schandfleck.ch_textkritik/2007/august |
daniel
costantino
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Mondesaufgang |
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Helmut Heissenbüttel Schlager antik (nach 1950) der göldnen
Sternen Reihungen erbleichen finden sich arnims beiträge zur deutschen lyrik und ähnlich geartete ergüsse seiner kollegen zu hunderttausenden im internet, mindernet, so fehlt ein solch kluges vögelein leider indes. mit diesem beitrag sei ihm ein erstes kleines, feines nest gebaut. google wirds bald weisen, ob es flügge werden will und von dannen ziehen in die weite welt. "Eingewickelt
in Maschen aus Meinung und Sprichwörtern und all solch Nachschleifendem.
All dies Nachschleifende hinter mir herschleifend. Wenn ich mich rühre,
wird immer alles mitberührt ... Verheddert sich. Zieht sich stramm.
Spannt reißt schleift hängt. Ich halte mich still und es
bewegt sich alles durch mich hindurch." "Ich rede wenn ich rede in einer Sprache die meiner Rede fremd ist. Meiner Rede ist die Sprache in der ich rede uneigentlich. Redend in der Sprache die der Rede fremd geworden ist wird diese Sprache anders." und den gar zahlreichen nachkommen von arnims und sonstigen kirchenlichtern sei gesagt, was schon vor 200 jahren galt: wohlfeile sprache verdirbt am schnellsten. vorallem den charakter. August Stramm Mondschein (1914) Bleich und müde
ein wagemutiger umgang mit sprache, sehr originell und gewitzt, den mann wollte man seinerzeit solcher gedichte wegen in psychiatrische obhut geben, so aussergewöhnlich gestört erschien der familie und freunden die sache. möglicherweise ein lohnendes experiment, sich vorzustellen, wie es stünde mit uns und unserer bildung, würden wir nicht mit sattsam bekannter fastfoodromantik gestopft, sobald unser poetischer appetit nach stillung verlangt. würden nicht kistengeflacker und sitcomgebrunz früh unsre defizitären gefühlsstrukturen ruinieren, überspülten nicht schlick und schlacke des sprachlichen mainstreams unser geistiges gut. was, hätte die sprache stramms, mehr noch seine experimentierfreude sich wohltuend und innovativ ein wenig in unserm alltag durchgesetzt? Albert Ehrenstein Ausgesetzt (um 1920) Der Mond bespuckt ein provokatives, blasfemisches, apokalyptisches gedicht. nichts seichtes mehr in den alten motiven, dümmliches, barmseliges fleucht durch die zeilen. da wird, mit nicht wenig spott, ein abgesang aufs abendland geboten, entblösste idylle, zersetzt, bespuckt, ein bruch nicht nur mit den traditionen riskiert, da wird ihr inhalt auf den kopf gestellt. das gedicht zeigt mit kräftigen bildern und starker symbolik degenerationserscheinungen einer zerstörerischen, schizoiden menschheit. ich erblicke darin, wie im mir leider bis heute nur bruchstückhaft und auszugsweise zugänglichen werk ehrensteins, die satte entsprechung der hauptsächlich von nietzsche geprägten analyse einer durch skrupellose ausbeutung geförderten sklavenmoral, aufgedeckt am beispiel der verabsolutierung christlicher werte. die groteske parodie des mondes, ebenso versiechend der jüngling als verachteter, entwürdigter mensch schlechthin, das dümmliche, eitle frühlingsmädchen - ideologiekritik noch verwoben in diese doch im ganzen traurige szenerie, mit dem deprimierenden ende schluchzender kinder, überbleibsel des fanatischen kriegs. es kommt vieles zusammen in den äusserst dichten, krassen bildern, widerspiegelung verzweifelter, an der oberfläche aber auch höhnischer stimmung, gelungene analogie zum gesellschaftlichen schnack, wie modische schminke übers grauen getuscht, illustrierung des satzes: 'kein schrei weckt dies konservativ blökende schafvolk', der andernorts vom dichter überliefert. nun also, es gibt doch andres noch als die eitle, fromme, mondanbeterische massenware zum tema. man lese noch einmal arnims verquatschtes stück. und wers jetzt nicht glaubt, was da betrieben, sei und bleibe ein ignorant. Heinrich Heine Dämmernd liegt der Sommerabend (1826) Dämmernd
liegt der Sommerabend An dem Bache
zirpt die Grille, Dorten an dem
Bach alleine, schwankend mein
urteil über heines gedichte im ganzen; vertont von romantischen
meistern, verbreiten sie zuweilen eine grosse atmosfäre, doch da
herrscht die musik über den text, überblendet manch epigonale,
beim blossen lesen einfältig wirkende passage (robert schumann:
'du bist wie eine blume'). ich denke schon, dass man dichtersprache
nüchternen geistes und ohne zutun von beschallung am kargen tische
beurteilen soll, denn so ist sie ja meist auch entstanden. und da gelten
strenge gesetze, die spreu vom weizen, hausmannskost von der delikatesse
zu trennen. Annette von Droste-Hülshoff Mondesaufgang (1844) An des Balkones
Gitter lehnte ich Hoch stand ich,
neben mir der Linden Kamm, Das Dunkel stieg,
die Schatten drangen ein - Und Zweige zischelten
an meinem Fuß Da auf die Wellen
sank ein Silberflor, O Mond, du bist
mir wie ein später Freund, kein erstrangiges gedicht. An des Balkones
Gitter lehnte ich mit leisem dehnen verschimmernder see - ein wahrhaft poetisches, ganz subtiles, ausgesprochen gutes und schönes bild. weiteres in dieser ersten strofe kann aber nicht entzücken: den ersten zwei zeilen eignet noch nichts, was man gut oder schlecht finden könnte, der vergleich des eiskristalls aber mit der halle des firmaments haut schon daneben, was einen kristall mit einer halle verbände, leuchtet mir nun garnicht ein, es sei denn, der reim. wie kann etwas zerschmolzen schwimmendes eine halle sein? zu trübem kristalle zerschmelzende halle, das wär vielleicht was gewesen. das schöne bild der fünften zeile finde ich etwas getrübt durch die gar einfältigen wolkentränen, zu plakativ drangeklebt, zu griffbereit paratgelegen, wohl wieder eine konzession an den reim, der von der siebten zur achten zeile sogar ein wenig holpert, organischerweise kann 'um mich' nicht so betont sein, wie das versmass es erforderte. ich frage mich hier bereits, ob ich mir tatsächlich in der droste die vielgelobte 'grösste deutsche dichterin' vorstellen kann. ohne die deutsche dichtung insgesamt zu überschätzen, wohlverstanden. Hoch stand ich,
neben mir der Linden Kamm, der anfang zu sachlich, beliebig aufzählerisch, um poetisch, anlass zu einem gedicht zu sein. die zweite zeile absolut pennälerhaft. dass nachtfalter summen, wissen wir alle, und sehen ist nun auch nicht gerade ein apartes verb. eine einprägsame, dichterische fünfte zeile wieder, aber sie bleibt auch in dieser strofe singulär. die plötzliche heranziehung eines herzens (wessen? eines geisterherzens? eines geisterherzens!), die substantive glück und leid, womit es wie mit gekräuseltem firlefanz umwickelt, und die knall auf fall hingedreschte selige vergangenheit - nee, gut ist das nicht. Das Dunkel stieg,
die Schatten drangen ein - die letzte zeile sei als gelungen akzeptiert! bisschen wehleidig aber die zweite. allzu frommes sensibelchen. die schatten dringen ein wie sündige gedanken, ja, das gefällt mir, überaus gelungen. es fällt mir aber auf, dass wenig atmosfärisches sich im gedicht entfaltet, kein spiel der sinne, kein ernstzunehmender stimmungszusammenhang, heine grüsst aus der zukunft zurück. auch wenn einzelne bilder einprägsam sind, wiederum auch die fünfte zeile, nebst der dritten und der letzten, knickt die sache künstlerisch doch immer wieder ein, entblössen billige reize, strapazierte reime, der insgesamt vorherrschende prosaische duktus die droste als talentierte dilettantin, die ein paar guter metafern fähig, aber nicht der komposition eines guten gedichts. Und Zweige zischelten
an meinem Fuß völlig missglückte strofe. sie ist unter strengen gesichtspunkten indiskutabel. ein warnungsflüstern! vielleicht brauchbar in einer militärischen nachtübung. und wie sehr gleicht ein solches doch dem todesgruss, nicht wahr? die adverbien etwas inflationär gesetzt. die wendung 'rechnung geben' passt auch nicht recht in ein romantisches gedicht. passt einfach nicht hierher. das volksgemurmel vor dem tribunale, herrliche idee, ist durch den schaden gleich weggeblasen. zu rührselig, vorallem auch nach diesem buchhalterischen ausdruck, das zagend dastehende verlorne leben und, ach, ebenso stehend ein verkümmert herz, allein! die letzte zeile vollends grundstufenniveau. und kein kritischer kommentar im internet zu solcher verseschmiederei. alles muss meinereiner selber machen. (als stehe mein verkümmert herz allein!) ich denke, den rest
kann man sich zur analyse sparen. herausragend noch das fromme licht,
der alpen finstre stirnen, blinkende tropfen, tropfende kämmerlein,
und, wer hätts nicht ahnen können, der heimatlampe schein,
lampenscheinmat hain, ei ei! Johann Wolfgang von Goethe An den Mond (1789) Füllest
wieder Busch und Tal Jeden Nachklang
fühlt mein Herz Fließe,
fließe, lieber Fluß! Ich besaß
es doch einmal Rausche, Fluß,
das Tal entlang, Selig, wer sich
vor der Welt Was, von Menschen
nicht gewußt dann rufen wir doch
gleich hervor den alten meister! Füllest
wieder Busch und Tal ein stümper, dem die erste zeile geglückt, suchte nach effektvollem reime für tal, er fände wohl eines wie wahl, qual, saal und schmiedete drauflos, er tippte auf tanz für glanz, stolperte gewiss beim lexikalischen check-in über ganz, wüsste sich aber keinen echten - reim darauf zu machen. womöglich hielte er das wörtchen ganz für zu magere kost, den pötischen appetit seiner leser zu stillen. er reimte dieserart: An des Balkones
Gitter lehnte ich was sagte ich über
den zusammenhang vom kristalle mit einer halle? nicht nur im gegensatz
zu goethes auftakt wirkt drostes anfang hölzern und wacklig wie
ein baugerüst. die spontane empfindung eines aufnahmefähigen
lesers, er möge zwanzigmal ein laie sein, wird ihn nicht getäuscht
haben. man muss nicht wissen, wies gemacht wird, man muss es beileibe
nicht selber können. der unterschied zwischen werkeln und gestalten
muss dem talentierten leser nicht akademisch bewusst sein, er hat trotzdem
die sensibilität, krach von musik und einen hausputz von harmonie
zu unterscheiden. Breitest über
mein Gefild und: Der See verschimmerte
mit leisem Dehnen, ergeben im gehalt einen unterschied wie zwischen einer grossen komposition und einem kommerzschlager, drostes gelobte zeile vom verschimmernden see hin oder her. lässt sich eindeutiger spüren jetzt, wie knitterig neben den zerflossnen perlen die wolkentränen sich ausmachen, wie geradezu kunstledern zum leisen elastischen dehnen? beflissne suche nach einem reimwort. krokodilstränen, geheuchelte betroffenheit! - indes hier Breitest über
mein Gefild die entfaltung eines
grossen gedankens zu erleben ist, der sich über alle zeilenenden
hinaus bewahrt und bewährt. wogegen drostes bemühungen um alliteration Und Zweige zischelten
an meinem Fuß wie hübscher
tand einen souvenirshop schmückt, der schon mit dem zweiten absatz
infolge unseriösen geschäftsgangs konkurs anmelden muss und,
mangels kreditwürdigkeit ohne nachschub, im dritten quartal die
tore schliesst. Jeden Nachklang
fühlt mein Herz denn hier ist der reim nicht ergebnis einer detektivischen fahndung, wonach erst der mörder (der reim) feststeht und dann motivsuche und beweisführung (zusammenhängender gedankenstrang) mühsam und unvollständig einsetzt (unter sturer ableugnung des mörders) - hier reimt sich ein gedanke auf den andern, reimt sich ein tiefschürfendes zwiegespräch. anders leider solche stellen: Und Blüten
taumelten wie halb entschlafen; die drei letzten zeilen von den reimelementen geradezu ausgehöhlt, wie das gesetz vom delinquenten. was dem stümper das alibi, ein wohlfeiler klingklang, ist dem kenner der verdacht. reim also ein mordendes, kriminelles element, das sowohl einem gedanken wie der poesie als ganzer den rest gibt. die verbindung zwischen entschlafen und dem hafen ist nicht die (kürzeste) zweier gedanken, sondern es gibt gar keinen gedanken, der vom wörtchen entschlafen zum hafen führt. glück und leid verkommen tatsächlich in diesem konstrukt zu einer auf brüchigen krücken stehenden floskel. infolge dieser vorgänge binnen zweier zeilen sind die bilder seliger vergangenheit nichts als erbärmliche almosen, die man der zerlumpten bettlerin poesie vor die füsse wirft. - Ernst Stadler Dämmerung in der Stadt (1911) Der Abend spricht
mit lindem Schmeichelwort die Gassen Nun hat das Dunkel
von den Fenstern allen Glanz gerissen, In späten
Himmel tauchen Türme zart und ohne Schwere, der unverwechselbare duktus, die sprachmelodie und die fosforeszierende stimmung dieses gedichts weisen ernst stadler als grossen lyriker aus. immense vorstellungskraft, traumhaftes sinnenspiel, berückender wohlklang. diese strofen atmen, schweben, schimmern. sie sind von einer untergründigen kraft durchtränkt, von geheimnis und gleichnis umwittert, von tiefen gefühlen durchströmt. keine abgegriffene metafer, kein ausgeleierter ton. ein stiller, nie zuvor erlebter, verklärender rausch, ganz persönliche, schöpferische, hochsensible komposition und ein vokabular, das in dieser besonderen prägung vorher noch nicht war. poesie entsteht aus dem noch nicht bekannten, nährt sich von ahnung, die sich zu einem gedanken, einem bilde formt und fügt. sie belebt, bereichert, erfrischt stimmungsvoll die sprache, die umso persönlicher, künstlerischer wirkt, je mehr diese erzeugung gelingt. wie die predigende, missionierende religion die selbstfindung des menschen, seine personelle identität und seinen integren gefühls- und gedankenhaushalt im keime erstickt, junges blut schon ab dem ersten tage anfixt und vergiftet mit gestrecktem, lebensgefährdendem gift, durch starre, fixe, autoritär eingehämmerte, einfürallemal feststehende dogmen verdirbt, mit frasen verwässert und floskeln zersetzt, so haben die allermeisten gedichte deutscher sprache die funktion eines rituellen gebetes, kniefälliger bestätigung und mild abgeschreckter verfestigung herrschender doktrin, einer dummachenden propaganda und wirken deshalb so häufig verkitscht und verbohrt, so unausstehlich verlogen und betrogen. ihr umweltbelastender ausstoss hat sich deshalb durchgesetzt, ihre impertinente drehleier missklingt daher in aller ohren und aus aller munde, weil sie der verbreitung des süsslichsten, verkümmertsten, verbohrtesten christenkitsches haargenau entspricht. |
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