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schandfleck.ch_textkritik/2007/juli
daniel costantino
 

dichter und dekorateure

landschaftsschilderungen

 

> Lieber Freund, jetzt in den staubigen zeitlosen Stunden der Stadt, wo die Strassen schwarz daliegen und im Kielwasser der Sprengwagen dampfen, jetzt, wo die Betrunkenen und Obdachlosen in den Gassen oder auf verlassenen Grundstücken im Schutz der Mauern gestrandet sind und Katzen hochschultrig und mager durch trostloses Gelände streunen, jetzt inmitten dieser russschwarzen Ziegel und kopfsteinigen Durchgänge, wo die Schatten der Leitungsdrähte die Kellertüren in schauerliche Harfen verwandeln, wird keine Seele gehen ausser dir.
Altes Mauergestein, unbeleckt vom Wetter, in seinen Schründen geborgen fossiles Gebein, Kalksteinkäfer zerdrückt auf dem Grund dieses einstigen Binnenmeers. Dürre dunkle Bäume hinter Schmiedeeisen, dort, wo die Toten ihre eigene kleine Hauptstadt haben. Seltsame Marmorgebilde, Stele und Obelisk und Kreuz und kleine regenverwaschene Steine, wo Namen mit den Jahren verblassen. Erde, gefüllt mit Proben des Sargtischlergewerbes, staubigem Gebein und vermoderter Seide, das Sterbekleid befleckt von Verwesung. Draussen unter dem blauen Lampenlicht laufen die Strassenbahnschienen weiter in die Dunkelheit, gebogen wie Hahnenfüsse im unechten Dämmer. Der Stahl strahlt die Tageshitze ab, man spürt sie durch die Schuhsohlen. Hinter den Wellblechwänden von Lagerhallen entlang, an schmalen sandigen Strassen, wo ausgeschlachtete Autos auf Hohlblocksockeln vor sich hin dämmern. Durch ein Labyrinth von Sumachgewächsen, Kermesstauden und verwelktem Geissblatt, das zu den gewellten Lehmdämmen der Eisenbahn führt. Graue Weinranken, linksdrehend in der nördlichen Hemisphäre, was sie windet, formt auch die Schale der Meeresmuschel. Unkraut, aus Schlacke und Ziegelstein spriessend. Ein Löffelbagger, in einsamer Verlassenheit zum Nachthimmel ragend. Hier hinüber. An Gleiskreuzungen und Schienenlaschen entlang, wo Lokomotiven im Dunkel des Rangierbahnhofs wie Löwen fauchen. Einer dunkleren Stadt zu, vorbei an blindgesteinigten Lampen, an rauchenden windschiefen Hütten, Porzellanhunden und bemalten Reifen, wo schmutzige Blumen wachsen. Über das Strassenpflaster, rissig vom Verfall, schleichende Katastrophe der Vernachlässigung, die Drähte, die sich von Mast zu Mast bauchen, behängt mit Drachenschnüren, mit Rafflesiablüten aus aneinandergebundenen Flaschen oder dem Spielzeug von Kleinkindern. Lager der Verdammten. Gelände vielleicht, wo schleimende Aussätzige ohne Glöckchen umherstreifen. Über der Hitze und der unwirklichen Skyline der Stadt hat sich ein Messingmond erhoben, und die Wolken zerlaufen vor ihm wie wässrige Tinte. Die an die Nacht stossenden Gebäude gleichen einem Wall gegen eine entlegenere Welt, verlassen und sinnentleert. Landbewohner kommen meilenweit mit erdverklebten Schuhen und hocken den ganzen Tag wie stumme Statisten auf dem Marktplatz. Die Stadt, nach keiner bekannten Vorlage konstruiert, ein Architekturbastard, der einen knappen Rückblick auf die bizarren und verrückten Abwege menschlichen Bauens bietet. Ein auf der Flussebene errichteter Karneval der Formen, der über Meilen hinweg der Erde den Saft entzogen hat. <

ganz ohne zweifel eine grosse, reiche, meisterliche sprache. hochpräzise beschreibung und fantasievolle verlebendigung der szene, transzendenter sog und ein sprachcharakter eigener, melodischer, rundgeschliffener prägung. kein störender zierat, kein vorlautes oder überflüssiges wort, nichts gekünsteltes und gewundenes - ungetrübter genuss. immense dichte, fülle, konzentrierteste aufmerksamkeit. man kann nicht nach ein paar seiten wissen, ob der roman als ganzes gelingt, von dem wir die ersten sätze gelesen, aber man fühlt, dass ein solcher autor nicht imstande sein kann, uns im weitern verlauf seiner geschichte sprachlich zu enttäuschen. zu augenfällig schon hier die schöpferische potenz, die dichterische präsenz, das vermögen, nicht nur beschreiben, sondern zum leben erwecken zu können. und wäre der übersetzer zu überschätzen oder zu unterschätzen, wären rytmus und wohlklang, wäre die melodie des satzbaus aus zweiter, vielleicht kongenialer, vielleicht etwas lässigerer hand keine ebenbürtige wiedergabe der dichtung, die etwas auffälligen wiederholungen des relativpronomens 'wo' zum beispiel, im englischen vielleicht möglich, lässt meine frage offen - wir haben hier eine komposition hellen sprachbewusstseins, fruchtbarer sprachkultur und schon nur mit diesem abschnitt eine reife künstlerische gestaltung vor augen.

es handelt sich um den roman 'verlorene' des amerikaners cormac mccarthy (*1933), 1992 auf deutsch erschienen und übersetzt von hans wolf.
nehmen wir diesen auftakt etwas genauer unter die lupe:

Lieber Freund, jetzt in den staubigen zeitlosen Stunden der Stadt, wo die Strassen schwarz daliegen und im Kielwasser der Sprengwagen dampfen, jetzt, wo die Betrunkenen und Obdachlosen in den Gassen oder auf verlassenen Grundstücken im Schutz der Mauern gestrandet sind und Katzen hochschultrig und mager durch trostloses Gelände streunen ...

es ist nicht die tadellose wortwahl alleine, nicht bloss der ruhige, wohlkonzipierte fluss der sprache, die vorstellungskraft und die präzise darstellung nur und auch nicht alles zusammengenommen, was diese sprache so faszinierend, so poetisch macht, es ist überdies und zuvorderst das vermögen, tief in die dinge einzudringen und unentdecktes sichtbar zu machen und in einen zusammenhang zu stellen, der über das rein deskriptive, rationale hinausgeht.
die strassen dampfen im kielwasser der sprengwagen - ein einprägsames, ungewöhnliches bild, mit den sinnen sogleich zu erfassen, nicht rein gedanklich und abstrakt, sondern spürbar, sichtbar, hörbar fast, und wie organisch eingebettet im satz erscheint es, ohne aufhebens von sich zu machen. es passt genau zu den zeitlosen stunden, zu den verlassenen grundstücken sogar, so selbstverständlich stimmig zur verlorenheit und zur monotonie, zur verlassenheit und vergeblichkeit der menschlichen existenz und seinem deprimierend-routinehaften tun, es wird davon einen ganzen roman lang die rede sein.
die im schutz der mauern gestrandeten, die mageren katzen unterstreichen und veranschaulichen die trostlosigkeit nicht nur des geländes, sondern der existenz. wir haben schon die stimmung, mit wenigen worten, die den roman prägt und das menschliche schicksal beschwört, nicht mitteilt oder kommuniziert, sondern, in spiegelung, uns erleben lässt, wenn wir, vom geflimmer und geflatter, vom oberflächensaus und -gebraus ernüchtert und zerdeppert, überhaupt noch bei sinnen sind und hören wollen.

... jetzt inmitten dieser russschwarzen Ziegel und kopfsteinigen Durchgänge, wo die Schatten der Leitungsdrähte die Kellertüren in schauerliche Harfen verwandeln, wird keine Seele gehen ausser dir.

gut, könnte man sagen: die russschwarzen ziegel sind halt so und die kopfsteinigen durchgänge, das ist exakte beschreibung, was soll die sprache denn anderes, was denn noch mehr? nun eben, der zweite teil: diese schwärze, diese schatten transzendieren zur schauerlichkeit (der harfen), und die ist nun ausgesprochen subjektiv und dichterisch - dichterisch nicht als wort für sich genommen, sondern im zusammenhang herbeigeführt, nicht etwa dilettantisch draufgemurkst, die eine, rationale, beschreibende ebene löst sich spielend, organisch auf in die gefühlsmässige, subjektive. und dass eines wie von selbst zum andern komme und ein wechselweises entstehe, atme und sich wiederverwandle, das ist hohe kunst und dafür sorgt der dichter, der nicht von ungefähr auf ebendiese vergleiche und gegenstände kommt.
erst die empfindung, dann die worte.

Altes Mauergestein, unbeleckt vom Wetter, in seinen Schründen geborgen fossiles Gebein, Kalksteinkäfer zerdrückt auf dem Grund dieses einstigen Binnenmeers. Dürre dunkle Bäume hinter Schmiedeeisen, dort, wo die Toten ihre eigene kleine Hauptstadt haben. Seltsame Marmorgebilde, Stele und Obelisk und Kreuz und kleine regenverwaschene Steine, wo Namen mit den Jahren verblassen.

was kommt da im ersten satz zusammen! altes mauergestein, vom wetter unbeleckt - als verachte die natur jedes menschliche streben. mit einem streich ihrer kraft zerdrückt sie jahrhunderte, jahrmillionen ihr abgerungenes, temporär ergattertes leben. das nenn ich in einen zusammenhang gestellt! niedliches, seltsames menschenwerkeln und -hoffen ...
und nichts als genaue beschreibung? obschon erster güte, würde sie nicht reichen, mccarthy einen dichter zu nennen. es pfeift da eben ein besonderes vögelchen sein lied ...

Erde, gefüllt mit Proben des Sargtischlergewerbes, staubigem Gebein und vermoderter Seide, das Sterbekleid befleckt von Verwesung. Draussen unter dem blauen Lampenlicht laufen die Strassenbahnschienen weiter in die Dunkelheit, gebogen wie Hahnenfüsse im unechten Dämmer.

ich habe derartiges nicht vorher gelesen. ja, ich bin hingerissen. diese ballung von sprache, diese fülle von ineinanderverwebtem geschehen auf kleinstem raum, diese hochsensible fantasie einer moribunden und doch unentwegt regen welt - eine ganz persönliche, kostbare handschrift des autors, unverwechselbarer daumenabdruck eines künstlers. überall stöbert er in verwesendem, verwesenem, stochert und kratzt reste ans licht und befördert einen prozess zutage, der im toten noch voller lebendigkeit scheint, nicht abgeschlossen noch erlösung, vollendung nicht, selbst wieder erwartung - vielleicht.
mir gefällt das détail der vermoderten seide ebensosehr wie der vergleich der schienen mit gebogenen hahnenfüssen. was die weinranke windet, formt auch die schale der meeresmuschel. die blindgesteinten lampen und die schmutzigen, wachsenden blumen. die wolken vor dem messingmond zerlaufen wie wässrige tinte. die statisten auf dem marktplatz - sehr schöne bilder, mit fantasie und begabung gefunden, aufgehoben, erdichtet.
stünd ich im buchladen und hätt das buch nicht eh schon gelesen und man erlaubte mir an der plastikhülle zu kratzen und diesen anfang vor dem kaufe zu lesen und den klappentext mit verachtung zu übergehen - das buch wäre meins. und zuhause angekommen und meine pfeife gestopft und hingesessen, hingerissen läse ich weiter:

> Fabrikmauern aus altem dunklen Backstein, mit Unkraut bewachsene Schienen eines Nebengleises, ein faulig bläulicher Wasserkanal, wo dunkle Schlieren namenlosen Abfalls in der Strömung schaukeln. Blechplatten zwischen dem Glas in den rostigen Fensterrahmen. Im Leuchtkörper der Strassenlaterne, dort, wo ein Stein ihn getroffen hat, klafft ein mondförmiger Riss, und aus dieser Öffnung treibt, durch die ununterbrochene Spirale emporstrebender Insekten hindurch, ein feiner und stetiger Regen der gleichen Wesen, verbrannt und leblos. <

wenden wir uns nun einem andern autor zu und seiner

> Landschaft

Die Küste war flach und fruchtbar bis zum letzten grossen Dorfe, wo die Tramlinie endigt. Nun aber wechselt das plötzlich; ein Gebirge erhebt sich aus dem Meer und steigt rasch zu mehreren hundert Metern an, in prachtvollen weissen Türmen hier, dort in breiteren Gipfeln. Aber überall herrscht der senkrechte Fels so vor, dass man keinen Berg auf beliebigem Wege ersteigen kann.
Direkt ins Meer aber fallen nirgends grössere Abstürze. Sondern dazwischen ziehen sich Rippen hin, schwach ausgeprägte Tälchen, die eine Fortsetzung der Meeresbuchten bilden, Bodenwellen. Dieses ganze Gelände, das nach den Bergen ansteigt, ist in einem Worte beschrieben: steinig. Allerlei geringe Vegetation achtet man nur, wenn man sich draufsetzt oder sich die Füsse sticht daran. Bäume existieren nicht, Bäche nicht, Erde nicht, Wiesen nicht. Zwar weiter oben, unmittelbar am Fuss der weissen Türme, einige hellgrüne Wälder. Aber klein, fern, man glaubt an sie kaum. Man denkt, ein leichter grüner Schmuck zu Ehren der weissen Türme.
Fast alles ist weiss. Bisweilen erblickt man ein absonderliches kleines Gemäuer, von einer alten Festung oder so. Und irgendwo noch steht man plötzlich vor den Ruinen einer einstigen Fabrik. Schlacken- und Aschenablagerungen verstärken den Eindruck der Öde.
Aus dem Meere aber erheben sich 50 bis 100 Meter hohe Felseninseln, die oft senkrecht bis zum Kulminationspunkte den Wassern entsteigen. Sie stehen näher und ferner; welche sind wie Geisterschiffe, andere wie türmereiche, abgerundete Paläste. Höhlen dringen in die elfenbeinfarbenen Flanken und schwarze Flecke sehen oft auch wie Höhlen aus. Diese Inseln sind eine Jenseits-Landschaft.
Da das übrige schon unwahrscheinlich ist in seiner Öde und mit den plötzlichen weissen Türmen des Hintergrundes, wird durch die Inseln im Meere alles zu einer Jenseits-Landschaft. <

diese prosa, entnommen den 'impressionen aus einem fischerdorf am mittelmeer' von ludwig hohl ((1904-1980), wirkt zu unpersönlich, um dichterisch sein zu können. man könnte sie schön nennen, aber es ist eine korrekte, massgeschneiderte, konfektionelle schönheit, die dünnen atem hat und keine brisanz verströmt. mit wenigen abstrichen fände sie platz in einem reiseführer oder einem geographiebuch für die schule. sie erschöpft sich fast ganz in exakter beschreibung, im gegenständlichen, wenig immaterielles strahlt von ihr aus. die seelische substanz ist praktisch nicht vorhanden, und nichts hebt diese sprache, ausser ihrer beflissenen exaktheit, hervor.

Die Küste war flach und fruchtbar bis zum letzten grossen Dorfe, wo die Tramlinie endigt. Nun aber wechselt das plötzlich; ein Gebirge erhebt sich aus dem Meer und steigt rasch zu mehreren hundert Metern an, in prachtvollen weissen Türmen hier, dort in breiteren Gipfeln. Aber überall herrscht der senkrechte Fels so vor, dass man keinen Berg auf beliebigem Wege ersteigen kann.

es mag sich um präzise wiedergabe der topografie handeln, es mögen auffällige und prägende gegebenheiten beschrieben sein, so haargenau man will - abbildung der realität mag man es nennen und sich damit zufriedengeben. aber es durchzieht kein gefühl die sätze, nicht ein hauch von poesie, alles bleibt über das rein gegenständliche hinaus toter buchstabe. eine fotografische leistung, das ist es. ein fotonegativ ohne eigenes leben. ausserdem wirken satzbau und wortschatz konventionell, abgesichert, und die melodik zufällig, nicht weit und nicht tief hergeholt das ganze, bloss vom alltäglichen verstande.
eine auch von andern autoren angewandte technik der negierung, siehe meinen beitrag zu max frisch, zu sagen, wie etwas in einer landschaft oder an einem zu beschreibenden gegenstande nicht sei und wie es ausserdem nicht sei und zum drittenmal nicht, wie es eigentlich zu sein habe, entblösst diese art zu schreiben als poetisch völlig indiskutabel, ja, verleiht ihr einen stich ins belehrende, oberlehrerhafte, nicht selten (bei frisch) auch hilflose. nichts grenzerweiterndes lenkt diese sprache, sondern ein insistieren darauf, wie etwas nun einmal sei, eine demonstration imgrunde schulischen, abgesteckten wissens, eine examensablegung vor akademisch herausgefordertem publikum.

Direkt ins Meer aber fallen nirgends grössere Abstürze. Sondern dazwischen ziehen sich Rippen hin, schwach ausgeprägte Tälchen, die eine Fortsetzung der Meeresbuchten bilden, Bodenwellen. Dieses ganze Gelände, das nach den Bergen ansteigt, ist in einem Worte beschrieben: steinig. Allerlei geringe Vegetation achtet man nur, wenn man sich draufsetzt oder sich die Füsse sticht daran. Bäume existieren nicht, Bäche nicht, Erde nicht, Wiesen nicht. Zwar weiter oben, unmittelbar am Fuss der weissen Türme, einige hellgrüne Wälder. Aber klein, fern, man glaubt an sie kaum. Man denkt, ein leichter grüner Schmuck zu Ehren der weissen Türme.

eine leichte neigung ins irrationale in den zwei letzten sätzen, ein übers rationale hinausweisender hauch, fein, zart, aber zu wenig in diesem kontext sturer aufzählung, rein landschaftsvermessender prosaistik.

Fast alles ist weiss. Bisweilen erblickt man ein absonderliches kleines Gemäuer, von einer alten Festung oder so. Und irgendwo noch steht man plötzlich vor den Ruinen einer einstigen Fabrik. Schlacken- und Aschenablagerungen verstärken den Eindruck der Öde.

wohl bezeugt das wort die öde, aber die sprache gibt sie nicht wieder. oder so. wohl ist eine tonart angeschlagen, aber damit keine musik gemacht. eine einszueinsdarstellung. als würde einer klavierspielen wie er schreibmaschineschreibt. und zu belanglos, zu zufällig, von keinem höheren sprachbewusstsein erhellt: alles ist weiss ... man erblickt ... irgendwo steht ... hohl verfügt nicht über die geringsten poetischen mittel. man vernimmt, dass inseln fünfzig bis hundert meter hoch dem meere entsteigen. man erfährt, dass sie näher und ferner stehen. man hört den vergleich mit geisterschiffen und türmereichen palästen, aber kann einen das in dieser knochentrockenen stimmung verzaubern? und sind die vergleiche nicht naheliegend, tausendmal, jeder ferienprospekt wird es bezeugen und jedes währschafte deutsche gedichtbuch, verkündet? die jenseits-landschaft. also gut. ein bisschen was mag er einem gönnen, der hohl. und da alles eben ein bisschen unwahrscheinlich ist in der öde und wieder mit den türmen, wird halt in gottesnamen alles zur jenseits-landschaft.
jenseits von gut und böse vielleicht, eine derartige landschaftsschilderung. aber nichts für die sprachkunst. weder imitation noch kitsch. aber flach, schrulliger ordnungsfanatismus, archivarische, etikettenklebende narretei.
hohls sätze können kerker spalten, hat adolf muschg von seinem kollegen gesagt. nun, sie stünden anderswo. vielleicht in einer andern impression? lassen wir uns noch bezirzen von

> Des Meeres Farben

Zur Zeit des Mistrals scheint meist die Sonne auf ein Meer von sehr kaltem Blaugrün. Die Wellenkämme, ein weisses Getümmel in der Nähe, erkennt man auch am Horizonte noch als zerfaserte Linien und Punkte.
Aber manchmal bildet sich der Küste entlang eine grosse leichenfarbene Zone. Keine genauen Worte aus der Farbenskala könnten soviel sagen wie: leichenfarben. Erst weit draussen geht diese erschreckende Fahlheit fast plötzlich über in den grünlichen Ton der dämonischen Verachtung - der jetzt wie eine Lebenshoffnung erscheint!
Jeder schöne Abend bietet in den Lüften das Spiel geballter und zerfetzter Wolken, lohender und zarter Farben. Die allbekannten Gaukeleien: Es stürzt ein sehr starkes Goldrot aus einem Loche hervor u.s.w. Dieselben Dinge wie man sie im Gebirge sieht, nur sind dort die Töne kälter, hier farbiger, dort eindrucksvoller, hier theatralischer.
Wenn die Sonne ins Meer versinkt, wenden sich ihr viele Köpfe zu und bleiben unbeweglich, als ob es sehr spannend sei; und doch ist der Anblick banal. Sie vermögen die Sonne zu erkennen, weil sie ihre Uhr nach ihr stellen und weil die Hühner auch aufstehn und Eier legen, wenn sie wiederkommt. Aber was sie noch nicht als Realität zu erkennen vermögen, sie, die vielen Köpfe, nennen sie: Wasser, und achten nur auf es, wenn es sie anspritzt oder wenn einer ertrinkt darin.
Sie berechnen die Anzahl der Stunden und die Anzahl der Hühner. Und in der Stunde der Dämmerung offenbart sich das Meer wie nie. Kein Maler hat es gemalt. Das Land ist schon erloschen und die Häuser und die Mauern, die Inseln und der Himmel und die Ferne. Sie sind noch da, aber sie zählen nicht mehr. Nur ein Stück Meer ist dunkelblau oder graugrün oder anderswie. Es ist nicht mehr die Stunde der Farben jetzt. Denn das Meer, durch irgendeine Farbe, dominiert. Es sind keine Wellenkämme in ihm mehr erkenntlich. Und keine Bewegung mehr, obwohl es sich langsam bewegt. Inmitten der erloschenen Küste und Umgebung gleicht es dem Blut aus einer gewaltig klaffenden Wunde in einer unreinen, farblosen Hand; der dicken Tinte auf dem Löschblatt, die dieses nicht einsaugen kann, auch da nicht, wo sie sich schon den Fasern entlang verteilt. Denn es gibt keine Vermischung. <

Zur Zeit des Mistrals scheint meist die Sonne auf ein Meer von sehr kaltem Blaugrün. Die Wellenkämme, ein weisses Getümmel in der Nähe, erkennt man auch am Horizonte noch als zerfaserte Linien und Punkte.

wie soll man diese sprache nennen? sie lässt völlig kalt, selber kalt, pingelig, klarsichthüllenduktus. das weisse getümmel, das fast einer empfindung nahekommt, ist eine viel zu abgegriffene metafer, gangungäbe auf postkartengrüssen, viel zu wenig für einen guten schriftsteller, der sich selbstverständlich so ausdrücken darf und kann, aber doch nicht auf dem raren höhepunkt poetischer bestrebung talentiert genannt werden kann. die zerfaserten linien und punkte geben ebenfalls wenig, zu wenig her. das sind alles viel zu abgezeichnete, schon verwelkte pinseleien, stimmung in die sache zu bringen. es mangelt sehr an eigenständigem esprit. sagen, was es zu sagen gibt und nichts über die eindimensionale korrektheit hinaus, über das hinaus, was gemeinhin als realität erfasst und beglaubigt ist. hohl betreibt, ich denke, im vollen bewusstsein, détailbeobachtung, und das nicht schlecht. aber er bringt, was er beschreibt, um seine seele.

Aber manchmal bildet sich der Küste entlang eine grosse leichenfarbene Zone. Keine genauen Worte aus der Farbenskala könnten soviel sagen wie: leichenfarben. Erst weit draussen geht diese erschreckende Fahlheit fast plötzlich über in den grünlichen Ton der dämonischen Verachtung - der jetzt wie eine Lebenshoffnung erscheint!

ungefähr eine bankrotterklärung, wenn ein ambitionierter schriftsteller nur die farbenskala zu hilfe nehmen kann, eine küste zu beschreiben, und die ihm nichts mehr hergibt. man kann immer sagen, es gibt nicht mehr zu sagen, das können krethi und plethi auch. die erschreckende fahlheit - sieht man sie, spürt man sie denn plastisch? ich kann mir schon denken, dass hohl selber eingenommen war von der landschaft, aber er setzt seine empfindung formal nicht um, giesst sie nicht in adäquate sprache. oder es sei, er halte für dichtung eine art aufzählung aller dinge, die ihm in den sinn kommen, nein, das wäre schon zuviel, aller dinge, 'die man sehen kann'. vielleicht hält er für kunst, nichts darüberhinauszutun, wie sein geistesverwandter max frisch, bei dem ich von dieser kruden art kunstvorstellung gelesen habe. sie ist spiessig, unfruchtbar und bejammernswert, schriftstellerndes hausfrauensyndrom - alles hübsch herausgeputzt an seinem platze, hygienisch, museal, keimfrei und firlefanz. die 'dämonische verachtung' als lebenshoffnung! bin ich im geringsten eingesponnen, scheint die sache überhaupt plausibel, gestaltet, herbeigeführt? retorische frage ... hohl hat keinen sinn für solche dinge, scheint mir, wenigstens nach lektüre dieser 'impressionen aus einem fischerdorf'. dass so ein autor plötzlich, ich wüsste nicht wo, aber kenne hohl weiter nicht als aus diesem büchlein, mit seinen sätzen kerker spalten sollte - nun, dann müsste er selbst eine ziemlich gespaltene persönlichkeit gewesen sein. hier jedenfalls geschieht nichts dergleichen.

Jeder schöne Abend bietet in den Lüften das Spiel geballter und zerfetzter Wolken, lohender und zarter Farben. Die allbekannten Gaukeleien: Es stürzt ein sehr starkes Goldrot aus einem Loche hervor u.s.w. Dieselben Dinge wie man sie im Gebirge sieht, nur sind dort die Töne kälter, hier farbiger, dort eindrucksvoller, hier theatralischer.

der eingangssatz gar nicht schlecht, aber was folgt, kann nicht entzücken. lebt hier was, weist hier etwas über das gerade gesagte hinaus, spielt etwas mit den seelischen und geistigen ebenen, entsteht so etwas wie transzendenz, überhaupt etwas wie bewusstsein übers grad geschaute, materiell ersichtliche hinaus? - nein.
der rest der impression spielt sich auch auf dieser flachen ebene, der engbegrenzten ausdrucks- und leuchtkraft alltäglicher rationalität ab. die begrifflichkeit ringt mit dem anschaulichen, aber ohne künstlerisches ergebnis. nichts essentielles, nichts wesentliches kommt zur sprache, wirklich zur sprache.

Inmitten der erloschenen Küste und Umgebung gleicht es dem Blut aus einer gewaltig klaffenden Wunde in einer unreinen, farblosen Hand; der dicken Tinte auf dem Löschblatt, die dieses nicht einsaugen kann, auch da nicht, wo sie sich schon den Fasern entlang verteilt. Denn es gibt keine Vermischung.

hier ein wagnis, ein versuch zur poesie. das wäre ein guter, wenn auch überraschender abschluss. die gewaltig klaffende wunde verliert aber eindeutig an fürchterlichkeit durch den zweiten teil des satzes: farblos und unrein sind zu karge, so gesehen eigentlich überflüssige worte. sie ist doch auch geistig nur handtellergross. die tinte des löschblatts sickert auf den tisch, um den vergleich zuende zu denken, wenn sie nicht vom blatte aufgesogen wird. das blut aus dem beet der hand tropft zu boden. wohin also mit dem meere?

als geheimtip der schweizerischen (modernerweise auch: europäischen) literatur gilt seit langem unter schweizer insidern jeremias gotthelf, mit bürgerlichem namen albert bitzius (1797-1854). walter muschg, seinerzeit professor für literaturgeschichte in basel (nicht zu verwechseln mit adolf muschg), schrieb 1954 über ihn, dieser aussenseiter sei 'fraglos nicht nur der grösste, sondern der einzige erzähler ersten ranges in der deutschen literatur, der einzige, der sich mit dickens, balzac oder dostojewskij vergleichen lässt'. und: 'trotzdem ist er vielen hervorragenden kennern unbekannt. sein name entlockt ihnen unfehlbar ein lächeln, und es scheint ausgeschlossen, dass er jemals in die weltliteratur eingehen wird. nicht nur deshalb, weil nur ein schweizer die fülle seiner barbarischen sprache ermessen kann.'
barbarische sprache - das gefällt mir. werde ich als besitzer des roten reisekontrollbüchleins wohl was zu sagen haben dazu. bittesehr:
> Der Winter, welcher bereits im Oktober 1836 angefangen, den 1. November elf Grad Kälte gebracht hatte, wollte nie aufhören, der Frühling nie kommen. Am Ostersonntag den 26. März fuhren viele Herren lustig Schlitten; lustig gings auch von Biel nach Solothurn, wo sonst mancher Winter keine Bahn bringt. Während es lustig ging auf den breiten Strassen, konnte auch manch arm Mütterchen nicht an den auferstandenen Herrn denken. Es hatte kein Holz mehr, die zitternden Glieder zu wärmen; die Kälte drang ihm durch die gebrechlichen Kleider bis ans Herz hinan. Es musste hinaus in den schneeichten, kalten Wald, einige Reiser zu suchen, oder musste den schlotternden Körper zusammendrücken in eine Ecke, in den eigenen Gliedern noch irgendwo nach einem Restchen Wärme spürend. Wenn diese frierenden Mütterchen den Zehnten gehabt hätten von dem an selbem Tage zum Überfluss getrunknen Wein, wie glücklich hätten sie am Abend ihre erwärmten Herzen ins Bett gelegt!
Aber auch mancher Bauer drückte sich in die engste Ecke seiner Stube, um das Brüllen der hungrigen Kühe an der leeren Krippe nicht zu hören, um nicht hinauszusehen in die Hofstatt, wo der Schnee so dicht in den Bäumen hing, so hoch am Boden lag, kein Gräschen sich regte. Er hätte gerne geschlafen, um nicht an seine Bühne denken zu müssen, auf der kein Heu mehr war, durch die der Wind so schaurig pfiff; doch Sorgen sind Wächter, die nicht schlafen lassen. Am ersten Apriltage wehten Frühlingslüfte durchs Land, und frohe Hoffnungen schwellten alle Herzen; aber alle Hoffnungen wurden in den April geschickt. Schnee wehte wieder durch alle Lande, legte in Deutschland mannshoch sich; er lagerte sich ordentlich, als ob er übersömmern wollte im erstaunten Lande. Zum eigentlichen Schneemonat ward der April, selten leuchtete die Sonne, und ob sie warm sei, erfuhr man nicht; Gras sah man nicht, kein Lebenszeichen gaben die Bäume. Die Not ward gross im Lande. Heizen sollte man die Stuben und hatte kein Holz, füttern sollte man das Vieh und hatte kein Futter. Es war Jammer zu Berg und Tal; in den Stuben seufzte, in den Ställen brüllte es tief und nötlich. <

ja, ich lächle mit. weniger noch über den guten gotthelf und seine 'wassernot im emmental' als vielmehr über den professor. alldieweil gehts lustig zu. so barbarisch ist ja diese sprache gar nicht - krafmeierisch, ja, alttestamentarisch, gut, aber doch im ganzen mehr erschröcklich denn mitreissend, viel zu berechnet, um echt wild und barbarisch zu sein. auf die tube gedrückt und getan, als handle es sich um temperament. ein bisschen zu plakativ, ein wenig zu stark in der jauche getüncht, zu hemdsärmlig dreinfahrend, um wirklich gut zu sein. eine sprache ganz nach dem veterinärprinzip: viel hilft viel. bis ans herz hinan.
der winter will nicht aufhören, der frühling nicht kommen. der winter bringt keine bahn. frohe hoffnungen schwellen alle herzen. überdies werden sie in den april geschickt. man erfuhr nicht, ob die sonne warm sei. die bäume geben kein lebenszeichen, sorgen sind wächter - na, das ist sicher alles ganz gut gemeint, recht fleissig mit den klischees geprotzt, zur not mehrfach repetiert. das arm mütterchen und seine zitternden glieder: sogar die kleider werden hier noch gebrechlich. es muss den körper zusammendrücken und wärme spürend ... es muss wärme spürend? (!) - oder lässt sich der satz grammatisch anders interpretieren? der schnee hängt dicht, liegt hoch am boden, kein gräschen regt sich - in dieser häufung zu naive vergleiche, zu gewöhnliche bilder, gewurstel statt gestaltung. kein sprachschöpferisches wirken (mancher ausdruck vom dialektalen her kann dafür nicht gelten, weil er natürlich hierzulande in aller bauernmunde) und überhaupt nichts musikalisches - seelische fertigware, ähnlich der religion, die gleich mitkolportiert wird.

> Es blieb heiss, und den 4. August war ein stark Gewitter. Da schien auf einmal der Sommer zu schwinden, der Herbst einzukehren, und auf wunderbare Weise teilten sie den Tag unter sich. Der Morgen war herbstlich, man glaubte, der Kühe Läuten, der Hunde Jagdgebell hören zu müssen; dann ward der Abend wieder sommerlich, und von des Donners Stimme hallten alle Berge wider. Ganze Nebelheere hatten der Schweiz sich zugezogen, waren über die Berge gestiegen, hatten in die Täler sich gestürzt und lagerten sich grau und wüst über den Talgründen und an den Talwänden. Von allen Seiten waren sie hergekommen, als ob alle Mächte der ehemaligen sogenannten Heiligen Allianz, die rings uns umgürten, vereint in ihren Ländern alle Dünste und alles die Luft Trübende zusammengeblasen und fortgeblasen hätten über ihre Grenzen weg über unsere Berge herein, dass es sich da ablagere und niederschlage zu Graus und Schrecken der armen, arglosen Schweizer. Wirklich berichten Astronomen, dass in Deutschland und besonders im Norden desselben, wo die pfiffigen Preussen wohnen, die witzigen Berliner, die unsern Herrgott morgens und abends mitleidig bedauern, weil er nicht Witze zu machen verstehe wie sie, die Atmosphäre nie so lauter und durchsichtig gewesen sei als in jenen Tagen des Augusts, wo am Morgen Nebelmassen, am Abend Wolkenmassen schwarz und schwer den Schweizern, mit denen jeder unverschämte Bälli sein Bubenwerk treiben zu können meint, über die Köpfe hingen, den Gesichtskreis trübend, das Atmen erschwerend.
Diese Massen waren nicht arglose Wölkchen, die auf sanfter Winde leichten Fittigen reisen von Land zu Land und rosenrot in der Abendröte Schein lächeln übers Land herein; diese Massen bargen Verderben in ihrem Schosse und entluden sich unter Blitz und Donner gewaltig und zerstörend.
Zuerst schienen sie nur Spass treiben zu wollen, etwas groben freilich, so wie man ihn um den Schwarzwald herum gewohnt ist und an der Donau rauhem Strande und an der Oder superfeinem Sande. Sie jagten die Kühe auf dem Leberberge in die Sennhütten und erschreckten die Längnauer, ihnen ihre Herzkäfer, mächtige Schweine, durchs Dorf schwemmend.
Dann zogen sie wie anno 1798 die Franzosen vom blauen Berge weg das Land hinauf der Hauptstadt zu, trüb und feucht. Sie wetterten zwei Tage über der Hauptstadt, dass ein Teil der Hauptstädter zu zagen begann, der andere sich erboste, dass es so laut hergehe im Lande ohne obrigkeitliche Bewilligung. Und ratlos zwischen beiden Teilen stund verblüfft ein Direktor oder Präsident mit seinen zwei müssigen Sekretärs und wusste nicht recht, sollte er erschrecken oder sich erbosen; er drehte mühselig und vorsichtig in steifer Krawatte den Kopf nach beiden Seiten, um zu erforschen, was am rätlichsten sei. Aber die Blitze zuckten feurigen Schlangen gleich, der Donner schmetterte seinen Schlachtenruf, die Winde brausten ihr Loblied, sie frugen nichts nach Landjägerkommandanten, nichts nach Polizeidirektoren, sie zuckten, schmetterten und brausten als die Herren des Landes, deren Ruf und Schelten alles untertan.
Bäume brachen, Häuser krachten, Türme wankten; bleich verstummte das Menschenkind und barg seinen Schrecken in des Hauses sichersten Winkel. Und als die zornigen Wolken den Herrlein und den Fräulein gezeigt hatten, wer Meister sei im Lande, wälzten sie sich, jeden Tag von neuen Dünsten schwerer, durch neue Nebelmassen gewaltiger, noch weiter das Land hinauf. Aber zu reich gesättigt, vermochten sie sich nicht zu schwingen über der hohen Berge hohe Firnen, dem trocknen Italien und dem weiten Meere zu. Schon an den Voralpen blieben sie hängen tobend und wild und sprühten mit gewaltigen Wassergüssen um sich. Die Truber, die Schangnauer, Marbacher, die Escholzmatter wurden tüchtig eingeweicht, die Röthenbacher glaubten, argen Schrecken erlebt zu haben. Menschenleben gingen verloren, Land wurde verwüstet. Die zwei wilden Schwestern, von ungleichen Müttern geboren, die zornmütige Emme und die freche Ilfis stürzten in rasender Umarmung brüllend und aufbegehrend das Land hinab, entsetzten die Zollhausbrücke, und überall ward ihnen zu enge im weiten Bette. Bebend stand der Mensch am allgewaltigen Strome. Er fühlte die Grenzen seiner Macht, fühlte, dass nicht er es sei, der die Wasserströme brausen lasse über die Erde und sie wieder zügle mit kühner, mächtiger Hand. So wild und aufgebracht hatte man die Emme lange nie gesehen. Unzählbare Tannen und viel ander Holz schwamm auf ihrem grauen Rücken und erschütterte die Brücken; aber diesmal ward ihrer Gewalt ein baldig Ziel gesetzt, und der grauende Morgen fand sie bereits ohnmächtig geworden. <

es bereitet vergnügen, solche darstellung zu lesen. doch, hier kommt schon temperament ins spiel, cholerisches. nur lässt sich eine solche lektüre nicht ohne ermüdung durchhalten über mehrere kapitel, ja, mir scheint, schon nach ein paar seiten kriegte man auch gerne was andres noch zu beissen. es ist keine echt urwüchsige, keine im ernsten sinne dichterische kraft in dieser sprache, sie entsteht nicht von innen heraus und beseelt infolgedessen wenig. sie ist zu einseitig superlativ, höhe ohne tiefe, zuweilen unfreiwillig karikaturhaft. eine erstrangige verbalpolterei, eine sensationelle donnerpredigt, das mag mitreissen als akrobatisches turnen, aber leuchtkraft von innen geht ihr ab, empfindung, erlebnis, seelenspannung - sie bleibt imgrunde beredte mitteilung. und überdies, scheint mir, legt es gotthelf sehr darauf an, dem volke, oder dem, was er dafür hält, nach dem munde zu reden.

Es blieb heiss, und den 4. August war ein stark Gewitter. Da schien auf einmal der Sommer zu schwinden, der Herbst einzukehren, und auf wunderbare Weise teilten sie den Tag unter sich. Der Morgen war herbstlich, man glaubte, der Kühe Läuten, der Hunde Jagdgebell hören zu müssen; dann ward der Abend wieder sommerlich, und von des Donners Stimme hallten alle Berge wider.

ein launiger wetterbericht! was hält man von meiner idee, einen solchen gesellen allabendlich die wetterprognosen im fernsehen vortragen zu lassen, zwecks belebung der einschaltquote, samstagabends liesse sich das ganze mit dem 'wort zum sonntag' kombinieren? was für ein schamanentanz um die karte, was für eine wetterleuchtende, gottesanbeterische volkstümelei!

Ganze Nebelheere hatten der Schweiz sich zugezogen, waren über die Berge gestiegen, hatten in die Täler sich gestürzt und lagerten sich grau und wüst über den Talgründen und an den Talwänden. Von allen Seiten waren sie hergekommen, als ob alle Mächte der ehemaligen sogenannten Heiligen Allianz, die rings uns umgürten, vereint in ihren Ländern alle Dünste und alles die Luft Trübende zusammengeblasen und fortgeblasen hätten über ihre Grenzen weg über unsere Berge herein, dass es sich da ablagere und niederschlage zu Graus und Schrecken der armen, arglosen Schweizer.

gotthelfs seitenhiebe haben unbestritten witz. ich verstehe, dass er als pfarrer in lützelflüh unter pseudonym geschrieben hat. die politischen pointen lesen sich köstlich. aber ich kann ihn nicht als dichter, nicht als bedeutenden autor sehen. das heisst nicht, er wäre nicht lesenswert, wenn man die vielen religiösen missionierungsversuche in seinem werk entweder erträgt oder leichthin übergeht.

Aber die Blitze zuckten feurigen Schlangen gleich, der Donner schmetterte seinen Schlachtenruf, die Winde brausten ihr Loblied, sie frugen nichts nach Landjägerkommandanten, nichts nach Polizeidirektoren, sie zuckten, schmetterten und brausten als die Herren des Landes, deren Ruf und Schelten alles untertan.

zu geklotzt, auch zu naiv, um wahrhaft gut zu sein. nur, wenn man als hirte die schafe für dumm erachtet, unfähig, sich übers strotzend vitale, fast animistische hinaus einen begriff von der welt und der existenz zu machen.

Bäume brachen, Häuser krachten, Türme wankten; bleich verstummte das Menschenkind und barg seinen Schrecken in des Hauses sichersten Winkel. Und als die zornigen Wolken den Herrlein und den Fräulein gezeigt hatten, wer Meister sei im Lande, wälzten sie sich, jeden Tag von neuen Dünsten schwerer, durch neue Nebelmassen gewaltiger, noch weiter das Land hinauf.

der erste halbe satz poetisch, musikalisch inspiriert. er bleibt singulär. nicht zu erkennen, worauf gotthelf eigentlich hinauswill über die reine darstellung, wort für wort, hinaus. was er einschiebt, politische statements, religiöse reminiszenzen, haben doch zuwenig eigne gedanken zur grundlage, mehr als zum oberflächlichen amüsement taugt das alles nicht, ist zu stark eine bestätigungsliteratur und nur zum kleinsten teil seelisches, sensibles erleben. die zornigen wolken hier, der meister im lande, viele andere bilder zuvor können keine strahlkraft verbreiten, bleiben, in der summe, recht aufgemotzte mitteilung, artistische wortgymnastik. das ist nicht wenig und trägt zur unterhaltung einiges bei. aber poetisch, dichterisch, grosse, einnehmende erzählung kann daraus nicht erwachsen, und für unser tema, die landschaftsschilderung, ergibt sich zuwenig kostbare substanz, nichts, was beim zweiten lesen sich vertiefen könnte.

bleiben wir noch ein wenig bei den schweizern! was hält man, im vergleiche, von diesem text:

> Ich hielt auf den Kapuzinerzipfel zu und war auch noch nicht an Land, als der Teufel in der Luft losging. Windhosen rasten herauf, schräg über den See auf Rapperswil zu. Es hagelte ins Gestürm hinein. Ich schrammte zwischen die Steine und lud schnell aus - ein paar Körbe, ein paar kleine Harasse -, dann stemmte ich den Kahn über die Ufermauer und zog ihn unter die Linde auf der Rondelle. Und dann rannte ich, schon nass bis auf die Haut, zum Hafen.
Der See sprang über die Wellenbrecher, zerschlug Flösse und Schiffe an den Mauern und zerhackte alles, was die Wellen von Bojen und Pfählen rissen, und der Hagel schlug die Bäume kahl, der Hagel schlug die schöne Stadt; die ganze zurechtgeschleckte Mittelalterlichkeit kam schwer unter den Hagelhammer. Ausgerissenes Gesträuch; im Wind wirbelten Äste durch die Luft, fegten über die Seestrasse; Ziegel und Fensterscheiben klirrten auf parkierte Autos herab; der Sturm köpfte Kamine, riss Antennen ab; über den Aufstieg plätscherte trübe Brühe und überschwemmte breit und braun den Hauptplatz; vom Schulhaus flatterten Fensterläden; Friedhofdreck sprudelte durch die Mauerlöcher, schoss breit den Herrenberg hinab.
Ein paar Minuten nach dem ersten Geprassel, es war etwa zwanzig Minuten nach drei, läuteten die Kapuziner Sturm in den Sturm; der Wind hatte das gut versteckte Geheimnis der Brüder zusammengelegt: Den Saustall an der äusseren Gartenmauer gegen die Bucht zu. Die Säue, fünfzehn, sechzehn rabiate Rüssler, brachen aus und kreisten im Kräutergarten, sie demolierten den Lattenhag, drückten die hintere Gartentür ein und überwarfen Bohnenstangen und Leiterwagen; die drei letzten wurden erst gegen vier Uhr in der Grotte des Säulitoni, ihres Patrons, mit Kapuzinerstricken gefangen und aus dem geweihten Ort gezerrt.
Vom Burghügel bimmelten die Glocken erst um halb vier; da war es längst zu spät, auch für die Sirene, die dreimal Grossalarm jaulte und die ganze städtische Feuerwehr heraussprengte. Das Sturmgeläute, von den Böen verwischt, schepperte jämmerlich. Unschlechts Geklingel am oberen Herrenberg war wirkungsvoller: es brachte die Maus Klara auf die Beine, die den Monsignore Ehrenbürger so lange stupfte, bis er wach wurde und sich aus den Federn wälzte. Ochs war dann ganz in seinem Element, als er mit Weihwasserkessel und fliegendem Schwarzrock gegen den Sturm anging, obwohl er kaum zu Atem kommen konnte im Gegenwind. Um vier Uhr brach das Unwetter zusammen, flaute rapid ab; und um halb fünf fing ein heller Sommertag an, so hell und harmlos, als wäre noch nie ein Hagelkorn auf Rapperswil gefallen. <

gerold späth (*1939) ist ein einfallsreicher, animierter erzähler, dessen wortschatz und sprachpflege, dessen füllige schilderungen und pointierten seitenhiebe ihresgleichen suchen in der zeitgenössischen deutschsprachigen literatur. seine sprache hat einigen glanz, und er gehört nicht zu den mühsam mit syntax und vergleichen ringenden und nicht zu den gegenwärtig zahlreichen zeitgeist kolportierenden vertretern seines fachs. es ist hier eine stelle aus seinem roman 'unschlecht' zitiert, den er 1970 publiziert hat.

Ich hielt auf den Kapuzinerzipfel zu und war auch noch nicht an Land, als der Teufel in der Luft losging. Windhosen rasten herauf, schräg über den See auf Rapperswil zu. Es hagelte ins Gestürm hinein. Ich schrammte zwischen die Steine und lud schnell aus - ein paar Körbe, ein paar kleine Harasse -, dann stemmte ich den Kahn über die Ufermauer und zog ihn unter die Linde auf der Rondelle. Und dann rannte ich, schon nass bis auf die Haut, zum Hafen.

seine sprache ist jener gotthelfs ähnlich, sie wirkt aber durchweg sensibler und präziser als jene. sie neigt an keiner stelle zur volkstümelnden naivität und kommt gewissermassen näher ans geschehen heran, eine differenz, die sie auch reichhaltigerer ausdruckspalette und grösser entwickeltem auffassungsvermögen verdankt. der unterschied ist aber nicht so bedeutend, dass man späth einen sehr viel höheren dichterischen rang zuerkennen möchte als dem pfarrer von lützelflüh. es gibt an dieser sprache eigentlich nichts auszusetzen, sie leistet sich weder nachlässigkeiten, schludrigkeiten, noch abgedroschene metafern, und wo sie, gotthelfs bestreben wiederum verwandt, dem volke quasi aufs maul schaut, tut sie das mit einer wohltuenden ironischen distanz.

Der See sprang über die Wellenbrecher, zerschlug Flösse und Schiffe an den Mauern und zerhackte alles, was die Wellen von Bojen und Pfählen rissen, und der Hagel schlug die Bäume kahl, der Hagel schlug die schöne Stadt; die ganze zurechtgeschleckte Mittelalterlichkeit kam schwer unter den Hagelhammer. Ausgerissenes Gesträuch; im Wind wirbelten Äste durch die Luft, fegten über die Seestrasse; Ziegel und Fensterscheiben klirrten auf parkierte Autos herab; der Sturm köpfte Kamine, riss Antennen ab; über den Aufstieg plätscherte trübe Brühe und überschwemmte breit und braun den Hauptplatz; vom Schulhaus flatterten Fensterläden; Friedhofdreck sprudelte durch die Mauerlöcher, schoss breit den Herrenberg hinab.

späth bietet bewusste arbeit an der sprache an, er weiss um wohlklang und rytmisierende elemente. stabreim um färbung der vokale kein zufall, er beherrscht ohne zweifel mehr mittel als gotthelf, mehr auch als das gros der sich im gegensatz zu ihm gut verkaufenden kollegen heutigen schlags. er ist ein herausragender stilist, ein könner in dieser beziehung.

Der See sprang über die Wellenbrecher, zerschlug Flösse und Schiffe an den Mauern und zerhackte alles, was die Wellen von Bojen und Pfählen rissen, und der Hagel schlug die Bäume kahl, der Hagel schlug die schöne Stadt

das nenne ich wohlklang, musikalität. und auch das:

im Wind wirbelten Äste durch die Luft, fegten über die Seestrasse; Ziegel und Fensterscheiben klirrten auf parkierte Autos herab; der Sturm köpfte Kamine, riss Antennen ab; über den Aufstieg plätscherte trübe Brühe und überschwemmte breit und braun den Hauptplatz; vom Schulhaus flatterten Fensterläden; Friedhofdreck sprudelte durch die Mauerlöcher, schoss breit den Herrenberg hinab

indes, bei aller formidablen pflege der sprache, bleibt späths darstellung eindimensional, fulminante und gekonnte schilderung, aber ohne rechte vertiefung, intellektuelle, aber wenig seelische substanz, kaum transzendenz, bleibt zu real und zu gegenständlich, um grosse dichtung genannt werden zu können.

Ein paar Minuten nach dem ersten Geprassel, es war etwa zwanzig Minuten nach drei, läuteten die Kapuziner Sturm in den Sturm; der Wind hatte das gut versteckte Geheimnis der Brüder zusammengelegt: Den Saustall an der äusseren Gartenmauer gegen die Bucht zu. Die Säue, fünfzehn, sechzehn rabiate Rüssler, brachen aus und kreisten im Kräutergarten, sie demolierten den Lattenhag, drückten die hintere Gartentür ein und überwarfen Bohnenstangen und Leiterwagen; die drei letzten wurden erst gegen vier Uhr in der Grotte des Säulitoni, ihres Patrons, mit Kapuzinerstricken gefangen und aus dem geweihten Ort gezerrt.

plastisch, eindrücklich, détailreich. aber zuwenig seele. zu wenig schöpferischer geist. sehr solides, untadeliges handwerk, aber kaum aura drumherum, fast nichts darüberhinaus. meister der sprache, aber kein erstrangiger dichter, leider, leider.
ich lese ihn aber mit grossem vergnügen und denke mir, er hat sprachlich und ebenso inhaltlich, ebenso durch die kraft seiner aussagen, entschieden mehr drauf als fast alle nobelpreisträger deutscher zunge.
er hat das vermögen, ins garn zu spinnen, aber nicht gleichermassen wie etwa mccarthy es kann - es ist, im unterschiede zum amerikaner, weniger ein seelisches gewebe, was hier entsteht, mehr gedankliches, nur intellektuell verwertbares produkt, weniger in der poetischen wolle gefärbt als einfach hervorragend und solide gestrickt.

und nun lade ich ein zu einem herbstlichen aufenthalt

> Am See

Um diese Zeit geschah es, dass an einem wunderschönen Tage des beginnenden Herbstes Hella ihren Pony satteln liess, um einen Spazierritt zu unternehmen. Eine klare, sonnige Luft war rings verbreitet, stärkend wie Wein, und aus den dampfenden Morgennebeln war ein goldener Tag emporgestiegen. Es war, als hätte sich die blaue, wolkenlose Glocke des Himmels unendlich erweitert und die Welt sich vergrössert, denn vieles an den dämmernden Höhenzügen des Horizontes, das sonst in blauem Dunst oder matten Schleiern verhüllt lag, tat sich in bestimmten Linien und zarten Umrissen hervor, und an dem Wahrzeichen der Gegend, der Kirche von Borna, die viele Meilen weit sichtbar auf dem langgestreckten Höhenzuge sich zeigte, der den Lauf der Elbe begleitet, konnte man heute alle Fenster zählen. Der Trieb in die Ferne, der solchen Tagen eigen ist, die erfüllt sind von den Lockrufen wandernder Vögel und den silbernen Fäden des fliegenden Sommers, hatte auch Hella ergriffen, und am liebsten wäre sie hinausgeritten in die weite Welt, die heute so sauber und glänzend erschien, so recht wie ein Schauplatz für lauter zierliche und anmutige Abenteuer. Sie dehnte deshalb ihren Ritt heute weiter aus als gewöhnlich, bis sie an die Grenze gelangte, wo an dem Walde des feindlichen Nachbargutes entlang ein wenig befahrener Feldweg lief. Dort liess sie ihr Pferdchen im Schritt gehen, und als sie, den Blick auf den herbstlich gefärbten Wald gerichtet, dort entlang zog, wurden allerlei Erinnerungen an längst entschwundene Zeiten in ihr wach. In früheren Tagen, als die Familien noch viel miteinander verkehrten, war man öfters auf halbem Wege in diesem Walde zusammengekommen. Das Gehölz umschloss einen kleinen See, an dessen Ufern sich unter dem Schutze einer alten mächtigen Eiche einige Rasenbänke befanden und eine regendichte Mooshütte errichtet war, die bei ungünstiger Witterung einen Unterschlupf bot. Dort hatten die beiden Familien mit anderen Freunden aus der Umgegend so manches kleine Sommerfest miteinander gefeiert, und oftmals hatte von dort aus das Klingen der Gläser, fröhliches Gelächter und lustiger Gesang durch den Wald geschallt. Aus ihrer frühen Kindheit erinnerte sich Hella so mancher dieser Zusammenkünfte, und besonders die letzte dieser Art, die überhaupt stattfand, war ihr treu im Gedächtnis geblieben. Man hatte an einem wunderschönen Herbsttage dort am See den Geburtstag der Frau Dieterling gefeiert, und Hella erinnerte sich noch sehr wohl ihrer Verwunderung, als sie alle jungen Fichten der Umgegend mit leuchtenden Georginen und Sonnenblumen geschmückt fand, denn im ersten Augenblick hatte sie gedacht, diese Nadelhölzer hätten solchen farbigen Zierat aus eigenem Vermögen hervorgebracht. Fürchterlich war es gewesen, und sie hatte sich sehr die Ohren zugehalten, als Fritz Dieterling zu Ehren des Tages aus einer grossen Messingkanone das Echo anböllerte, aber nachher hatte sie selbst über den See hinweggerufen: "Hella!" Da hatten ihr zarte Stimmen geantwortet, schnell hintereinander weg und immer ferner, wohl viermal, und sie hatte fest geglaubt, dort in dem grünen Dämmer des Seeufers müssten noch andere kleine Mädchen sein, und sie wollte sie holen, um mit ihnen zu spielen. Fritz Dieterling aber hatte überlegen gelächelt und gesagt: "Das ist ja man bloss das Echo, und wenn du spielen willst, dann musst du mit mir spielen. Komm mit, ich weiss was. Was Schönes. <

eine romantisierende, idyllisierende prosa, deren fruchtlose versuche, poetisch zu wirken, ins auge stechen:

Eine klare, sonnige Luft war rings verbreitet, stärkend wie Wein, und aus den dampfenden Morgennebeln war ein goldener Tag emporgestiegen.

der vergleich mit dem wein doch ein wenig gesucht und danebengelangt, die dampfenden morgennebel und der goldene tag recht abgedroschene, kraftlos gewordene wendungen in jener zeit schon, als heinrich seidel (1842-1906) diese weihnachtsgeschichte 'am see und im schnee' publizierte.

Es war, als hätte sich die blaue, wolkenlose Glocke des Himmels unendlich erweitert und die Welt sich vergrössert

deutliche bemühungen seidels, sich dichterisch hervorzutun, gleichsam zuhälterisch die sprache feilzubieten wie man eine aufgetakelte hure in die öffentlichkeit stellt.

denn vieles an den dämmernden Höhenzügen des Horizontes, das sonst in blauem Dunst oder matten Schleiern verhüllt lag, tat sich in bestimmten Linien und zarten Umrissen hervor

satz für satz abgenutzte, verlebte, überschminkte sprache, einem spiessigen und kunstfeindlichen ideal zurechtgeschrieben. sie ist weniger als unpoetisch, sie ist verlogen und parasitär, hie und da lachhaft entlarvend:

und an dem Wahrzeichen der Gegend, der Kirche von Borna, die viele Meilen weit sichtbar auf dem langgestreckten Höhenzuge sich zeigte, der den Lauf der Elbe begleitet, konnte man heute alle Fenster zählen

die verstrickung in den doppelten relativsatz hier und die läppisch unbedarfte fensterzählerei entblössen den autor dieser glasierten sprache als einen verkitschten stümper ohne bewusstsein für tiefere empfindung und wahrhaftige sprache. er schreibt nicht 'nur schön' wie hohl, es offenbart sich hier ein recht korrumpierter geist, eine bürgerlich-spiessige gesinnung hinter diesen zeilen zum heulen.

Der Trieb in die Ferne, der solchen Tagen eigen ist, die erfüllt sind von den Lockrufen wandernder Vögel und den silbernen Fäden des fliegenden Sommers

der applaus der mediokren meute lesender laffen war und ist einem solchen autor gewiss, das geistige klima, das er verbreitet und zugleich bedient, ein zusammenkommen lauen, süsslichen, seelenschmeichlerischen winds, chemisch gereinigten bodens und chic parfümierten dungs und gar lieblich bereinigter atmosfäre, schnipselhaft künstlich zersetzten gewölks.

Fürchterlich war es gewesen, und sie hatte sich sehr die Ohren zugehalten, als Fritz Dieterling zu Ehren des Tages aus einer grossen Messingkanone das Echo anböllerte, aber nachher hatte sie selbst über den See hinweggerufen: "Hella!" Da hatten ihr zarte Stimmen geantwortet, schnell hintereinander weg und immer ferner, wohl viermal, und sie hatte fest geglaubt, dort in dem grünen Dämmer des Seeufers müssten noch andere kleine Mädchen sein, und sie wollte sie holen, um mit ihnen zu spielen.

kindische, substanzlose sprache, interessant vielleicht für verwöhnte gören und pseudogebildete tölpel, literarische schummelware und seelenlose attrappe, über die kein weiteres wort zu verlieren ist.

man vergleiche diese sprache einmal mit dem folgenden text:

> Ein Sommerabend, ganz danach angetan, die Unbilden des Daseins vergessen zu machen. Kein Wind regt sich. Die Sonnenglut des Tages steht noch über dem Lande und hüllt es in warmen Dunst. Der Himmel schwärzt sich, als sei ein Maler daran, ihn mit tintigem Pinsel zu tuschen. Mein volles Herz bewundert die Harmonie in den sich langsam verfinsternden oder zergehenden Farben. Mein Leib und meine Seele baden in der stillen Wärme der Luft, die wie der Körper eines weichbefellten Tieres duftet und schmeichelt. Man ist nicht einsam in diesem weitgespannten Raum voll lungenwarmen Atems. Das mehr und mehr erstarrende Schweigen ist vom Glück berührt. Noch einmal erglänzt der staubige Weg unter dem Horizont - er leuchtet wie lebendiges Licht. Die Pappel, mit der Millionenzahl ihrer Blätter, die heute nicht flüstern, hinter der der Himmel grau aufsteht - ein gleichmässig eisernes Grau - zeichnet sich scharf und schwarz wie etwas Übernatürliches - wie die Kulisse eines Waldstücks auf dem Theater - mit mühsamer Genauigkeit. Selbst die geborstene Rinde ihres Stammes scheint vom Geäder eines schwarzen Metalles durchzogen. Ein weisser Fleck in der Landschaft - wahrscheinlich ein kleiner Berg angefahrenen Düngekalkes, den ich zum ersten Male sehe - ist wie ein prüfendes Auge auf mich gerichtet. Ich höre im Grase nur die leise klappernden Geräusche eines sich bewegenden Insekts und in mir die Stösse des Blutes. Ich spüre von mir nichts weiter. Es ist ein Abend, wie ich ihn liebe - eine seltene Stunde, in der etwas Schönes beginnen müsste. In der Tat, wenn ich weiterginge, eine der schimmernden Strassen entlang, würde ich ihrer einige in den Gräben finden, die Menschenpärchen. An solchen Abenden wird vieles versprochen. Auch mir wird eine Zusage gemacht. Ich spüre, dass etwas auf mich zukommt. <

nicht nur das sprachliche vermögen, die musikalität der sätze hebt sich von der darstellung seidels ab, wir finden hier im gegensatze viel tieferschürfende gedanken zu einem seelischen erleben verwoben, ein vom ansatze her konträres bemühen zu echter verlebendigung, hier schreibt nicht einer in kluger berechnung, was seine leser wohl hören möchten, fertigware nach mass und mode. es wird hier überhaupt erst musiziert, komponiert, nicht routiniert fabriziert und rezepthaft verabreicht. ein solches bestreben schöpft aus dem vollen und erfasst den ganzen menschen. zieh ich vorher gotthelfs sprache der naivität, so muss ich sagen, ich habe das wort im negativen sinne gebraucht, als spräche der autor zu etwas beklopptem volke, dem er geistig wenig zutraut. hier, bei hans henny jahnn (1894-1959), handelt es sich um eine ganz andere art der naivität, wenn er vom vollen herzen schreibt, von der berührung des glücks, von menschenpärchen. eine suchende, strebende, ganz persönliche seele offenbart sich in der epischen erzählung 'fluss ohne ufer', die gestaltung eines wahren künstlers. es ist die grösste prosa eines dichters deutscher zunge des 20. jahrhunderts, die ich kenne, und ich meine damit 'die niederschrift des gustav anias horn', den zweiten und den dritten teil der trilogie, fünfzehnhundert seiten konzentriertester sprache, ein unvergleichliches leseerlebnis.

Ein Sommerabend, ganz danach angetan, die Unbilden des Daseins vergessen zu machen. Kein Wind regt sich. Die Sonnenglut des Tages steht noch über dem Lande und hüllt es in warmen Dunst. Der Himmel schwärzt sich, als sei ein Maler daran, ihn mit tintigem Pinsel zu tuschen. Mein volles Herz bewundert die Harmonie in den sich langsam verfinsternden oder zergehenden Farben. Mein Leib und meine Seele baden in der stillen Wärme der Luft, die wie der Körper eines weichbefellten Tieres duftet und schmeichelt.

das ist komponiert, da wird eine atmosfäre erschaffen! wir haben hier mehr vor uns als vollendetes (kunst)handwerk, noch mehr, als ein gerold späth bieten kann. es entsteht ein reichhaltiger stimmungszusammenhang, grosse musik, deren auftakt schon eine ganze welt heraufbeschwören kann. hier ist natur nicht bloss ort der handlung, staffage, dekoration wie bei seidel, sondern selbst sich verströmendes, untergründiges, hintergründiges leben. eine solche sprache, ein solcher gestaltungswille, solches schöpferisches genie erfasst alle sinne, nicht den verstand alleine, ist essentielles, existentielles schreiben und zeugnis eines grossen künstlers. -

ich nenne cormac maccarthy und hans henny jahnn grosse, bedeutende dichter, sprachschöpfer, künstler. ich halte gerold späth für einen ausgezeichneten schriftsteller und erzähler. ich mache einschränkungen, abstriche zu gotthelf, dessen stärke die originalität, dessen schwäche eine zu sehr forcierte, geklotzte, alles sensible überstülpende sprache ausmacht. allen zueigen ist das vermögen, formal mustergültige romane zu verfassen. den allgemeinen wert hohlscher prosa vermag ich dagegen nicht zu erkennen, seine fast ausschliesslich objektivierende prosa verfehlt mir jeden anspruch, den ich an literatur stelle. und seidel ist nichts weiter als ein blümeranter kitschier.

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