schandfleck.ch_textkritik/2006/januar |
daniel
costantino
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liebesgedichte der gegenwart |
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"haben
sie eine antologie deutscher gedichte der letzten dreissig jahre?"
"nein, das gibt es leider nicht." "warum nicht?" "wissen sie, autorenrechte, verlagsinteressen...sie müssen schon die gedichtbände einzelner autoren kaufen. wozu brauchen sie denn eine antologie?" "zum lesen!" "ach! also es gibt eine grosse sammlung romantischer gedichte, naturlyrik aus dem barock und..." "das hab ich alles schon. mich interessieren zeitgenössische gedichte. und bevor ich so ein buch, in plastik verpackt, kaufe und die gedichte sind miserabel, als wärs der grund, sie in plastik zu hüllen..." "ich verstehe. es gibt allerdings etwas, für den unterricht gemacht..." "zeigen sie! - aha. 'interpretationen. liebesgedichte der gegenwart'. ein reclam-bändchen. ich kaufs." also. für den unterricht. nehmen wir mal so ein gedicht von ulrike draesner mann-o-gramm zwischen
den sprachlaken früh- na, ist das ein
gutes gedicht? die interpretation anne-rose meyers, einer sprachwissenschaftlerin, sieht dagegen ganz anders aus. sie schreibt: misstrauisch gegen jede form lyrischer unmittelbarkeit und sinnlichen schönklangs, wendet sie (ulrike draesner) sich gegen überlieferte ausdrucksweisen, sucht stattdessen ein 'langsames aufbrechen der ab-sprachen. all dessen, was wir uns absprechen, dass es sei. weil wir uns an konventionen, regeln halten.' (draesner) und
meyer weiter: nun, das ist ganz gewiss schön gesagt: gegen jede form lyrischer unmittelbarkeit und sinnlichen schönklangs. wie oberflächlich doch unmittelbarkeit und schönklang! es ehrt die dichterin, dass sie sich von ab-sprache befreien, aus der konvention ausbrechen will. ein urbestreben der poesie. und antiautorität und ein kritisches verhältnis zur sprache (oder noch eher zu deren gebrauch) wären mir ja nicht unsympatisch. nur - müsste es nicht intension der dichtung, überhaupt der kunst, sein, etwas tief empfundenem die passende form zu verleihen? selbstverständlich auch die unkonventionelle, die rahmensprengende, ja verrückte, das alles darf und muss sogar sein. aber in diesem text begegnet uns leider nichts dergleichen: oberflächengekratze, von empfinden keine spur, aus büchern und von verbiesterter sozialisierung geborgtes scheinwissen, reiner, intellektueller abklatsch. und wenn die kritikerin meyer weiter unten schreibt: das attribut zu gaumengenuss, 'frühkindlich', erinnert an die 'orale fase', in der freudschen terminologie eine entwicklungsstufe..., und meint, es lasse sich bei der stelle eine hals-, eine band-, eine affenaffäre und bei den am mutterband laufende(n) affären ein inzestuöses verhältnis zur mutter vermuten, schreibt, durch eine imaginäre nabelschnur mit der mutter immer noch verbunden, gegängelt, ist der erwachsene mann nicht fähig, sich aus dem kindlichen abhängigkeitsverhältnis zu lösen... so kontrastieren diese erkenntnisse doch merkwürdig mit der behauptung, draesner wolle ein aufbrechen der ab-sprachen bewirken, sich gegen überlieferte ausdrucksweisen wenden, ein antiautoritäres verhältnis zur sprache (und damit ja wohl zum denken) entwickeln - als wäre freud nicht selbst autorität, als wären seine tesen nicht sakrosankt in den meisten, nicht nur medizinischen kreisen und gesellschaftsschichten, die psychiatrie nicht längst, seit jahrzehnten, eine dogmatische religion ohne verifizierungsausweis, ein mytischer kult. damit mag man primanern rote ohren machen, aber doch nicht einem publikum kommen, das gedichte lesen will! zwischen den sprachlaken frühkindlicher gaumengenuss ein aussergewöhnliches bild. aber auch ein aussergewöhnlich gutes? eine komplexe wechselbeziehung zwischen ratio und fantasie, welche draesners werke, laut meyer, auszeichneten? das kompositum 'sprachlaken' evoziert vage vorstellungen von einem ruhelager als ort oraler lustreize, doch ist der alltagsgegenstand gleichsam entmaterialisiert ? darin eingewoben 'sprache', auch kann man an die ursprüngliche bedeutung von textum (lat. für gewebe, stoffe, a.-r. meyer) denken, an die vorstellung dichterischer fantasie, die wirklichkeit verfremdet und transzendiert. sprachlaken dichterische fantasie. fantasie, ja. dichterisch, transzendent? und welches bild? leintuch ins maul gestopft! schädelklappen wie ausgebreitete leintücher, die substantive aus schurwolle, die adjektive damasten! oder wie meinen? gaumengenüsslich? eine hals-, eine band-, eine affenaffäre immerhin: rytmischer
impuls. eine halsaffäre. eine bandaffäre. wer das aushält! das attribut zu 'gaumengenuss', 'frühkindlich', erinnert an die 'orale fase', in der freudschen terminologie eine entwicklungsstufe, in welcher der mund die primäre zone ist. durch den zeilensprung lässt sich 'früh' jedoch auch als zeitangabe verstehen von 'morgens' oder 'anfänglich'.... erkennt sie: nähere hinweise, dass die autorin hier auf die sog. 'halsbandaffäre', den historischen betrugsversuch der gräfin jeanne de la motte-valois, anspricht, finden sich nicht. stattdessen schafft draesner mittles halsband und affenaffäre - eine 'affenliebe', also eine übertriebene zuneigung liesse sich assoziieren, auch 'jemanden zum affen', d.h. 'lächerlich machen' - eine subtile kongruenz von bildern und konnotationen. eine ahnung von abhängigkeit und unterwerfung wird vernehmbar, befehl und gehorsam klingen an. haushunde beispielsweise tragen ein halsband, einen gefügigen verehrer oder liebhaber hat man 'am bandel', ist mit jemandem 'verbandelt' oder führt ihn am 'gängelband'. die wahre dichterin
ist die kritikerin! vater
unser im himmel. ,eine ahnung von
abhängigkeit und unterwerfung werde vernehmbar, 'reich' beispielsweise
sei der berlusconi, aber ein näherer hinweis zu ranicki fände
sich nicht, und eine übertriebene zuneigung zum 'vater' lasse sich
assoziieren, welcher gaul ginge mit mir durch? bestimmt nicht einer
aus dem stalle des verfassers dieses gebets. er sucht die prägung auf welch ksotbares deutsch! und wie unkonventionell, antiautoritär, antiab-sprachlich auch! tönt eigentlich wie aus der gruppenterapie eines psychogurus. was die erste ihm fütterte, sucht er für immer wie die frauen uns
männer doch durchschauen. was sind wir bloss für simpel! wie
schon meine grossmutter mir sung... die gleich-andere als nebenbrutstock verzichtet die draesner auf gesuchte neukonstruktionen, wirkt sie nur unbeholfen, plump, nicht einmal zum schreiben talentiert. äffisches verlangen gibt dem revolutionsverlangen zucker äffisches verlangen
ist die neue angestellte meines detailhändlers. bitte zwei pfund
zucker! durch
wortwiederholungen entstehen enge vernetzungen einzelner bilder... verlagswerbung:
in kompetenter interpretation für die schule erschlossen! durch das moment der zersplitterung, das fehlen einer stringenten bildlogik sowie die lockerungen syntaktischer und hypotaktischer zwänge sind wortbedeutungen und korrespondenzen vom leser erst zu entfalten bzw. herzustellen. ihm kommt die aufgabe zu, die poetisch verschlüsselte beschreibung psychischer mechanismen zu dechiffrieren, somit selbst die dichterische anamnese des typus 'muttersöhnchen' nachzuvollziehen. besser noch, er schriebe das gedicht gleich selbst. günter grass mannomann Hör
schon auf. Sag
nochmal: Wird gemacht. Mannomann. Mannomann. Du
musst nicht aufräumen, Mann; lass alles liegen. kein können, keine kunde - das gedicht entbehrt jeder atmosfäre und höheren handwerklichen geschicks. die sprache, rein konstantierend, stierer aufzählung verhaftet, bleibt bar jedes künstlerischen zeichens. die steten wiederholungen wirken öde, abgedroschen, manche formulierung linkisch, ungenau, irgendwie und ungefähr. ein geistloses produkt. ob bittrer ernst oder heitrer spott, lakonisches protokoll oder psychoskizze - es wirkt für alles zu müde, zu denkfaul, zu klischiert. das monotone kein vorzug hier, die wortwahl, bewusst alltäglich, hilfloses dergleichentun. nichts ergibt einen sinn über das bloss gesagte hinaus, steigert, intensiviert, verdichtet sich. kaum mittelmässige begabung, wer nur schreiben kann, schafft das, tausende. dilettantisch und höchst altbacken. die ewige männerleier langweilt doch nur. kein wort auf der goldwaage, unpräzise, ein bisschen schlüpfrig, ein bisschen resigniert, ein wenig zuwenig in jeder hinsicht. von posie ganz zu schweigen. die nächstbeste schablone. private schuttabfuhr eines kleinkarierten geistes. Hör
schon auf. grass beginnt ausgesprochen lapidar. diese weise wird durchgezogen bis zum schluss. im ganzen wirkt sie sogar läppisch. zu schwach noch, um resignation auszudrücken, wirklich etwas auszudrücken. und mir soll einer mal sagen, wie man zugleich fertig und läufig, oder, wie andernorts zum beispiel, leistungsstark und verbraucht sein kann. Sag
nochmal: Wird gemacht. ja. drück knöpfchen. wirst schon eins finden. und lass tanzen. auf dem altmännerstammtisch. Zeig
nochmal deinen Willen und seine Brüche. der wille und seine brüche...da hast du einen knochen. wenn du fleisch willst, wickle es selber drum. ja, meiner, mein grosser. so oft und vielen, vielen. ach, wie ich diese schlüpfrigkeit hasse! vielleicht macht der meister sich lustig? doch wärs die absicht, misslingt sie. keine anzeichen, dass des dichters niveau darübersteht. lächerlich ist höchstens die sprachliche impotenz, auf der ganzen linie. beweise die grosse, bewiesene fürundfürsorge: auch der verdoppelung des beweises und der fürsorge erwächst kein esprit und keine grösse. nichts weiter als attitüde. ich sehe keinen grund, die welt mit solchen zeilen zu belästigen. weder betreffen sie mich, noch unterhalten sie. es sei denn, finanziell ihren verfasser. Mannomann. das gedicht tritt
auf der stelle. man mag das absicht, handwerk nennen. an kleinen ansprüchen
gemessen, ist es so miserabel nicht. doch gewiss für einen literaten
zu mager. es muss werbetechnische gründe haben, grass einen grossen
zu nennen. die träume alle gefilmt? pornos? da les ich doch gleich
lieber noch bukowski. typisch männlich? typisch verklemmt! was
will, um gottes willen einmal diese frage, grass damit sagen? na, hat
wohl das erstbeste wort genommen, das im kopfe rumgepurzelt. die mache
des ganzen elaborats. gleich aufschreiben, damit nichts entschlüpfert,
beim heiligen bimbam! was mann hat, das hat er. mannomann
ist dabei sowohl das letzte gedicht der grafikmappe wie des romans,
die erste strofe bezieht sich im übertragenen sinn durchaus auch
auf das grosswerk, das das gedicht jeweils abschliesst. zugleich meint
sie aber auch den 'punkt' (z. 2), den es hinter eine bislang männlich
dominierte weltgeschichte zu setzen gilt. einzig in seiner sexualfunktion
existiert der mann noch (z. 3), wobei in typisch grassscher weise das
'hebt deine macht sich auf' (z. 20) doppeldeutig zu verstehen ist, wörtlich
als erektion und idiomatisiert als selbstpreisgabe der männermacht. und das allerletzte
der leser.
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