schandfleck.ch_textkritik/2006/april |
david
manuel kern
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Joseph Roth und die Religiosität |
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Joseph Roth hat einen Roman geschrieben, der von widerlicher reaktionärer Religiosität nur so strotzt. Nichts bleibt von seinem 1930 erschienenen Roman Hiob über als ungewohnt konservative Schreibweise und bibelähnliche Mythendichtung. Der arme streng
gläubige Mendel Singer ("fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich,
ein ganz alltäglicher Jude") fristet in einem russischen Dorf
ein karges Leben als Lehrer. Seiner Frau wird mit den Jahren vier Kinder
geschenkt, wovon das jüngste an Epilepsie und scheinbarer Idiotie
leidet. Die Jahre vergehen und der gezwungene Armeedienst holt die zwei
ältesten Söhne ein. Nach alter jüdischer Tradition ist
es nicht vorgesehen, dass sie dem Staat militärisch dienen. Einer
der beiden kann flüchten, der andere wird nach missglückten
Versuchen, das Gegenteil herbeizuführen, schließlich aus
eigenem Wunsch eingezogen. Ein Verhältnis der nun erwachsenen Tochter
mit einem "Kosaken" zwingt die Familie, nach Amerika auszuwandern,
wo aus dem desertierten und Jahre nichts gehörten Sohn ein angesehner
und wohlhabender Mann geworden ist. In Amerika angekommen, nicht heimisch
fühlend und von stetem schlechtem Gewissen über seinen in
Russland zurückgelassenen jüngsten Sohn geplagt, erfährt
Mendel Singer die nächsten Schicksalsschläge. Der zweite Weltkrieg
bricht aus und der Sohn wird als ehrenwerter Amerikaner in den Krieg
geschickt, den er nicht überlebt. Mit dieser Nachricht konfrontiert,
bricht die Mutter tödlich zusammen und gerät die Tochter in
den Wahnsinn. Auf keiner Seite dieses Buches ist Gott nicht anwesend. Jede Tat, jedes Geschehen, jede Begebenheit wird zwangsläufig von diesem herbeigeführt. Mendel Singer sieht in allen Dingen den Willen Gottes, was dazu führt, dass er zu einer Marionette eines höheren, aus diesem Grunde heraus bewusst als ein Produkt des Geistes hervorgebrachtes Wesen wird. "Deborah nahm
sich vor, auf den Friedhof zu pilgern und die Gebeine der Ahnen anzurufen,
um ihre Fürsprache beim Allmächtigen. Also würde Menuchim
gesund werden und kein Epileptiker." Auch wenn vorübergehend,
im tiefsten Schmerz und Hoffnungslosigkeit, Singer seinen gnädigen
Gott für tot hält, flammt die Existenz und Gütigkeit
des Herrn am Schluss wieder auf: Das Buch verbirgt
die Gefährlichkeit, dass die Vernunft und Entscheidungsfähigkeit
des Menschen auf Kosten eines imaginären Schicksals zurückgedrängt
wird. Der Mensch entflieht jeder Verantwortung. Das führt dazu,
dass es plötzlich möglich ist, jedes Geschehen auf der Welt
zu akzeptieren, auch wenn es in des Menschens Macht läge, Änderung
herbeizuführen. Dies spricht gegen jede Errungenschaft der Aufklärung,
welcher der moderne Menschen alles zu verdanken hat. |
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