schandfleck.ch_textkritik/2007/märz |
daniel
costantino
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paul nizon |
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gäbe es ihn nicht, man stünde da ohne gefährte in der wüstenlandschaft griesgrämiger ehrbarkeit, in schotterhaftem, windstillem, antierotischem geistigen ambiente alleine, irritiert von der stacksigen, zurechtgeschminkten scheinlebendigkeit um einen her, und was man vom menschen erhascht, devisen, parolen, amorfe sentenzen, plötzliche, grelle, flugs verschwindende fetzen, lässt einen befremdet und ratlos zurück. ernst ist das leben,
heiter die kunst. - was erwartet man
von einem schriftsteller, wenn man seine frühe prosa als arrogant,
verleumderisch, unsolidarisch abqualifiziert? die feine dichterelite
jedenfalls ging in den sechzigerjahren bald auf distanz zum jungen spund,
kaum hatte der sein zweites buch veröffentlicht. ein wortrabauke,
nestbeschmutzer, satansbraten! man könnte ihm aus heutiger sicht,
bei vorliegen des gesamtwerks des 77-jährigen, anlasten, dass er
sich im kreise dreht, an immer dieselben wände stösst, unaufhörlich
und manisch raum sucht und flucht aus der enge, dass er sich darin weder
bessert noch eigentlich entwickelt. aber er bleibt trotzdem interessant,
erfinderisch darin, quicklebendig. und welcher andre wälzte schon
nicht immer wieder denselben stoff, der ihn nun einmal umtreibt, prägt,
beschäftigt und sättigt, wer schriebe nicht imgrunde, soviele
bände er zustandebrächte, eigentlich doch am einen, selben
buch? > Zu Hause
ging ich auf Arbeitssuche. Sass in Büros, half Polizeirekruten
bei einer Verkehrszählung, füllte in einem Reisebüro
Fahrzeugpässe aus, nach vielen Ländern der Erde. Schliesslich
ging ich Zeitungen austragen. die passage des jungen nizon ('die gleitenden plätze') verrät deutlich das bestreben auszubrechen, sich zu erfinden, zu berauschen. stilistisch wird der effekt erreicht mit assoziativen elementen, rytmisierungen, steigerungen. < Ich fühlte mich unendlich lastlos, besitz- und gewichtslos, nichts und niemand, bereit zur Bestimmung, bereit. < fantasiereichtum
und fabuliergabe kommen hinzu. was nicht gefallen kann, die überfrachtung
mit den wenn-sätzen auf engstem raume, im letzten satz finde ich
es zuviel, hier hätte eine andere wendung besser gepasst, den sprachlichen
raum offengelassen, die lebendigkeit der passage auch stilistisch unterstrichen.
< In der Trambahn
später, am Ledergriff schwankend, geniesst er die Berührung
der anderen durch Mäntel und Jacken hindurch: das Nahesein all
diesen wahllos zusammengepferchten, gemeinsam gerüttelten Gestalten
in der Enge des schütternden Wagens. Was soll er anfangen mit seiner
neuen Erkenntnis? Es treibt ihn durch die Viertel. das bild des am ledergriff schwankenden, die gemeinsam gerüttelten gestalten im schütternden wagen, auf die Gasse vorstossende kneipen, an ketten und vertäuungen zerrende schiffe und boote - das gefällt mir ausnehmend gut. hochform bildnerischer gestaltung. man beachte den gelungenen stabreim: schilder, schlagende türe und gestank; schwankt und schwärmt heimzu; 'zerrend an den ketten' gehört auch noch dazu, obzwar mir das präsenspartizip als zu gesucht, als unschöner brauch missfällt. das nahesein 'all diesen gestalten' - ebenfalls schwach, substantivbildungen mit -sein haben mich nie überzeugt, der dativzusatz hier gefällt mir schon gar nicht: gespreizt. die passage ist typisch für alles, was ich an nizon schätze, sie hat unbestreitbar schmiss, sog, musikalität. aber es gibt immer wieder gewisse unzulänglichkeiten zu beklagen, die mich davon abhalten, ihn zu überschätzen. trotzdem reihe ich ihn, natürlich auch faute du mieux, in die vordere reihe zeitgenössischer autoren ein. seine vitale, melodische, rytmische sprache, die poetische kraft, sein flair für fantasievolle eingebungen und prägnante anschaulichkeit suchen weitherum ihresgleichen. eine letzte passage aus den 'gleitenden plätzen' ( 1959) möge das gesagte unterstreichen: < Neu fühlt er die Strasse. Er spürt sie leibhaft unter sich als braune, schwer gleitende, runzelige Haut, die von den Häusern der einen Seite hinüberreicht über Fahrbahn und Trottoir und drüben an den Fronten der Gegenseite wieder hinauf und darüber hinweg, Kämme, Zacken, Kamine werfend, Schründe schürfend, in Kuppeln sich wölbend und Buckel und Höcker und Hügel treibend und weit draussen unterkriechend unter weichem Gras. < ohne plot auskommen heisst soviel wie mit dem leben in erster instanz verhandeln. temenlos im übrigen. suchen, entdecken, kreieren. 1988, in 'verweigerers steckbrief', einem essay über sich selbst und das schreiben und den gesellschaftlichen rahmen, in dem ein autor seines schlags sich wiederfindet, schreibt nizon: < Nach Wörtern
schnappen, Wörter für Eindrücke, Sinnesmeldungen, ausgelöste
Gefühle, Gedanken. Und die Wörter picken Einzelheiten aus
dem Gebräu der Fremde und zimmern ein flüchtiges Zuhause.
Und in der von Wörtern erfassten Räumlichkeit lasse ich mich
kurz nieder. Das Tasten Staunen Benennen, dieser Versuch eines Buchstabierens
von Wirklichkeit, ist ja letztlich gewiss aussichtslos, es ist ein trostloses
Erhellen etwa so, wie wenn man in einem universumsweiten Kellerraum
einen Kerzenstummel anzünden wollte; und so weit der Kerzenstummelschein
reicht, entstünde 'Welt'. Dieses Lesen und Buchstabieren und das
Nachdenken und Hinterherhängen ist ein zagendes Betreten, eine,
wenn auch noch so minime, Pionierarbeit: nur nicht im versiegelten Waggon
durch eine undurchdringliche Dunkelheit in den Tod reisen. die letzte passage des essays möchte ich nicht vorenthalten, weil sie zeigt, wie begnadet nizon als unhelvetischer, widerborstiger störenfried, kritiker und analytiker, als nestbeschmutzer und suppenspeier erscheint: < ... ein
System, das in überwältigender - man denkt: von schierer Lebensangst
diktierter - Weise in Materialismus und Konservatismus ergraut; so sehr,
dass man den Eindruck gewinnen kann, Stillstand und Immobilismus und
ein entsprechendes Insichgekehrtsein seien Staatsmaxime; wo ein allgemeiner
Wohlstand und eine relative soziale Gerechtigkeit bei einem auf Sparen
und Nichtswagen bedachten Wertdenken eine hochgradige Verdrussstimmung
erzeugen, weil der Schuftende nicht in den Genuss von Leben als einem
Preis des Erschuftenden gelangt: die Materie darf nicht in Energie,
etwa in Freude und Lustgewinn umgesetzt werden; statt dessen Absicherung
noch und noch, bis das Ausklügeln weiterer vorwegzunehmender Gefahren
sich zum baren Lebensverbot verkehrt; was wiederum mit vielerlei modischen
Attributen wettgemacht wird, so dass man dem Verdacht verfällt,
hier werde Leben, das anderswo (mutig bis blutig) stattfindet, als ein
gewissermassen im Abonnement oder durch Vermittlung bezogenes Vorbild
rein äusserlich nachgeahmt, nachgespielt; während das beherrschende
Aktivum und wichtigste reale Interesse, das weltweit florierende Geschäft,
diese echte Verbindung zur übrigen Menschheit, prüde verschwiegen
und versteckt wird hinter der Fassade von Griesgram und Ehrbarkeit (und
unter feierlicher Besinnung auf die alten Mythen und frühen Ruhmestaten):
insgesamt ein Sachverhalt, der eine ans Schizoide grenzende Geistesverfassung
und vor allem Frustration erzeugt und von aussen das Bild nicht nur
der sprichwörtlichen Scheinheiligkeit, sondern darüberhinaus
der Scheinlebendigkeit, ja einer irritierenden Irrealität erweckt:
eines friedlichen Paradieses als gemütliches Vakuum... dem vergleich mit seinen brillanten texten hält hingegen die prosa in "hund. beichte am mittag" (1998) nicht stand. zu routiniert geschrieben, zuwenig sprachlich ausgereift, zu forciert aufzählerisch erscheint sie mir. ich vermisse über weite strecken nizons poetische kraft, das geschehen vom banalen ins besondere zu heben und die atmosfäre reichhaltig zu verlebendigen und zu würzen. den begrüssenswerten ansprüchen an seine sprachkunst wird der autor hier selbst nur zeitweilig gerecht, im ganzen erscheint mir das buch etwas lustlos geschrieben und kaum sprachlich verdichtet. < Mein Hund war gross und stattlich und hatte eine herrliche Rute. Ich mochte es, wenn er rennend ganze Felder in Wallung brachte. Und wenn er nur so dastand, witternd. Spät nachts, nachdem er die längste Zeit des Tages mit Warten zugebracht hatte, verfrachtete ich ihn in meinen Wagen, wir fuhren hinaus vor die Stadt. Ich liess ihn laufen, sah, wie er eine Spur aufnahm und loslegte. Dann sah ich nichts mehr von ihm. Ich sah das wogende Gras oder Getreidefeld, erriet die Richtungen, den Zickzack seiner rasenden Expeditionen. Manchmal pfiff ich ihn heran, manchmal kam er. Er konnte die verkörperte Leidenschaft, unbändig, ungebärdig, er konnte zutraulich, mutwillig, bockig, er konnte geduldig, er konnte sogar diskret sein. Er rannte seiner Spur oder seinen Phantomen hinterher, ich hing meinen Gedanken nach auf diesen nächtlichen Ausflügen, auf welchen wir einander freien Lauf und in Frieden liessen. > dass der hund die
felder in wallung bringt - gut. ein einprägsames bild. in dieser
passage die einzige stimulierende wendung. nach witterung, nach raserei,
nach freiem lauf klingt aber nichts mehr. die dinge werden hier bloss
aufgezählt, aneinadergereiht, mehr oder weniger bloss behauptet.
dichterische gestaltung ist des weitern nicht auszumachen. es ist nizon
fast schon zugutezuhalten, dass er das manko nicht mit kümmerlichen
versuchen, pseudopoetischem kitsch kompensiert, wie es viele andere
zu tun pflegen. es gibt ein gesichertes niveau, das er nicht unterschreitet.
trotz allem bleibt die erzählung lebendig und unterhaltsam, die
sprachliche kost nach hausmannsart immer noch verträglich. aber,
um aufs obige zitat zurückzukommen: das zweite präsenspartizip,
witternd, steht schon etwas einfallslos da und merkwürdig stumpf.
der folgende nachdem-rattenschwanz wirkt ungelenk, die wiederholung
des wortes sah nicht überzeugend, ebensowenig die 'verkörperte
leidenschaft' und die darauffolgende aufzählung, die gerade das
leidenschaftliche in nizons sprache vermissen lässt. hier nur stiere
aneinanderreihung. wer wortmagie sucht, wickle sie selber drum. < Ich dachte an das Ende einer anderen Beziehung, die mit den Fanfarenstössen der Liebe begonnen hatte und auf einer Autofahrt quer durch die Vereinigten Staaten zu Grabe gekarrt worden war. Und wie ich im Wagen angesichts der draussen abrollenden grossartigen Landschaften mit den hochgetürmten Wolkengebilden - für uns Wegwerflandschaften -, wie ich das Fahren und vor allem die Einsilbigkeit unserer Unterhaltung wie Folterung und den nur zu manifesten Liebesentzug, in dem latenter Hass mitschwingen mochte, wie brüllendes Wundweh empfand. Und wie wir in den Motels die Türen der wechselnden, doch kaum unterscheidbaren Apartments aufstiessen und das aus Filmen bekannte Mobiliar in den schrecklichen Candy-Farben: Bett Stuhl Tisch Fernsehgerät Eismaschine Teekessel Dusche, mit dem leichten Schmutzfilm über allem, wie einen Schlag ins Gesicht hinnahmen; wie ich mich da hineinduckte, um der während des Fahrens ins Gigantische angewachsenen wortlosen Feindschaft auszuweichen, und wie ich unter dem winzigen Rest kalter Höflichkeit, wie ich unter der Berührungsangst litt und gleich den Fernseher anmachte und nach einem Boxkampf suchte und mich in das Geschehen auf dem Bildschirm versenkte, mich in eine strikte Abwendung kugelte, die Ohren, die Poren zumachte und schliesslich nach der Flasche griff. Ich soff mich müde in dem Eisschrank unserer Lieblosigkeit. > eine beziehung beginnt
'mit den fanfarenstössen der liebe' - klischee. dass sie 'zu grabe
gekarrt' wird: ein schmunzeln wert, gelungene wendung. 'angesichts der
draussen abrollenden grossartigen landschaften' - was soll man davon
halten? der grossartigkeit der landschaften widerspricht der ganze,
umständlich und lustlos formulierte satz. der 'manifeste liebesentzug'
- bei allem respekt, das ist doch technokratenkonserve! so mag ein paarterapeut
reden, aber doch nicht ein sprachkünstler. das fahren und die einsilbigkeit
und die unterhaltung und die folterung und das brüllende wundweh
- reine aufzählung, substantivkaskade ohne anschaulichkeit. brüllendes
wundweh? ein missgriff. keine wunde brüllt. auch nicht ein weh
an sich. 'um der während des fahrens ins gigantische angewachsenen
wortlosen feindschaft auszuweichen': weshalb spürt der kerl nicht
das unmögliche, unsäglich technokratische solcher konstruktionen,
wenn er doch auch sätze, seiten, kapitel schreiben kann, die wie
labsal durch die leserseele fliessen? und erst wars ein latenter hass,
dann ists plötzlich doch eine ins gigantische angewachsene wortlose
feindschaft. sich in strikte abwendung kugeln - ja, das gefällt
mir. und dass man die poren auch gleich noch zumachen kann. stimmige,
eingängige bilder. und dann schlägt er mit dem eisschrank
der lieblosigkeit alles wieder kaputt. ein interessanter,
künstlerisch ambitionierter autor mit sinn für poesie und
analytische schärfe. trotz unübersehbaren unzulänglichkeiten
ein lichtblick im trüben alltag der literatur. |
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