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schandfleck.ch_textkritik/2007/märz
daniel costantino
 

paul nizon

gäbe es ihn nicht, man stünde da ohne gefährte in der wüstenlandschaft griesgrämiger ehrbarkeit, in schotterhaftem, windstillem, antierotischem geistigen ambiente alleine, irritiert von der stacksigen, zurechtgeschminkten scheinlebendigkeit um einen her, und was man vom menschen erhascht, devisen, parolen, amorfe sentenzen, plötzliche, grelle, flugs verschwindende fetzen, lässt einen befremdet und ratlos zurück.

ernst ist das leben, heiter die kunst. -
schreiben aus existenzieller notlage, als fände das leben anderweitig nicht statt, nicht in berufen und gesellschaftlichem brauchtum, nicht in erstarrter konvention und sitte, im bequemen, selbstgefälligen, sicheren nest. alles oder nichts, so lebt er, so schreibt er. seine intension ist nicht die geschichte, auch nicht die anekdote, die sich bloss beiläufig ergibt. nein: der wirbel, die spannung, der protest. und die introspektion - besessen, fanatisch. und nervtötend für manchen. er will keine inhalte verteilen. er schwängert die seiten mit frischer gischt. 'ich bin einer', sagt er, 'der mit den mitteln der sprache eine totale neuschöpfung seiner selbst und seines lebens anstrebt, ein privatkämpfer.'
die meisten seiner texte, die mir bekannt, sind kleinen umfangs. capriccios, étuden, essays. keine romane; novellen. und skizzen, immer wieder. schreiben ist für den unentwegt suchenden, tastenden, schnüffelnden kein benennen, sondern ein herauslocken von leben, ein anreichern mit sinn und brisanz. ein wortschöpfer. ein schreibfanatiker. ein musikant. wirklichkeit, sagt er, nehme für ihn an, was er aufgrund eigenen erlebens in eigene worte fassen könne.
stupende vitalität des stils. wirklich in der sprache beheimatet, alles andre denn ein stümper wie etwelche seiner berufskollegen. eine spürnase mit sinn für witz, für klang und stimmung. langes grummeln, wägen, drehen, zuwarten, herumstreunen, dann die entladung auf das papier. blockaden und einsamkeit, lebendigtotsein, glück und triumf am schreibtisch. alles, was dazugehört. doch sitzt er dort länger, verpasst er das leben draussen. und schon ists aus mit dem künstlerischen hoch, vagabundiert er wieder herum, streunt, flirtet, feiert und fühlt sich bald unnütz, wertlos, betrogen aufs neue und flüchtet von der familie, vor der leere, vor der enge, aus dem plombierten wagen, wie er sagt, aus der stadt, dem land, nach münchen, london, neapel und schliesslich paris. und immer zurück zum papier.
auch davon schreibt er, durch all die jahrzehnte.
er wettert gegen dünkel und mief. er liest den schweizern die leviten. er erschüttert das spiessertum mit blasfemischen suaden. er verweigert alle zuordnung, und sowieso das tradierte schema. er analysiert erfinderisch, pointiert und, wies scheint, frei von hader. schreibt den 'diskurs in der enge' und 'verweigerers steckbrief', ein labendes stück literatur! und kehrt bern und der schweiz den rücken. er ist immer ein einzelgänger und aussenseiter geblieben, was für seinen charakter zeugt, und er hat ein paar verstreute kollegen seines schlages porträtiert. die ihn hierzulande belächeln, notable intellektuelle, reichen ihm nicht das wasser mit ihren saftlosen, kleinmütigen publikationen. wichtig für ihn immer die lebensstationen, die städte. als einen taubstummen, einen untergehenden, einen sittlichen barbaren und als einen clochard an der leine seines hundes beschreibt er sich darin. die grossstadt, die weltstadt sei für ihn ein glücksfall, in der er seine einzigkeit erfahren könne.
'einzigkeit im sinne der überheblichkeit, was sehr wichtig ist, wie auch im sinne der überflüssigkeit. beides setze ich gegen die feste rollenzuteilung am angestammten überschaubaren ort, wo man eine literarische persönlichkeit werden und als lokalmatador in einem bestimmten geflecht eine bestimmte funktion erfüllen kann, was einen leicht in eine sackgasse oder repetitions- und statthalterrolle, in die defensive treibt. während man hier, wenn man sich in einem schöpferischen schub befindet, die eigene einzigkeit bis zum wahnsinn und zu anderen zeiten die eigene überflüssigkeit und nichtigkeit bis zur auslöschung empfinden kann, was ich als gesund erachte.'

was erwartet man von einem schriftsteller, wenn man seine frühe prosa als arrogant, verleumderisch, unsolidarisch abqualifiziert? die feine dichterelite jedenfalls ging in den sechzigerjahren bald auf distanz zum jungen spund, kaum hatte der sein zweites buch veröffentlicht. ein wortrabauke, nestbeschmutzer, satansbraten! man könnte ihm aus heutiger sicht, bei vorliegen des gesamtwerks des 77-jährigen, anlasten, dass er sich im kreise dreht, an immer dieselben wände stösst, unaufhörlich und manisch raum sucht und flucht aus der enge, dass er sich darin weder bessert noch eigentlich entwickelt. aber er bleibt trotzdem interessant, erfinderisch darin, quicklebendig. und welcher andre wälzte schon nicht immer wieder denselben stoff, der ihn nun einmal umtreibt, prägt, beschäftigt und sättigt, wer schriebe nicht imgrunde, soviele bände er zustandebrächte, eigentlich doch am einen, selben buch?
wem das tema nicht passt, hat leicht reden. fordert man läuterung mit den jahren, zurückhaltung, korrekte stoffe? darauf pfeift er sich eins, stell ich mir vor. zeichen der zeit erkennen, wie genehm? gesellschaftliche entwicklung ins buch bannen, lösungen aufzeigen, so richtig mal konstruktiv und zurechnungsfähig werden? darf er an sich selber kleben in vorgerücktem alter noch? muss er stiller werden, weise, würdevoll? muss er brauchbar sein?
entwaffnend sein bekenntnis: 'literatur hat keine aufklärerische aufgabe, keinen auftrag, auf die masse einzuwirken, damit sie vernünftig werde, kein sogenanntes engagement.'
vorallem sein früher stil hat anklänge an blaise cendrars, der späte immer noch eine gewisse mediterrane würze, romanischen esprit. kräftige, stimmige, helvetisch geprägte wendungen und substantive zuweilen, mitunter leider unschöne wiederholungen, hülsen und floskeln; kitsch nie. er schreibt sehr poetisch, wenn er in form ist, das gewiss, voller einfälle, kapriolen, verwandlung. ein dichter, ein ganz grosser, ist er hingegen nicht. (um es auch deutlich zu sagen: einen lebenden deutscher sprache kenn ich nicht. und natürlich kenn ich nicht alle!). zu eingeschränkt denn doch satzbau und ausdruckspalette, das ästetische repertoire, das vermögen, nicht nur aufs ganze zu gehen, sondern auch ins magische der sprache vorzudringen, die begabung, atmosfäre zwischen den zeilen wachsen und wuchern zu lassen. allzu sehr bleibt die sprache oft dem intellektuellen verhaftet, dem gedankenabenteuer, sehr begnadet, das jedenfalls, aber sinnlichkeit zeigt sich doch nur ansatzweise und wird nicht selten von platten wendungen, etwas einfallslosen stereotypen und unschönen repetitionen wieder zerstört. breit angelegte, über kapitel sich verdichtende poesie gibt es von ihm nicht. dies am höchsten massstabe gemessen, den ich mir vorstellen kann. wüsste keinen gleichrangigen aus bern. keinen seiner generation. federfuchser fast alle im vergleich, wenig eloquente zeilenschinder.
aber gegen cendrars verblasst auch er.
nach all dem gesagten, erwogenen, vielleicht verfehlten nun noch ein paar kurze kostproben aus verschiedenen schaffenszeiten paul nizons.

> Zu Hause ging ich auf Arbeitssuche. Sass in Büros, half Polizeirekruten bei einer Verkehrszählung, füllte in einem Reisebüro Fahrzeugpässe aus, nach vielen Ländern der Erde. Schliesslich ging ich Zeitungen austragen.
Wenn ich frühmorgens auf dem Rad durch die Wohnviertel fuhr, sang ich. Ich fühlte mich unendlich lastlos, besitz- und gewichtslos, nichts und niemand, bereit zur Bestimmung, bereit.
Allmorgendlich fuhr ich dies Unbekannte auf dem Rade aus. Wenn ich die Häuserbereiche betrat, wenn ich ins Feld der Hausbewohner, der Menschen kam, begrüsst, beschimpft, bedankt wurde, fühlte ich etwas sich regen, das ich sein musste. Ich nannte dieses allmorgendliche Zeitungsausfahren, ich nannte dieses Mich-selbst-Austragen: das Ausziehn mit der rüffelnden Trompete. Die Trompete war meine unentwegte Attacke.
Wenn es zu Berührungen, wenn es zu Reibungen kam, gab es einen scheppernden, ehernen Ton. Dieser Ton war ich. <

die passage des jungen nizon ('die gleitenden plätze') verrät deutlich das bestreben auszubrechen, sich zu erfinden, zu berauschen. stilistisch wird der effekt erreicht mit assoziativen elementen, rytmisierungen, steigerungen.

< Ich fühlte mich unendlich lastlos, besitz- und gewichtslos, nichts und niemand, bereit zur Bestimmung, bereit. <

fantasiereichtum und fabuliergabe kommen hinzu. was nicht gefallen kann, die überfrachtung mit den wenn-sätzen auf engstem raume, im letzten satz finde ich es zuviel, hier hätte eine andere wendung besser gepasst, den sprachlichen raum offengelassen, die lebendigkeit der passage auch stilistisch unterstrichen.
an einer andern stelle des buches schreibt er:

< In der Trambahn später, am Ledergriff schwankend, geniesst er die Berührung der anderen durch Mäntel und Jacken hindurch: das Nahesein all diesen wahllos zusammengepferchten, gemeinsam gerüttelten Gestalten in der Enge des schütternden Wagens. Was soll er anfangen mit seiner neuen Erkenntnis? Es treibt ihn durch die Viertel.
Was draussen da an Kneipen, Seite an Seite, auf die Gasse vorstösst mit Schildern, schlagenden Türen und Gestank, sieht er als Schiffe und Boote, zerrend an den Ketten und Vertäuungen. Endlich bricht er auf, schwankt und schwärmt heimzu und 'haut sich in die Klappe', wie er glücklich laut seinem Zimmer verkündet, bevor er endgültig wegsinkt in all seiner Wirklichkeit. <

das bild des am ledergriff schwankenden, die gemeinsam gerüttelten gestalten im schütternden wagen, auf die Gasse vorstossende kneipen, an ketten und vertäuungen zerrende schiffe und boote - das gefällt mir ausnehmend gut. hochform bildnerischer gestaltung. man beachte den gelungenen stabreim: schilder, schlagende türe und gestank; schwankt und schwärmt heimzu; 'zerrend an den ketten' gehört auch noch dazu, obzwar mir das präsenspartizip als zu gesucht, als unschöner brauch missfällt. das nahesein 'all diesen gestalten' - ebenfalls schwach, substantivbildungen mit -sein haben mich nie überzeugt, der dativzusatz hier gefällt mir schon gar nicht: gespreizt. die passage ist typisch für alles, was ich an nizon schätze, sie hat unbestreitbar schmiss, sog, musikalität. aber es gibt immer wieder gewisse unzulänglichkeiten zu beklagen, die mich davon abhalten, ihn zu überschätzen. trotzdem reihe ich ihn, natürlich auch faute du mieux, in die vordere reihe zeitgenössischer autoren ein. seine vitale, melodische, rytmische sprache, die poetische kraft, sein flair für fantasievolle eingebungen und prägnante anschaulichkeit suchen weitherum ihresgleichen.

eine letzte passage aus den 'gleitenden plätzen' ( 1959) möge das gesagte unterstreichen:

< Neu fühlt er die Strasse. Er spürt sie leibhaft unter sich als braune, schwer gleitende, runzelige Haut, die von den Häusern der einen Seite hinüberreicht über Fahrbahn und Trottoir und drüben an den Fronten der Gegenseite wieder hinauf und darüber hinweg, Kämme, Zacken, Kamine werfend, Schründe schürfend, in Kuppeln sich wölbend und Buckel und Höcker und Hügel treibend und weit draussen unterkriechend unter weichem Gras. <

ohne plot auskommen heisst soviel wie mit dem leben in erster instanz verhandeln. temenlos im übrigen. suchen, entdecken, kreieren. 1988, in 'verweigerers steckbrief', einem essay über sich selbst und das schreiben und den gesellschaftlichen rahmen, in dem ein autor seines schlags sich wiederfindet, schreibt nizon:

< Nach Wörtern schnappen, Wörter für Eindrücke, Sinnesmeldungen, ausgelöste Gefühle, Gedanken. Und die Wörter picken Einzelheiten aus dem Gebräu der Fremde und zimmern ein flüchtiges Zuhause. Und in der von Wörtern erfassten Räumlichkeit lasse ich mich kurz nieder. Das Tasten Staunen Benennen, dieser Versuch eines Buchstabierens von Wirklichkeit, ist ja letztlich gewiss aussichtslos, es ist ein trostloses Erhellen etwa so, wie wenn man in einem universumsweiten Kellerraum einen Kerzenstummel anzünden wollte; und so weit der Kerzenstummelschein reicht, entstünde 'Welt'. Dieses Lesen und Buchstabieren und das Nachdenken und Hinterherhängen ist ein zagendes Betreten, eine, wenn auch noch so minime, Pionierarbeit: nur nicht im versiegelten Waggon durch eine undurchdringliche Dunkelheit in den Tod reisen.
Und dann ist ja dieses Fischen nach etwas, dieses Schnappen nach Brocken, nach Worten, auch ein Selbsterfinden. Es ist gewissermassen auch ein Herumschwimmen im eigenen Teich, ein Schnappen nach sich selbst, damit man nicht ganz verschwinde im Ablauf der Tage und Jahre, der Zeit. <

die letzte passage des essays möchte ich nicht vorenthalten, weil sie zeigt, wie begnadet nizon als unhelvetischer, widerborstiger störenfried, kritiker und analytiker, als nestbeschmutzer und suppenspeier erscheint:

< ... ein System, das in überwältigender - man denkt: von schierer Lebensangst diktierter - Weise in Materialismus und Konservatismus ergraut; so sehr, dass man den Eindruck gewinnen kann, Stillstand und Immobilismus und ein entsprechendes Insichgekehrtsein seien Staatsmaxime; wo ein allgemeiner Wohlstand und eine relative soziale Gerechtigkeit bei einem auf Sparen und Nichtswagen bedachten Wertdenken eine hochgradige Verdrussstimmung erzeugen, weil der Schuftende nicht in den Genuss von Leben als einem Preis des Erschuftenden gelangt: die Materie darf nicht in Energie, etwa in Freude und Lustgewinn umgesetzt werden; statt dessen Absicherung noch und noch, bis das Ausklügeln weiterer vorwegzunehmender Gefahren sich zum baren Lebensverbot verkehrt; was wiederum mit vielerlei modischen Attributen wettgemacht wird, so dass man dem Verdacht verfällt, hier werde Leben, das anderswo (mutig bis blutig) stattfindet, als ein gewissermassen im Abonnement oder durch Vermittlung bezogenes Vorbild rein äusserlich nachgeahmt, nachgespielt; während das beherrschende Aktivum und wichtigste reale Interesse, das weltweit florierende Geschäft, diese echte Verbindung zur übrigen Menschheit, prüde verschwiegen und versteckt wird hinter der Fassade von Griesgram und Ehrbarkeit (und unter feierlicher Besinnung auf die alten Mythen und frühen Ruhmestaten): insgesamt ein Sachverhalt, der eine ans Schizoide grenzende Geistesverfassung und vor allem Frustration erzeugt und von aussen das Bild nicht nur der sprichwörtlichen Scheinheiligkeit, sondern darüberhinaus der Scheinlebendigkeit, ja einer irritierenden Irrealität erweckt: eines friedlichen Paradieses als gemütliches Vakuum...
So ähnlich sah ich es, als ich vor nunmehr zehn Jahren das Land verliess, von der Illusion erfüllt, ich gehöre als Auswanderer zur Kategorie der Goldsucher. <

dem vergleich mit seinen brillanten texten hält hingegen die prosa in "hund. beichte am mittag" (1998) nicht stand. zu routiniert geschrieben, zuwenig sprachlich ausgereift, zu forciert aufzählerisch erscheint sie mir. ich vermisse über weite strecken nizons poetische kraft, das geschehen vom banalen ins besondere zu heben und die atmosfäre reichhaltig zu verlebendigen und zu würzen. den begrüssenswerten ansprüchen an seine sprachkunst wird der autor hier selbst nur zeitweilig gerecht, im ganzen erscheint mir das buch etwas lustlos geschrieben und kaum sprachlich verdichtet.

< Mein Hund war gross und stattlich und hatte eine herrliche Rute. Ich mochte es, wenn er rennend ganze Felder in Wallung brachte. Und wenn er nur so dastand, witternd. Spät nachts, nachdem er die längste Zeit des Tages mit Warten zugebracht hatte, verfrachtete ich ihn in meinen Wagen, wir fuhren hinaus vor die Stadt. Ich liess ihn laufen, sah, wie er eine Spur aufnahm und loslegte. Dann sah ich nichts mehr von ihm. Ich sah das wogende Gras oder Getreidefeld, erriet die Richtungen, den Zickzack seiner rasenden Expeditionen. Manchmal pfiff ich ihn heran, manchmal kam er. Er konnte die verkörperte Leidenschaft, unbändig, ungebärdig, er konnte zutraulich, mutwillig, bockig, er konnte geduldig, er konnte sogar diskret sein. Er rannte seiner Spur oder seinen Phantomen hinterher, ich hing meinen Gedanken nach auf diesen nächtlichen Ausflügen, auf welchen wir einander freien Lauf und in Frieden liessen. >

dass der hund die felder in wallung bringt - gut. ein einprägsames bild. in dieser passage die einzige stimulierende wendung. nach witterung, nach raserei, nach freiem lauf klingt aber nichts mehr. die dinge werden hier bloss aufgezählt, aneinadergereiht, mehr oder weniger bloss behauptet. dichterische gestaltung ist des weitern nicht auszumachen. es ist nizon fast schon zugutezuhalten, dass er das manko nicht mit kümmerlichen versuchen, pseudopoetischem kitsch kompensiert, wie es viele andere zu tun pflegen. es gibt ein gesichertes niveau, das er nicht unterschreitet. trotz allem bleibt die erzählung lebendig und unterhaltsam, die sprachliche kost nach hausmannsart immer noch verträglich. aber, um aufs obige zitat zurückzukommen: das zweite präsenspartizip, witternd, steht schon etwas einfallslos da und merkwürdig stumpf. der folgende nachdem-rattenschwanz wirkt ungelenk, die wiederholung des wortes sah nicht überzeugend, ebensowenig die 'verkörperte leidenschaft' und die darauffolgende aufzählung, die gerade das leidenschaftliche in nizons sprache vermissen lässt. hier nur stiere aneinanderreihung. wer wortmagie sucht, wickle sie selber drum.
durchzogen der eindruck in der folgenden passage:

< Ich dachte an das Ende einer anderen Beziehung, die mit den Fanfarenstössen der Liebe begonnen hatte und auf einer Autofahrt quer durch die Vereinigten Staaten zu Grabe gekarrt worden war. Und wie ich im Wagen angesichts der draussen abrollenden grossartigen Landschaften mit den hochgetürmten Wolkengebilden - für uns Wegwerflandschaften -, wie ich das Fahren und vor allem die Einsilbigkeit unserer Unterhaltung wie Folterung und den nur zu manifesten Liebesentzug, in dem latenter Hass mitschwingen mochte, wie brüllendes Wundweh empfand. Und wie wir in den Motels die Türen der wechselnden, doch kaum unterscheidbaren Apartments aufstiessen und das aus Filmen bekannte Mobiliar in den schrecklichen Candy-Farben: Bett Stuhl Tisch Fernsehgerät Eismaschine Teekessel Dusche, mit dem leichten Schmutzfilm über allem, wie einen Schlag ins Gesicht hinnahmen; wie ich mich da hineinduckte, um der während des Fahrens ins Gigantische angewachsenen wortlosen Feindschaft auszuweichen, und wie ich unter dem winzigen Rest kalter Höflichkeit, wie ich unter der Berührungsangst litt und gleich den Fernseher anmachte und nach einem Boxkampf suchte und mich in das Geschehen auf dem Bildschirm versenkte, mich in eine strikte Abwendung kugelte, die Ohren, die Poren zumachte und schliesslich nach der Flasche griff. Ich soff mich müde in dem Eisschrank unserer Lieblosigkeit. >

eine beziehung beginnt 'mit den fanfarenstössen der liebe' - klischee. dass sie 'zu grabe gekarrt' wird: ein schmunzeln wert, gelungene wendung. 'angesichts der draussen abrollenden grossartigen landschaften' - was soll man davon halten? der grossartigkeit der landschaften widerspricht der ganze, umständlich und lustlos formulierte satz. der 'manifeste liebesentzug' - bei allem respekt, das ist doch technokratenkonserve! so mag ein paarterapeut reden, aber doch nicht ein sprachkünstler. das fahren und die einsilbigkeit und die unterhaltung und die folterung und das brüllende wundweh - reine aufzählung, substantivkaskade ohne anschaulichkeit. brüllendes wundweh? ein missgriff. keine wunde brüllt. auch nicht ein weh an sich. 'um der während des fahrens ins gigantische angewachsenen wortlosen feindschaft auszuweichen': weshalb spürt der kerl nicht das unmögliche, unsäglich technokratische solcher konstruktionen, wenn er doch auch sätze, seiten, kapitel schreiben kann, die wie labsal durch die leserseele fliessen? und erst wars ein latenter hass, dann ists plötzlich doch eine ins gigantische angewachsene wortlose feindschaft. sich in strikte abwendung kugeln - ja, das gefällt mir. und dass man die poren auch gleich noch zumachen kann. stimmige, eingängige bilder. und dann schlägt er mit dem eisschrank der lieblosigkeit alles wieder kaputt.
gewiss, eine ausgesucht schlechte passage. man käme nicht auf nizons urheberschaft, denkt man an seine besten texte, niemals. 'hund' gehört bestimmt nicht dazu. der amüsante, geistreiche, hintergründige plot verliert übers ganze gesehen an kraft und substanz, weil die sprache ihn über weite teile nicht ebenbürtig zu tragen vermag.

ein interessanter, künstlerisch ambitionierter autor mit sinn für poesie und analytische schärfe. trotz unübersehbaren unzulänglichkeiten ein lichtblick im trüben alltag der literatur.

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