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schandfleck.ch_textkritik/2006/mai
david manuel kern
Singer, Roth und der große Irrtum

 

Man sollte nicht die falsche Literatur zur Hand nehmen. Sie führt zu Übelkeit und allgemeiner Schwermut. Sie lässt die letzte Hoffnung an die Menschen, die bereits durch etliche politische Wahlen rund um die Welt schwer angeschlagen zu hinken verurteilt ist, sterben und ein Weiterleben sinnlos erscheinen. Denn wenn die Religion ins Spiel kommt, eine Religion, die überall und zu jeder Zeit ihre Macht tadellos unter Beweis zu stellen weiß, hat die Vernunft in der Regel klein beizugeben. Und doch regt sich in mir das Gefühl, ebendies nicht zu tun, sondern zu kämpfen, zu überzeugen, mit schweißüberströmtem Antlitz ein gewisses Bewusstsein zur Einsicht zu bringen. So dass der große Irrtum der Religion schließlich hinausgejagt wird in die Weite der Narrheit, die das Menschengeschlecht in Vergeblichkeit zu erreichen vermag. Die große Aufklärung begann vor rund vierhundert Jahren und bis zu diesem Tage hat sie die wenigsten erreicht. Das Erbe war und ist schwer zu tragen. Ein paar Kopfmenschen schleppen die Ideen der grandiosen und heiligen Denker der vergangenen Zeit mit sich, um dem Volk die notwendige Erziehung zu ermöglichen. Es ist eine Aufgabe mit jeglichen nur denkbaren Hindernissen und es ist die weitreichendste Verantwortung, die in dieser Welt zu tragen ist. Das größte Hindernis ist die Religion. Und solange Religionen aus allen Denkungs- und Kulturarten mit ihren jeweiligen Organisationen und Institutionen zu regieren imstande sind, wird ein Leben in Freiheit und wahrer Brüderlichkeit nicht möglich sein.
Der Anstoß für diese meine Erregung folgt aus der Lektüre des Romans Der Zauberer von Lublin von Isaac B. Singer, sowie aus vereinzelten, größtenteils bereits notierten, aus meinem schäbigen Langzeitgedächtnis hervorgekramten Überlegungen zu Joseph Roths Roman Hiob. In beiden Romanen, wenn dieser Hoheitstitel denn tatsächlich gerechtfertigt ist, erreicht den Leser die Gefahr einer Verharmlosung und bewussten Einschränkung der sinnlichen Religiosität. In beiden Romanen ist der Glaube an Gott zu einer bestimmten vorübergehenden Zeit angezweifelt, um dann zu Ende der Lektüren die Existenz des Herrn und mit ihr die Hoffnung, das Gute und die Erbaulichkeit als Wahrhaftigkeit zu schildern. Erst durch die Liebe eines Gottes wird die Liebe zum eigenen Leben legitimiert. Und das führt zu einem Reaktionismus, der weitreichende, immer wieder in traurige Erkenntlichkeit wiegende Konsequenzen mit sich führt, die zu erwähnen jede Zeile zu sprengen vermag.

Davon abgesehen (wenn dies denn möglich ist) erweist sich keines der beiden Dichtungen als wertvolle Literatur. Die stets von Neuem Anklang findende Naivität der Sprache lässt den Leser schon nach einigen Seiten in einen tiefen Seufzer versetzen und eine Poesie wurde scheinbar schon von Vornherein von den beiden Autoren ausgeschlossen.
Was jeweils von den beiden Büchern bleibt ist die maßlose Enttäuschung und ein paar lose Sätze und Gedanken, die man schon in mächtigerer Fertigkeit aus Werken vor dieser Zeit leichtfertig zu erkennen weiß.

Costantinos Aufsatz zu Roths Hiob und seine lobende Kritik dem Werk entgegen strotzt selbst von ansehnlicher Dichtung, so dass Roths kleiner Roman wie von selbst in den Hintergrund rückt. Möglicherweise liegt hier vor, was ich einen Veriss im Unbewussten nenne...

 

schandfleck.ch_textkritik/2006/mai
daniel costantino

replik zur kurzen nachbemerkung david kerns

 

es geht um das wie und nicht um das was

david kerns kritik an der religion ist nur zuzustimmen. ich denke, ich habe selbst meinen teil beigetragen zum unternehmen, sie zu denunzieren. man lese in den diversen spalten dieses magazins.
es bleibt die frage, ob man roths roman verurteilen sollte, weil er eine religiöse familie darstellt, einen biblischen stoff zum inhalt hat. ob man bach deshalb geringschätzen muss, weil er ein religiöser komponist gewesen, lauter messen und kantaten geschrieben, sein leben lang. ob man mit händel und haydn ähnlich verfahren, nicht gar beethoven und mozart wegen ihrer nähe zum hofe ablehnen sollte, kein divertimento für die höhern zirkel, kein sponsoring eines fürstlichen namens durchgehen lassen sollte. denn gerade die fürsten haben den christlichen namen immer am höchsten gehalten, sind immer stellvertreter gottes auf erden gewesen. von der undemokratischen gesinnung mal abgesehen. nieder mit der oper? messiaen streichen, stockhausen ignorieren, zu religiöse temen?
man kann das tun, es sei jedem unbelassen, sich mit dem zu beschäftigen, was er für richtig hält. meine literaturkritik richtet sich nicht nach der dargestellten weltanschauung. ein kunstwerk muss andere kriterien erfüllen. ich habe davon in meinem beitrag zu roth geschrieben und dem nichts beizufügen. ich bleibe dabei, dass joseph roth in 'hiob' glänzende literatur geschrieben hat, dass er eine hochsensible feder führt, dass es sich hier um einen höhepunkt deutscher sprache handelt.

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