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schandfleck.ch_textkritik/2009/juli
david manuel kern
   

Kurze Nachbemerkung zu Costantinos „thomas mann: der tod in venedig“

Ich versuche mich an eine Erwiderung zu Costantinos Besprechung von Manns Tod in Venedig. Obgleich die Zeit voranschritt, wie sie es zu tun pflegt, wiederlese ich seine Worte und Anklagen, seine Ironie und Zerschmetterungen und versuche, mein Gedächtnis zu erfrischen. Ich werde hierfür versuchen, auf das tatsächlich Geschriebene und Behauptete einzugehen, am Wort zu bleiben, Costantino beim Wort zu nehmen.
„das charakteristische an manns stil zeigt sich hier schon ganz zu anfang und wird bis zum schluss durchgezogen. seine sprache erscheint deshalb zurecht aus einem gusse.“ Wie aber ist das gemeint?, die „Sprache“, ein Allerweltswort im Übrigen, kaum beizukommen, denn es stellt sich die Frage, welche Sprache, die Sprache als Konstrukteur von Wirklichkeit, als Pinsel der Fiktion, als ästhetisches Mittel der „Ausschmückung“?, erscheine „aus einem gusse“; dies als Kritik?, als Belehrung?, als Lob?, ein Guss erzeugt sich durch Einmalerdachtes, nicht durch einen Denkprozess, durch Innehalten und Rekapitulation, nicht durch die Neuerzeugung durch Geist, ein Guss bedeutet ein in sich geschlossenes, geplantes Konstrukt, auf Effekt und Perfektion zielend; ein Werk „aus einem gusse“ ist eine harte Kritik, an jener Stelle eine Behauptung ohne Grund und Boden, ohne Argumentation, sie bleibt tatsächlich in der Luft. Weiter: Mann schreibe „ohne den geringsten aufbau an sprachlicher spannung“. Bedeutet „sprachliche Spannung“ anderes als „inhaltliche Spannung“?, kann der Dichterling letzteres ohne ersterem?, bedingt ersteres letzteres?, dann aber, im Text, eine Art Auflösung: die „sprachliche spannung, die der text vom inhalt alleine bezieht“, nun also ein Zusammenhang zwischen „sprachlicher Spannung“ und „inhaltlicher Spannung“, möglicherweise „inhaltliche Spannung“ unterlegt von „sprachlicher spannung“, durch „sprachliche spannung“ zu „inhaltlicher Spannung“; vielleicht: eine „inhaltliche Spannung“ wird ausschließlich durch „sprachliche spannung“ transportiert, d.h. ohne „sprachliche spannung“ keine „inhaltliche Spannung“. Wie aber sieht diese merkwürdige „sprachliche spannung“ aus?, bedarf es an sich steigernde Superlativen, um einen Aufbau, denn um den „aufbau“ geht es hier, von „sprachlicher spannung“ zu garantieren? Costantino fordert einen „aufbau“ „sprachlicher spannung“, was ihn in den Verdacht stellt, er fordere von einem gesetzten deutschen Klassiker jene Bedingungen, die einer „spannenden“ Trivialliteratur inne liegt, in der durch die Voraussetzung von Trivialität Spannung aufgebaut wird; tatsächliche Spannung wird durch künstlich (sprachlich) erzeugte vermeintliche Spannung überdeckt. Ich will keine Spannung bei Thomas Mann, ich will in die Luft gewirbelt werden, ruhig, gelassen, weitsichtig.

Costantino schmückt Mann mit den Adjektiven „bieder“, „korrekt“, „beflissen“, „musterschülerhaft“, „verschroben“, „beamtenhaft“, er könne es nicht verstehen, wie man ihn „einen Dichter“ nennen könne; er ist derart aufgeregt, dass ihm gar ein „mein gott“ auskommt! Dem ist nicht beizukommen und es würde sich als schwierig erweisen, dem Kritiker zu widersprechen. Denn Manns „Sprache“ (das auf dem Papier) ist abhängig von Geschmack; sie ist abhängig von den vielen Erfahrungen eines Menschen, seinen Erwartungen, Erfahrungen, Sehnsüchten, Schmerzen, seinen Vorlieben, seinen politischen Ideen, seinen Auffassungen von den Dingen, von seiner Weltinterpretation. Ich erkenne an Manns Geschriebenem nichts Musterschülerhaftes, nichts Biederes, schon gar nichts Verschrobenes. Ähnlich wie es mir bei Kafka ergeht, genieße ich seine wohlsituierten Sätze, seine Verschachtelungen und Komplexitäten, den Bindestrich zwischen den beiden Adjektiven, seine Umformungen und Beschreibungen, seine Umständlichkeiten. Möglicherweise geschieht dieser Genuss auf intuitiver Ebene, möglicherweise ist dem literaturwissenschaftlich nicht beizukommen, möglicherweise ist es eine Art Liebe zum Ausdruck, eine Liebe im Affekt. Helfen kann ich mir nicht.
Jedoch, die analytische Fähigkeit des Kritikers, ähnlich die des Auguste Dupin, zwingt den interessierten Betrachter zur Einlenkung, zu Bekenntnissen. „Offenbar war er durchaus nicht bajuwarischen Schlages“ ist ein hässlicher Satz, der im Affekt übersehen wird, übersehen werden will; allein die Analytik kann sich selbst eine Falle stellen, die sie selbst niemals zulassen würde: die Falle der Pauschalisierung, das Schließen vom Teil aufs Ganze, die Selbstherrlichung der Induktion. Nicht zuletzt deswegen ist Doyles Figur letztlich eine süffisante, amoralische und verschrobene Witzfigur. Costantino schreibt: „nichts, was aus der tiefe kommt“. Wie meinen? Im Tod in Venedig sei „nichts, was aus der tiefe kommt“? Kein Nietzsche, keine Mythologie, kein Schiller, keine Geschlechtlichkeit, keine Historie, kein Mahler, kein Sterben, kein Kunstverständnis? Keine Reflexion? Keine Poetik? Ich muss widersprechen. Mann kann Mann vieles vorwerfen, war er aber entschieden ein beflissener Nachdenker, eine intellektuelle Instanz. Ihm ging es um die metaphysische Welt des Geistes, vermutlich der Welt, der Realität, den gegebenen Umständen entrückt, aber umso wesentlicher trachtete er nach dem Wesen des Ich, dem Wesen der nachromantischen Blauen Blume, nach dem „was die Welt im Innersten zusammenhält“.
Man kann einen Text zersetzen, zerpflügen, auseinandernehmen, auseinanderzerren, jedes Wort auf die Waage legen. Vielleicht obliegt es einem guten Text, dem standzuhalten. Aber darf man nicht der Ungerechtigkeit anheimfallen, pauschalisieren, totalisieren, seine Weltinterpretation seiner Kritik aufzwingen, dem Kanon Rache erteilen.

Der Text hält stand, seiner versprochenen Sprachlichkeit als auch den wundersamen Geschehnissen darin.

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