser:
Lohnt sich der Besuch?)
d) Beziehungsaspekt (Musiker: Ich stehe auch eurer Seite! - Zuschauer/Leser:
???)
Wie würdest du deine Kritiken unter dem Kommunikationsmodell bewerten?
Wie möchtest du gelesen werden?
--- 2. Nachfrage ---
Ich habe während meiner Doktorarbeit einen sehr speziellen Zugang
zur "Sprache" bekommen. Für mich ist die Grammatik/ die
Rhetorik wichtiger und manipulierender als das eigentliche Wort
Was ist für dich Sprachkritik?
daniel costantinos erwiderung:
ja, messwerkzeug eigne
person - es gibt in meinem kopf bestimmte kriterien, was eine gute sprache
sei. durch vieles üben, nachahmen, korrigieren, nachdenken und weiterentwickeln
habe ich selbst zu einer sprache gefunden, mit der ich einen text, wie
ich glaube, recht anschaulich, flüssig und interessant gestalten
kann und die es mir erlaubt, andern beim schreiben mit einer gewissen
kompetenz auf die pfoten zu schauen. ich bin also selber schreiberling
und kenne die bedingungen des geschäfts. abschottung von störenden
einflüssen, verflachung der sprache, beliebigkeit, konjunktur der
modewörter, parolen, inflation, mainstream der medien - es braucht
ruhe und konzentration, einen stil zu entwickeln. das berühmte leere,
weisse blatt papier. das beste aus sich herausholen. ob in einer buchkritik
oder einer eignen kurzgeschichte. ob artikel oder roman, meinung oder
kunst, gedicht oder pamflet. undsoweiter. ich will bei allem meine eigne
autorität sein oder werden. klar gibt es einflüsse, schlechte
und gute, beste. ein sprachkünstler muss die sprache wie ein instrument
führen. aber er kann es nicht an einer hochschule für musik
erlernen, wo ihm etwa die intonation des belcanto samt stimmtraining und
-hygiene und die richtige interpretation mozartscher arien oder schubertscher
lieder beigebracht werden. er ist selbst der komponist, komponist und
interpret. er wird gut beraten sein, an der ausdruckskraft seiner verben
zu feilen, seine sprache von allerlei mist zu entschlacken, zu verschlanken
und ökonomisch zur sache zu gehen, das heisst sich von kompliziertheiten
zu emanzipieren und nur halbgedachten gedanken, für die er zehn seiten
braucht, ohne zu klarheit zu kommen, indes ein andrer sie auf einer halben
seite auf den punkt bringt. solches - und vieles andere mehr! - könnte
ich selbstfinder natürlich als sachliche kriterien ausgeben, und
ich möchte den erleben, der mir fundiert widerspräche. aber
es sind weit mehr als sachliche kriterien nur: es sind die voraussetzungen,
die sprache zu einem kunstwerkzeug zu erheben.
meine person steht als messwerkzeug im vordergrund. zu meiner person gehören
die genannten dinge. ich bin ein praktiker der sprache. das konzept sprachkunst
steckt in meinem kopf wie etwa deutsch, das ich beherrsche, aber viele
seiner grammatischen regeln nicht zu sagen wüsste, da sie seit kindheitstagen
verinnerlicht sind.
einem schriftsteller der gegenwart, über den ich schreibe, schaue
ich beim schreiben, beim denken, beim mogeln und kaschieren zu. ich kenne
meine pappenheimer, weil ich selbst einer bin. und ich bin der bewunderung
ebenso fähig. ich applaudiere auch. aber nicht sowieso.
ich kann mit deinem vergleich zwischen geistes- und naturwissenschaften
nicht schritthalten. ich habe nur gesang studiert und sonst garnichts.
ich denke bei deinem wort verortung daran, dass ich verorte, ob ein schriftsteller
ein künstler sei, ob es kunst sein könne, so zu schreiben, wie
er schreibt. und wenn nicht kunst, ob er sein handwerk redlich betreibe.
nicht nur, natürlich: ich kritisiere schon mal auch einen text ratzingers,
da geht es um den begriff wahrheit und wahn. um schaumschlägerei
und hohle moral. um lüge und sektenpropaganda undsofort. aber weit
weg ist das keineswegs. die genannten begriffe spielen überhaupt
in meiner art der sprachkritik eine rolle. vielleicht eine art aufklärung...(ich
verorte mich in meinen gesellschaftskritischen elaboraten klar: als kritiker
der machtausübung.)
es kann nicht eigentlich um die meinung an sich gehen, die ein schriftsteller
vertritt. das ist sekundär. es geht mir in der analyse, ob es sich
um kunst handle oder nicht, um die art und weise, wie einer schreibt.
die weltanschauung ist kein kriterium hiefür. damit wir uns recht
verstehen.
ob ich nun meine meinung bekunde, was kunst denn sei, sprachkunst? ich
kanns dir nicht widerlegen. aber meinung ist ein so beliebiges wort! ich
glaube nicht, dass ich die oberflächlichkeit anstrebe. meinung kann
sehr billig sein, sehr wohlfeil, häufig nichts als blosses nachgeplapper.
(das war ein einwand der sprachkritik. ich komme aufs wort noch zu sprechen).
vielleicht hast du ebendies hier angetönt:
Für manchen macht
die Nichtexistenz einer absoluten Wahrheit eine systematische Darstellung
überflüssig und wertlos wird.
ich verstehe die stelle
nicht ganz, vielleicht ist da was im eifer des gefechtes weggefallen.
(als lehrer würd ich sagen: der satz ist unvollständig geblieben.
als kritiker vielleicht: schlechtes lektorat!)
dein abschnitt über systematik und wirklichkeit und meta-lernen ist
mir zu teoretisch, kann ihn nicht wirklich verstehen. glaube nicht, dass
ich solches betreibe in deinem sinne. du vermisst den aspekt des metalernens
bei mir wohl zurecht. zwei dinge aber fallen mir hier auf: es gehe dir
ähnlich bei dingen, wo du dich nicht auskennst. (mehrere tage, bis
die sache durchdrungen).
das läuft bei mir einfach so. ich kann auf kommando schreiben, dies
hatte ich unter beweis gestellt, als ich in den 80-iger und 90-iger jahren
für ein lokalradio arbeitete und man ein paarmal einen beitrag innert
zweier stunden erbat. aber dann ist das tema vorgegeben und der druck
riesig. da habe ich keine zeit mehr, hinundher zu überlegen. dann
ist schreiben wie reden, improvisieren. aber wenn ich mir selbst was auferlege,
und dies ist seit einigen jahren ausschliesslich so, dann vergeht eben
zeit, bis ich die innere überzeugung gewonnen habe, meinen punkt
gefunden habe, von wo aus ich schreiben und argumentieren will. dann wimmelts
in meinem kopf von einwänden und befürchtungen.
ob die sytematik die wirklichkeit angemessen beschreibt, sagst du. das
ist es eben: die wirklichkeit! welche soll ich aussuchen? und eigentlich
ist alles wirklich, ununterscheidbar wirklich, chaotisch, irisierend,
vision, erscheinen uns träume und bilder, stehn wir verflochten in
beziehungen und situationen, streift uns die monotonie, das alleinsein,
der überdruss, feiern wir feste und tage, kennen wir wonne und ängste,
hoffnung und zweifel, lügen und spekulationen und dämmerhafte
erkenntnis, irrtum und schuld kommt hinzu, ärger und freude, gefühle
und konflikte und probleme.
was ist die wirklichkeit eines romans? das leben selbst. wohlan, das leben
will ich schaffen!
will sagen: wie bemisst du die wirklichkeit einer fiktion? und was andres
wäre ein roman, sag mir? fantasie, fantasie! schreibend hergestellt.
wir haben es in der literatur mit künstlich und im besten falle künstlerisch
erzeugtem leben zu tun.
'wirklichkeit' in einem roman - spürbares, echtes lebensgefühl!
die 'guten kunstwerke',
wie du schreibst, müssen überhaupt nichts mit 'realen erfahrungen
des einzelnen' zu tun haben. sie können natürlich. aber sie
müssen erlebbar sein. ich kann also, lesend, etwas erleben, was ich
gar nicht erlebt habe bisher. und auch der autor muss nichts von sich
aus 'reales' beschreiben. er erfindet ja. schreiben ist ein erfindungsprozess.
und lesen auch.
um eine 'zielgruppe'
muss es nicht gehen. das ist kein kriterium der kunst. höchstens
die situation des schreibers, der sich irgendwas vorstellt, einen bestimmten
leser vielleicht, schemenhaft sicher oft und verschwommen. herrn meyer,
seinen nachbarn. oder die menschheit an sich. was immer das sei. (oder
eben andere kritiker, da hast du recht).
um zwischendurch einen gedanken loszuwerden: system, systematik. ein gesangsschüler
lernt mit viel systematik. umfang, farbe, stütze. legato, piano,
forte. ansatzrohr, brust, bauch. mittellage, spitzentöne, die tiefen.
geschmeidigkeit, glanz und gloria. er denkt an hundert sachen beim üben.
er kontrolliert, wiederholt, verbessert. er unterhält innere warnblinkanlagen.
er ist sein dompteur. sein richter und henker. mit den jahren beginnt
er, sich freier zu fühlen. er hat die fehleinstellungen korrigiert,
die stimmlippen, der kehlkopf, die atmung funktioniert traumwandlerisch
vollkommen und richtig, er hat seine klangräume gefunden, sein legato
auf sicher, den umfang im schlaf - singen ist zu seiner zweiten natur
geworden. er kann wieder unbeschwert singen wie jeder. nur eben schöner
jetzt und mächtiger.
so geht es dem künstler, der sein handwerk beherrscht. frage ihn
nach der systematik! er hat die tabelle gelesen, nach und nach aufgefressen
und verdaut. er weiss nicht mehr, was alles draufgestanden hat.
und so geht es mir, am beispiel der literaturkritik. ich verlasse mich
auf vieles, was ich einmal durchdacht oder tief empfunden und nun als
aufzählbares traktandum vergessen habe. mit der systematik vermag
ich dir nicht paroli zu bieten. ich versuche sogar, wo sie sich ansatzweise
bemerkbar macht, sie zu verscheuchen! zuviel teorie, schreiben ist praxis.
(und meine kritiken plaudern aus der schule.)
ich glaube nicht,
dass es wichtigkeitsunterschiede zwischen meinen entscheidenden kriterien
noch gäbe. aber ich habe deinen begriff vom strukturieren jetzt begriffen.
mal mangelt es dem martin walser an wortschatz, bald an ausdruckskraft.
dem dürrenmatt an akzeptablem deutsch. dafür konstruiert er
die stories tadellos, wie auch walser, aber das ist schon nicht mehr entscheidend.
und bei grass vermisse ich überhaupt alles dergleichen. ich beanstande,
wo es etwas zu beanstanden gibt. ich bin ungerecht. ich verreisse, wenn
einer den entscheidenden künstlerischen kriterien nicht standhält.
ich lobe, juble, wenn die sache gländzend geschrieben. mag einer
mängel haben irgendwo, wenn er sie nur nicht in seiner sprache hat.
es kommt also auf den autor an, welche punkte nun genau ich aufliste.
und, wie schon gesagt, vielleicht auch auf andere kritiken. dann untersuche
ich die sache auch im hinblick darauf. aber füge stets das eigene
auch bei.
also reich-ranicki muss man sehen. dort ist er ein meister seiner selbst.
ich habe seine biografie gelesen. gut geschrieben, es ist recht. aber
kein herausragendes literarisches niveau. einfach gutes deutsch.
zu guter letzt, deine
nachfragen:
wie möchte ich gelesen werden. oder wie bewerte ich unter deinem
modell meine kritiken -
a. 1.sachinformationen.
über den autor und seine bedeutung. nahe null. über sein leben
nichts. oder wenn mich grad der teufel reitet. muss jedenfalls nicht dazugehören.
2. kurze zusammenfassung des werks. bei gedichten nicht, die hat man ja
grad selbst vor augen. 3. ich zitiere die inkriminierten stellen. die
guten auch.
b. selbstdarstellung. meine eigene schreibe muss ausgezeichnet sein. ich
hoffe, dass dies manchmal ein wenig zutrifft.
c. lohnt sich das buch? man erfährt, was ich davon halte. ja, unbedingt,
da findet einer meine antwort. in der regel grosses lob oder grosser verriss.
reisst ein werk weder im positiven noch im negativen an meinen nerven,
schreibe ich nicht darüber.
d. beziehungsaspekt. ich habe bislang nur über autoren geschrieben,
die ich nicht persönlich kenne. im unterschied zu meiner früheren
radioarbeit, da gab es manchmal interviews oder auch beiträge in
richtung gefälligkeit. leser: der typ verarscht euch. damit stehe
ich auf der seite des lesers. oder: lest den unbedingt, damit empfehle
ich den autor einem leser.
zur sprachkritik.
ich bin geneigt, das gegenteil zu denken: das wort bedeutet mehr als die
retorik. ich bin ein ausgesprochener wortkritiker. klischee, lüge,
propaganda; denkkraft und ausdrucksvermögen; werte und moral und
konvention; sprachschöpfung, klarheit und lauterkeit - alles im wort
begründet, durchs wort offengelegt. gewiss im zusammenhang mit den
andern worten ebenso, aber kaum im grammatischen und wenig im retorischen
sinn. von zwei autoren, die mit der reinen aussage dasselbe sagen, ziehe
ich den vor, der geschliffener schreiben kann. ich lehne einen aber ab,
der mit retorik auftrumpft, aber bei lichte besehn bloss hohle frasen
drischt. da lob ich mir den ehrlichen daneben, selbst wenn er ungelenk
schreibt. die grösste kunstform ist für mich das gedicht. da
kommt alles an den tag, was einer drauf hat oder nicht. nichts entlarvenderes
als konventionelle reimerei! vom kitsch noch nicht einmal zu reden.
allerdings erlebe ich sehr selten einen autor, der geschliffen schreibt
und doch durch seine worte quark erzählt. die sache erfühlt
und durchdacht zu haben, prägt meist auch einen eigenen stil, setzt
sich in der retorik fort. bei meinen schon erwähnten dreien zu bleiben,
walser, grass und dürrenmatt: stilistisch der beste nach meinem dafürhalten
der schweizer. gewiss der aufrichtigste. die begrenztheit seines darstellungsvermögens
äussert sich in seiner zwar typischen, aber monotonen art, die sätze
ineinanderzuschachteln nach immer demselben schema. das denken, welches
dahintersteckt, ist ebenfalls zur schablone erstarrt, aus zweiter, dritter
hand entliehen, im guten falle vermittlung wissenschaftlicher 'erkenntnis',
im schlechten schieres stammtischgeschwätz. auch walser könnte
man noch einen stilisten nennen, so man an das wort keine höheren
ansprüche stellt. der stil ist ebenso windig wie das vierteldenken
dieses camoufleurs. grass indes, ich bin überzeugt, setzt sich hin
und notiert schlichtweg alles, was ihm zufällt, in der regel spiessiges,
treppenhausgeklatsche, abklatsch des medienmainstreams. als ob er pro
zeile bezahlt würde, in einer riesigen fleissarbeit, häuft er
das aneinander und türmt es zu wällen auf. er ist ein intellektualistischer
papagei.
am gerissensten schreibt der heilige stuhl. übung vieler jahrhunderte.
im unterschiede zu den meisten sektentraktaten liest sich das zeug in
ordentlichem deutsch. dort gibt es kaum eine einzelne lüge. alles
ist zur verlogenheit gefroren. ein gift ersten ranges. vergleichbar noch
den urteilsbegründungen richterlicher instanzen. an diesen beispielen
muss sprachkritik weitergreifen und die denkweise selbst attackieren.
überhaupt, seis am wort, seis anhand der frasen, formeln und behauptungen,
sollte sich sprachkritik bemühen, das denken offenzulegen, die selbstverständlichen
annahmen dahinter blosszulegen und zu hinterfragen.
ich halte nichts von objektivität, weil dahinter doch immer wertvorstellungen
stecken. nur werden sie kaschiert. damit leistet scheinbare objektivität
ihren beitrag zu dem, was nur geglaubt und nachgebetet werden kann. objektivität
birgt sehr viel autoritäre macht. (sachlichkeit ist etwas anderes).
machtausübung und dummhaltung der schafe durch das wort. deshalb
bin ich ein sprachkritiker.
denken ist ein instinkt. wir leben in einer kultur der allgemeinen zähmung
von instinkten. der dressur, gerade in sprachlicher, denkerischer, gefühlsmässiger
hinsicht. der tod aller kunst.
dr. dieter porths
erwiderung:
--- Vorbemerkung
---
Zitat: "
"Für manchen macht die Nichtexistenz einer absoluten Wahrheit
eine systematische Darstellung überflüssig und wertlos wird."
ich verstehe die stelle [in deinem Text] nicht ganz, vielleicht ist da
was im eifer des gefechtes weggefallen. (als lehrer würd ich sagen:
der satz ist
unvollständig geblieben. als kritiker vielleicht: schlechtes lektorat!)
"
Der Satz ist nicht unvollständig sondern übervoll. Es ist das
letzte Wort "wird" zuviel - also schlechtes Lektorat. Insgesamt
klingt der Satz auch doof und technisch. Treffender wäre vielleicht
folgende Formulierung gewesen: "Mancher glaubt: Wenn es keine endgültige
Wahrheit geben kann, braucht man auch keine systematische Darstellung."
Als ich den Satz schrieb, hatte ich noch nicht verstanden, dass die Kritik
für dich deine Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk ist.
--- Ausblick ---
Dieser Streitdialog wird sicher nie zu einer idealen Kunstkritik oder
einer Einigung führen, aber schon jetzt fallen mir bestimmte Aspekte
auf, die mir früher nie so bewusst waren. Der Streitdialog führt
zum Überdenken und Hinterfragen der eigenen Position. Gleichzeitig
ändert sich die eigene Position im Laufe der Zeit. Aus diesem Grunde
mache ich an dieser Stelle ersteinmal einen Rückblick, bevor ich
auf deinen Text eingehe. Anschließend
versuche ich einen Rückblick auf deine bisherigen Artikel und beschäftige
mich dann mit der Frage, was eine gute Kunstkritik ist. im letzten Teil
gehe dann auf die "Sprachkritik" ein.
--- Zwischenrückblick
auf meine Position ---
In den bisherigen Artikeln habe ich drei Aspekte Zielgruppe, systematischer
Aufbau und Wichtigkeit der Bewertung
angeschnitten, die mir wichtig sind. Meine Zielgruppe sind die Leser,
denen ich mit der Kritik einen Eindruck von dem Kunstwerk geben möchte.
Dabei will ich insbesondere den uniformierten
Leser ansprechen, der sich selbst mit dem Werk nicht auseinandergesetzt
hat.
Für die Kritik benutze ich einen systematischen Aufbau. Dieser soll
für möglichst viele "ähnliche" Kunstwerke passen,
um dem Leser einen Vergleich über die Vielfalt der Kunstwerke zu
ermöglichen. Die Bewertung des Kunstwerks ist zweitrangig. Dabei
halte ich im Vergleich zu pauschalen Urteilen Verbesserungsvorschläge
für die konstruktivere Kritikform. (Dies ergibt sich daraus, dass
sich meine Verbesserungsvorschläge auf "handwerkliche"
Fehler bei Nachwuchsmusiker beziehen.)
--- Zwischensicht
auf deine Position ---
Aus deinen Artikeln habe ich dich wie folgt verstanden. Für dich
steht das Kunstwerk als eigenständiges Werk im Vordergrund deiner
Kritik. Dabei ist es dir wichtig, wie das Kunstobjekt, also der Text oder
das Gedicht, auf dich wirkt. Nach meinem Eindruck lehnst du deshalb Systematiken
bei dem Aufbau deiner Kritik ab. Die Leser deiner Kritik sind für
dich nicht so wichtig.. Für dich ist die Kritik das Resultat deiner
Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk. Du nimmst das Kunstwerk aus deiner
Position wahr und prüfst, ob das Kunstobjekt für dich gut ist.
Dabei spielen deine Erwartungen und deine Erfahrungen eine wesentliche
Rolle und du näherst dich dem Kunstwerk als "fremder" Künstler.
Nach meinem Eindruck willst du über die Kritik von dem anderen Künstler
lernen. Deshalb ist dir die abschließende Bewertung wichtig, da
deine Kritik in erster Linie deine Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk
beschreibt. In deiner Kritik stellst du deine Werte zur Kunst selbst als
"ultimativ" dar, was bei einem Lernprozess auch nicht anders
möglich ist. Deine Ausführungen zu Qualität der Sprache
machen deutlich, dass für dich deine Kritik gleichzeitig auch ein
Kunstwerk ist. Dies habe ich aus deinen Texten herausgelesen. Ich bin
mir unsicher, ob ich alles angemessen verstanden und zusammengefasst habe.
--- Zu den Kommunikationsebenen.
---
Ich glaube, an der Stelle hast du das theoretische Konzept falsch verstanden.
Es geht davon aus, dass "niemand nicht kommunizieren" kann.
Gleichzeitig gibt das Modell Anhaltspunkte, wie Aussagen und fehlende
Aussagen wahrgenommen werden können. Die Selbstanalyse ist an dieser
Stelle immer schwierig. Ich versuche hier darzulegen, wie ich derzeit
deine Kritiken auf den vier Ebenen wahrnehmen würde.
- Sachinformation:
Wenn du ein ganzes Gedicht oder aus einem Text die guten und schlechten
Stellen zitierst, dann gehören diese Zitate
beispielsweise zu den Sachinformationen. das Kunstwerk selbst ist als
Sachinformation ausreichend.
- Selbstdarstellung:
Das Fehlen von Informationen ist keine Sachinformation, die deine Kritik
enthält. Das Fehlen von "üblichen" Informationen sagt
mehr über deine Selbstdarstellung aus. Durch das Weglassen von Informationen
zur Person des Autors stellst du die Erwartung an ein Gedicht oder ein
Kunstwerk, dass es für sich selbst spricht. Nach deinen Ausführungen
siehst du dich selbst als Künstler. Entsprechend machst du die positiv
bzw. negativ kritisierten Künstler zu deinen eigenen "Vorbildern"
oder "Antivorbildern". Die Kritik ist Teil deiner künstlerischen
Entwicklung.
- Beziehungsebene:
Nach deinen bisherigen Äußerungen interpretiere ich deine Kunstkritik
als das "Beiprodukt" bei der Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk
eines anderen Künstlers. Da du deine Kritik nicht für jemanden
Bestimmtes schreibst, ergibt sich daraus kein Beziehungsaspekt. Trotzdem
formulierst du in deiner Kritik Beziehungsaspekte, indem du manches als
herausragend und manches als niederschmetternd schlecht herausstellst.
Nach deinen Ausführungen siehst du dich selbst als Künstler.
Entsprechend machst du die positiv bzw. negativ kritisierten Künstler
zu deinen eigenen "Vorbildern" oder "Antivorbildern".
Auch wenn du die Autoren nicht persönlich kennst, so du machst sie
durch deine Kritik wichtig und setzt dich in Beziehung zu Ihnen.
- Aufforderungscharakter:
Natürlich kann dein abschließendes Urteil als Leseempfehlung
oder als Nicht-Leseempfehlung gewertet werden. Aber durch die unverkennbar
persönlichgefärbte Darstellung deiner Kritik kann auch als Aufforderung
an den Leser verstanden werden, sich selbstständig mit seinen eigenen
Gedanken mit einem Kunstwerk auseinander zusetzen. Auf Grund deines persönlichen
Zugangs zur Kritik forderst du den Leser auf, deine Kunstwerke nach deinen
Kriterien zu bewerten.
Deine Ausführungen zur Sprachkritik sind interessant. Angesichts
deiner Ausführungen zur Sprachkritik, würde ich sogar glauben,
dass das Auffordern des Lesers für das selbstständige Denken
und Bewerten dir bei deinen Kritiken wichtig ist. Dies macht sich dann
auch in deinen Kritiken bemerkbar, indem du dort sehr persönlich
und sehr wertend argumentierst.
--- Was ist eine
gute Kunstkritik? ---
An dieser Stelle komme ich auf meine Form Kritik zurück. Ich betrachte
mich nicht als Künstler. Ich betrachte mich als Beschreibender von
Kommunikationsprozessen. Ich betrachte die Konzerte immer als Versuch
einer Kommunikation, die nicht auf der "gewohnten" sprachlichen
Ebene läuft. Wenn die Kommunikation gut läuft, dann ist für
mich das Konzert gelungen, selbst wenn mir die Musik nicht zusagt. Zum
Beispiel brauchen die Hörer von Jazzmusik eine gewisse intellektuelle
Schwere und Nachdenklichkeit, um ein Konzert als gelungen wahrzunehmen.
Mir gefällt ein solcher Zugang nicht, aber ich versuchen an Hand
der Reaktion der Zuschauer herauszufinden, ob ihnen die Darbietung gefallen
hat oder nicht. Aber der Kommunikationsaspekt ist mir auch bei meinerGedichtehitliste
wichtig. Da schreibt jemand auf seiner privaten Homepage ein persönliches
Gedicht. Dieses Gedicht würde ich in meiner
Gedichtehitliste aufnehmen, denn der Homepagebetreiber hat das Gedicht
veröffentlicht, damit es gelesen wird. Ich fasse für die Hitliste
den Inhalt des Gedichts in kurzen Worten zusammen. Weitere Kommentare
und Bewertungen unterlasse ich meist, da die verschiedenen Autoren oft
unterschiedliche Kommunikationsziele verfolgen. Ich interessiere mich
dabei für die Absichten, die der Websitebetreiber mit seiner Kommunikation
verfolgt.
[Persönliche Anmerkung: Erst bei der vorliegenden Reflexion ist mir
klar geworden, dass ich in Zukunft be der Beschreibung mehr auf die Kommunikationsabsichten
einer Website eingehen muss. Die Website Schandfleck.ch hat einen kritisch-literarischen
Kommunikationsanspruch. Viele Homepages wollen einfach nur als schön
bewundert werden, so dass dort oft auch "kitschige" Gedichte
zu finden sind. Bei Gedichteforen geht es oft um die Bildung von Diskussionsgruppen,
so dass sich dort spezifische
Gedicht- und Schreibstile entwickeln, die auf Außenstehende merkwürdig
bis schlecht wirken können. In solchen Foren ist die Kommunikation
der Forenmitglieder untereinander wichtig, während die Außenwirkung
der einzelnen Gedichte weniger wichtig ist. Wiederum auf anderen Website
nutzen manche Dichter das Dichten als Therapieform. Wieder andere Seiten
wollen mit Hilfe von Gedichten auf ein bestimmtes Thema aufmerksam machen.
Gerade auf Tierschutzseiten finden sich häufig ein oder zwei Gedichte.
Für mich ist das Gedicht eine Sprachform, die man zum Kommunizieren
benutzt. Gerade die Vielfalt der Kommunikation mit Gedichten möchte
ich auf meiner Website darstellen. Dies muss ich in der Zusammenfassung
der Gedichte in Zukunft deutlicher machen. Diese Anregung zur Verbesserung
der Gedichtbeschreibungen nehme ich in jedem Fall aus diesem Streitdialog
mit.]
--- Aspekt Sprachkritik
---
Da habe ich den Begriff Sprachkritik falsch verstanden. Sehr treffend
definierst du dein Verständnis zum Wort Sprachkritik im folgenden
Satz:
" überhaupt, seis am wort, seis anhand der frasen, formeln und
behauptungen, sollte sich sprachkritik bemühen, das denken offenzulegen,
die selbstverständlichen annahmen dahinter blosszulegen und zu hinterfragen."
Die Offenlegung von 'selbstverständlichen' Annahmen ist sicher ein
Anspruch, den ich auch an meine Kritiken stelle. (Ob ich den Anspruch
oft erfülle, steht auf einem anderen Blatt.) Im Gegensatz zu dir
bin ich bei meinen Kritiken an einer Übersicht über die Vielfalt
der künstlerischen Ausdrucksformen interessiert. Gerade auch auf
meiner Gedichtehitliste bemühe ich mich, die kommunikative Vielfalt
mit Gedichten darzustellen. Deswegen würde ich beispielsweise ein
kitschiges Gedicht nicht unbedingt verreißen. Beispielsweise ist
ein kitschiges Gedicht als Werbung auf einer Homepage eines Urlaubsortes
sehr professionell, denn es bedient die Wünsche von einigen potentiellen
Kunden und ist damit zweckgerichtet. Das "kitschige"
Gedicht als Werbung ist an dieser Stelle als motivierend zu loben. Auf
einer Propagandawebsite für eine politische Richtung oder einen Sektenglauben
kann das identische Gedicht schon als kritisch herausgestellt werden.
Letztendlich ist das identische Gedicht als Leserprobe auf der Seite eines
intellektuellen Nachwuchsautors zu verreißen, weil sich das "kitschige"
Gedicht mit seiner Selbstdarstellung als intellektueller Dichter beißt.
Die drei Beispiele zeigen, dass die Kommunikationsabsicht genauso wichtig
wie das Kunstwerk selbst ist. Ein Kunstwerk, auch ein Gedicht, spricht
nicht aus sich selbst heraus. An dem genannten Beispiel zeigt sich mein
Anspruch an Kunst. Für mich ist Kunst, ob nun als Musik, als Gedicht,
als Roman, als Bild, als Statue, als Bauwerk oder als Design, immer eine
besonders aufwendig gestaltete Form der öffentlichen Kommunikation
des Künstlers mit anderen Menschen. Deshalb gehört zu einer
guten Kunstkritik immer die Antwort auf die Frage, was der Künstler
wem mit seinem Kunstwerk sagen will. Für mich ist eine Bewertung
der künstlerischen Qualität ohne diesen kommunikativen Anspruch
nicht möglich. Da ich nicht alle Kommunikationsversuche gleichermaßen
nachvollziehen kann, versuche ich möglichst, meine Gefühle und
Gedanken als "Messwerkzeug" durch andere "Messwerkzeuge"
und durch beschreibende Betrachtungen zu ersetzen. Auch eigne ich mich
nur schlecht als "Messwerkzeug", weil ich nicht den Anspruch
habe, als Künstler zu wirken. Mir fehlt damit die Denke eines Künstlers.
Dieser letzte Gedanke führt mich zu den Fragen:
"Muss oder darf ein guter Kunstkritiker selbst Künstler sein?"
"Welche Wirkung haben die Kritiken eines Künstlers bzw. eines
Nichtkünstlers auf den kritisierten Künstler bzw. auf andere
Künstler bzw. auf die Kunstkonsumenten?"
daniel costantino:
ein verschreiber in
deiner letzten stellungnahme (uniformierter leser statt uninformierter),
dies vorneweg, bringt mich auf die idee, den uniformierten leser dem informierten
gleichzusetzen.
was ich anbiete mit meinen kritiken, ist bestimmt nicht information, ausser
einer einleitenden kurzzusammenfassung des inhalts oder dem, was unterderhand
erwähnt wird zur verdeutlichung der argumentation. es geht mir jedenfalls
um das wie und nicht um das was - definition von kunst schlechthin, wie
ich das sehe. den einwand, alles sei information, beiseite, dann hätte
der begriff keine bedeutung. wie die energie, die auch überall sei.
oder das politische. oder der liebe gott.
ich nenne lieber den gegenstand meiner untersuchung und setze meine weltanschauung,
meine ideologie, mein geistiges potential für oder gegen das werk
aufs spiel. die objektivität, nach der das wort information riecht
und schwitzt, stinkt wie ein aas, verhüllt den agitatorischen zweck
und verschleiert die kriterien der auswahl; sie tut, als wäre sie
neutral, leidenschaftslos, voller lauterkeit und gibt sich als höchster
wert. der wert aber hinter dem wert, ihr antrieb und trieb, strebt gierig
und im dunkeln nach den unterschiedlichsten dingen, selbst machtgelüst,
selber leidenschaft, ebenso partei wie alles, was offen die klingen kreuzt.
ich halte also, in meinem bereich, objektivität für nichts anderes
als die uniform, hinter der sich die leidenschaft eines menschen versteckt.
vielleicht ist sie zu eis gefroren? auch gut, dann bildet information
die kruste, die zusammenhält, damit nichts herausbrechen kann.
ich lebe, schreibenderweise, meiner leidenschaften. das gilt mittlerweile
für alles, was ich schreibe. ausgenommen vielleicht der einkaufszettel.
(die leidenschaft betrifft das essen).
ich stelle den anspruch in den vordergrund. den sprachlichen ganz besonders,
weil man jede literatur daran messen kann, jede. damit biete auch ich
eine vergleichsmöglichkeit, wenn auch nicht dieselbe wie du. ähnliche
kunstwerke wären demnach alle andern literarischen erzeugnisse. ich
betone, dass es mir nicht um gerechtigkeit gehen kann. an einem kunstwerk
kann man keine gerechtigkeit üben.
(worauf hätte
ich rücksicht zu nehmen angesichts unserer vagen, gebeutelten, wahnwitzigen
existenz?)
zu deiner zwischensicht auf meine position: im allgemeinen fühle
ich mich sehr gut verstanden. ob ich vom andern künstler lernen will
- nein, das wäre so nicht richtig gesagt. ich will mich packen lassen.
ein fest feiern. ja, ein fest feiern. es gibt autoren - garcía
márquez, hans henny jahnn, imre kertész beispielsweise -
die ich sehr bewundere, von denen ich aber nichts lernen kann oder will.
ich muss meine eigene sprache finden. und die eigenen konstruktionen.
die stoffe sowieso. ich bin den dreien nicht ähnlich genug, damit
automatisch etwas davon zu mir herüberflösse, in meine arbeit,
intuitiv. es gibt autoren, die ich nicht oder kaum lese, weil sie mir
zu nahe stehen und in die quere kommen. es gibt aber zwei autoren, von
denen ich einiges gelernt habe, aus begeisterung und dem ähnlichen
temperament, das habe ich aber erst spät selbst bemerkt. mit dieser
absicht lese ich kein buch. meine kritiken sind keine kunstwerke, bedienen
sich aber eines künstlerischen mittels, des stils. als meine kunst
bezeichne ich eigene gedichte, kurzgeschichten, den roman, den ich schreibe.
was ich aus mir heraus schreiben muss, ohne bezug zu einem andern werk
und ohne äusseren anlass.
ich erwarte schon, dass ein kunstwerk für sich selbst spricht. voran
ein literarisches. sprache hat jeder. wer lesen kann zumal. damit ist
der direkte zugang gegeben, der vielleicht in andern disziplinen gesucht
werden müsste. ich fasse meine kritiken als ermunterung auf, sich
diesen eigenen zugang herauszunehmen und sich nichts aufschwatzen zu lassen.
(auch von mir nicht; wie ersehne ich einen fundierten widerspruch!)
deine anführungszeichen zu 'vorbild' und 'antivorbild' lassen darauf
schliessen, du seist nicht so recht mit dem ausdruck zufrieden. ich auch
nicht. ich spreche vom respekt, den ich einem künstler zolle, als
einem künstler. das wort künstler selbst drückt diesen
respekt schon aus. es kann auch bewunderung sein, begeisterung. im andern
falle bestreite ich die künstlerschaft. es kann soweit gehen, dass
ich ein werk verachte. wie oben angedeutet, und du siehst es richtig:
die aufforderung zu selbständigem denken ist mir sehr wichtig. am
dialog mit dir finde ich gerade deshalb meinen spass, weil du fundiert
deine eigenen kriterien gegen die meinen setzt.
zum wort kommunikation. wieder ein allerweltswort. communication is life!
ein technokratenwort. ein lebewesen will seine macht herauslassen, sagt
nietzsche. unter kommunikation laufen platitüden, werbeslogans, lügen
und kitsch frei herum, aber gewiss nicht in der kunst, wie ich sie verstehe.
das wort ist mir ein zu grosser gemeinsamer nenner, als dass ich etwas
damit zu tun haben wollte.
das künstlerische im menschen ist zwecklos. nicht selbstlos. gerade
voller selbst: fantasie, streben, erkenntnis, undsoweiter, schöpft
künstlerisches streben aus religiösem, existenziellem (existenzialistischem)
bedürfnis. es entspringt nicht dem mitteilungsdrang, sondern der
auseinandersetzung mit dem leben. kunst ist auf künstliche weise
erzeugte exitenz pur. eine zusammenballung, ein höhenflug, ein extrakt.
das publikum, so vorhanden, feiert ein (kultisches) fest. das kunstwerk
selbst kann hier schon verfälscht vorhanden sein, nebensache sein.
es braucht sich auch nicht um ein kunstwerk überhaupt zu handeln,
damit ein kultisches fest gefeiert werden kann. hier, scheint mir, kommt
dein wort von der kommunikation erst zum zug. hier kann sie stattfinden,
nicht nur unter dem publikum, sondern auch zwischen publikum und künstler.
voraussetzung fürs kunstwerk scheint sie mir nicht zu sein. man spricht
sicher vom künstler auf der bühne, doch ob er wirklich kunst
vorführt oder nur sich selbst, ist eine andere frage. es ist überhaupt
legitim, anderes vorzuführen als kunst. kunstmachen aber ist entschieden
nicht dasselbe wie kommunizieren. zum kunstmachen alleine braucht es keine
kommunikation. ich lege wert auf die qualitative analyse, und die qualität
hat nichts mit der kommunikation zu tun. aber mit dem anspruch eines künstlers
an sich selbst. nicht, damit er besser rüberkomme, sondern für
sich, auf sich selbst und seine existenz bezogen.
was will der künstler (dem publikum) sagen? eben das kunstwerk. dies
ist seine aussage. versteht man ihn nicht, kann zweierlei geschehen sein:
das publikum befindet sich nicht auf der höhe oder es handelt sich
um stümperei. wieviele menschen, die du kennst, kannst du nicht verstehen,
und woran liegt es? ja, was muss man überhaupt verstehen können,
nicht wahr. man kann einander doch nicht verstehen, verstünde man
denn sich selbst?
man kann loben und missverstehen zugleich. man kann genau verstehen und
doch ablehnen. ein kunstwerk braucht nicht (von allen) verstanden zu werden.
es spricht für sich selbst, und wer nichts damit anfangen kann, lasse
es bleiben. wohlverstanden, ich spreche immer noch vom kunstwerk, nicht
von irgendeinem kulturellen produkt. kunst unterscheidet sich von andern
werken durch die qualität, die innere lebendigkeit. gestaltungsvermögen,
handwerk, der schöpferische daumenabdruck kommen hinzu.
ich würde einige der gedichte, von denen du schreibst, als reimereien
abtun, die ja durchaus auch gelungen sein können. sehe allerdings
rot, wenn solches für kommerzielle zwecke eingespannt oder extra
verfertigt wird. oder lache, lache sehr. die beste und gewaltloseste terapie.
vielleicht noch von einer andern seite her kurz beleuchtet: ist ein sänger
ein künstler? so er seine stimme schult, stilsicher ist, die formen
des auftretens beherrscht und das alles gut, bestens, applauswürdig
- nein. im handwerk selbst liegt noch nicht die kunst, wie ich sie meine.
er vermittelt kunst, er unterhält. nicht wenig! doch erst, wenn seine
seele in die stimme fliesst...dann ist er in meinem sinne ein künstler.
wenn seine ganz persönliche interpretation zu buche schlägt.
seine unverwechselbarkeit. wenn er, anders gesagt, sein leben aufs spiel
setzt. und dies risiko umzuwandeln vermag in seinen gesang.
ja, und abschliessend:
ein künstler, gerade ein musiker, der unterrichtet, muss ein kritiker
sein am schüler. und er muss es an sich selbst sein. ob er kritiken
schreiben darf? wieso willst du ihm das recht verwehren? ein kritiker
aber, der nicht selber künstler ist, weiss auch um die kunst und
ihr geheimnis. jeder mensch kann kunst erleben. dazu muss einer nicht
selber künstler sein.
auf deine letzte frage weiss ich wenig zu sagen. doch dies: ich hatte
mich über einen kritiker sehr geärgert, der schrieb, meine stimme
hätte 'gutes material'. (er hatte inszenierung und komposition hervorgehoben
und von den solisten nur zwei erwähnt, mich mit diesem kurzen satz).
ich hatte den satz nicht als lob empfunden, sondern ein aber dahinter
beargwöhnt. und mich geärgert, dass er die katze nicht aus dem
sack gelassen. ein anderer kritiker schrieb negatives über die zusammensetzung
eines (andern) programms und die unvereinbarkeit meiner stimme mit jener
meiner kollegin. das hatte uns nicht gefreut, aber ich wusste gleich,
dass er sehr recht hatte damit. ich kann sagen, dass mich eine formale,
eine objektiv formulierte kritik immer ärgert. man gibt sein herzblut
als sänger, nicht wahr, und wird mit abstrakten formeln abgefertigt.
man fühlt sich grauenhaft missverstanden, in den zoo gestellt, fehl
am platze in dieser welt. eine kritik mit bauch und herz aber, und sei
sie noch ein verriss, kann man nehmen, und ist sie fundiert, weiss man,
der kritiker hat recht. im andern falle findet man im eignen blute die
kraft, erst recht weiterzumachen.
Dr. Dieter Porth
ergänzt:
Die Antwort auf deinen
Artikel fiel mir schwerer als ich mir anfangs ausmalen mochte. Deine Antwort
ist komplex und dein Text enthält eine ganze Reihe von Aspekten,
über die ich bisher wenig nachgedacht habe. Lange bereitete mir die
Form Schwierigkeiten, wie ich angemessen und effizient antworten kann.
Denn neben den Inhalten und einer Frage bestimmt immer auch die Form den
Erfolg von Überlegungen. Ich habe mich für das folgende Vorgehen
entschieden. Ich werde wichtige Zitate (nach meiner Ansicht) als Startpunkt
für meine Überlegungen verwenden. Dabei sind mir folgende Aspekte
wichtig.
- Welchen Stellenwert hat die Objektivität in einer guten Kunstkritik?
- der "uniformierte" Leser
- Was ist ein Kunstwerk und was zeichnet den Kunstakt aus?
- Ist die Trennung vom künstlerischen Akt und kultischen Fest
gerechtfertigt? (Musik-Literatur?)
- "das künstlerische im menschen ist zwecklos. nicht selbstlos.
gerade voller selbst:"
- Welchen Stellenwert
hat die Objektivität in einer guten Kunstkritik? Dein Verhältnis
zur Objektivität wird für mich deutlich in folgenden Satz. "die
objektivität, nach der das wort information riecht und schwitzt,
stinkt wie ein aas, verhüllt den agitatorischen zweck und verschleiert
die kriterien der auswahl; sie tut, als wäre sie neutral, leidenschaftslos,
voller lauterkeit und gibt sich als höchster wert." Ich stimme
dir zu. Es gibt keine Objektivität. Dies weiß jeder gute Empiriker.
Man nehme als Beispiel eine Karre, die einen Berghang hinunterrollt und
in einer Matschkuhle stecken bleibt. Von Aristoteles bis Newton glaubten
die Wissenschaftler, das jeder bewegte Gegenstand irgendwann zur Ruhe
kommt. Diese Aussage ist richtig und lässt sich in der Realität
immer wieder beobachten. Seit Newton glaubt man dagegen, dass ein einmal
angeschubster Gegenstand sich unendlich lange fortbewegen wird (Planetenbewegungen).
Nur wenn der Körper einer Reibung ausgesetzt ist, verliert er seine
Bewegungsenergie. Dies sieht man doch eindeutig am Beispiel von der Karre
im Dreck. Die identische Beobachtung führt zu zwei
unterschiedlichen Sichtweisen, die beide übrigens ihre Berechtigung
haben. Es gibt keine Objektivität. Es gibt lediglich Denkmuster,
die man auf Beobachtungen in der Realität anwendet. Wenn ich eine
Kunstkritik schreibe, dann versuche ich solche systematischen Denkmuster
zu benutzen. Ein typisches literaturwissenschaftliches Denkmuster für
Literaturkritik gründet sich beispielsweise auf den Lebenslauf eines
Künstlers. Der Lebenslauf wirkt oft in die Kunstwerke hinein und
entsprechend macht es Sinn, sich mit dem Lebenslauf auseinanderzusetzen.
Die Auseinandersetzung gibt Anhaltspunkt zum Verständnis für
den Künstler und sein Werk. Auf meiner Gedichtehitliste padina.com
benutze ich ein anderes Denkmuster.
Ich strebe bei der Auswahl der Gedichte eine gewisse Vielfalt an, die
sich aus der Verschiedenartigkeit des Umfelds ergibt. In einem Forum vom
verscheidenen Feierabenddichtern herrscht sicher ein anderes Klima als
in einem Forum von Depressiven, wo ein Gedicht als therapeutisches Mittel
benutzt wird. Wiederum eine anderes "Klima" herrscht auf der
Schandfleck.ch-Website. Jedes Umfeld kann in die Gedichte hineinwirken.
Die Vielfalt dieser Wirkungen will ich auf Padinas Gedichtehitliste erkennbar
machen. (Anmerkung: ursprünglich entstand die Padinas Gedichtehitliste
als Teil einer Radiosendungskonzepts. In der Radiosendung sollte über
die Gedichte die Vielfalt der menschlichen Denk- und Sichtweisen in unterhaltbarer
Form verdeutlicht werden. Die Geschichte der Entstehung wirkt
also auch hier weiter.)
Ich stimme mit dir überein. Eine Kunstkritik kann nie objektiv sein.
Eine gute Kunstkritik sollte intersubjektiv sein. Sie sollte die Denkmuster
offen legen, nach welchen sie ein Kunstwerk analysiert. Wenn ein anderer
Kritiker ein Kunstwerk nach dem gleichen Schema analysiert, sollte er
zu den gleichen
Schlussfolgerungen kommen. Dies bedeutet intersubjektiv.
Wenn ich ein Gedicht analysiere, dann kann ich das Leben des Künstlers
oder das Umfeld der Gedichtentstehung analysieren. Ich persönlich
halte bei der Analyse von Kunstwerken immer den Kommunikationsaspekt für
wichtig. Wen will der Künstler ansprechen? Welche Mittel verwendet
er dazu? Wie reagiert der
Leser darauf? Dabei ist bei Gedichten dieser Aspekt der Kommunikation
vielleicht nicht so wichtig; aber auch Gedichte entstehen nicht herausgerissen
aus einem Zusammenhang, so dass ein Blick auf das Entstehungsumfeld und/oder
ein Blick auf die Publikationsform sinnvoll ist.
- der "uniformierte"
Leser
Du setzt spaßeshalber den informierten Leser mit dem uniformierten
Leser gleich. Dies ist ein schöner Gedanke. Dabei ist für dich
die Uniform eine Metapher, die im folgenden Satz. treffend beschreiben
wird:
... objektivität für nichts anderes als die uniform, hinter
der sich die leidenschaft eines menschen versteckt. vielleicht ist sie
zu eis gefroren? auch gut, dann bildet information die kruste, die zusammenhält,
damit nichts herausbrechen kann. ...
In diesem Satz schwingt auch dein Unbehagen gegenüber der Objektivität
und den oft starren, manchmal wirklich verkrusteten Denkmustern (= Uniform)
mit. Ich sehe eine intellektuelle Uniform bei weitem nicht so negativ
wie du. Denkmuster bzw. intellektuelle Uniformen halte ich sogar für
wichtig - gerade in einer Kunstkritik. Nach der Begründung gehe ich
auf deine Abscheu gegen intellektuelle Uniformen ein, denn deine Abscheu
fusst auf den Schwächen dieser Uniformen. Wenn ich eine Kunstkritik
schreibe, dann schreibe ich sie für den uninformierten Leser. Ich
möchte dem Leser einen Eindruck von dem Kunstwerk
(Musikdarbietung) geben. Bei Konzerten ist mir insbesondere auch die Interaktion
zwischen Künstler und Publikum wichtig. Wenn ich für uninformierte
Leser eine Kritik schreibe, dann muss ich mich
selbst beschränken. Ich möchte dem Leser meinen systematisch
erfassten Eindruck vermitteln und ihm selbst ein Urteil erlauben. Vielleicht
liest der eine oder andere Leser meine Kritiken regelmäßig
und hat vielleicht das eine oder andere Konzert selbst miterlebt. Dann
kann er seine Erfahrungen mit meinem systematischen Schreibstil abgleichen.
Nach einem solchen Abgleich kann er, ohne den Auftritt gesehen zu haben,
eher beurteilen, ob die Musik und das Konzert ihm zugesagt hätte.
Dabei muss er voraussetzen, dass ich meine Wahrnehmung systematisiert
habe. Oft verkneife ich mir sogar ein abschließendes Urteil; denn
manche Musik mag ich weniger und manche Musik mag ich mehr. Die Uniform
verfolgt den Zweck, den uninformierten Leser zu informieren. Dabei ist
es wichtig, dass man sich selbst an bestimmte Standards und Schemata hält.
Der uninformierte Leser verlässt sich darauf, dass er einen Eindruck
vom Musikauftritt bekommt, den er nicht miterleben
konnte. Im Laufe meines Lebens hatte ich die Chance, viele verschiedene
"Uniformen" (=Denkmuster bzw. Fragestellungen) kennen zu lernen.
Es sind darunter chemische Uniformen, informatische Uniformen, mathematische
Uniformen, physikalische Uniformen, pädagogische Uniformen, soziologische
Uniformen,
psychologische Uniformen, rhetorische Uniformen und auch ein paar ethnographische
Uniformen. An den philosophischen und den wirtschaftlichen Uniformen habe
ich mich versucht, aber die Fragestellungen dieser Uniformen haben meinem
Verstand nie wirklich zugesagt. Auch die spirituellen und religiösen
Uniformen haben mich nie interessiert, weil ihn Ihnen fast immer
die Frage nach dem Sinn des Lebens steckt. (Angesichts meiner derzeitigen
Hartz-IV-Karriere hat mir die Belesenheit nicht wirklich viel genutzt
oder die heutige Gesellschaft will trotz vielfältiger Bildungshymnen
der Politiker eigentlich keine gebildeten Menschen mehr. Vielleicht kommt
meine Zeit irgendwann noch einmal. Wer weiß?)
All diese intellektuellen Uniformen ermöglichen mir, ein Kunstwerk
aus vielen unterschiedlichen Gesichtspunkten wahrzunehmen. Die chemischen
Uniformen bzw. Denkmuster treiben mich immer wieder dazu, Gemeinsamkeiten
zwischen bestimmten Musikern zu suchen. Die informatischen Uniformen bringen
mich dazu, die Beschreibungen zu systematisieren bzw. zu algorithmisieren.
Meine psychologische Uniform motiviert mich dabei zur Beschäftigung
mit den kommunikativen Aspekten. Ich bin also auch ein Kind meiner Bildungsentwicklung.
Was würde passieren, wenn ich mich auch Textkritiken oder auf Gedichtkritiken
stürzen würde? Wahrscheinlich würde ich vieles weiterhin
aus kommunikativer Sicht analysieren. In welchem kommunikativen Umfeld
ist das Gedicht einzuordnen. Was mich zur Zeit auch reizen würde,
wäre eine Untersuchung von Gedichten aus der Sicht von Wortfeldern
und der Sprache. Die Beschäftigung damit halte ich auch aus anderen
Gründen noch für wichtig. Aber deine Abscheu gegenüber
dem "uniformierten Leser" liegt auf einer ganz anderen Ebene,
als ich hier bisher geschildert habe. Die Uniform zerstört die Leidenschaft.
Jedem Kunstwerk wohnt die Leidenschaft inne. Jedes meiner Worte hat sicher
dein Unbehagen verstärkt, weil ich mit meinen Denkmustern den Leser
gängele und führe und die Leidenschaft überhaupt nicht
erwähne. Im gewissen Maße manipuliere ich den Leser und missachte
den Künstler. Andererseits gehe ich davon aus, dass der uninformierte
Leser seine Erfahrungen mit meinen Kritiken abgleicht und so auch bei
unbekannten Konzerten einen ungefähren Eindruck vom Konzert bekommen
kann. Wenn ich dies
gut mache, werden immer mehr Leser meine Kritiken lesen. Damit wächst
meine Verantwortung gegenüber dem Leser. Je häufiger mich die
Leser lesen, desto mehr vertrauen die Leser auf die Beständigkeit
meiner Denkmuster, um sich selbst ihre eigenen Gedanken machen zu können.
Je mehr Leser mich lesen desto mehr Verantwortung und auch Macht bekomme
ich, denn die Leser vertrauen mir dann. Ich nehme die Verantwortung und
auch die Macht an. Es wäre an dieser Stelle natürlich einfach
möglich, den vertrauensseligen Leser zu manipulieren. Aber durch
die Verwendung von Uniformen möchte ich mich selbst auch gegen solche
Manipulationen schützen. Die Uniform schränkt ein, aber die
Uniform lässt dem Leser auch mehr Raum für eigenen Gedanken.
Du möchtest den Leser aufrütteln, indem du ganz offensichtlich
deine Person gegen das Kunstwerk stellst. Damit hoffst du, dass der Leser
sich wegen deiner persönlichen Sichtweise selbst seine Gedanken über
das Kunstwerk bzw. über das Gedicht macht. Ein wesentliches Merkmal
deiner persönlichen Kritik ist dabei die Leidenschaft, die du dem
Kunstwerk entgegen bringst. Gerade die Leidenschaft fehlt meinen Kritiken
fast vollständig. Dies Fehlen der Emotionen und Gefühlswallungen
kritisierst du an den Kunstkritiken für den uniformierten Leser.
Ich glaube, deine Kritik ist richtig und falsch zugleich. Langfristig
halte ich eine systematische Kritik für besser, weil der uninformierten
Leser die Chance hat, sich zu überlegen, wie er die Kritik lesen
will. Du schreibst weiter unten aber auch, dass die Leidenschaftslosigkeit
der Kritiker dir als Künstler zu schaffen macht. Vielleicht ist eines
klar geworden. Ich schreibe keine Kunstkritik für den Künstler.
Ich schreibe eine Konzertkritik für einen uninformierten Leser, der
vielleicht das nächste Konzert des Musiker besuchen will. Meine Verbesserungsvorschläge
beziehen sich auf handwerkliche Schwächen, die manchen Konzertinszenierungen
zugrunden liegen.
- Ist die Trennung
von künstlerischen Akt und kultischen Fest
gerechtfertigt? (Musik-Literatur?)
"... das publikum, so vorhanden, feiert ein (kultisches) fest. das
kunstwerk selbst kann hier schon verfälscht vorhanden sein, nebensache
sein. es braucht sich auch nicht um ein kunstwerk überhaupt zu handeln,
damit ein kultisches fest gefeiert werden kann. hier, scheint mir, kommt
dein wort von der kommunikation erst zum zug. hier kann sie stattfinden,
nicht nur unter dem publikum, sondern auch zwischen publikum und künstler.
voraussetzung fürs kunstwerk scheint sie mir nicht zu sein. ..."
Diese Unterscheidung zwischen Kunstwerk/künstlerischem Akt (Konzert)
und kultischem Fest (Reaktion des Publikums aufs Konzert) finde ich interessant.
Es gibt sicher Musikstile, bei denen eine solche Trennung wichtig ist.
Ein Beispiel ist der neue Jazz. Bei anderen Musikstilen ist das kultische
Fest Bestandteil der Inszenierung. Ein Beispiel ist der Skapunk. Ich möchte
zuerst den Jazz untersuchen. Dort ist die musikalische Selbst-Inszenierung
das Kunstwerk. Die Kommunikation mit dem Publikum ist vom Künstler
nicht gewollt und wird auch vom Publikum nicht erwartet. Ich habe diese
merkwürdige Atmosphäre beim Jazzfestival in Göttingen erlebt.
Die Jazzmusik hat ihr Publikum gefunden. Die Anstrengung, die die Musik
den Musikern und dem Publikum abverlangt, war aus der Gestik des Publikums
bzw. des Musikers richtiggehend abzulesen. Im Jazz gehört die Selbstinszenierung
des Jazzmusikers zum Konzert dazu. Meine Kritiken war wegen des Fehlens
der Kommunikation nicht gerade positiv, aber ein Leser der Jazzmusik mag
und das Jazzfestival genossen hat, wird wahrscheinlich meine zukünftigen
Kritiken
zum NewJazz entsprechend lesen. (Aber auch hier ist für mich nicht
der Künstler der eigentliche Ansprechpartner, sondern der Konsument
der Musik.) Der Jazzfreund wird wahrscheinlich sagen, dass ich von Jazz
keine Ahnung habe, aber vielleicht wird er trotzdem die Kritiken lesen,
weil sie immer nach dem gleichen Schema ablaufen. Bei anderen Musikrichtungen
gehört die Inszenierung von kultischen Festen wichtiger. Dies ist
zum Beispiel typisch für den Skapunk. Der Ska hat seine Wurzeln in
der englischen Arbeiterbewegung hat. In solchen Fällen gehört
der kommunikative Aspekt zur Musikkritik. Die Überlegungen zeigen,
dass der kommunikative Aspekt nur manchmal zur
Kunstkritik gehört. Für mich gehört deshalb die Beschreibung
der
Kommunikation zwischen Publikum und Künstler immer mit zu einer
Konzertkritik. Durch diese systematische Gleichförmigkeit biete ich
mit meiner Kritik dem Leser eine sekundäre Erfahrung an.
Übrigens würde ich den kommunikativen Aspekt auch bei manch
anderen Aspekten erwarten. Beispielsweise bei Lesungen würde ich
der Kommunikation zwischen Autor und Hörerschaft in der Kritik berücksichtigen.
Auch bei Theateraufführungen würde ich die Reaktionen des Publikums
beobachten. Dagegen macht ein solcher Aspekt bei Bilderkritiken oder bei
Gedichtkritiken der kommunikative Aspekt wenig Sinn. Aber auch bei der
Kritik von
Musikceedees (CDs) spielt der kommunikative Aspekt keine Rolle mehr. Hier
sind andere Aspekte wichtiger.
In welchem Umfeld ist das Kunstwerk entstanden?
Unter welchem Zeitgeist ist das Kunstwerk entstanden?
Welche Fragestellungen haben den Autoren beschäftigt?
Welche Stimmungen vermittelt das Kunstwerk?
Ich stimme übrigens
dir zu, dass zu einem kultischen Fest nicht unbedingt gute Musik oder
ein Kunstwerk gehört. Aber ein Künstler, der ein kultischen
Fest veranstalten will, sollte das Handwerkszeugs eines ordentlichen Animateurs
beherrschen.
- Was ist ein Kunstwerk
und was zeichnet den Kunstakt aus?
" ... man kann loben und missverstehen zugleich. man kann genau verstehen
und doch ablehnen. ein kunstwerk braucht nicht (von allen) verstanden
zu werden. es spricht für sich selbst, und wer nichts damit anfangen
kann, lasse es bleiben. wohlverstanden, ich spreche immer noch vom kunstwerk,
nicht von irgendeinem kulturellen produkt. kunst unterscheidet sich von
andern werken durch die qualität, die innere lebendigkeit. gestaltungsvermögen,
handwerk, der schöpferische daumenabdruck kommen hinzu. ..."
Das Lob oder die Kritik gehört für mich nicht zwangsläufig
zu einer guten Kunstkritik, denn schließlich kann ich das Kunstwerk
auch missverstehen oder ich kann den schöpferischen Daumenabdruck
überhaupt nicht verstehen, weil er einfach zu neu und zu ungewohnt
ist. Beim "schöpferischen Daumenabdruck" musste ich übrigens
an die amerikanische Psychologin Magaret A. Boden "Die Flügel
des Geistes" denken. Sie beschäftigt sich in ihrem Buch mit
der Kreativität aus psychologischer Sicht. Besonders wichtig halte
ich ihre Unterscheidung zwischen historischer Kreativität und persönlicher
Kreativität. Schon ein Kind kann persönliche Kreativität
beweisen, wenn es sich selbst das freihändige Fahrradfahren beibringt.
Das Kind hat durch den Lernakt seine bisherige persönliche geistig-körperliche
Begrenzung überwunden. Die historische Kreativität definiert
sie weitergehend. Bei der historischen Kreativität ist es einem Mensch
zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gelungen, etwas Neues
zu denkn, zu schaffen oder zu schreiben.
Der schöpferische Daumenabdruck des Künstlers liegt wahrscheinlich
irgendwo zwischen persönlicher und historischer Kreativität.
Ein guter Künstler muss nicht der erste gewesen sein, der etwas neu
denkt, oder schafft. Aber ein guter Künstler gehört zu den ersten
seiner Zeit, der seine persönliche Begrenzung und die Begrenzung
durch den Zeitgeist überwindet. Manchmal kann es etwas länger
dauern, bis der Zeitgeist (also nidie Nichtkünstler) merken, dass
der Zeitgeist schon lange überholt ist. Wenn das der Fall ist, dann
ist der Künstler lange Zeit unverstanden geblieben. Beispielsweise
war Modern Talking auf gewisse Weise genial und innovativ, weil es die
Retortenfertigung von Pop-Song auf die Spitze trieb. Die meisten Kritiker
erregte damals eigentlich nur, dass das primitive Musikkonzept von Dieter
Bohlen so offensichtlich erfolgreich funktionierte. Die meisten Kunstkritiker
glauben, dass ein Kunstwerk wegen seine Neuheit nicht sofort erfolgreich
sein kann - im logischen Umkehrschluss folgerten sie, dass Modern Talking
keine Kunst gemacht haben kann. Ich sehe an der Stelle Dieter
Bohlen auf dem gleichen Niveau wie Josef Beuss.
Insgesamt fällt es mir aber schwer, den Spirit und das Herzblut zu
erkennen, welches sicher in Kunstwerken drinsteckt,. Gerade weil ein Kunstwerk
kreativ ist und mit der Überwindung persönlicher Grenzen zu
tun hat, kann ich als Kritiker diese Grenzen nur selten kennen. Auch gibt
es viele Grenzen, die man überwinden kann. Die Grenzen hängen
von den Fragestellungen des
Künstlers ab. Die Fragestellungen müssen nicht für die
Allgemeinheit oder für mich gelten. Manchmal bin ich auch schon verletzend
geworden. Ich entsinne mich noch eines Gesprächs mit einem Liedermacher,
der erstmals in seinem Leben mit einer Band zusammengearbeitet hat. Für
diesen Musiker war es eine
persönliche Herausforderung gewesen, an welcher er viel gelernt hat.
Das Resultat war auf der CD "Habt euch lieb" zu hören gewesen.
Ich empfand die CD als musikalischen Stillstand. Die Kritik war für
ihn sehr verletzend gewesen, weil ich das Wesentliche seiner künstlerischen
Arbeit nicht verstanden habe. Gerade wegen solcher Erfahrungen halte ich
mich bei Bewertungen eher zurück. Ich kenne viele Hintergründe
einfach nicht.
- "das künstlerische
im menschen ist zwecklos. nicht selbstlos. gerade voller selbst:"
In dem Zitat hast du noch einmal kurz und knapp die Leidenschaft und das
Herzblut ausgedrückt, welches in einem Kunstwerk steckt. Mir ist
als Kritiker die Seele des Künstlers ersteinmal egal. Mir ist als
Kritiker wichtig, dass ich dem uninformierten Leser einen verlässlichen
immer wieder nach dem gleichen Schema ablaufenden Eindruck vom Kunstobjekt
gebe. Dabei sollte das Schema den Vergleich zwischen möglichst vielen
ähnlichen Kunstobjekten erlauben, so wie die chemischen Formeln die
Beschreibung von vielen unterschiedlichen Molekülen ermöglichen.
Gerade aus dieser Sichtweise heraus glaube ich, dass es Schemata für
gute Kunstkritiken geben kann. Dein Satz gefällt mir trotzdem und
zeigt eine Grenze meiner Sicht auf.. Er
zeigt, dass die Leidenschaft eine wichtige Motivation des Künstlers
ist. Er zeigt, dass die Leidenschaft wahrnehmbar sein muss. Ich habe aber
nicht verstanden, wie man diese Leidenschaft wahrnimmt. Vielleicht sollte
ich auf diese Frage einmal stärker mein Augenmerk richten. Woran
erkennt man
Leidenschaft?
Was ist eine gute
Kunstkritik? - eine Zwischenbilanz
Ich schreibe in erster Linie eine Kunstkritik für den Leser, der
ein Kunstwerk nicht kennt und der sich darüber informieren möchte.
Dabei setze ich bewusst auf bestimmte Schemata und Denkmuster, die sich
immer wieder wiederholen. Die Widerholung ist wichtig, damit der Leser
die Kritik als Quelle für eine "sekundäre Erfahrung"
nutzen kann. Die Kunstkritik richtet sich erst in zweiter Linie an den
Künstler. Auch die persönliche Bewertung des Kunstwerks halte
ich nicht für so wichtig, weil
ich dem Leser die Freiheit zu eigenen Gedanken geben möchte. Vielleicht
möchte er auch gar nicht nachdenken, dann soll es mir auch recht
sein. Meine Kunstkritiken fehlt sicher der Aspekt der Leidenschaft. Dies
muss ich in Zukunft ändern.
In dem ersten Artikel
habe ich die Frage gestellt: "Was grenzt eine Kunstkritik von einer
Meinungsäußerung, von einer Schmährede, von einer Hymne
oder von einem Nachruf ab?"
Im Gegensatz zu einer Meinung oder Schmährede beschreibt eine Kunstkritik
das Kunstwerk nach verschiedenen Sichtweisen. Die Wertung wird die Kunstkritik
eher den Lesern überlassen, denn letztendlich nehme ich als Kritiker
schon mit der Auswahl der Informationen und Betrachtungsweisen eine Bewertung
des Kunstwerks vor. Die persönliche Bewertung ist meist nur eine
konsequente Schlussfolgerung meiner Informationszusammenstellung. Solche
Bewertung sind überflüssig und gängeln letztendlich den
Leser nur. Ich möchte aber, dass der Leser sich seine eigenen Gedanken
macht. Ich habe an dieser Stelle immer die Kunstkritik für den "uninformierten"
Leser geschrieben. Dabei muss ich mir immer vergegenwärtigen, dass
es
eigentlich nicht den Leser gibt. Viele Leser nähern sich einem Kunstwerk
mit unterschiedlichen Sichtweisen: Der Kritiker hat eine andere Sicht
als der Künstler, der mit Herzblut sein Werk geschaffen hat. Die
Zuschauer oder der Zeitgeist betrachtet ein Kunstwerk wiederum anders
als beispielsweise ein Fan oder ein Sponsor.
Aber im möchte
diesen Artikel nicht ohne eine Frage abschließen. Du schreibst,
dass der Kritiker wie auch der Künstler um die Leidenschaft eines
Kunstwerks weiß. Ich bin mir bei mir nicht sicher, ob ich in vielen
Kunstwerken die Leidenschaft bemerke. Man sagt mir nach, dass ich sehr
"verkopft" sei. Deshalb stelle ich wahrscheinlich diese Frage.
Wie merkst du die Leidenschaft bei einem Künstler?
daniel costantino zeigt auf:
nun - es war nicht
meine intension zu sagen, es gebe keine objektivität. ich wollte
den betrug sichtbar machen, der mit dem wort versucht wird. und zu oft
auch erreicht. das essenziell künstlerische liegt nur im subjektiven,
im ausgesprochen subjektiven. objektivierbar machen kann man aber das
handwerk: zu klassischem gesang gehört es nun mal nach übereinkunft
und sitte, dass der sänger astrein intonieren kann. sonst singt er
in der falschen disziplin. über die künstlerische leistung aber
sagt eine gute intonation noch garnichts aus. ausser man nähme die
beherrschung des grundhandwerks schon als kunst. grass kann deutsch. er
hat einen lebenslauf, eine lebensgeschichte. er hat ein paar preise gewonnen
und ein paar reden gehalten. es entzündet sich eine debatte um seine
mitgliedschaft in der waffen-ss. er hätte oder hätte nicht oder
früher oder anders oder überhaupt. standpunkt im brustton. moral.
empörung. oder flammende verteidigung. und fertig ist mein chefartikel
im feuilleton. -
aber bitte: wie schreibt der herr? wie wertvoll sind seine gedanken, die
er zu papier bringt? wie steht es um seine sprachliche meisterschaft,
um dichterische potenz? oder wenigstens moralische autorität? kläglich,
kläglich, kann ich sagen und beweisen...
vielleicht eine abschweifung, aber du hast soviel geschrieben und ich
weiss bald nichts mehr zu sagen: ein paar zitate von grass, um beim beispiel
zu bleiben und darüberhinaus zu zeigen, wie ich an texte herangehe,
prima vista, denn die zitate waren mir bis eben noch unbekannt. (internet
sei dank!)
"Im Westen wird
derzeit selbstgefällig die Diskussion über den Grundsatz geführt,
daß wir das Recht auf eine freie Presse genießen. Aber wer
hier nicht Selbstbetrug betreibt, weiß genau, daß die Zeitungen
von Anzeigen leben, und daß sie Rücksicht darauf nehmen, was
bestimmte wirtschaftliche Kräfte diktieren. Die Presse selbst ist
Teil enormer Unternehmensgruppen, welche die öffentliche Meinung
monopolisieren. Wir haben das Recht verloren, unter dem Recht auf freie
Meinungsäußerung Schutz zu suchen."
(El PAIS Interview, zitiert nach DIE WELT, 10. Februar 2006)
meine kurzanalyse:
ein typischer grass! er schreibt in seinen romanen um kein jota besseres
deutsch. im gegenteil noch! umständliche, stillose sprache, etwas
sperrig und ungelenk wie immer. selbstgefällig wird eine diskussion
über einen grundsatz geführt, dass....gehts nicht etwas weniger
umständlich, knapper, eingängiger? nein, kann er nicht. hat
er nie gekonnt. immer leichter bis mittelschwerer ansatz zu schwulst.
und wird die diskussion überhaupt geführt? von wem denn? die
..und-dass-sätze, achgott! man muss stets um drei oder vier ecken
denken, bis mans zusammenbringt. das ist ungelenk, unschön obendrein.
und was kommt ausser der grossen röhre dann heraus? eine binse! nichts
weiter als eine binse, etwas, was wir nun wirklich alle wissen, was er
ungestraft herumposaunen kann. dass die zeitungen von anzeigen leben!
ach nee, hättest dus gewusst? die presse teil von unternehmensgruppen,
ja das hört einer täglich. aber die diskussion darüber?
vielleicht zweimal im jahr im dritten programm, lange nach mitternacht,
wenn alle schön schlafen. übrigens: diskussion über den
grundsatz führen, dass...na, wenns ein grundsatz ist, muss man eigentlich
nicht darüber diskutieren. und was zu diskutieren gäbe, stellt
den grundsatz ebengerade infrage. solches wischiwaschigeraune in all seinen
büchern, exzessiv. er beherrscht das denken nicht! wie grossmütig
auch von der presse, dass sie rücksicht nimmt. dabei hätte sies
garnicht nötig. es wird ihnen ja nur diktiert. oder wie meinen? wäre
sie gezwungen, erpresst, korrupt? du siehst, es passt nichts aufeinander.
dass sie rücksicht darauf nehmen....was ihnen diktiert wird! der
junge ist wirklich drollig. lies seine 'zwiebel', du wirst sehr lachen
können. und wie bischöflich-hirtenhaft geradezu der satz vom
schutze, den wir suchten 'unter dem recht auf freie meinungsäusserung'.
und, bei lichte besehen: wir hätten natürlich nicht das recht
verloren, hier schutz zu suchen. suchen darf man immer noch.
aber so ist er halt, der grass. nicht sehr genau. schwülstig im stil,
hochgestochen in den metafern und etwas gar umständlich im satzbau
für einen dichter, für einen, der sich also an höchsten
massstäben messen lassen muss. (und der die chuzpe hat zu sagen,
er sei nicht der einzige grosse erzähler, gerold späth sei ihm
fast ebenbürtig! dabei ist späth ein wirklicher erzähler,
ein meister des fachs, ein bedeutender, sprachlich auf hohem niveau stehender
autor!)
aber grosse moralische instanz! ohne witz gesagt und objektiv!
"Gegenwärtig
sind wir - was sich nicht als Gewinn erwiesen hat - nur noch der Hybris
einer einzigen Großmacht ausgeliefert, die auf der Suche nach einem
neuen Feind fündig geworden ist. Den von ihr mitverschuldeten, weil
- siehe Bin Laden - gezüchteten Terrorismus will sie mit Waffengewalt
besiegen. Doch der von ihr gewollte und die Gesetze der zivilisierten
Welt mißachtende Krieg fördert den Terror und kann nicht enden."
(Günter Grass bei der Eröffnung des 72. Internationalen P.E.N.-Kongresses
am 23. Mai 2006 in Berlin)
der sprachliche dilettantismus
ist eklatant. der schlusssatz ein graus! grass ist ein schreibapparatschik
ohne sprachgefühl und sinn für klares, wahres, kraftvolles deutsch.
die hybris - ich habs nachgeschaut, weil ich selbst nur wörter gebrauchen
will, die ich genau kenne: vermessenheit, selbstüberhebung, die zu
einem schlimmen ende führt. der einschub in strichen (nicht als gewinn
erwiesen) ist also reichlich überflüssig. ausserdem kann er
nicht sagen, ihr krieg missachte die gesetze der zivilisierten welt, womit
das wollen auch schon ausgedrückt wäre. und er wird es nie können.
er muss der schwerfälligen partizipwendung (der von ihr gewollte)
noch eine zweite hinzufügen und damit den satz hoffnungslos komplizieren
(und die gesetze der zivilisierten welt missachtende). geschenkt, was
er unter zivilisierter welt denn verstünde, geschenkt auch der zusammenhang
von züchten und 'mit'verschulden - was er aussagt, kann ich täglich
in der zeitung lesen. die kaut es mir vor. von dort hat ers auch. und
käut es wieder. (und es 'erweist sich nicht als gewinn').
"Entsetzt sehen
wir, dass der Kapitalismus, seitdem sein Bruder, der Sozialismus, für
tot erklärt wurde, vom Größenwahn bewegt ist und sich
ungehemmt auszutoben begonnen hat."
(Günter Grass in der Nobelpreisrede).
diese sprache soll man einem dichter durchgehen lassen? einem für
seine sprache und seinen politischen intellektualismus mehrfach prämierten
schriftsteller? kapitalismus und sozialismus brüder? drei einschübe,
bevor er endlich auf den punkt kommt. der vom grössenwahn bewegte
kapitalismus, wie kühn und anschaulich der vergleich! der kapitalismus
habe den grössenwahn...und erst seitdem sein bruder totgesagt sei
- drauf werd ich mit dem kapitalismus mal ein bier trinken gehn. werd
ihm ins gewissen reden anstelle seines totgesagten, jedenfalls verschollenen
bruders. ne nee, so kann jeder boulevardzeitungsfritze schreiben, aber
garantiert. grass schreibt den letzten quark. weder bedeutendes noch überhaupt
akzeptables. ihn als gross, als dichter, als autorität hinzustellen,
ist ein betrug.
"Ich mußte
mir selbst etwas zusammenschustern mit all den Irrtümern und mit
all den Umwegen, während Gleichaltrige meiner Generation, Christa
Wolf etwa oder Erich Loest, im Osten des Landes sofort mit einer neuen
und glaubhaften Ideologie versorgt waren."
es ist ja normal,
dass man beim zusammenschustern irren muss, umwege machen muss. die irrtümer
und umwege sozusagen mitschustern, hineinschustern muss. kein handwerk
ohne umweg! das weiss jeder schuster, nicht wahr? und die gleichaltrigen
meiner generation - der weisse schimmel wiehert vor freude. man kann die
zitate beliebig fortsetzen, gut formuliert ist keins, einen geraden gedanken
sucht man ebenso vergeblich wie einen guten. ich habe sein buch 'beim
häuten der zwiebel' besprochen. die zitate sind eher noch besserer
grass als die schreibe im roman.
so betreibe ich meine
kritik. es gibt eine erste reaktion auf die sprache, auf die formulierung
und die qualität der gedanken. versagt einer schon hier, kann ich
mir 'literatur' überhaupt nicht zu gemüte führen. die voraussetzungen
zur kunst sind nicht gegeben. das niveau des zeilenschinders grass entspricht
etwa dem eines sängers, der in einer oper die hauptrolle singt und
überhaupt nicht intonieren kann, kein legato zustandebringt, die
einsätze verpasst, den rytmus nicht durchhält und erst noch
den text durcheinanderbringt. du hättest ihm viele gute ratschläge
zu geben. am besten würdest du ihm empfehlen, die sache bleiben zu
lassen und sich ein anderes betätigungsfeld zu suchen. er ist einfach
in der falschen branche gelandet. dies allerdings, und da wirds nun sehr
bedenklich, ist nicht etwa nur seine eigene schuld, sondern mehr noch
der geschäftssinn jener, die ihm die hauptrolle zuschreiben und -tragen.
das ganze opernhaus ist korrupt.
eine gute kunstkritik
sollte intersubjektiv sein, schreibst du, solle die denkmuster offenlegen,
nach welchen sie ein kunstwerk analysiert. mir scheint, ich lege die denkmuster
eines schriftstellers offen, den ich kritisiere. in einem zweiten schritt,
gesetzt, ich schriebe eine kritik über besagte zitate, würde
ich mich fragen, wie kommt der mann zu dieser sprache, zu diesen gedanken?
das wort boulevard habe ich oben schon geschrieben. grass produziert selbst
keine gedanken, er schustert (mit allen intellektuellen irrtümern
und sprachlichen umwegen!) ein paar allerweltsweisheiten, banalitäten,
binsen und oberflächlichkeiten zusammen. alles geborgt, kaum halbwegs
durchdacht und erst noch pennälerhaft formuliert. auch in den romanen:
seine stärke sind die aufzählungen, aber er kann sie nicht zu
einer stimmung verdichten. fleissig wie ein musterschüler notiert
er, was er alles gehört und gelesen und im kopf behalten hat. was
käme dir in den sinn, spontan, wenn du ein treppenhaus beschreiben
müsstest? zeigen wolltest, was für 'munterschwarze fabeln' du
draufhast? nimm das erste beste: klospülung, küchendüfte,
katzen...zeige deine vielgelobte fantasie, stell noch einen zänkischen
hausdrachen ans treppengeländer, einen ehestreit in den ersten stock,
einen besoffenen rentner vor eine wohnungstür, und dann lass es noch
ein bisschen nach kohl riechen, nach babywindeln, lass noch was in der
küche anbrennen, auch wenn du dich wiederholst, und dann hast du
einen echten grass fabriziert. einfach aufzählen, hinplappern, fertig.
vielleicht wagst du noch eine dichterische steigerung, ein poetisches
treppenhausgeflüster. bitte: 'ihr verlangsamtes reden glich abgestandener
dickmilch, auf die sie geriebenes schwarzbrot, gemischt mit zucker, streuten.'
bei anderer gelegenheit kannst du dann das reden mit einer cola vergleichen.
'schreiben gegen das vergessen!' wird es lobend heissen. 'surreal-grotesk!'
jubelnd schallen. 'in munterschwarzen farben das vergessene gesicht der
geschichte gezeichnet!' wird man informieren. ja, genau, pansch noch ein
bisschen politik dazu, kommentiere das zeitgeschehen wie oben in den zitaten,
schlage die werbeblechtrommel, und man wird dich, wenn du schwein hast,
mit literaturpreisen zudecken. gut schreiben darfst du aber keinesfalls,
das wäre eine zumutung fürs publikum. und einer dermassen objektiven
kritikerkamarilla gegenüber ungerecht, die schliesslich am besten
weiss, was dem markte bekömmlich ist.-
bisschen schwierig für mich, zu deinen ausführungen über
die aspekte der intellektuellen uniform stellung zu beziehen ohne mich
zu wiederholen. zwar wiederholen wir beide uns sowieso. ich finde in deinen
kritiken bestätigt, wie du deine herangehensweise beschreibst. ob
die uniform dem leser mehr raum für eigne gedanken lässt, zweifle
ich allerdings an. uniform steht bei mir synonym für unselbständig,
gleichmacherisch, dressiert. du hast deinen kritiken ein system zugrundegelegt,
aber du äusserst durchaus eigene eindrücke nebst allem informativen,
gegen das ich nichts sagen will. du hältst jedenfalls nicht hinter
dem berg und begründest deine eindrücke. ich kann einfach zusammenfassend
sagen, dass mir die leidenschaft grundstoff des lebens ist. und der kunst.
ich fühle mich von dir gut verstanden. ich kritisiere aber nicht
die leidenschaftslosigkeit der kritiker. ich vermisse die leidenschaft
in den büchern oder bin begeistert, wenn ich sie echt vorfinde. ich
kritisiere die rezeption dahingehend, dass sie unter der maske der objektivität
und der sachlichkeit den grössten schwachsinn kolportiert. ein falsches
spiel betreibt. ich möchte den kritiker sehen, der seine kritiken
ebenso begründet wie ich und mit zitaten nicht geizt, um das gesagte
nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu demonstrieren. ich weiss, warum
gerade dies unterschlagen wird. man würde sich nämlich lächerlich
machen, wenn man den beweis anträte, grass sei ein meister der sprache,
sein werk bedeutend in literarischer hinsicht. ich soll glauben und kaufen,
darum geht es. ein billiges spiel, das zur fortgesetzten verdummung des
'bildungsbürgers' wesentlich beiträgt. was schriebst du über
die gesellschaft, die eigentlich keine gebildeten menschen mehr wolle?
bingo!
wenn du deine meinung begründen kannst, sagst du sie, auch wenn das
nicht die hauptsache deiner artikel ist. das ist zu meiner arbeit kein
gegensatz; wir stellen uns ein anderes tema. wo du dir eine kritik nicht
zutraust, schweigst du und beschreibst nur das ambiente eines konzerts.
recht so. ich äussere mich auch nicht über bücher und autoren,
die ich nicht verstehe. aber es ist auch nicht mein tema, über alles,
was beispielsweise in der region bern von jungen autoren erscheint, etwas
zu sagen. ich biete keine entsprechende plattform, im gegensatz zu dir
mit deinen musikern. ich denke, was du betreibst, was ich tue, kann man
beides mit anstand machen. ich schätze an deiner arbeit - habe mich
umgesehen - die offene art, die offenlegung deiner absicht. ich denke,
auch bei mir wird man nach der lektüre einiger kritiken wissen, was
man erwarten kann und worüber ich mich kaum aufhalten werde. wir
weisen uns aus, und das finde ich anständig. anderes muss man bei
andern suchen.
ich schreibe auch keine kritik für den künstler. ich schreibe
schon fürs publikum (und für mich selbst). ich zeige dem interessierten
leser, wie gute sprache gemacht wird, woran sie sich messen lassen muss,
welches die künstlerischen elemente sind, wie ihr wert einzustufen
ist nach meinen kriterien, die ich offenlege und damit verifizierbar mache,
nicht zuletzt auch durch zitate. würden wir für ein paar wochen
unsere arbeit vertauschen und jeder schlüpfte in die rolle des andern,
was würden wir tun? ich brächte ein wissen mit vom auftreten
und vom funken, der vom künstler zum publikum springt oder nicht.
ich habe ein sensorium für die stimmung im raum. ich vermöchte
aber nicht zu sagen, ob eine gruppe wirklich den stil beherrscht und vergleichsweise
gut ist, da hätte ich keine erfahrung, weil ich die stile nicht kenne.
mein sohn ist jazzmusiker, schlagzeuger. ich sage jazzmusiker, weil ich
die stile, die er spielt, gar nicht alle nennen kann. ich vergesse alles
gleich wieder. ich kann ihm sagen, wie er auf der bühne wirkt, wie
die band zusammenpasst und wie die sache rüberkommt. ich weiss, dass
die jungs hart arbeiten, weil ich schon zweimal mit ihnen eine lesung
veranstaltet und entsprechend mit ihnen geprobt habe. ich hoffe, sie machen
ihren weg. aber ich kann eigentlich nur den sänger wirklich beurteilen.
mein sohn spielt sowieso fantastisch, weil er mein sohn ist und ich absolut
rytmisch untalentiert bin. ich kann ihnen predigen, sie sollen üben,
nicht faul sein, die kommunikation mit dem publikum etwas selbstbewusster
aufnehmen. ich freue mich mit ihnen, wenn ihnen bei den proben etwas gelingt,
wenn sie auf der bühne erfolg haben. ich verstehe die art gut, wie
du deine artikel schreibst. ich hör mir an einem konzert auch die
andern bands an. ich könnte mir vorstellen, über solche konzerte
zu schreiben, stimmungsreportagen. meine stimmung kenn ich und die des
andern publikums nähme ich wahr. das wäre der einzige ansatz,
weil ich völlig szenenfremd und musikalisch ganz anders geeicht bin.
woran erkennt man leidenschaft? ihr fehlen ist literarisch schneller auszumachen
als ihr vorhandensein: sie wird nämlich oft vorgetäuscht. das
erkennt man an den schiefen metafern, der schwulst und an gespreizten
wendungen. ebenso an verbrauchten, abgeklatschten wörtern. mir stehn
die haare zu berge, wenn allen künstlerischen ernstes etwa herz auf
schmerz gereimt wird. die wörter haben ein poetisches verfallsdatum.
wer sein pötisches seelchen mit reimen à la freiherr von eichendorff
ergiesst, ist vielleicht ein guter wortakrobat, aber gewiss kein ernstzunehmender
künstler. wer ihm künstlerschaft zuspricht, nicht bei trost.
auch mir ist bestimmt manche leidenschaft fremd, unzugänglich, schleierhaft
- frage der erfahrung, des alters und des temperaments. dann habe ich
zum werk keinen zugang und schreibe auch nicht darüber, vorausgesetzt,
die literarische, sprachliche leistung ist in ordnung. ich kann beispielsweise
nichts sagen zu paul celan; nichts! sein werk ist mir versperrt. ich spüre
und merke, er schreibt ausgezeichnet, dichterisch, vielleicht vollendet.
aber ich verstehe seine sprache nicht. vielleicht in zwanzig jahren, wer
weiss. ich lese heute erst und verstehe nietzsche, das wäre mir früher
unmöglich gewesen. heute habe ich das vermögen, seine gedanken
zu begreifen und seine unglaubliche sprachliche leistung, seine hohe meisterschaft
zu würdigen, an der ich früher gescheitert wäre. die leidenschaft
kann sehr temperiert erscheinen wie bei canetti, aber sie ist spürbar
in der dichte seiner sprache, in der intensität der handlung, im
seelischen prozess seiner figuren, was alles ohne bedingunslose leidenschaft
nicht zustandekäme. er schreibt trotzdem nüchtern und ruhig,
majestätisch.
also, eine informationszusammenstellung mach ich bestimmt nicht, das wäre
ein anderer job. ich werte, beurteile. die geschmäcker sind verschieden,
darüber will ich nicht streiten. wer grass geniessen will, soll ihn
geniessen. aber es gibt wertunterschiede. es gibt kriterien, mit denen
man zwischen kitsch, konvention und kunst unterscheiden kann. über
den literarischen, ebenso über den künstlerischen wert entscheidet
nicht der stoff und nicht die weltanschauung. das ausschlaggebende ist
das wie. die fähigkeit des ausdrucks und der gestaltung. verlebendigung,
versinnlichung, spannung, übergänge, atmosfäre. und am
wichtigsten: die sprache!
meine arbeit, die ich mit den textkritiken verfolge, kann es nicht sein,
der informationsflut mein eigenes kleines geriesel an information beizugeben.
ich habe zu bieten, was wenige bieten, selten einer sich getraut, schon
garnicht, klar, wenn er seine anstellung gefährden würde. ich
brauche keine solchen rücksichten zu nehmen.
dr.
dieter porths schlusswort:
" ... , aber
du hast soviel geschrieben und ich weiss bald nichts mehr zu sagen: ein
paar zitate von grass, um beim beispiel zu bleiben und darüberhinaus
zu zeigen, wie ich an texte herangehe, prima vista, ..."
Ich möchte das Lob zurückgeben. Auch du hast viel geschrieben,
und ich möchte deinen Vorschlag nach einem Abschlussartikel gern
annehmen. Auch ich fühle mich von dir gut verstanden. Erst war ich
geneigt, nochmals zu wiederholen, in welchen Details wir uns unterschieden
und wo wir Gemeinsamkeiten hatten. Dahinter stand die Motivation, den
Abschlussartikel wichtig erscheinen zu lassen. Aber damit hätte ich
mich der berechtigten Gefahr ausgesetzt, dass du mich mit Grass auf die
Stufe der intellektuellen Schwafler und Schwätzer stellst. Und DAS
möchte ich eigentlich vermeiden. Deshalb halte ich mich kurz und
fasse hier einmal zusammen, was ich aus unserem Disput gelernt habe.
"Kunst ist gestaltete Leidenschaft."
In meinen zukünftigen Kritiken werde ich versuchen, auch die Leidenschaft
mit zu berücksichtigen. Die Umsetzung wird schwierig werden; denn
ich muss mehr eigene Emotionen in die Kritiken einfließen lassen.
Meine Sprache wird persönlicher werden müssen. Da ich mit den
Nachwuchsmusikern oft auch in
Kontakt stehe, übernehme ich mit meinen Kritiken auch die "Rolle
des Lehrers". Eine emotionalere Form der Kritik wird damit zur Gradwanderung,
die den Schaffensweg der Künstler mitbestimmen kann:
- Entmutigt meine Kritik den Musiker zu sehr, dann zerstöre ich vielleicht
das leidenschaftliche Pflänzchen der Kunst.
- Lobt meine Kritik die Stärken zu wenig, dann verkümmert vielleicht
das leidenschaftliche Pflänzchen der Kunst.
Ich habe an unserem
Streitgespräch viel gelernt. Dafür danke ich Dir und hoffe,
dass auch du einiges aus dem Streitgespräch für dich mitgenommen
hast.
daniel
costantinos schlusswort:
das wort streitdialog
hatte mich schon sehr gereizt, dafür bin ich immer zu haben, und
mit grosser freude sah ich, dass da einer gleich mir am ball bleibt, sich
die zeit nimmt und ausführlich auf die dinge eingeht. etwas erstaunt
hat mich dein verständnis für meine position, das muss ich verschämt
einräumen, ich hätts mir zu anfang so gar nicht vorstellen können.
dass da einer meine scharfen attacken so ruhig und konzentriert kontert
und dabei noch die grösse hat, die grenzen seiner eigenen bestrebungen
selbst aufzuzeigen - hut ab! das hat mich menschlich beeindruckt und bereichert.
irgendwie reim ich mir schon immer was zusammen im kopf, wenn ich mich
an eine längerfristige arbeit mache. aber scharf nachgedacht, was
ich mit meinen textkritiken eigentlich treibe, hatte ich zuvor noch nicht.
du hast es mir abverlangt, und das hat mir gut getan. ob sich dadurch
an meiner art zu kritisieren etwas ändert, ich künftig dies
oder jenes einräumte, objektivierte, mitbedächte, weniger schnell
ins kraut schösse - ich glaube nicht. ich sehe, dass man deine arbeit
ehrlich und respektabel machen kann, werde aber nachwievor zu etwas meinen
beitrag leisten, das meiner meinung nach im allgemeinen und in der literaturkritik
im besonderen viel zu kurz kommt. ausserdem ist nicht alles, was wir beide
treiben, direkt vergleichbar, nicht so sehr, weil die disziplin, sondern
weil die aufgabe, die wir uns stellen, zum teil eine andre ist.
keine sorge: ich stell dich schon nicht auf die stufe der blechtrommler.
im gegenteil, es wäre mir ein vergnügen, bei anderer gelegenheit
wieder mit dir zu tun zu haben. ich werde die wochen vermissen, wo ich,
von dir in die pflicht genommen, am schreibtisch hockte und mich und meine
arbeit durchleuchten musste - etwas, was ich ohne druck von aussen gar
nicht zustandebringe.
ende
des streitdialogs
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