schandfleck.ch_textkritik/2006/dezember |
daniel
costantino
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rose, meer und sonne |
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ich
gestehe frank, von der poesie nichts zu verstehen. ich foutiere mich um
rezeption und soziologie. ich verkenne teorien und epochen. ich schere
mich keinen deut um würdigungen und medaillen. ich bin so dumm, dass
mich das lirumlarum der kunst- und literaturkritiker nur ermüdet.
sie zählen zeilen und strofen. sie wissen von berührungspunkten
und affinitäten. sie reden vom jetzt und vom kommenden, von der räumlichen
distanz des ichs zum du, von konfigurationen und paradoxen, von zuordnung
und auflösung, von zirkeln und konsequenzen und begriffen. sie picken
wie graue möwen nach den brosamen hingestreuten futters, das sie
in grauen wälzern ihrer kollegen finden und in den broschüren
prosperierender verlage und da und dort im selbstlob der autoren. sie
bestätigen einander die reine lehre wie katolische bischöfe
ihre anrüchigen exegesen der sexualmoral, sie kolportieren von generation
zu generation den spiessigsten quatsch und machen damit schule. sie sind
die schule selbst und walten ihres amts wie eines pontifikats und verbiestern
heerscharen von lehrern und schülern. aber sie verraten mir keinen
ihrer gedanken. es ist nicht herauszukriegen, ob ihnen ein gedicht zum
beispiel gefällt oder nicht. sie verweigern meinung und persönliche
stellungnahme. und dann und wann halten sie mir vor, ich erhöbe meine
meinung zum absolutistischen mass. monieren sie, eine kritik müsse
berechenbar sein wie das kunstwerk selbst. es sei nicht angängig,
meine meinung überhaupt zum mass zu erheben.
nun, ich glaube, ich bin als leser tatsächlich das mass der dinge. ich kann an einem autor scheitern; er aber auch an mir. er ein mass, ich ein mass. eine einszueinssituation. er erzählt mir was, und ich schreibe auf, was mir dazu einfällt. ich werde einen teufel tun und mir einen maulkorb umbinden, nur damit die herrschenden verhältnisse, also die verlogenheit, keinen schaden erleidet. so will ich euch denn die tore öffnen meines absolutistischen königreichs, das nur der eigenen dummheit untertan. (pikierte germanisten brauchen ja nicht weiterzulesen.) Rose, Meer und Sonne Rose, Meer und
Sonne Aller Glanz,
ergossen, Alle Farben ringen, Rose, Meer und
Sonne Alle Ströme
haben Alle Quellen
fliessen Rose, Meer und
Sonne Alle Stern' in
Lüften Alle Weltenflammen, Rose, Meer und
Sonne
zurück zum
gedicht. Rose, Meer und
Sonne die liebste mit ihrer wonne. wie peinlich das wörtchen 'mit', wie entlarvend. ist das berückend etwa, 'mit einer wonne' jemandes ganzes leben 'einzufassen'? als mit einer wanne? oder einem leichentuche? und der reim sonne-wonne alles andre als gut, der erste beste. wie viel zärtlicher, inniger, poetischer zumal etwa die verse walthers von der vogelweide, jahrhunderte zuvor. aber hier: ganz dicke aufgetragen, aller glanz, aller tau, alle farben, alle düft', immerzu alle, alle, alle. alle-lujah! nun muss ich wirklich der beste sein, schriebe ich solche liebesbriefe! kann man sich das verdatterte mädchen vorstellen, das ich damit kirrte? und die biedere, vergitterte, stinklangweilige ehe, die daraus erwüchse? und erst die abdankung, nachdem der tod sie geschieden! Aller Glanz,
ergossen, Alle Farben ringen, das ist so recht
mit den symbolen gewuchert. riecht das nach was? ergibt das ein bild,
einen ton, eine stimmung? blutleere wortspielereien. eine todesannonce.
die leidenschaft ist leider gestern früh verstorben. wir tragen
ein ehrendes gedenken. und trauern sehr. und war doch voller düft'
im lenzgefild'! Alle Weltenflammen, die natur sei da, sie reimend abzubilden. man stelle sich den zusammenfluss aller, aber auch aller weltenflammen, mitsamt zerstreutem himmelsglanz und so, einmal bildlich vor - o sonn', o sonne, wir komm', wir kommen! So wahr die Sonne scheinet So wahr die Sonne
scheinet, So wahr hab'
ich empfunden, Die Sonne mag
verscheinen, Wir wollen uns
umwinden auch dieses gedicht rückerts bleibt dem deklamatorischen verhaftet. seelenspannung, tiefe empfindung, zauber der poesie und verwandlung erstickt es im keime. es hat mit sprachkunst nicht das geringste zu tun, wirkt artifiziell-naiv, eindimensional wie das vorherige, lustlos, impotent. ein bisschen sonne, ein bisschen wolke und flamme, ein bisschen frühling. von allem etwas. die wolke weint. behauptet rückert. aber das weinen ist nicht gestaltet, bloss gesagt. von empfindung ist die rede, aber eben nur die rede. echtes erleben und bestreben klingt unbedingt anders, welches jahrhundert der dichtkunst man immer nehme. eine übung in versschmiederei, weiter nichts. futter für kindische tröpfe. da fällt mir ein altes volkslied ein, ich glaube, eines unbekannten verfassers. es ist jahrhundertealt. ich zitiere, da ich es nirgends wiederfinde, aus dem gedächtnis: schönster
abendstern schönster
tulipan schönstes
röslein rot schönste,
weine nicht ein sehr einfaches, inniges und tiefempfundenes gedicht. es atmet güte und sehnsucht in einem. es klingt beglückt, aber es schwingen auch wehmut mit und melancholie. mit wenigen worten helle und dunkle saiten, zarte nuancen, besorgnis und ruhe. kein streben nach effekt, nach superlativen, nach glanz und gloria. und sehr melodisch. es lässt der fantasie spielraum, setzt dreimal an, und mit jeder strofe verändert sich fast unscheinbar die stimmung, verschiebt sich die distanz vom sänger zur geliebten: zärtliches herzliches begehren; liebesglück der vereinigung; und schon, in der dritten strofe, die andeutung der scheidung durch den tod. es ist einem leser ohne weiteres auch heute noch möglich, die menschliche substanz dieser zeilen in sich aufzunehmen. und zwar dadurch, weil das gedicht formal eine ganz eigene prägung aufweist, eine eigene persönliche sprache. dadurch erst verströmt sich die menschliche substanz, die seelenspannung in die struktur. man mag es bescheidener mittel zeihen, schlichten stils und einer herkömmlichen anschauung verbunden - es muss ja nicht jeden berücken. aber die mittel sind ehrbar, der stil unbedingt aus einem reinen guss, es erklingt ein echter, zärtlicher ton. und um die (welt-)anschauung kann es nicht gehen in der analyse der sprachkunst. es steht erhaben über der klotzigen emfase, der undynamischen aufzählerei, den schulmeisterlichen ambitionen rückerts. Mondnacht
dies gedicht josephs von eichendorff (1788-1857), eines zeitgenossen, jahrgängers rückerts also, erfüllt meines erachtens die voraussetzungen eines kunstwerks.
Dass sie im Blütenschimmer ausgesprochen sinnlich, in dichtem zusammenhang wird das seelenerlebnis fortgesponnen, die natur ins kosmische gestellt. wie bei einer guten musik ist nicht absehbar, wie das schon hier reichhaltige gespinst sich weiterentwickelt. die fantasie des lesers hat sich belebt, hingegeben lauschen wir mit der gabe unseres eigenen ahnens und träumens.
die zweite strofe
bezieht ihre kraft, ihre seele aus der ersten; stünde sie alleine
da, wirkte sie schwächlicher und weniger berückend. aber jetzt
empfinden wir dies wogen und rauschen ganz anders, hat sich der raum
weit geöffnet, wird niemand den eindruck haben, die natur sei hier
bloss beschrieben. Es rauschten
leis die Wälder,
So wahr die Sonne
scheinet, Alle Stern' in
Lüften Alle Weltenflammen, nach der offenbarung
des eichendorffschen gedichts wird man diesen übungen rückerts
nicht mit gutem verstande einen dichterischen wert beimessen können.
die einzige ansprechende strofe ist die von den stern' in lüften
- der vergleich mit dem liebesblick der nacht und dem sterben in des
morgens düften. aber so genial, dass man dafür die andern,
banalen, in kauf nähme, ist sie auch wieder nicht.
So sind wir deinen
Wundern nachgegangen
ein tief empfundenes
gedicht voller poesie. eine grosse seele. einmaliger, ganz persönlicher
ton, reiches beziehungsgeflecht, aufbau der stimmung, facettenreiche
färbung. ernst stadler (1883-1914) ist ein erstrangiger dichter,
der seine werke gestalten, die handlung in einen zusammenhang stellen,
seine worte wirken lassen kann. nichts ist hier platt gesagt, behauptet,
mit zaunpfahl und attitüde zum besten gegeben. die vom sonnenleuchten
trunknen kinder, die im strudel noch goldnen lichts aus dämmergrauen
abendtoren laufen, die im rauch ertrunkne ferne stadt, das aufsteigen
der nacht aus den tiefen - bilder, die ein grosser maler malt. von anfang
an ist die atmosfäre von vergängnis umwittert und verfall.
die reminiszenz an das glück der kindertage, verdämmernd wie
die abendtore der fernen stadt, umhüllt der scheidende tag von
der nacht, wie das leben vom verfall, die existenz vom nichts, vom unaussprechlichen.
der griff nach dem letzten sommertagsgefunkel wie die sehnsucht nach
dem leben, das wie hinter roten wäldern hingegangen. da kann meine
fantasie erblühen, wird meine eigne existenz das mass, werde ich
persönlich ergriffen und meiner tiefen gefühle gewahr. ihr leises Weinen schwimmt und stirbt im Dunkel. ein souveränes, ruhiges gedicht. und ausgesprochen sinnlich: die farben. aber auch der sinn für den raum, (fern die grosse stadt), für die temperatur, der tastsinn wird angeregt, ebenso wie am schluss, ihr leises weinen, ein ton verklingt, wie eine in sich gekehrte klage. worte auf der goldwaage gewogen. ein einzelnes falsches, alltägliches, ungenaues, flaches, objektives - die strofen wären futsch. stimmung entsteht im bezug der worte und sätze aufeinander. es gibt in der dichtung keine synonyme. (den epigonen seis ins stammbuch geschrieben.) wohl hat stadler verschiedene fassungen niedergeschrieben, bevor er die letzte für gültig genommen hat. vielleicht hat er hier ein wort ersetzt, dort einen satz verändert. das muss unbedingt auswirkungen gehabt haben auf das ganze, wird geheissen haben, dass er die ganze strofe hat umgestalten müssen, weil ein einziges wort unbedingt auf die andern abfärbt, sie wiederum beeinflusst im gehalt, mit seiner eigenen magie, die auf den gesamtzusammenhang wirkt, überhaupt erst wirken kann auf dieser höhe der sprachkunst. es ist von der ersten zeile an ein sog in dem gedicht, dem man sich nicht entziehen kann. er wird dadurch erreicht, dass stadler aus tiefer gefühlsregung schöpft, aus dem instinkt schreibt und formt. und er hat die sprache und das vermögen, diesem instinkt, dieser gedanken- und gefühlsessenz ausdruck zu verleihen. das gedicht ist nicht nur ohne fehl und tadel, es ist genial. man kann es nicht ein- für allemal erfassen, es wirkt bei jedem wiederlesen wieder anders und voller, nunacierter, prägnanter, wird es des weitern tun. man liest es in jeder fase des lebens wieder anders, denn es ergreift den ganzen menschen, der man war und ist und sein wird. bis zur neige. Gang in der Nacht Die Alleen der
Lichter, die der Fluss ins Dunkel schwemmt, sind äusserst konzentrierter
text, dichte, schwerblütige verse. die aber trotz aller last und
bedrängnis etwas brüderliches, heiteres, traumverwandeltes
ausstrahlen. die einladung des dichters, ihn auf seinem gang durch die
nacht zu begleiten, nimmt keiner leichtfertig an. er holt überhaupt
kein 'publikum ab'. das verständnis für das gedicht setzt
nicht kenntnis, sondern bereitschaft und wagnis voraus. Die Alleen der
Lichter, die der Fluss ins Dunkel schwemmt, sind organisch, fast unauffällig gesetzt, In den streifenden
Nebeln. Bald sind die Staden eingedeckt korresponiert mit dem zusammenklang der vokale und der vereinigung gleichlautender konsonanten, fast wie von ungefähr, als ob es das einfachste wär - Kein Laut den
Weg mehr aus dem trägen Sumpf, der alles Feste die bilder bestechen durch plastische vorstellungskraft, das geschehen wird genau geschildert, die vergleiche kühn in einen vieldeutigen zusammenhang gestellt. Die Stille lastet.
Manchmal bläst ein Wind die Gaslaternen auf. Im Schreiten
es ist viel zu viel licht und farbe da, zu starke helle magie im text, zu viel urwüchsige, bejahende kraft, als dass man ihn als schwermütig alleine abtun könnte. Manchmal bläst
ein Wind die Gaslaternen auf. Dann zuckt die steigerung des
gefühls, die zusammenklänge inneren erlebens wirken insgesamt.
jede schattierung, alle nuancen, der ganze unauslotbare bereich der
empfindungen (und des verstands!) werden hier künstlerisch vertieft
und erhöht zugleich. Alle meine Gedanken
laufen wie verklärt durchs Dunkel einer und ebenso die meinen. - |
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