schandfleck.ch_textkritik/2007/juli |
daniel
costantino
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dichter und dekorateure |
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landschaftsschilderungen | ||||||
> Lieber Freund,
jetzt in den staubigen zeitlosen Stunden der Stadt, wo die Strassen
schwarz daliegen und im Kielwasser der Sprengwagen dampfen, jetzt, wo
die Betrunkenen und Obdachlosen in den Gassen oder auf verlassenen Grundstücken
im Schutz der Mauern gestrandet sind und Katzen hochschultrig und mager
durch trostloses Gelände streunen, jetzt inmitten dieser russschwarzen
Ziegel und kopfsteinigen Durchgänge, wo die Schatten der Leitungsdrähte
die Kellertüren in schauerliche Harfen verwandeln, wird keine Seele
gehen ausser dir. ganz ohne zweifel eine grosse, reiche, meisterliche sprache. hochpräzise beschreibung und fantasievolle verlebendigung der szene, transzendenter sog und ein sprachcharakter eigener, melodischer, rundgeschliffener prägung. kein störender zierat, kein vorlautes oder überflüssiges wort, nichts gekünsteltes und gewundenes - ungetrübter genuss. immense dichte, fülle, konzentrierteste aufmerksamkeit. man kann nicht nach ein paar seiten wissen, ob der roman als ganzes gelingt, von dem wir die ersten sätze gelesen, aber man fühlt, dass ein solcher autor nicht imstande sein kann, uns im weitern verlauf seiner geschichte sprachlich zu enttäuschen. zu augenfällig schon hier die schöpferische potenz, die dichterische präsenz, das vermögen, nicht nur beschreiben, sondern zum leben erwecken zu können. und wäre der übersetzer zu überschätzen oder zu unterschätzen, wären rytmus und wohlklang, wäre die melodie des satzbaus aus zweiter, vielleicht kongenialer, vielleicht etwas lässigerer hand keine ebenbürtige wiedergabe der dichtung, die etwas auffälligen wiederholungen des relativpronomens 'wo' zum beispiel, im englischen vielleicht möglich, lässt meine frage offen - wir haben hier eine komposition hellen sprachbewusstseins, fruchtbarer sprachkultur und schon nur mit diesem abschnitt eine reife künstlerische gestaltung vor augen. es handelt sich
um den roman 'verlorene' des amerikaners cormac mccarthy (*1933), 1992
auf deutsch erschienen und übersetzt von hans wolf. Lieber Freund, jetzt in den staubigen zeitlosen Stunden der Stadt, wo die Strassen schwarz daliegen und im Kielwasser der Sprengwagen dampfen, jetzt, wo die Betrunkenen und Obdachlosen in den Gassen oder auf verlassenen Grundstücken im Schutz der Mauern gestrandet sind und Katzen hochschultrig und mager durch trostloses Gelände streunen ... es ist nicht die
tadellose wortwahl alleine, nicht bloss der ruhige, wohlkonzipierte
fluss der sprache, die vorstellungskraft und die präzise darstellung
nur und auch nicht alles zusammengenommen, was diese sprache so faszinierend,
so poetisch macht, es ist überdies und zuvorderst das vermögen,
tief in die dinge einzudringen und unentdecktes sichtbar zu machen und
in einen zusammenhang zu stellen, der über das rein deskriptive,
rationale hinausgeht. ... jetzt inmitten dieser russschwarzen Ziegel und kopfsteinigen Durchgänge, wo die Schatten der Leitungsdrähte die Kellertüren in schauerliche Harfen verwandeln, wird keine Seele gehen ausser dir. gut, könnte
man sagen: die russschwarzen ziegel sind halt so und die kopfsteinigen
durchgänge, das ist exakte beschreibung, was soll die sprache denn
anderes, was denn noch mehr? nun eben, der zweite teil: diese schwärze,
diese schatten transzendieren zur schauerlichkeit (der harfen), und
die ist nun ausgesprochen subjektiv und dichterisch - dichterisch nicht
als wort für sich genommen, sondern im zusammenhang herbeigeführt,
nicht etwa dilettantisch draufgemurkst, die eine, rationale, beschreibende
ebene löst sich spielend, organisch auf in die gefühlsmässige,
subjektive. und dass eines wie von selbst zum andern komme und ein wechselweises
entstehe, atme und sich wiederverwandle, das ist hohe kunst und dafür
sorgt der dichter, der nicht von ungefähr auf ebendiese vergleiche
und gegenstände kommt. Altes Mauergestein, unbeleckt vom Wetter, in seinen Schründen geborgen fossiles Gebein, Kalksteinkäfer zerdrückt auf dem Grund dieses einstigen Binnenmeers. Dürre dunkle Bäume hinter Schmiedeeisen, dort, wo die Toten ihre eigene kleine Hauptstadt haben. Seltsame Marmorgebilde, Stele und Obelisk und Kreuz und kleine regenverwaschene Steine, wo Namen mit den Jahren verblassen. was kommt da im
ersten satz zusammen! altes mauergestein, vom wetter unbeleckt - als
verachte die natur jedes menschliche streben. mit einem streich ihrer
kraft zerdrückt sie jahrhunderte, jahrmillionen ihr abgerungenes,
temporär ergattertes leben. das nenn ich in einen zusammenhang
gestellt! niedliches, seltsames menschenwerkeln und -hoffen ... Erde, gefüllt mit Proben des Sargtischlergewerbes, staubigem Gebein und vermoderter Seide, das Sterbekleid befleckt von Verwesung. Draussen unter dem blauen Lampenlicht laufen die Strassenbahnschienen weiter in die Dunkelheit, gebogen wie Hahnenfüsse im unechten Dämmer. ich habe derartiges
nicht vorher gelesen. ja, ich bin hingerissen. diese ballung von sprache,
diese fülle von ineinanderverwebtem geschehen auf kleinstem raum,
diese hochsensible fantasie einer moribunden und doch unentwegt regen
welt - eine ganz persönliche, kostbare handschrift des autors,
unverwechselbarer daumenabdruck eines künstlers. überall stöbert
er in verwesendem, verwesenem, stochert und kratzt reste ans licht und
befördert einen prozess zutage, der im toten noch voller lebendigkeit
scheint, nicht abgeschlossen noch erlösung, vollendung nicht, selbst
wieder erwartung - vielleicht. > Fabrikmauern aus altem dunklen Backstein, mit Unkraut bewachsene Schienen eines Nebengleises, ein faulig bläulicher Wasserkanal, wo dunkle Schlieren namenlosen Abfalls in der Strömung schaukeln. Blechplatten zwischen dem Glas in den rostigen Fensterrahmen. Im Leuchtkörper der Strassenlaterne, dort, wo ein Stein ihn getroffen hat, klafft ein mondförmiger Riss, und aus dieser Öffnung treibt, durch die ununterbrochene Spirale emporstrebender Insekten hindurch, ein feiner und stetiger Regen der gleichen Wesen, verbrannt und leblos. < wenden wir uns nun einem andern autor zu und seiner > Landschaft Die Küste
war flach und fruchtbar bis zum letzten grossen Dorfe, wo die Tramlinie
endigt. Nun aber wechselt das plötzlich; ein Gebirge erhebt sich
aus dem Meer und steigt rasch zu mehreren hundert Metern an, in prachtvollen
weissen Türmen hier, dort in breiteren Gipfeln. Aber überall
herrscht der senkrechte Fels so vor, dass man keinen Berg auf beliebigem
Wege ersteigen kann. diese prosa, entnommen den 'impressionen aus einem fischerdorf am mittelmeer' von ludwig hohl ((1904-1980), wirkt zu unpersönlich, um dichterisch sein zu können. man könnte sie schön nennen, aber es ist eine korrekte, massgeschneiderte, konfektionelle schönheit, die dünnen atem hat und keine brisanz verströmt. mit wenigen abstrichen fände sie platz in einem reiseführer oder einem geographiebuch für die schule. sie erschöpft sich fast ganz in exakter beschreibung, im gegenständlichen, wenig immaterielles strahlt von ihr aus. die seelische substanz ist praktisch nicht vorhanden, und nichts hebt diese sprache, ausser ihrer beflissenen exaktheit, hervor. Die Küste war flach und fruchtbar bis zum letzten grossen Dorfe, wo die Tramlinie endigt. Nun aber wechselt das plötzlich; ein Gebirge erhebt sich aus dem Meer und steigt rasch zu mehreren hundert Metern an, in prachtvollen weissen Türmen hier, dort in breiteren Gipfeln. Aber überall herrscht der senkrechte Fels so vor, dass man keinen Berg auf beliebigem Wege ersteigen kann. es mag sich um präzise
wiedergabe der topografie handeln, es mögen auffällige und
prägende gegebenheiten beschrieben sein, so haargenau man will
- abbildung der realität mag man es nennen und sich damit zufriedengeben.
aber es durchzieht kein gefühl die sätze, nicht ein hauch
von poesie, alles bleibt über das rein gegenständliche hinaus
toter buchstabe. eine fotografische leistung, das ist es. ein fotonegativ
ohne eigenes leben. ausserdem wirken satzbau und wortschatz konventionell,
abgesichert, und die melodik zufällig, nicht weit und nicht tief
hergeholt das ganze, bloss vom alltäglichen verstande. Direkt ins Meer aber fallen nirgends grössere Abstürze. Sondern dazwischen ziehen sich Rippen hin, schwach ausgeprägte Tälchen, die eine Fortsetzung der Meeresbuchten bilden, Bodenwellen. Dieses ganze Gelände, das nach den Bergen ansteigt, ist in einem Worte beschrieben: steinig. Allerlei geringe Vegetation achtet man nur, wenn man sich draufsetzt oder sich die Füsse sticht daran. Bäume existieren nicht, Bäche nicht, Erde nicht, Wiesen nicht. Zwar weiter oben, unmittelbar am Fuss der weissen Türme, einige hellgrüne Wälder. Aber klein, fern, man glaubt an sie kaum. Man denkt, ein leichter grüner Schmuck zu Ehren der weissen Türme. eine leichte neigung ins irrationale in den zwei letzten sätzen, ein übers rationale hinausweisender hauch, fein, zart, aber zu wenig in diesem kontext sturer aufzählung, rein landschaftsvermessender prosaistik. Fast alles ist weiss. Bisweilen erblickt man ein absonderliches kleines Gemäuer, von einer alten Festung oder so. Und irgendwo noch steht man plötzlich vor den Ruinen einer einstigen Fabrik. Schlacken- und Aschenablagerungen verstärken den Eindruck der Öde. wohl bezeugt das
wort die öde, aber die sprache gibt sie nicht wieder. oder so.
wohl ist eine tonart angeschlagen, aber damit keine musik gemacht. eine
einszueinsdarstellung. als würde einer klavierspielen wie er schreibmaschineschreibt.
und zu belanglos, zu zufällig, von keinem höheren sprachbewusstsein
erhellt: alles ist weiss ... man erblickt ... irgendwo steht ... hohl
verfügt nicht über die geringsten poetischen mittel. man vernimmt,
dass inseln fünfzig bis hundert meter hoch dem meere entsteigen.
man erfährt, dass sie näher und ferner stehen. man hört
den vergleich mit geisterschiffen und türmereichen palästen,
aber kann einen das in dieser knochentrockenen stimmung verzaubern?
und sind die vergleiche nicht naheliegend, tausendmal, jeder ferienprospekt
wird es bezeugen und jedes währschafte deutsche gedichtbuch, verkündet?
die jenseits-landschaft. also gut. ein bisschen was mag er einem gönnen,
der hohl. und da alles eben ein bisschen unwahrscheinlich ist in der
öde und wieder mit den türmen, wird halt in gottesnamen alles
zur jenseits-landschaft. > Des Meeres Farben Zur Zeit des
Mistrals scheint meist die Sonne auf ein Meer von sehr kaltem Blaugrün.
Die Wellenkämme, ein weisses Getümmel in der Nähe, erkennt
man auch am Horizonte noch als zerfaserte Linien und Punkte. Zur Zeit des Mistrals scheint meist die Sonne auf ein Meer von sehr kaltem Blaugrün. Die Wellenkämme, ein weisses Getümmel in der Nähe, erkennt man auch am Horizonte noch als zerfaserte Linien und Punkte. wie soll man diese sprache nennen? sie lässt völlig kalt, selber kalt, pingelig, klarsichthüllenduktus. das weisse getümmel, das fast einer empfindung nahekommt, ist eine viel zu abgegriffene metafer, gangungäbe auf postkartengrüssen, viel zu wenig für einen guten schriftsteller, der sich selbstverständlich so ausdrücken darf und kann, aber doch nicht auf dem raren höhepunkt poetischer bestrebung talentiert genannt werden kann. die zerfaserten linien und punkte geben ebenfalls wenig, zu wenig her. das sind alles viel zu abgezeichnete, schon verwelkte pinseleien, stimmung in die sache zu bringen. es mangelt sehr an eigenständigem esprit. sagen, was es zu sagen gibt und nichts über die eindimensionale korrektheit hinaus, über das hinaus, was gemeinhin als realität erfasst und beglaubigt ist. hohl betreibt, ich denke, im vollen bewusstsein, détailbeobachtung, und das nicht schlecht. aber er bringt, was er beschreibt, um seine seele. Aber manchmal bildet sich der Küste entlang eine grosse leichenfarbene Zone. Keine genauen Worte aus der Farbenskala könnten soviel sagen wie: leichenfarben. Erst weit draussen geht diese erschreckende Fahlheit fast plötzlich über in den grünlichen Ton der dämonischen Verachtung - der jetzt wie eine Lebenshoffnung erscheint! ungefähr eine bankrotterklärung, wenn ein ambitionierter schriftsteller nur die farbenskala zu hilfe nehmen kann, eine küste zu beschreiben, und die ihm nichts mehr hergibt. man kann immer sagen, es gibt nicht mehr zu sagen, das können krethi und plethi auch. die erschreckende fahlheit - sieht man sie, spürt man sie denn plastisch? ich kann mir schon denken, dass hohl selber eingenommen war von der landschaft, aber er setzt seine empfindung formal nicht um, giesst sie nicht in adäquate sprache. oder es sei, er halte für dichtung eine art aufzählung aller dinge, die ihm in den sinn kommen, nein, das wäre schon zuviel, aller dinge, 'die man sehen kann'. vielleicht hält er für kunst, nichts darüberhinauszutun, wie sein geistesverwandter max frisch, bei dem ich von dieser kruden art kunstvorstellung gelesen habe. sie ist spiessig, unfruchtbar und bejammernswert, schriftstellerndes hausfrauensyndrom - alles hübsch herausgeputzt an seinem platze, hygienisch, museal, keimfrei und firlefanz. die 'dämonische verachtung' als lebenshoffnung! bin ich im geringsten eingesponnen, scheint die sache überhaupt plausibel, gestaltet, herbeigeführt? retorische frage ... hohl hat keinen sinn für solche dinge, scheint mir, wenigstens nach lektüre dieser 'impressionen aus einem fischerdorf'. dass so ein autor plötzlich, ich wüsste nicht wo, aber kenne hohl weiter nicht als aus diesem büchlein, mit seinen sätzen kerker spalten sollte - nun, dann müsste er selbst eine ziemlich gespaltene persönlichkeit gewesen sein. hier jedenfalls geschieht nichts dergleichen. Jeder schöne Abend bietet in den Lüften das Spiel geballter und zerfetzter Wolken, lohender und zarter Farben. Die allbekannten Gaukeleien: Es stürzt ein sehr starkes Goldrot aus einem Loche hervor u.s.w. Dieselben Dinge wie man sie im Gebirge sieht, nur sind dort die Töne kälter, hier farbiger, dort eindrucksvoller, hier theatralischer. der eingangssatz
gar nicht schlecht, aber was folgt, kann nicht entzücken. lebt
hier was, weist hier etwas über das gerade gesagte hinaus, spielt
etwas mit den seelischen und geistigen ebenen, entsteht so etwas wie
transzendenz, überhaupt etwas wie bewusstsein übers grad geschaute,
materiell ersichtliche hinaus? - nein. Inmitten der erloschenen Küste und Umgebung gleicht es dem Blut aus einer gewaltig klaffenden Wunde in einer unreinen, farblosen Hand; der dicken Tinte auf dem Löschblatt, die dieses nicht einsaugen kann, auch da nicht, wo sie sich schon den Fasern entlang verteilt. Denn es gibt keine Vermischung. hier ein wagnis, ein versuch zur poesie. das wäre ein guter, wenn auch überraschender abschluss. die gewaltig klaffende wunde verliert aber eindeutig an fürchterlichkeit durch den zweiten teil des satzes: farblos und unrein sind zu karge, so gesehen eigentlich überflüssige worte. sie ist doch auch geistig nur handtellergross. die tinte des löschblatts sickert auf den tisch, um den vergleich zuende zu denken, wenn sie nicht vom blatte aufgesogen wird. das blut aus dem beet der hand tropft zu boden. wohin also mit dem meere? als geheimtip der
schweizerischen (modernerweise auch: europäischen) literatur gilt
seit langem unter schweizer insidern jeremias gotthelf, mit bürgerlichem
namen albert bitzius (1797-1854). walter muschg, seinerzeit professor
für literaturgeschichte in basel (nicht zu verwechseln mit adolf
muschg), schrieb 1954 über ihn, dieser aussenseiter sei 'fraglos
nicht nur der grösste, sondern der einzige erzähler ersten
ranges in der deutschen literatur, der einzige, der sich mit dickens,
balzac oder dostojewskij vergleichen lässt'. und: 'trotzdem ist
er vielen hervorragenden kennern unbekannt. sein name entlockt ihnen
unfehlbar ein lächeln, und es scheint ausgeschlossen, dass er jemals
in die weltliteratur eingehen wird. nicht nur deshalb, weil nur ein
schweizer die fülle seiner barbarischen sprache ermessen kann.' > Es blieb
heiss, und den 4. August war ein stark Gewitter. Da schien auf einmal
der Sommer zu schwinden, der Herbst einzukehren, und auf wunderbare
Weise teilten sie den Tag unter sich. Der Morgen war herbstlich, man
glaubte, der Kühe Läuten, der Hunde Jagdgebell hören
zu müssen; dann ward der Abend wieder sommerlich, und von des Donners
Stimme hallten alle Berge wider. Ganze Nebelheere hatten der Schweiz
sich zugezogen, waren über die Berge gestiegen, hatten in die Täler
sich gestürzt und lagerten sich grau und wüst über den
Talgründen und an den Talwänden. Von allen Seiten waren sie
hergekommen, als ob alle Mächte der ehemaligen sogenannten Heiligen
Allianz, die rings uns umgürten, vereint in ihren Ländern
alle Dünste und alles die Luft Trübende zusammengeblasen und
fortgeblasen hätten über ihre Grenzen weg über unsere
Berge herein, dass es sich da ablagere und niederschlage zu Graus und
Schrecken der armen, arglosen Schweizer. Wirklich berichten Astronomen,
dass in Deutschland und besonders im Norden desselben, wo die pfiffigen
Preussen wohnen, die witzigen Berliner, die unsern Herrgott morgens
und abends mitleidig bedauern, weil er nicht Witze zu machen verstehe
wie sie, die Atmosphäre nie so lauter und durchsichtig gewesen
sei als in jenen Tagen des Augusts, wo am Morgen Nebelmassen, am Abend
Wolkenmassen schwarz und schwer den Schweizern, mit denen jeder unverschämte
Bälli sein Bubenwerk treiben zu können meint, über die
Köpfe hingen, den Gesichtskreis trübend, das Atmen erschwerend. es bereitet vergnügen, solche darstellung zu lesen. doch, hier kommt schon temperament ins spiel, cholerisches. nur lässt sich eine solche lektüre nicht ohne ermüdung durchhalten über mehrere kapitel, ja, mir scheint, schon nach ein paar seiten kriegte man auch gerne was andres noch zu beissen. es ist keine echt urwüchsige, keine im ernsten sinne dichterische kraft in dieser sprache, sie entsteht nicht von innen heraus und beseelt infolgedessen wenig. sie ist zu einseitig superlativ, höhe ohne tiefe, zuweilen unfreiwillig karikaturhaft. eine erstrangige verbalpolterei, eine sensationelle donnerpredigt, das mag mitreissen als akrobatisches turnen, aber leuchtkraft von innen geht ihr ab, empfindung, erlebnis, seelenspannung - sie bleibt imgrunde beredte mitteilung. und überdies, scheint mir, legt es gotthelf sehr darauf an, dem volke, oder dem, was er dafür hält, nach dem munde zu reden. Es blieb heiss, und den 4. August war ein stark Gewitter. Da schien auf einmal der Sommer zu schwinden, der Herbst einzukehren, und auf wunderbare Weise teilten sie den Tag unter sich. Der Morgen war herbstlich, man glaubte, der Kühe Läuten, der Hunde Jagdgebell hören zu müssen; dann ward der Abend wieder sommerlich, und von des Donners Stimme hallten alle Berge wider. ein launiger wetterbericht! was hält man von meiner idee, einen solchen gesellen allabendlich die wetterprognosen im fernsehen vortragen zu lassen, zwecks belebung der einschaltquote, samstagabends liesse sich das ganze mit dem 'wort zum sonntag' kombinieren? was für ein schamanentanz um die karte, was für eine wetterleuchtende, gottesanbeterische volkstümelei! Ganze Nebelheere hatten der Schweiz sich zugezogen, waren über die Berge gestiegen, hatten in die Täler sich gestürzt und lagerten sich grau und wüst über den Talgründen und an den Talwänden. Von allen Seiten waren sie hergekommen, als ob alle Mächte der ehemaligen sogenannten Heiligen Allianz, die rings uns umgürten, vereint in ihren Ländern alle Dünste und alles die Luft Trübende zusammengeblasen und fortgeblasen hätten über ihre Grenzen weg über unsere Berge herein, dass es sich da ablagere und niederschlage zu Graus und Schrecken der armen, arglosen Schweizer. gotthelfs seitenhiebe haben unbestritten witz. ich verstehe, dass er als pfarrer in lützelflüh unter pseudonym geschrieben hat. die politischen pointen lesen sich köstlich. aber ich kann ihn nicht als dichter, nicht als bedeutenden autor sehen. das heisst nicht, er wäre nicht lesenswert, wenn man die vielen religiösen missionierungsversuche in seinem werk entweder erträgt oder leichthin übergeht. Aber die Blitze zuckten feurigen Schlangen gleich, der Donner schmetterte seinen Schlachtenruf, die Winde brausten ihr Loblied, sie frugen nichts nach Landjägerkommandanten, nichts nach Polizeidirektoren, sie zuckten, schmetterten und brausten als die Herren des Landes, deren Ruf und Schelten alles untertan. zu geklotzt, auch zu naiv, um wahrhaft gut zu sein. nur, wenn man als hirte die schafe für dumm erachtet, unfähig, sich übers strotzend vitale, fast animistische hinaus einen begriff von der welt und der existenz zu machen. Bäume brachen, Häuser krachten, Türme wankten; bleich verstummte das Menschenkind und barg seinen Schrecken in des Hauses sichersten Winkel. Und als die zornigen Wolken den Herrlein und den Fräulein gezeigt hatten, wer Meister sei im Lande, wälzten sie sich, jeden Tag von neuen Dünsten schwerer, durch neue Nebelmassen gewaltiger, noch weiter das Land hinauf. der erste halbe satz poetisch, musikalisch inspiriert. er bleibt singulär. nicht zu erkennen, worauf gotthelf eigentlich hinauswill über die reine darstellung, wort für wort, hinaus. was er einschiebt, politische statements, religiöse reminiszenzen, haben doch zuwenig eigne gedanken zur grundlage, mehr als zum oberflächlichen amüsement taugt das alles nicht, ist zu stark eine bestätigungsliteratur und nur zum kleinsten teil seelisches, sensibles erleben. die zornigen wolken hier, der meister im lande, viele andere bilder zuvor können keine strahlkraft verbreiten, bleiben, in der summe, recht aufgemotzte mitteilung, artistische wortgymnastik. das ist nicht wenig und trägt zur unterhaltung einiges bei. aber poetisch, dichterisch, grosse, einnehmende erzählung kann daraus nicht erwachsen, und für unser tema, die landschaftsschilderung, ergibt sich zuwenig kostbare substanz, nichts, was beim zweiten lesen sich vertiefen könnte. bleiben wir noch ein wenig bei den schweizern! was hält man, im vergleiche, von diesem text: > Ich hielt
auf den Kapuzinerzipfel zu und war auch noch nicht an Land, als der
Teufel in der Luft losging. Windhosen rasten herauf, schräg über
den See auf Rapperswil zu. Es hagelte ins Gestürm hinein. Ich schrammte
zwischen die Steine und lud schnell aus - ein paar Körbe, ein paar
kleine Harasse -, dann stemmte ich den Kahn über die Ufermauer
und zog ihn unter die Linde auf der Rondelle. Und dann rannte ich, schon
nass bis auf die Haut, zum Hafen. gerold späth (*1939) ist ein einfallsreicher, animierter erzähler, dessen wortschatz und sprachpflege, dessen füllige schilderungen und pointierten seitenhiebe ihresgleichen suchen in der zeitgenössischen deutschsprachigen literatur. seine sprache hat einigen glanz, und er gehört nicht zu den mühsam mit syntax und vergleichen ringenden und nicht zu den gegenwärtig zahlreichen zeitgeist kolportierenden vertretern seines fachs. es ist hier eine stelle aus seinem roman 'unschlecht' zitiert, den er 1970 publiziert hat. Ich hielt auf den Kapuzinerzipfel zu und war auch noch nicht an Land, als der Teufel in der Luft losging. Windhosen rasten herauf, schräg über den See auf Rapperswil zu. Es hagelte ins Gestürm hinein. Ich schrammte zwischen die Steine und lud schnell aus - ein paar Körbe, ein paar kleine Harasse -, dann stemmte ich den Kahn über die Ufermauer und zog ihn unter die Linde auf der Rondelle. Und dann rannte ich, schon nass bis auf die Haut, zum Hafen. seine sprache ist jener gotthelfs ähnlich, sie wirkt aber durchweg sensibler und präziser als jene. sie neigt an keiner stelle zur volkstümelnden naivität und kommt gewissermassen näher ans geschehen heran, eine differenz, die sie auch reichhaltigerer ausdruckspalette und grösser entwickeltem auffassungsvermögen verdankt. der unterschied ist aber nicht so bedeutend, dass man späth einen sehr viel höheren dichterischen rang zuerkennen möchte als dem pfarrer von lützelflüh. es gibt an dieser sprache eigentlich nichts auszusetzen, sie leistet sich weder nachlässigkeiten, schludrigkeiten, noch abgedroschene metafern, und wo sie, gotthelfs bestreben wiederum verwandt, dem volke quasi aufs maul schaut, tut sie das mit einer wohltuenden ironischen distanz. Der See sprang über die Wellenbrecher, zerschlug Flösse und Schiffe an den Mauern und zerhackte alles, was die Wellen von Bojen und Pfählen rissen, und der Hagel schlug die Bäume kahl, der Hagel schlug die schöne Stadt; die ganze zurechtgeschleckte Mittelalterlichkeit kam schwer unter den Hagelhammer. Ausgerissenes Gesträuch; im Wind wirbelten Äste durch die Luft, fegten über die Seestrasse; Ziegel und Fensterscheiben klirrten auf parkierte Autos herab; der Sturm köpfte Kamine, riss Antennen ab; über den Aufstieg plätscherte trübe Brühe und überschwemmte breit und braun den Hauptplatz; vom Schulhaus flatterten Fensterläden; Friedhofdreck sprudelte durch die Mauerlöcher, schoss breit den Herrenberg hinab. späth bietet bewusste arbeit an der sprache an, er weiss um wohlklang und rytmisierende elemente. stabreim um färbung der vokale kein zufall, er beherrscht ohne zweifel mehr mittel als gotthelf, mehr auch als das gros der sich im gegensatz zu ihm gut verkaufenden kollegen heutigen schlags. er ist ein herausragender stilist, ein könner in dieser beziehung. Der See sprang über die Wellenbrecher, zerschlug Flösse und Schiffe an den Mauern und zerhackte alles, was die Wellen von Bojen und Pfählen rissen, und der Hagel schlug die Bäume kahl, der Hagel schlug die schöne Stadt das nenne ich wohlklang, musikalität. und auch das: im Wind wirbelten Äste durch die Luft, fegten über die Seestrasse; Ziegel und Fensterscheiben klirrten auf parkierte Autos herab; der Sturm köpfte Kamine, riss Antennen ab; über den Aufstieg plätscherte trübe Brühe und überschwemmte breit und braun den Hauptplatz; vom Schulhaus flatterten Fensterläden; Friedhofdreck sprudelte durch die Mauerlöcher, schoss breit den Herrenberg hinab indes, bei aller formidablen pflege der sprache, bleibt späths darstellung eindimensional, fulminante und gekonnte schilderung, aber ohne rechte vertiefung, intellektuelle, aber wenig seelische substanz, kaum transzendenz, bleibt zu real und zu gegenständlich, um grosse dichtung genannt werden zu können. Ein paar Minuten nach dem ersten Geprassel, es war etwa zwanzig Minuten nach drei, läuteten die Kapuziner Sturm in den Sturm; der Wind hatte das gut versteckte Geheimnis der Brüder zusammengelegt: Den Saustall an der äusseren Gartenmauer gegen die Bucht zu. Die Säue, fünfzehn, sechzehn rabiate Rüssler, brachen aus und kreisten im Kräutergarten, sie demolierten den Lattenhag, drückten die hintere Gartentür ein und überwarfen Bohnenstangen und Leiterwagen; die drei letzten wurden erst gegen vier Uhr in der Grotte des Säulitoni, ihres Patrons, mit Kapuzinerstricken gefangen und aus dem geweihten Ort gezerrt. plastisch, eindrücklich,
détailreich. aber zuwenig seele. zu wenig schöpferischer
geist. sehr solides, untadeliges handwerk, aber kaum aura drumherum,
fast nichts darüberhinaus. meister der sprache, aber kein erstrangiger
dichter, leider, leider. und nun lade ich ein zu einem herbstlichen aufenthalt > Am See Um diese Zeit geschah es, dass an einem wunderschönen Tage des beginnenden Herbstes Hella ihren Pony satteln liess, um einen Spazierritt zu unternehmen. Eine klare, sonnige Luft war rings verbreitet, stärkend wie Wein, und aus den dampfenden Morgennebeln war ein goldener Tag emporgestiegen. Es war, als hätte sich die blaue, wolkenlose Glocke des Himmels unendlich erweitert und die Welt sich vergrössert, denn vieles an den dämmernden Höhenzügen des Horizontes, das sonst in blauem Dunst oder matten Schleiern verhüllt lag, tat sich in bestimmten Linien und zarten Umrissen hervor, und an dem Wahrzeichen der Gegend, der Kirche von Borna, die viele Meilen weit sichtbar auf dem langgestreckten Höhenzuge sich zeigte, der den Lauf der Elbe begleitet, konnte man heute alle Fenster zählen. Der Trieb in die Ferne, der solchen Tagen eigen ist, die erfüllt sind von den Lockrufen wandernder Vögel und den silbernen Fäden des fliegenden Sommers, hatte auch Hella ergriffen, und am liebsten wäre sie hinausgeritten in die weite Welt, die heute so sauber und glänzend erschien, so recht wie ein Schauplatz für lauter zierliche und anmutige Abenteuer. Sie dehnte deshalb ihren Ritt heute weiter aus als gewöhnlich, bis sie an die Grenze gelangte, wo an dem Walde des feindlichen Nachbargutes entlang ein wenig befahrener Feldweg lief. Dort liess sie ihr Pferdchen im Schritt gehen, und als sie, den Blick auf den herbstlich gefärbten Wald gerichtet, dort entlang zog, wurden allerlei Erinnerungen an längst entschwundene Zeiten in ihr wach. In früheren Tagen, als die Familien noch viel miteinander verkehrten, war man öfters auf halbem Wege in diesem Walde zusammengekommen. Das Gehölz umschloss einen kleinen See, an dessen Ufern sich unter dem Schutze einer alten mächtigen Eiche einige Rasenbänke befanden und eine regendichte Mooshütte errichtet war, die bei ungünstiger Witterung einen Unterschlupf bot. Dort hatten die beiden Familien mit anderen Freunden aus der Umgegend so manches kleine Sommerfest miteinander gefeiert, und oftmals hatte von dort aus das Klingen der Gläser, fröhliches Gelächter und lustiger Gesang durch den Wald geschallt. Aus ihrer frühen Kindheit erinnerte sich Hella so mancher dieser Zusammenkünfte, und besonders die letzte dieser Art, die überhaupt stattfand, war ihr treu im Gedächtnis geblieben. Man hatte an einem wunderschönen Herbsttage dort am See den Geburtstag der Frau Dieterling gefeiert, und Hella erinnerte sich noch sehr wohl ihrer Verwunderung, als sie alle jungen Fichten der Umgegend mit leuchtenden Georginen und Sonnenblumen geschmückt fand, denn im ersten Augenblick hatte sie gedacht, diese Nadelhölzer hätten solchen farbigen Zierat aus eigenem Vermögen hervorgebracht. Fürchterlich war es gewesen, und sie hatte sich sehr die Ohren zugehalten, als Fritz Dieterling zu Ehren des Tages aus einer grossen Messingkanone das Echo anböllerte, aber nachher hatte sie selbst über den See hinweggerufen: "Hella!" Da hatten ihr zarte Stimmen geantwortet, schnell hintereinander weg und immer ferner, wohl viermal, und sie hatte fest geglaubt, dort in dem grünen Dämmer des Seeufers müssten noch andere kleine Mädchen sein, und sie wollte sie holen, um mit ihnen zu spielen. Fritz Dieterling aber hatte überlegen gelächelt und gesagt: "Das ist ja man bloss das Echo, und wenn du spielen willst, dann musst du mit mir spielen. Komm mit, ich weiss was. Was Schönes. < eine romantisierende, idyllisierende prosa, deren fruchtlose versuche, poetisch zu wirken, ins auge stechen: Eine klare, sonnige Luft war rings verbreitet, stärkend wie Wein, und aus den dampfenden Morgennebeln war ein goldener Tag emporgestiegen. der vergleich mit dem wein doch ein wenig gesucht und danebengelangt, die dampfenden morgennebel und der goldene tag recht abgedroschene, kraftlos gewordene wendungen in jener zeit schon, als heinrich seidel (1842-1906) diese weihnachtsgeschichte 'am see und im schnee' publizierte. Es war, als hätte sich die blaue, wolkenlose Glocke des Himmels unendlich erweitert und die Welt sich vergrössert deutliche bemühungen seidels, sich dichterisch hervorzutun, gleichsam zuhälterisch die sprache feilzubieten wie man eine aufgetakelte hure in die öffentlichkeit stellt. denn vieles an den dämmernden Höhenzügen des Horizontes, das sonst in blauem Dunst oder matten Schleiern verhüllt lag, tat sich in bestimmten Linien und zarten Umrissen hervor satz für satz abgenutzte, verlebte, überschminkte sprache, einem spiessigen und kunstfeindlichen ideal zurechtgeschrieben. sie ist weniger als unpoetisch, sie ist verlogen und parasitär, hie und da lachhaft entlarvend: und an dem Wahrzeichen der Gegend, der Kirche von Borna, die viele Meilen weit sichtbar auf dem langgestreckten Höhenzuge sich zeigte, der den Lauf der Elbe begleitet, konnte man heute alle Fenster zählen die verstrickung in den doppelten relativsatz hier und die läppisch unbedarfte fensterzählerei entblössen den autor dieser glasierten sprache als einen verkitschten stümper ohne bewusstsein für tiefere empfindung und wahrhaftige sprache. er schreibt nicht 'nur schön' wie hohl, es offenbart sich hier ein recht korrumpierter geist, eine bürgerlich-spiessige gesinnung hinter diesen zeilen zum heulen. Der Trieb in die Ferne, der solchen Tagen eigen ist, die erfüllt sind von den Lockrufen wandernder Vögel und den silbernen Fäden des fliegenden Sommers der applaus der mediokren meute lesender laffen war und ist einem solchen autor gewiss, das geistige klima, das er verbreitet und zugleich bedient, ein zusammenkommen lauen, süsslichen, seelenschmeichlerischen winds, chemisch gereinigten bodens und chic parfümierten dungs und gar lieblich bereinigter atmosfäre, schnipselhaft künstlich zersetzten gewölks. Fürchterlich war es gewesen, und sie hatte sich sehr die Ohren zugehalten, als Fritz Dieterling zu Ehren des Tages aus einer grossen Messingkanone das Echo anböllerte, aber nachher hatte sie selbst über den See hinweggerufen: "Hella!" Da hatten ihr zarte Stimmen geantwortet, schnell hintereinander weg und immer ferner, wohl viermal, und sie hatte fest geglaubt, dort in dem grünen Dämmer des Seeufers müssten noch andere kleine Mädchen sein, und sie wollte sie holen, um mit ihnen zu spielen. kindische, substanzlose sprache, interessant vielleicht für verwöhnte gören und pseudogebildete tölpel, literarische schummelware und seelenlose attrappe, über die kein weiteres wort zu verlieren ist. man vergleiche diese sprache einmal mit dem folgenden text: > Ein Sommerabend, ganz danach angetan, die Unbilden des Daseins vergessen zu machen. Kein Wind regt sich. Die Sonnenglut des Tages steht noch über dem Lande und hüllt es in warmen Dunst. Der Himmel schwärzt sich, als sei ein Maler daran, ihn mit tintigem Pinsel zu tuschen. Mein volles Herz bewundert die Harmonie in den sich langsam verfinsternden oder zergehenden Farben. Mein Leib und meine Seele baden in der stillen Wärme der Luft, die wie der Körper eines weichbefellten Tieres duftet und schmeichelt. Man ist nicht einsam in diesem weitgespannten Raum voll lungenwarmen Atems. Das mehr und mehr erstarrende Schweigen ist vom Glück berührt. Noch einmal erglänzt der staubige Weg unter dem Horizont - er leuchtet wie lebendiges Licht. Die Pappel, mit der Millionenzahl ihrer Blätter, die heute nicht flüstern, hinter der der Himmel grau aufsteht - ein gleichmässig eisernes Grau - zeichnet sich scharf und schwarz wie etwas Übernatürliches - wie die Kulisse eines Waldstücks auf dem Theater - mit mühsamer Genauigkeit. Selbst die geborstene Rinde ihres Stammes scheint vom Geäder eines schwarzen Metalles durchzogen. Ein weisser Fleck in der Landschaft - wahrscheinlich ein kleiner Berg angefahrenen Düngekalkes, den ich zum ersten Male sehe - ist wie ein prüfendes Auge auf mich gerichtet. Ich höre im Grase nur die leise klappernden Geräusche eines sich bewegenden Insekts und in mir die Stösse des Blutes. Ich spüre von mir nichts weiter. Es ist ein Abend, wie ich ihn liebe - eine seltene Stunde, in der etwas Schönes beginnen müsste. In der Tat, wenn ich weiterginge, eine der schimmernden Strassen entlang, würde ich ihrer einige in den Gräben finden, die Menschenpärchen. An solchen Abenden wird vieles versprochen. Auch mir wird eine Zusage gemacht. Ich spüre, dass etwas auf mich zukommt. < nicht nur das sprachliche vermögen, die musikalität der sätze hebt sich von der darstellung seidels ab, wir finden hier im gegensatze viel tieferschürfende gedanken zu einem seelischen erleben verwoben, ein vom ansatze her konträres bemühen zu echter verlebendigung, hier schreibt nicht einer in kluger berechnung, was seine leser wohl hören möchten, fertigware nach mass und mode. es wird hier überhaupt erst musiziert, komponiert, nicht routiniert fabriziert und rezepthaft verabreicht. ein solches bestreben schöpft aus dem vollen und erfasst den ganzen menschen. zieh ich vorher gotthelfs sprache der naivität, so muss ich sagen, ich habe das wort im negativen sinne gebraucht, als spräche der autor zu etwas beklopptem volke, dem er geistig wenig zutraut. hier, bei hans henny jahnn (1894-1959), handelt es sich um eine ganz andere art der naivität, wenn er vom vollen herzen schreibt, von der berührung des glücks, von menschenpärchen. eine suchende, strebende, ganz persönliche seele offenbart sich in der epischen erzählung 'fluss ohne ufer', die gestaltung eines wahren künstlers. es ist die grösste prosa eines dichters deutscher zunge des 20. jahrhunderts, die ich kenne, und ich meine damit 'die niederschrift des gustav anias horn', den zweiten und den dritten teil der trilogie, fünfzehnhundert seiten konzentriertester sprache, ein unvergleichliches leseerlebnis. Ein Sommerabend, ganz danach angetan, die Unbilden des Daseins vergessen zu machen. Kein Wind regt sich. Die Sonnenglut des Tages steht noch über dem Lande und hüllt es in warmen Dunst. Der Himmel schwärzt sich, als sei ein Maler daran, ihn mit tintigem Pinsel zu tuschen. Mein volles Herz bewundert die Harmonie in den sich langsam verfinsternden oder zergehenden Farben. Mein Leib und meine Seele baden in der stillen Wärme der Luft, die wie der Körper eines weichbefellten Tieres duftet und schmeichelt. das ist komponiert, da wird eine atmosfäre erschaffen! wir haben hier mehr vor uns als vollendetes (kunst)handwerk, noch mehr, als ein gerold späth bieten kann. es entsteht ein reichhaltiger stimmungszusammenhang, grosse musik, deren auftakt schon eine ganze welt heraufbeschwören kann. hier ist natur nicht bloss ort der handlung, staffage, dekoration wie bei seidel, sondern selbst sich verströmendes, untergründiges, hintergründiges leben. eine solche sprache, ein solcher gestaltungswille, solches schöpferisches genie erfasst alle sinne, nicht den verstand alleine, ist essentielles, existentielles schreiben und zeugnis eines grossen künstlers. - ich nenne cormac maccarthy und hans henny jahnn grosse, bedeutende dichter, sprachschöpfer, künstler. ich halte gerold späth für einen ausgezeichneten schriftsteller und erzähler. ich mache einschränkungen, abstriche zu gotthelf, dessen stärke die originalität, dessen schwäche eine zu sehr forcierte, geklotzte, alles sensible überstülpende sprache ausmacht. allen zueigen ist das vermögen, formal mustergültige romane zu verfassen. den allgemeinen wert hohlscher prosa vermag ich dagegen nicht zu erkennen, seine fast ausschliesslich objektivierende prosa verfehlt mir jeden anspruch, den ich an literatur stelle. und seidel ist nichts weiter als ein blümeranter kitschier. |
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