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schandfleck.ch_textkritik/2006/juni
david manuel kern
 

Meine Literatur 2

Die Zeit vergeht, die Höhepunkte des Allgemeinen massieren sich um die Abgeschlafftheit zu vertuschen. Und ich lebe. Und denke an Schmidt und die größte Errungenschaft in der deutschen Nachkriegsliteratur. Bis zum jetzigen Zeitpunkt. Der weiter geht als ich und auszulachen weiß angesichts der Vorahnung, die wir zu wissen glauben. Und ich denke an Céline und seine endlose Reise in das Elend der Welt. Und alles in einem Zimmer, das nicht größer erscheint als ich und dessen Haut den Schutz bietet, der erforderlich ist in einem Zustand wie dieser. Die Sucht des Spielers Dostojewskij, die Angst des Wesens Handke. Wir sehen uns, einmalig im Zustand der Schwere. Und die Umformung meines Gesichtes im Schiedsgericht gegen den Tragöden Wilhelm Busch. Alles ist in der verlorenen Zeit, alles ist gestohlen. Aus den Köpfen geistiger Hochverräter und schwerfälligen Miemenakrobaten. Ich denke an Kundera und an die erklärte Schönheit des Menschen, das Nachdenken als das einzige Gut. Mein Anwesen, gebaut aus Worten des Sinns und Widersinns, der Wahrhaftigkeit und Sinnlosigkeit. Kafka als der Grund zum Leben, in Becketts ewiger Schuld stehen. Denken in die Vergangenheit als Zufluchtsort, als Geburtsstätte des Narren, verschollen ins hintere Ende meines Kopfes. Das Kopfschütteln bei Roth, die Verzweiflung bei Andersch. Der Existierende hat allen Grund verloren. Und man nimmt eines der Bücher in die Hand, eines der Unscheinbaren, erstarrt im Antlitz der Fürchterlichkeit, die einem in die Adern läuft, vernimmt die kleinen Zeilen, die Größtes schenken, die Erreichbarkeit auf permanent unerreichbar, und entsetzt in seiner Gedankenlosigkeit. Das Sprachliche ist es, das uns zur Erstarrung bringt. Weil wir nicht mitkommen, nichts bewegen, nichts erreichen. Und dazu ein Begreifen Hamsuns, das sonderlich erscheint, uns nicht vorwärts bringt, über Hans Fallada lächeln, die Welt nicht in die eigene stoßen, über Robert Walsers Dummheit wüten, die Verachtung erkennen und das Scheitern dulden. Über Bukowski cineasieren, die Stimme erheben mit der Unerreichbarkeit Oskar Werners. Und immer wieder der große Thomas Mann, an dem nichts vorüberläuft, der nicht vorbeizieht, ohne die Lustbarkeit im Winde zu übergehen. Und Bachmanns Tiraden, die niemand versteht, außer man erlebt mit sich selbst. Kubins einziger Roman, dessen Unscheinbarkeit schon verächtlich ist, und Pinters Aberwitz, der die Nähe des Surrealen in Unabsichtlichkeit streift. Genazinos Trostlosigkeit im Alltag, Martin Walsers Wut auf die Moral. Der jüdische Irrtum bei Singer, dessen Wirkung frei von Verantwortung erscheint, und Levis Abrechnung , die zum Bewusstsein des Erbes der Menschlichkeit gerät.
Und plötzlich ist jede Rede, jede Stimme, jede Erhebung, jeder Glaube frei von aller Wesentlichkeit. Alles löst sich auf, nichts erlangt mehr Wert, der Mensch hat sich verlaufen. Er ist übrig geblieben aus den Produkten des Geistes, aus dem Schlamm in der Brühe der Erkenntnis. Jedes Wort ist getan, nach ihm kommt nichts mehr.
Und ich selbst sitze hier, zelebriere meine Unkenntnis und die Unfähigkeit, die zu erfüllen stets zu leisten ist. Nur mein Wissen, dass es nichts gibt es sei denn ein Leben, das auszufüllen ist ohne den Beistand eines Gottes, ohne Verantwortungslosigkeit und Widerruf, behält mich an meinem Glauben, der unübernommen Platz fand und durch eine Literatur gerechtfertigt ist.

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