schandfleck.ch_textkritik/2007/mai |
daniel
costantino
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max frisch und die konvention |
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'max frisch ist
ein dichter, das hat er schon mit seinen dramen und tagebüchern
bewiesen. dieser roman ist sein erstes meisterwerk. er hat jetzt sprache,
proportionen, seine figuren erregen teilnahme, sie leben; leben noch
lange in der fantasie des lesers, beschäftigen und bedrängen
ihn mit den neugestellten alten menschheitsfragen.' 'es gelang frisch,
sein tema ganz in dichterisches dasein umzuwandeln, und zwar so stichhaltig,
so von welt erfüllt, so faszinierend, so unbestechlich kritisch,
dass sein werk einer der besten deutschsprachigen romane unserer zeit
wurde.' es liessen sich
leicht ein paar dutzend derartiger hymnen über werke max frischs
zitieren, wie sie hier dem roman 'stiller' gelten. frischs sprache hat
aber überhaupt keinen glanz, nichts in seiner prosa vermag mitzureissen,
kann anspruch auf tiefgang und seelenspannung, auf stimmung und brisanz
erheben. er ist ein geübter erzähler, der zuweilen flott,
amüsant, locker parliert. er beherrscht das handwerk, einen roman
aufzubauen, die szene zu wechseln und den blickwinkel, er vermag die
dinge ineinander übergreifen zu lassen, dies sei unbestritten.
aber er schreibt viel zu routiniert, zu stumpf, rein rational und farblos,
um bedeutend, ein dichter zu sein. weder besonders kritisch auf die
gesellschaftlichen probleme bezogen noch besonders interessant in der
sprachlichen und stilistischen gestaltung. alles medioker, mitunter
banal, im rahmen des massvollen, sprachlich wie analytisch. er vertritt
auf allen ebenen die intellektuelle mitte, den geistigen mittelstand,
er wagt sich keinesfalls irgend auf die äste hinaus. im menschlichen
und politischen mag dies ein vorzug sein, im künstlerischen ist
es der tod. fleisch an den knochen! wie schreibt der mensch? > Ich sitze
in meiner Zelle, Blick gegen die Mauer, und sehe die Wüste. Beispielsweise
die Wüste von Chihuahua. Ich sehe ihre grosse Öde voll blühender
Farben, wo sonst nichts anderes mehr blüht, Farben des glühenden
Mittags, Farben der Dämmerung, Farben der unsäglichen Nacht.
Ich liebe die Wüste. Kein Vogel in der Luft, kein Wasser, das rinnt,
kein Insekt, ringsum nichts als Stille, ringsum nichts als Sand und
Sand und wieder Sand, der nicht glatt ist, sondern vom Winde gekämmt
und gewellt, in der Sonne wie mattes Gold oder auch wie Knochenmehl,
Mulden voll Schatten dazwischen, die bläulich sind wie diese Tinte,
ja wie mit Tinte gefüllt, und nie eine Wolke, nie auch nur ein
Dunst, nie das Geräusch eines fliehenden Tiers, nur da und dort
die vereinzelten Kakteen, senkrecht, etwas wie Orgelpfeifen oder siebenarmige
Leuchter, aber haushoch, Pflanzen, aber starr und reglos wie Architektur,
nicht eigentlich grün, eher bräunlich wie Bernstein, solange
die Sonne scheint, und schwarz wie Scherenschnitte vor blauer Nacht
- all dies sehe ich mit offenen Augen, wenn ich es auch nie werde schildern
können, traumlos und wach und wie jedesmal, wenn ich es sehe, betroffen
von der Unwahrscheinlichkeit unseres Daseins. Wieviel Wüste es
gibt auf diesem Gestirn, dessen Gäste wir sind, ich habe es nie
vorher gewusst, nur gelesen; nie erfahren, wie sehr doch alles, wovon
wir leben, Geschenk einer schmalen Oase ist, unwahrscheinlich wie die
Gnade. Einmal, irgendwo unter der mörderischen Glut eines Mittags
ohne jeglichen Wind, hielten wir an; es war die erste Zisterne seit
Tagen, die erste Oase auf jener Fahrt. Ein paar Indianer kamen heran,
um unser Vehikel zu besichtigen, wortlos und schüchtern. Wieder
Kakteen, dazu ein paar verdörrte Agaven, ein paar serbelnde Palmen,
das war die Oase. Man fragt sich, was die Menschen hier machen. Man
fragt sich schlechthin, was der Mensch auf dieser Erde eigentlich macht,
und ist froh, sich um einen heissen Motor kümmern zu müssen.
Ein Esel stand im Schatten unter einem verrosteten Wellblech, Abfall
einer fernen und kaum noch vorstellbaren Zivilisation, und um die fünf
Hütten aus ungebranntem Lehm, fensterlos wie vor tausend oder zweitausend
Jahren, wimmelte es natürlich von Kindern. Gelegentlich fuhren
wir weiter. In der Ferne sahen wir die roten Gebirge, doch kamen sie
nicht näher, und oft, wiewohl man den kochenden Motor hörte,
konnte ich einfach nicht unterscheiden, ob man eigentlich fährt
oder nicht fährt. Es war, als gäbe es keinen Raum mehr; dass
wir noch lebten, zeigte uns nur noch der Wechsel der Tageszeit. Gegen
Abend streckten sich die Schatten der haushohen Kakteen, auch unsere
Schatten; sie flitzten neben uns her mit Hundertmeterlänge auf
dem Sand, der nun die Farbe von Honig hatte, und das Tageslicht wurde
dünner und dünner, ein durchsichtiger Schleier vor dem leeren
All. Aber noch schien die Sonne. Und in der gleichen Farbe wie die Kuppen
von Sand, die von der letzten Sonne gestreift wurden, erschien der übergrosse
Mond aus einer violetten Dämmerung ohne Dunst. Wir fuhren, was
unser Jeep herausholte, und dabei nicht ohne jenes feierliche Bewusstsein,
dass unsere Augen durchaus die einzigen sind, die all dies sehen; ohne
sie, ohne unsere sterblichen Menschenaugen, die durch diese Wüste
fuhren, gab es keine Sonne, nur eine Unsumme blinder Energie, ohne sie
keinen Mond; ohne sie keine Erde, überhaupt keine Welt, kein Bewusstsein
der Schöpfung. Es erfüllte uns, ich erinnere mich, ein feierlicher
Übermut; kurz darauf platzte der hintere Pneu. kein vogel, kein wasser, kein insekt. eine wüste, wie es viele gibt. mal dunst, mal keiner. zu matt gezeichnet, um einprägsam zu sein, zu stimmungslos, um mitzureissen, alles viel zu korrekt und routiniert geschildert. schon die wiederholungen gleich zu anfang: Ich sehe ihre grosse Öde voll blühender Farben, wo sonst nichts anderes mehr blüht, Farben des glühenden Mittags, Farben der Dämmerung, Farben der unsäglichen Nacht. Ich liebe die Wüste. wirken stumpf und einfallslos. nichts steigert oder verdichtet sich, wie die wiederholung dergleichentut, und hebt zu klingen an. der glühende mittag weissgott längst nicht mehr poetisch, zu abgewetzt, die unsägliche nacht gar leicht peinlich. 'ich liebe die Wüste' - soll mans glauben? das ist doch reine retorik! die fortsetzung: Kein Vogel in der Luft, kein Wasser, das rinnt, kein Insekt, ringsum nichts als Stille, ringsum nichts als Sand und Sand und wieder Sand, der nicht glatt ist, sondern vom Winde gekämmt und gewellt, in der Sonne wie mattes Gold oder auch wie Knochenmehl, Mulden voll Schatten dazwischen, die bläulich sind wie diese Tinte, ja wie mit Tinte gefüllt, und nie eine Wolke, nie auch nur ein Dunst, nie das Geräusch eines fliehenden Tiers, nur da und dort die vereinzelten Kakteen, senkrecht, etwas wie Orgelpfeifen oder siebenarmige Leuchter, aber haushoch, Pflanzen, aber starr und reglos wie Architektur, nicht eigentlich grün, eher bräunlich wie Bernstein, solange die Sonne scheint, und schwarz wie Scherenschnitte vor blauer Nacht - all dies sehe ich mit offenen Augen, wenn ich es auch nie werde schildern können, traumlos und wach und wie jedesmal, wenn ich es sehe, betroffen von der Unwahrscheinlichkeit unseres Daseins. bringt auch nichts berückendes, keine musik, kein rechtes erleben. frisch sprache bleibt vollkommen unpersönlich, unpoetisch. sie hat einen stich ins läppische, verknullert belehrende - vogel in der luft, wasser, das rinnt, sand, der nicht glatt, sondern vom winde gekämmt ist, mulden und schatten bläulich wie diese tinte (welche denn eigentlich? aha! der autor sitzt nämlich am tische und schreibt, hört!), das dreifache 'nie' ebenso stereotyp wie zuvor das 'kein', wie die 'farben' im auftakt - stilmittel zum herzerweichen, ein bluff und nichts mehr, weil absolut nichts dazwischen mitreissen kann in dieser prosa. da und dort die vereinzelten Kakteen, senkrecht, etwas wie Orgelpfeifen oder siebenarmige Leuchter etwas wie originalität, endlich! doch wird der eindruck gleich zunichte gemacht: aber haushoch, Pflanzen, aber starr und reglos wie Architektur, nicht eigentlich grün, eher bräunlich wie Bernstein, solange die Sonne scheint, und schwarz wie Scherenschnitte vor blauer Nacht der funken poesie
erstickt gleich wieder in dieser unerotischen diktion, diesem säuerlichen,
lehrbuchhaften kontext. solange die sonne scheint! ja, ein dichter nimmts
halt ganz genau! Wieviel Wüste es gibt auf diesem Gestirn, dessen Gäste wir sind, ich habe es nie vorher gewusst, nur gelesen; nie erfahren, wie sehr doch alles, wovon wir leben, Geschenk einer schmalen Oase ist, unwahrscheinlich wie die Gnade. das ist doch sentimentaler krimskrams für strickende lesezirkel... Einmal, irgendwo unter der mörderischen Glut eines Mittags ohne jeglichen Wind, hielten wir an; es war die erste Zisterne seit Tagen, die erste Oase auf jener Fahrt. Ein paar Indianer kamen heran, um unser Vehikel zu besichtigen, wortlos und schüchtern. Wieder Kakteen, dazu ein paar verdörrte Agaven, ein paar serbelnde Palmen, das war die Oase. Man fragt sich, was die Menschen hier machen. Man fragt sich schlechthin, was der Mensch auf dieser Erde eigentlich macht, und ist froh, sich um einen heissen Motor kümmern zu müssen. Ein Esel stand im Schatten unter einem verrosteten Wellblech, Abfall einer fernen und kaum noch vorstellbaren Zivilisation, und um die fünf Hütten aus ungebranntem Lehm, fensterlos wie vor tausend oder zweitausend Jahren, wimmelte es natürlich von Kindern. die mörderische glut, der mittag ohne jeglichen wind, die erste zisterne seit tagen, die erste oase - nicht schlecht, aber zu oberflächlich, um sehr gut zu sein. und viel zu konventionell. so schreibt gar mancher erbsenzähler. genauso. Wieder Kakteen, dazu ein paar verdörrte Agaven, ein paar serbelnde Palmen, das war die Oase. immerhin bündig zusammengefasst. auch etwas. und jetzt, gebt acht, wirds bedeutsam: Man fragt sich, was die Menschen hier machen. Man fragt sich schlechthin, was der Mensch auf dieser Erde eigentlich macht, und ist froh, sich um einen heissen Motor kümmern zu müssen. jaja, man fragt
sich, was der mensch auf erden macht. mancher fragt sich das täglich.
und ebenso alltäglich ist die frage hier eingebettet, in einlullende
dutzendmusik, kommerzklappe, konfektionsware. allesinallem allbekannter
sound, gott, wir wissens! und wie pseudonaiv und pötisch-plötzlich:
pamm! der retorische knalleffekt! der schluss dieser künstlerisch völlig verpufften passage: > Gelegentlich
fuhren wir weiter. In der Ferne sahen wir die roten Gebirge, doch kamen
sie nicht näher, und oft, wiewohl man den kochenden Motor hörte,
konnte ich einfach nicht unterscheiden, ob man eigentlich fährt
oder nicht fährt. Es war, als gäbe es keinen Raum mehr; dass
wir noch lebten, zeigte uns nur noch der Wechsel der Tageszeit. Gegen
Abend streckten sich die Schatten der haushohen Kakteen, auch unsere
Schatten; sie flitzten neben uns her mit Hundertmeterlänge auf
dem Sand, der nun die Farbe von Honig hatte, und das Tageslicht wurde
dünner und dünner, ein durchsichtiger Schleier vor dem leeren
All. Aber noch schien die Sonne. Und in der gleichen Farbe wie die Kuppen
von Sand, die von der letzten Sonne gestreift wurden, erschien der übergrosse
Mond aus einer violetten Dämmerung ohne Dunst. Wir fuhren, was
unser Jeep herausholte, und dabei nicht ohne jenes feierliche Bewusstsein,
dass unsere Augen durchaus die einzigen sind, die all dies sehen; ohne
sie, ohne unsere sterblichen Menschenaugen, die durch diese Wüste
fuhren, gab es keine Sonne, nur eine Unsumme blinder Energie, ohne sie
keinen Mond; ohne sie keine Erde, überhaupt keine Welt, kein Bewusstsein
der Schöpfung. Es erfüllte uns, ich erinnere mich, ein feierlicher
Übermut; kurz darauf platzte der hintere Pneu. In der Ferne sahen wir die roten Gebirge, doch kamen sie nicht näher, und oft, wiewohl man den kochenden Motor hörte, konnte ich einfach nicht unterscheiden, ob man eigentlich fährt oder nicht fährt. kartengruss von
tante ottilie und onkel ernst aus tunesien. Es war, als gäbe es keinen Raum mehr; dass wir noch lebten, zeigte uns nur noch der Wechsel der Tageszeit. Gegen Abend streckten sich die Schatten der haushohen Kakteen, auch unsere Schatten; sie flitzten neben uns her mit Hundertmeterlänge auf dem Sand, der nun die Farbe von Honig hatte, und das Tageslicht wurde dünner und dünner, ein durchsichtiger Schleier vor dem leeren All. Aber noch schien die Sonne. Und in der gleichen Farbe wie die Kuppen von Sand, die von der letzten Sonne gestreift wurden, erschien der übergrosse Mond aus einer violetten Dämmerung ohne Dunst.
Wir fuhren, was unser Jeep herausholte, und dabei nicht ohne jenes feierliche Bewusstsein, dass unsere Augen durchaus die einzigen sind, die all dies sehen; ohne sie, ohne unsere sterblichen Menschenaugen, die durch diese Wüste fuhren, gab es keine Sonne, nur eine Unsumme blinder Energie, ohne sie keinen Mond; ohne sie keine Erde, überhaupt keine Welt, kein Bewusstsein der Schöpfung. Es erfüllte uns, ich erinnere mich, ein feierlicher Übermut; kurz darauf platzte der hintere Pneu. eine lächerliche
passage vom charakter eines esoterischen traktätleins. man lese
sie nochmals im notfall und mache sich statt des grossen augenrollens
einen eigenen gedanken dazu. Ich werde die Wüste nie vergessen! ich schon. - wie steht es um die schilderung der beziehung stillers mit seiner julika? um frischs kenntnis des seelenkrams? schauen wir näher hin: > Stiller,
einmal im Reden, kam noch mit einer ganzen Reihe von Vorwürfen
dieser Art, lauter Bagatellen, eine kleinlicher als die andere; Julika
konnte nur staunen. ich kann mich des eindrucks nicht erwehren, hier werde geistiges dosenfutter verabreicht, vorgekautes, abgesichertes, scheinbar einfürallemalrichtiges mehr aufgezählt als geschildert und gewiss nicht verdichtet oder auf eine seelische, irrationale, künstlerische ebene gehoben. weder gedanklich noch sprachlich dringt die sache ins filosofisch relevante und poetisch bedeutende vor. man wird mehr belehrt denn eingesponnen, die eindimensionalität des textes, gedankliche fertigware, ist nicht zu verkennen. einiges lässt sich leichthin goutieren, anderes wirkt bieder, wenig durchdacht. frisch scheut das intellektuelle risiko wie der teufel das weihwasser, und seine sprachlich geringe potenz vermag nicht darüberhinwegzutäuschen. so entsteht keine atmosfäre, höchstens vielleicht sowas wie die aura einer intellektuellen übereinkunft linksbürgerlicher façon. das ist wohl für eine gläubige herde was, aber nichts für ein lebenshungriges individuum. die grenzen sind eng gesteckt, es herrscht die konvention. Du schweigst in dich hinein wie immer!" sagte er, "du hältst dich für die Liebe und die Hingabe in Person, ich weiss, ich halte dich für den Narzissmus in Person. Und für den Hochmut in Person! Das vor allem. die wortwahl wirkt ebenso abgedroschen wie unpersönlich. die ganze stelle etwas geklotzt und unglaubwürdig: Ich bin vor dir auf die Knie gefallen, Julika, ich habe vor dir geheult, wie ein Mann unter gewissen Umständen heult, ich habe mich vor dir geschämt, ich habe vor dir bereut, und du hast verziehen, gewiss, du hast mir ja am laufenden Band verziehen, ich weiss, ohne eine Minute der Erschütterung, ohne eine Minute wirklich zu denken, dass vielleicht auch du mich kaputt machst, und wirklich zu zittern. und sehr klischiert. grosse worte, die grad zur hand, auf die knie fallen, heulen, schämen, bereuen, verzeihen, und vergleiche, die der ganzen stelle etwas unbeholfenes, läppisches verleihen: wie ein mann unter gewissen umständen, am laufenden band verzeihen, die minute der erschütterung - wer das für literatur hält! auch der schluss der passage: Aber überlege es dir: Hast du mich einmal davon befreit, wenn ich glaubte mir Vorwürfe machen zu müssen? Du hast verziehen. Und damit ist ja der Vorwurf anerkannt, das vor allem. Es gibt eine Satanie im weiblichen Verzeihen, meine Liebe, die dir ferne ist, versteht sich, alles ist dir ferne; ich empfand es nur so in meiner Mimosenhaftigkeit, und daran kann man genauso zugrunde gehen wie an einer Tuberkulose... Ich rede und rede, Julika, und du bläst den Schnee von der Decke!" ohne brisanz und spannung, und das liegt an der dürftigkeit der frisch'schen sprache, die es nicht vermag, das geschehen seelisch zu verdichten. sollte es frischs absicht gewesen sein, stiller hier zu karikieren, ist sie misslungen, denn auch zur karikatur bedarf es einer prägnanteren feder. die szene geht folgendermassen weiter: > Stiller
fuhr fort: sprachkunst, glaube
ich, sucht ins atmosfärische, irrationale vorzudringen. seelische
ballung, verdichtung, innerer spannungsaufbau, musikalität sind
ihre zeichen. gedanklich kann das adäquat nur heissen, nichtgedachtes,
neugedachtes zu finden, das denken an die grenzen, darüberhinauszutreiben,
überhaupt nicht das vorgefertigte hinzustellen, sondern die eigenen
worte für die vorgänge zu finden, die persönliche sensibilität
ins spiel zu bringen. sonst kann alles letztlich nur wie abklatsch wirken,
bestenfalls konvention genannt werden. Ja, ich frage mich manchmal, warum ich in all diesen Jahren nie aufgesprungen bin und dir kurzerhand eine Ohrfeige versetzt habe. Im Ernst, es ist ein Fehler, der nicht mehr nachzuholen ist; ein Fehler, davon bin ich überzeugt. Wieviel hätte es uns beiden erspart! wirkt diese sprache nicht knochentrocken, saft- und fleischlos? und trägt sie nicht deshalb etwas strapaziertes, geklotztes zur schau, gerade wenn es um gefühle geht? glaubt man stiller die emotion? kurzerhand eine ohrfeige... im ernst, es ist ein fehler... wieviel hätte er erspart... in diesem kontext doch viel zu ungefähre wendungen, floskeln. es fehlt frisch entschieden am vermögen, eine aura, echte stimmung zu erzeugen. das ist alles zu gestelzt und zu gekünstelt, um gut zu sein. Und dabei ist es wieder das Fürchterliche: in einem ganz andern Sinn, siehst du, ist es wirklich mein Verschulden, dass du jetzt in diesem Sanatorium liegst. Aber da hast du mir nichts mehr zu verzeihen. Ich denke jetzt oft: Hätte ich dich nicht zu meiner Bewährungsprobe gemacht, wärest du auch nie auf diese Idee gekommen, mich durch dein Kranksein zu fesseln, und wir hätten einander auf natürliche Weise geliebt, ich weiss es nicht, oder uns auf natürliche Weise getrennt. es ist etwas insgeheim
wichtigtuerisches im sprachlichen duktus des max frisch. die kursiv
gesetzten wendungen sperren den zugang zum seelischen, zum bewegenden,
es sind reine rationalisierungen, die über die buchstaben hinaus
keine atmosfäre verströmen. ihre häufigkeit entwerten
eine solche prosa ungemein. was soll da ein wort von der 'natürlichen'
liebe, was eines von der 'natürlichen' trennung - blosses geplapper!
"So also siehst du mich!" sagte Julika. "Du hast dir nun einmal ein Bildnis von mir gemacht, das merke ich schon, ein fertiges und endgültiges Bildnis, und damit Schluss. Anders als so, ich spüre es ja, willst du mich jetzt einfach nicht mehr sehen. Nicht wahr?" ein fertiges bildnis,
und damit schluss. so einfach ist das. nein, anders will man den andern
gar nicht mehr sehen, wenn man sich ein fertiges bildnis macht. endgültig.
genau das gegenteil von liebe, ja. wer hat es nicht schon dutzendmal
erlebt! nicht einmal dichterisch wäre es, fertige bilder zu machen!
da wollen wir doch hübsch die leserschaft mit halbfertigen vergnügen.
so wirkt das alles schön poetisch-halbfertig. so halbfertig, dass
frisch sogar die bibel zum zeugen nehmen muss. ich weiss nicht, ob es
frisch selber versteht. aber so ists und nicht anders. oder soll ich
sagen, es ist nicht so? gesetzt den vorwurf,
ich hätte in böser absicht speziell spröde, steife, verunglückte
passagen zitiert, so halte ich entgegen: wo wäre in diesen doch
für eine rezension ungewöhnlich langen auszügen eine
zeile dichtung auszumachen, ein funken poesie erkennbar? ist das vorgeführte
nicht etwas mager für einen vertreter 'moderner schreibkunst',
spricht etwas dafür, frisch für einen grossen schriftsteller
des 20. jahrhunderts zu halten? der roman beginnt auf seite 9. auf seite 17 steht: und wenn es draussen
windig ist, so dass die Strassenlampe schaukelt, könnte
man irrsinnig werden vor schaukelnden Gitterschatten. Jeder Zeitungsleser scheint hier zu wissen, wer Stiller gewesen ist. Das macht es fast unmöglich, etwas Genaueres zu erfahren; jedermann tut, als müsste man's wissen, und weiss selber nur Ungefähres. stringente logik. scheinen die zeitungsleser nun zu wissen oder wissen sie nun bloss ungefähres? was denn nun? seite 18: Und unter Tatsachen, glaube ich, versteht mein Verteidiger insbesondere Ortsnamen, Daten, die man nachprüfen kann, beispielsweise Angaben über Beruf oder sonstiges Einkommen... der beruf ein einkommen? Vor mir geht ein Dicker mit glänzender Glatze (wie ich) und mit fetten Falten am Nacken, mit rudernden Armen, wenn er gehen muss... wohl klar, dass
die arme nicht rudern, wenn der kerl nur rumsteht. und dass er geht,
hat stiller nun doppelt gesagt. so hält's wohl besser. und immer
rudern die dicken. komisch. ich selbst bin dick und rudere nie... Wir schweigen im Kreis, grinsen. Der Oberwärter, die geschundene Kartoffel in der Hand, schreitet von Mann zu Mann, Aug in Auge. Jeder zuckt die Achsel. Der Oberwärter hat den Augenblick versäumt, die Kartoffel einfach wegzuwerfen; gegen seinen Wunsch ist die Sache plötzlich wichtig geworden, grundsätzlich. die geschundene
kreatur namens kartoffel. aug in auge im kreis von mann zu mann schreiten,
immerhin eine ausholende, raumgreifende gangart. im kreis! und was oberwärter
(zur erinnerung: oberwärter!) nicht für fromme wünsche
haben... gleich darauf: Plötzlich meldet sich mein Jude. Allgemeines Gelächter! Sogar der Oberwärter merkt, dass dieses Geständnis (er hat noch nie einen Juden gesehen, der Fussball spielt) nur ein Hohn sein kann, was schlimmer ist als Diebstahl einer ungekochten Kartoffel. Der Jude muss austreten, seinerseits bleich vor Erregung. weshalb der jude gerade stillers jude wäre, geht aus dem kontext nicht hervor, ebensowenig, dass er seinerseits bleich vor erregung wäre, denn es steht nichts davon, der oberwärter sei bleich oder dergleichen. dieses (einzige) geständnis und kein andres - das demonstrativpronomen etwas forciert. dass juden fussball spielen, wer hat denn schon sowas einmal erlebt, nicht wahr? er hätte eine gekochte kartoffel klauen sollen. das wäre, werweiss, weniger schlimm gewesen als eine ungekochte zu mausen. alles nicht gerade
berauschender intellekt, hochstehendes deutsch. 'Vielleicht ist es nur seine Temperamentlosigkeit, was mich so masslos reizt, seine Korrektheit, seine Mässigkeit.' vielleicht gilt
dasselbe nicht nur stillers verteidiger, sondern ebenso frischs sprache.
je nun, ich finde
an dieser schriftstellerei weder originelles noch berauschendes. " - ich komme gerade von Mexiko", wiederholte ich, "und Sie können mir glauben, die berühmten Menschenopfer der Azteken, die menschliche Herzen aus dem lebendigen Leibe schnitten, um sie den Götzen zu opfern, sind ein Kinderspiel, verglichen mit der Behandlung an der schweizerischen Grenze, wenn ein Mensch ohne Papiere kommt - oder mit falschen Papieren - ein Kinderspiel!" immer noch rosinen
gepickt, könnte man gegen meine demontage einwenden. aber kaum
noch, sie seien nicht zahlreich verstreut. allons! neun bis sechzehn! seite 9 sei geschenkt, ich gehe über gestelzte formulierungen wie 'ansonst', unbestechlich sein 'bis zur Grobheit', noch einmal 'ansonst' und 'die schlichte und pure Wahrheit' hinweg. seite 10, mitte: 'trotz meiner ebenso
deutlichen wie höflichen Warnung' solche formulierungen
kann man goutieren, aber doch nicht als dichtung durchgehen lassen.
dafür wirken sie allesamt zu ausgelaugt. seite 11: Es war merkwürdig: ich folgte ihm wie unter einem Zwang von Anstand. Durchaus wortlos und ohne mich anzufassen, was gar nicht nötig war, führte er mich auf die Wache, wo man mich fünfzig Minuten lang warten liess. Ein anderer Fahrgast,
ein Schweizer, hatte mich angesprochen. Als Augenzeuge meiner Ohrfeige
war er auch zugegen, dieser Reisende, der mir seit Paris auf
die Nerven ging. Ich weiss nicht, wer er ist. Ich habe diesen Herrn
nie zuvor gesehen. In Paris kam er ins Abteil, weckte mich, indem
er über meine Füsse stolperte, und verstaute sein Gepäck... seite 12, auszug: > Hinter uns
standen bereits zwei Beamte, ein Zöllner und ein anderer, der einen
Stempel in der Hand hielt. Ich gab den Pass. Ich spürte jetzt,
dass ich zuviel getrunken hatte, und wurde mit Misstrauen betrachtet.
Mein Gepäck, klein genug, war in Ordnung. Ist das ihr Pass? fragte
der andere. Erst lachte ich natürlich. Wieso nicht? fragte ich,
nachgerade ungehalten: Wieso ist dieser Pass nicht in Ordnung?
Es war das erste Mal, dass mein Pass in Zweifel gezogen wurde, und
all dies nur, weil dieser Herr mich mit einem Bild in seiner Illustrierten
verwechselte... was kann an solcher
schilderung auch nur talentiert sein? ein schriftsteller, wie es
sie zu tausenden gibt... ich sagte unerotisch: (seite 13) Selbstverständlich lehnte ich ab, da er sie offenkundig nicht mir, sondern einem gewissen Herrn Stiller anbot. Auch blieb ich, obschon der Kommissär sich wie zu einer ausgiebigen Unterredung niederliess, meinerseits stehen. weil zu korrekt, gesichtslos, aschfahl. es fehlt am wortschatz, es mangelt am risiko, es harzt mit der schlankheit, der sprachlichen ökonomie, zuviele zufällige, zuviele umständliche wendungen ergeben zuwenig ertrag. ich sagte, merkwürdig unsensibel für nuancen und finessen: Es war nichts zu machen: die Verwechslung lag vor, und alles, was ich jetzt sagte, wirkte nur noch wie Ziererei oder echte Bescheidenheit. "Ich verstehe nichts von solchen Sachen", sagte er, "aber dieser Herr Doktor, der sie erkannt hat, scheint ja eine sehr hohe Meinung von ihnen zu haben." Er nahm es fast
gemütlich, rauchte seinen etwas stinkigen Stumpen, die beiden Daumen
in seine Hosenträger gehängt, denn es war ein schwüler
Nachmittag, so dass der Kommissär, zumal er mich nicht länger
für einen Ausländer hielt, seine nicht eben zweckmässige
Jacke etwas zugeknöpft hatte, dieweil er mich musterte,
ohne im mindesten zu hören, was ich sagte. im ganzen verbreiten
frischs bücher eine aufgeklärt-spiessige gesinnung, das gilt
besonders auch für seine politischen, gesellschaftskritischen schriften.
weder einschlägige notizen in seinen 'tagebüchern' noch sein
'wilhelm tell für die schule' noch etwa seine letzte schrift, 'schweiz
ohne armee', können doch einen erwachsenen hund hinterm ofen hervorlocken.
hingegen hatte er stets eine anzahl auguren hinter sich versammelt,
die ihn in ihr politisches garn einspannen, der sich freilich auch gern
bauchpinseln liess. eine wechselbeziehung auf guter geschäftsbasis.
Man hält die Feder hin, wie eine Nadel in der Erdbebenwarte, und eigentlich sind nicht wir es, die schreiben; sondern wir werden geschrieben. (tagebuch) durch den heiligen geist wohl? Ich gebe Zeichen von mir, Signale... ich schreie aus Angst, ich singe aus Angst vor meinem Alleinsein im Dschungel der Unsagbarkeiten. (rede) die rede wurde kurz nach der publikation des romans 'stiller' gehalten. aber bitte, wo wären schreie, wo gesang zu vernehmen gewesen darin? Auch Euch, junger Mann, verbleiben noch immer die Kontinente der eigenen Seele, das Abenteuer der Wahrhaftigkeit. Nie sah ich andere Räume der Hoffnung. (chinesische mauer) passt doch genau zu den schwülstigen passagen Mein Schreibrecht kann nur in seiner Zeitgenossenschaft begründet sein. (tagebuch) tönt doch engagiert, nicht? aber was meint er eigentlich damit? ich vermute, ziemlichen quatsch. Man gibt Aussagen, die nie unser eigentliches Erlebnis enthalten, das unsagbar bleibt; sie können es nur umgrenzen, möglichst nahe und genau, und das Eigentliche, das Unsagbare, erscheint bestenfalls als Spannung zwischen diesen Aussagen. (tagebuch) das zitat passt zum technokratendeutsch frischs. gute sprache ist erlebnis. und genaue abbildung ist eben nicht ein künstlerisches tema. künstlerische sprache ist neuschöpfung, erzeugnung von leben. und nicht ein mehr oder weniger genauer abklatsch dessen, was wir sonst erleben. hinwiederum: die präzision kommt schon zum tragen, aber anders, als frisch es sich vorstellt. ohne präzision vermag die sprache nicht ins bildnerische vorzudringen. und vermag sie keine bedeutenden gedanken zu äussern. und auch: die erlebnisfähigkeit dringt durch die struktur der sprache, wenn die sprache erlebnisecht ist. und erlebnis ist nun wirklich keine rationale kategorie. rationale sprache ist per se unkünstlerische sprache. Was wichtig ist, das Unsagbare, das Weisse zwischen den Worten, und immer reden diese Worte von den Nebensachen, die wir eigentlich nicht meinen...unser Streben geht vermutlich dahin, alles auszusprechen, was sagbar ist; die Sprache ist wie ein Meissel, der alles weghaut, was nicht Geheimnis ist, und alles Sagen bedeutet ein Entfernen. Es dürfte uns insofern nicht erschrecken, dass alles, was einmal zum Wort wird, einer gewissen Leere anheimfällt. Man sagt, was nicht das Leben ist. wohl lässt sich das zum 'stiller' sagen: frischs sprache haut alles weg. die des dichters bewirkt das gegenteil. |
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Kurze Anmerkung zu Costantinos "max frisch und die konvention" | ||||
schandfleck.ch_textkritik/2007/mai |
david
manuel kern
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Max Frisch - Stiller | ||||
Max
Frisch stellte seinem ersten Roman Stiller ein Zitat Kierkegaards
voran: Sieh, darum ist es so schwer, sich selbst zu wählen, weil
in dieser Wahl die absolute Isolation mit der tiefsten Kontinuität
identisch ist, weil durch sie jede Möglichkeit, etwas anderes zu werden,
vielmehr sich in etwas anderes umzudichten, unbedingt ausgeschlossen wird. In diesem Satz steckt die gesamte Problematik und ihre Wiederholung des Romans; es ist eine literarisch verpackte Realitätskonstruktion des Individualitätsproblems, das Frisch in seiner gesamten dichterischen Laufbahn verfolgte. Anklänge im Homo Faber, ausgelebt in Mein Name sei Gantenbein. Ein gewisser Mr. White, der Ich-Erzähler der Geschichte, wird beim Grenzübertritt in die Schweiz festgenommen und fortan für den seit sieben Jahren verschollenen und wegen einer Affäre verdächtigten Bildhauer Ludwig Anatol Stiller gehalten. Der Roman nun entfaltet eine teilweise verwirrende narrative Konstruierung aus, was den ersten Teil betrifft, berichthaften, tagebuchähnlichen Aufzeichnungen des Protagonisten aus der Untersuchungshaft. In sieben "Heften" wird die amerikanische Geschichte des Mr. White, dessen Namen an ein ungeschriebenes weißes Blatt Papier erinnert, und die frühere schweizer Geschichte des Stiller und sein in die Gesellschaft integriertes Bild von sich selbst ausgebreitet. Frisch aber begnügt sich nicht mit seiner Identitätskrise. Er führt den Leser in einer fürchterlich geschwätzigen Art und Weise ein in das bröckelnde Liebesleben zweier Paare, die sich überdies in einem dubiosen Vierecksverhältnis ihrer mühsamen Wege kreuzen. Dieser Fünfhundertseitentext ist gekennzeichnet durch die Ambivalenz, die er dem Leser vermittelt. Ein Drittel des Romans zeichnet sich durch ein sehr kraftvolles Insprachesetzen Frisch'scher Ichunklarheit aus, ein Erzählen durch die Vergangenheit und Mutmaßungen und Hoffnungen in die Zukunft. An gewissen Stellen vermag der Autor zu packen, vermag eine Geschichte aufzurollen, die dem Leser durch geistvollen Perspektivenwechsel eröffnet wird. Durch das Protokollieren, Notieren, Nachdenken des vermeintlichen Mr. White entsteht ein roter Faden, der, wenn er um die Frage nach der eigenen Identität kreist und ringt, ein wunderbares Sinnieren aufseiten des Lesers erzeugt: Er fühlte sich ein anderer, mit Recht, er war ein anderer als jener Stiller, wofür man ihn sofort erkannte, und davon wollte er jedermann überzeugen; das war das Kindische. Wie aber sollen wir darauf verzichten können, wenigstens von unseren Nächsten erkannt zu werden in unserer Wirklichkeit, die wir selbst nicht kennen, sondern bestenfalls nur leben können? Es wird nie möglich sein ohne die Gewißheit, daß unser Leben von einer übermenschlichen Instanz gerichtet wird, ohne wenigstens die leidenschaftliche Hoffnung, daß es diese Instanz gebe. Wie Gantenbein scheitert Stiller in seinem Wunsch und seiner Sehnsucht, eine andere Identität anzunehmen, um die äußerliche Objektivität zu vernichten. Frisch aber begibt sich auf einen leichten Weg und löst das Problem mit der möglichen Existenz einer übergeordneten "Instanz", einem gottähnlichen Wesen. Dieser banale Reaktionismus aber ist es, das dem Buch Enttäuschung anhaftet. Insofern stimmt es völlig mit Kierkegaard überein, dessen Resignation schließlich das Auftauchen einer religiösen Notwendigkeit unverhinderlich macht. Die restlichen zwei Drittel des Buches ist eine krampfhafte Auseinandersetzung mit dem Liebesfreud und -leid der beschriebenen Protagonisten. Sybille und Stiller, Rolf und Sybille, Stiller und Julika. Stillers Beziehung zur todkranken Julika bleibt unerfüllt, Stiller scheitert in zweifacher Hinsicht. Mehr sei nicht zu sagen, mehr sei nicht vonnöten. Denn die perspektivenwechselnde Sichtweisen der Schwierigkeit und Unmöglichkeit einer Liebe zwischen Mann und Frau kann man in vollen Zügen genießen bei der Lektüre mehrfacher Kundera Romane. Dazu brauche ich keinen Frisch. Im Folgenden möchte ich noch ein paar sprachliche Anmerkungen zu Costantinos Text "max frisch und die konvention" in Beiläufigkeit verlieren. Frisch hätte "überhaupt keinen glanz", gar "nichts in seiner prosa vermag mitzureissen". Dieser gewagten Unterstellung möchte ich entgegentreten und so mit dem Gegenbeweis antreten: Mit silbernen Rändern schmilzt das Gewölk vor der Sonne, und Wäldchen heben sich inselhaft aus einem metallischen Gleißen, sie wandern über ein Ried, und einmal, beim Sprung über einen murmelnden Graben, steckt ihr Schuh plötzlich im zähen Morast; sie seiltänzelt mit einem bloßen Strumpf, die junge Frau, so daß der junge Mann sie halten muß. Sie küssen einander zum erstenmal. Hinter den Wäldchen gibt es Seen von Kühle, Schattenschnee zwischen rötlichen Weiden. (...) wie eine blinkende Sense liegt wieder der See, und über den Alpen steht lautlose Brandung des Gewölkes, ein leuchtendes Geschäum. (...) An den Scheiben summt eine Fliege, Wolken von Glück, der Traurigkeit nahe, umfangen und tragen die Stunde, das seltsame Dasein und Wachsein, das Unerwartet-Gemeinsame (...)." Unbemerkt wie Schnappschüsse tauchen in Stiller immer wieder sprachliche Lichtblicke auf, deren Einfühlsamkeit und narrative Gefangenheit eine Verwunderung verursacht, die im Hinblick auf die ärmlichen restlichen Zeilen unglaubwürdig und in das falsche Buch verirrt erscheinen. Ja, Costantino hat Recht, wenn er meint, alles sei "mitunter banal", Frisch vertrete die "intellektuelle mitte, den geistigen mittelstand". Der geistige Mittelstand, das ist der Umgang mit der Frage der Identität, banal, das ist die sprachliche Benommenheit, die ein Liebesunglück zu schildern drängt, Unzulänglichkeiten wie betroffen von der Unwahrscheinlichkeit unseres Daseins. Kann ich Frisch noch ernst nehmen? Viele Passagen, vor allem jene Gespräche zwischen Julika und Stiller wirken tatsächlich abgedroschen, "unoriginell". Manches gar erinnert an die Trivialität verführerischer Heftchenromane. "jetzt kommt frischs lieblingsfilosofie, die er in diversen büchern unter die leute bringt, derart viel hält er von ihr." Die Ironie dieser Worte impliziert einen Hauch von Lächerlichkeit, der fehl am Platz ist. Max Frisch sollte dennoch, obwohl uns dieser erste Roman vorliegt und die Umsetzung einer philosophischen Problematik misslang, nicht unterschätzt werden. Der Zusammenhang von Wirklichkeit und Sprache, die stets nur Möglichkeiten der Wirklichkeit erörtern kann, die Diskrepanz zwischen faktischer und tatsächlich erlebter Wirklichkeit, die "Kluft zwischen Welt und Wahn" (Mein Name sei Gantenbein), all dies relevante philosophische Erdichtungen, die teilweise Entsprechungen finden beispielsweise im Sartreschen Existentialismus. "frisch schreibt eine sprache, die sich von der alltagssprache nur dadurch unterscheidet, dass eine spürbare ambition dahintersteckt, gewichtig zu sein, mehr zu sagen, als er vermag, als seine sprache hergeben kann. dadurch entsteht ein gewisser effekt, ein künstlicher raum, auch ein bestimmter, unverkennbarer sound. ich sollte wohl eher sagen, ein gekünstelter, ein konstruierter raum, denn mit kunst hat das nichts zu tun." Costantinos Intention, Frisch hier gar kunstlos erscheinen zu lassen, nährt sich wohl aus der Lust zur Vernichtung: "will ich brandmarken hier, niederreissen, stänkern und verleumden". Die Behauptung, Frisch schreibe reine Alltagssprache, erscheint durch die Lektüre seiner Romane, seiner Tagebucheintragungen als unsinnig und unhaltbar. Die oftmals misslungene Sprache im Stiller darf nicht dazu vergewaltigt werden, Frisch vollends abzulehnen. Natürlich kann man hier grundsätzlich von höchster Kunst sprechen, von durchdachter Sprache, die mit einem Alltag im Entferntesten nichts zu tun hat. Ein zweites und letztes Mal zitiere ich: Später wird alles noch farbiger; die Wolkenkratzer ragen nicht mehr als schwarze Türme vor der gelben Dämmerung, nun hat die Nacht gleichsam ihre Körper verschluckt, und was bleibt, sind die Lichter darin, die hundertausend Glühbirnen, ein Raster von weißlichen und gelblichen Fenstern, nichts weiter, so ragen oder schweben sie über dem bunten Dunst, der etwa die Farbe von Aprikosen hat, und in den Straßen, wie in Schluchten, rinnt es wie glitzerndes Quecksilber. Rolf kam nicht aus dem Staunen heraus: Die spiegelnden Fähren auf dem Hudson, die Girlanden der Brücken, die Sterne über einer Sintflut von Neon-Limonade, von Süßigkeit, von Kitsch, der ins Grandiose übergeht, Vanille und Himbeer, dazwischen die violette Blässe von Herbstzeitlosen, das Grün von Gletschern, ein Grün, wie es in Retorten vorkommt, dazwischen Milch von Löwenzahn, Firlefanz und Vision, ja, und Schönheit, ach, eine feenhafte Schönheit, ein Kaleidoskop von Kindertagen, ein Mosaik aus bunten Scherben, aber bewegt, dabei leblos und kalt wie Glas, dann wieder bengalische Dämpfe einer Walpurgisnacht auf dem Theater, ein himmlischer Regenbogen, der in tausend Splitter zerfallen und über die Erde zerstreut ist, eine Orgie der Disharmonie, der Harmonie, eine Orgie von Alltag, technisch und merkantil über alles, zugleich denkt man an Tausendundeine Nacht, an Teppiche, die aber glühen, an schnöde Edelsteine, an kindliches Feuerwerk, das auf den Boden gefallen ist und weiterglimmt, alles hat man schon gesehen, irgendwo, vielleicht hinter geschlossenen Augenlidern bei Fieber, da und dort ist es auch rot, nicht rot wie Blut, dünner, rot wie die Spiegellichter in einem Glas voll roten Weines, wenn die Sonne hineinscheint, rot und auch gelb, aber nicht gelb wie Honig, dünner, gelb wie Whisky, grünlich-gelb wie Schwefel und gewisse Pilze, seltsam, aber alles von einer Schönheit, die, wenn sie tönte, Gesang der Sirenen wäre, ja, so ungefähr ist es, sinnlich und leblos zugleich, geistig und albern und gewaltig, ein Bau von Menschen oder Termiten, Sinfonie und Limonade, man muß es gesehen haben, um es sich vorstellen zu können, aber mit Augen gesehen, nicht bloß mit Urteil, gesehen haben als ein Verwirrter, ein Betörter, ein Erschrockener, ein Seliger, ein Ungläubiger, ein Hingerissener, ein Fremder auf Erden (...). Meine Intention wiederum,
hier eine kleine Anmerkung zum Frisch-Verriss Daniel Costantinos aufzubreiten,
kam in jenem Moment zustande, in dem ich eine gewisse Undankbarkeit verspürte
gegenüber des großen Schweizers. Es kam zum sofortigen Erwerb
und Lektüre des Stillers, das sich bald als schleppend erwies.
Das Gefühl der Empörtheit wich schnell einer schamvollen Einsicht:
Mein Vorredner hat in den meisten Punkten Recht. Nichtsdestotrotz wäre
es ein literarisches Vergehen, aufgrund dieses Romans ein völliges
Ausblenden und Ignorieren Max Frischs erfolgen zu lassen. Der grandiose
Roman Mein Name sei Gantenbein, der nicht minder ausgezeichnete
Roman Homo Faber, die aufschlussreichen, in Buchform erhältlichen
Tagebucheintragungen, die Stücke. All dies Hinterbliebenheiten einer
großen Sprachkunst, auch wenn manchmal die Kontinuität zu stocken
droht. |
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auf ein wort - kurze replik von daniel costantino | ||||
schandfleck.ch_textkritik/2007/mai |
david
manuel kern
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auf ein wort - kurze replik |
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ich
weiss schon, woher die verwunderung rührt über frischs schnappschussartige
sprachliche lichtblicke: sie haben sich in der tat ins falsche buch verirrt
und in die falsche zeit. es handelt sich um imitationen. alles aus zweiter,
dritter hand. wie könnte ich mich von einem blender mitreissen lassen?
plötzlich, überfallartig, von diesem trockenen, rationalen, überaus
intellektuell sich gebärdenden autor von inselhaften wäldchen,
von romantischen wanderungen übers ried und murmelnden gräben
zu lesen, macht stutzig. ich spüre da eine regredierung in die märchenwelt,
die frisch kaum selber hat ernstnehmen können - er war nun mal keine
solche seele. die poetischen anwandlungen dieser stelle entkräften
sich selbst durch gekünstelte alliteration und misslungene, nicht durchgehaltene
rytmisierung, als fiele ein musiker aus dem takt. verräterisch die
seen voll kühle, die fliege, die summt wie an andrer stelle die wespe,
die wolken von glück, der traurigkeit nahe. hach, das dasein und wachsein!
das unerwartet-gemeinsame! muss ich noch sagen, wie oft ich von blinkenden
sensen schon gelesen, vom gewölk vor der sonne, von rötlichen
weiden, metallischem gleissen und lautloser brandung? das misstrauen gegen solche passagen ist überaus berechtigt. - doch auf einmal höchste kunst, als erwüchsen meinem albernen scherz von der dichterischen atmosfäre auf seiten 14-16 unversehens flügel im spätern verlauf? wie bitte, die ragenden wolkenkratzer? die farbe der aprikosen, das glitzernde quecksilber gar? herbstzeitlosen und neon-limonade! das grün von gletschern und das grün von retorten! firlefanz und vision! rot, aber nicht rot, sondern rot, bengalische walpurgisnächte, bunte scherben, aber bewegt, dünn, dünner, gelb, aber nicht gelb wie honig. ja, eine schönheit, wenn sie tönte! am besten man schliesst die augen wie beim fieber. die aber glühen - leblos und albern zugleich. - ich warne vor sämtlichen
gantenbeinen und tagebuchnotizen dieses autors! |
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