schandfleck.ch_textkritik/2005/september |
daniel
costantino
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imre kerész und sein "roman eines schicksallosen" |
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die hohe kunst des
ungarischen autors besteht darin, aus einer strikt eingehaltenen existentiellen
perspektive zu schreiben, den roman eines schicksallosen' über
das konzentrationslager in einer ganz und gar eigengesetzlichen tonart
hinzulegen, die sich nicht in den dienst des musikantischen, sondern
dem atonalen prinzip struktureller sprache, einer filosofisch festgesetzten
reihenfolge und ihrer durchführung stellt - einerseits; andrerseits,
der romanheld ist ein fünfzehnjähriger, deportierter junge,
weist das buch ebenso die beschwörung der rationalität, die
nur absurd sein kann, wie auch die opferrolle zurück und entlarvt
die täterschaft der erziehung und des gesund genannten menschenverstandes,
einer dem menschen übergestülpten, identitätslosen, hochgradig
antierotischen und rein funktionalen fremden haut. kertész' und
seines helden kraftquelle liegt in einer tiefen, wesentlichen, künstlerischen
notwendigkeit und überwindet so die mörderischen umstände
der vernichtungsmaschinerie, welche allerdings schonungslos und detailliert
offenliegen. dies kann im zusammenhang mit der holocaustdebatte als
skandal empfunden werden, beweist mir aber den individuellen triumf
über die schlächter und mitmacher. auschwitz: was man
in jeder kaserne täglich übt. bedeutungslos, in welchem namen
der krieg und wer zufällig opfer oder täter. wem die zugehörigkeit
mehr wert als ein fetzen papier, wird sich nicht darüber erheben,
frisst handzahm das futter zur schädlingsbekämpfung, und schädling
ist jeder mensch: unerwünscht und unrentabel, aber bei gutem betragen
im namen aller möglichen ideologien instrumentalisierbar. der dreck
der zivilisation, mitnichten irgend ein dünner schleier vor der
barbarei. ich bin versucht zu sagen: man hat das marktprinzip entdeckt
und den zu grossen materiellen flurschaden, wenn ständig jeder
gegen jeden drauflosschlägt. sonntagspredigt, es hätte sich
aufklärung in den köpfen fest- und etische erkenntnis im verkehr
untereinander durchgesetzt. wieso nicht in auschwitz oder buchenwald
geistig erstarken, nicht wegen oder trotz, sondern am exempel. welche
resistenzen also gegen die uniform, hier feind, dort freund? gegen die
vereinnhamung jeder partei, verrat am menschen und saat der vertilgung?
wer sein schicksal akzeptiert, macht mit im spiel wider die menschlichkeit,
auch als opfer, etwelche beimischung dieses starken, aber notwendigen
tobaks in diesem werk. wo schicksal ist, kann es freiheit nicht geben.
eklatante verweigerung der zugehörigkeit. der westen, steht in
einem interview mit kertész nachzulesen, ein lager für häftlinge,
die geschont werden. in tiefern schichten denn doch ein kapitaler ansatz
zu einer holocaustdebatte. die sprache: präzise,
konzentriert, vom anfange bis ans ende der lagerzeit streng und schnörkellos
durchkomponiert wie eine genau erdachte partitur, die sich von keiner
spontanität und keiner verspieltheit ablenken lässt, nichts
dem rausch der worte konzediert. sie überzeugt dadurch, dass sie
genau zum gewählten tema passt und der filosofischen festsetzung,
dem arbeitsvorsatz in allem entpricht. ohne zweifel subtil und der macht,
die sie entfaltet, bewusst. meisterhaft handhabung und wechsel von präsens
und perfekt mit dem präteritum, selten gewordene könnerschaft,
kein wort zuviel und keins zuwenig, sehr direkt gesetzt und ihre funktion
erfüllend wie eine tonart, die nicht ohne vorsatz moduliert, und
dies unauffällig, unspektakulär, dann und wann einem neuen
kapitel eine etwas dunklere färbung verleihend und so immer radikaler
zum kern vordringend, dem ursprung ihrer selbst und der existenz an
sich. zum beweis des gesagten der bruch mit ihrer strukturellen ausgangslage,
der demonstrierten durchführung, am schluss, der die erste zeit
in der freiheit beschreibt und so beschreibt, dass er sie gleich auch
noch negiert. > am meisten mangelte es in der eisenbahn an wasser, lebensmittel schienen, alles eingerechnet, für lange zeit zur genüge vorrätig zu sein; aber wir hatten eben nichts zum trinken dazu, und das war doch recht unangenehm. die in der eisenbahn haben gleich gesagt: der erste durst, das ist bald vorüber. schliesslich hätte man ihn schon fast vergessen: erst da trete er von neuem auf - bloss lasse er dann kein vergessen mehr zu, erklärten sie. sechs, sieben tage - behaupteten die sachverständigen - das sei die zeit, die man im notfall, und auch das warme wetter eingerechnet, ohne wasser überstehen könne, vorausgesetzt, man sei gesund, verliere nicht zuviel schweiss und esse kein fleisch und keine gewürze. vorläufig - so redeten sie uns zu - hätten wir noch zeit; alles hinge davon ab, wie lange die reise dauern werde, sagten sie noch. tatsächlich war ich selbst auch neugierig darauf: in der ziegelei ( wohin man sie erst zusammengepfercht; anmerkung dc ) hatten sie das nicht mitgeteilt. insgesamt hatten sie nur so viel verlauten lassen, dass jeder, der lust habe, sich zur arbeit melden könne, und zwar in deutschland. den gedanken fand ich, genauso wie die übrigen jungen und viele andere in der ziegelei, sofort reizvoll. überhaupt - so sagten es die durch armbinden kenntlich gemachten leute von einer gewissen körperschaft, die sich judenrat' nannte, so oder so, willig oder nicht willig, wir alle würden auf jeden fall früher oder später aus der ziegelei nach deutschland ausgesiedelt, und denen, die sich als erste freiwillig meldeten, würde ein besserer platz zuteil, und dazu noch die vergünstigung, dass sie insgesamt zu sechzig in einem wagen reisen könnten, während später wenigstens achtzig platz finden müssten, wegen der ungenügenden anzahl von zügen, die zur verfügung standen - wie sie es jedermann erklärten: das liess der überlegung in der tat nicht mehr viel raum, wie ich auch fand. < der gesichtspunkte, den roman zu reflektieren, die fülle. kertész heischt mobilisierung aller geistigen ressourcen des lesers, und er schreibt gegen vieles an, was der bequemen konvention so unausstehlich selbstverständlich. dem trotz des pubertierenden jungen helden entspricht der ärger des ungarischen, zum juden gestempelten autors, ich entnehme es andern, tagebuchartigen texten, dass seine umwelt sich weigert zu erkennen: das kaputte privatleben des menschen und seine verfehlte geschichte gehen auf sein eigenes konto und nie, welch abscheuliche verfälschung heute wie gestern! tragen scheinheilig behauptete böse, fremde kräfte herbeigeschnorrte schuld; nationaler fluch, schicksal und verhängnis können nur die immer gleichen ausreden sein. so gesehen, ich stimme in allem zu, lässt sich mit kertész sagen, dass der fahrlässig bequeme, zivilisierte und so allgemein verbreitete kulturschimpanse mensch den antisemitismus, andere ismen eingeschlossen, geradezu braucht. die bürgerseele kann nicht ohne den unterdrücker leben und nicht ohne den sündenbock der minderheiten', an dem sie den aufgestauten hass abreagiert, all das ressentiment, das der tägliche frust erzeugt. in der negation dessen, was ihr nicht zuzugehören hat, besteht ein spezifikum der herdenmentalität, hier des jüdischen. der ausgegrenzte ist immer der, über den man in der mehrzahl reden kann, den man genau zu kennen glaubt und mit dem man doch nichts gemein haben will, ein mitglied einer andern, nicht allzu komplizierten tierrasse, einer schädlichen selbstredend, beschönigend fremder genannt. und so welche gehören, auf pfiff und kommando, entweder gebrandmarkt oder geplündert, gemobbt oder gequält, je nach bedarf, totgeschwiegen oder totgeschlagen. > ich kann behaupten:
es gibt keine noch so grosse erfahrung, keine noch so vollkommene ergebenheit,
keine noch so tiefe einsicht, dass man seinem glück nicht doch
noch eine letzte chance gäbe - vorausgesetzt, man hat die möglichkeit
dazu, versteht sich. als ich nämlich mit all denen, an deren arbeitsfähigkeit
offensichtlich keine grossen hoffnungen mehr zu knüpfen waren,
nach buchenwald, an den absender gewissermassen, zurückgeschickt
wurde, da teilte ich mit allen mir verbliebenen fähigkeiten natürlich
die freude der anderen, weil mir ja sofort die schönen tage von
damals, nun und dann ganz besonders die morgendlichen suppen in den
sinn kamen. hingegen habe ich nicht daran gedacht, dass muss ich gestehen,
dass ich vorher ja auch noch dorthin kommen musste, und zwar mit der
bahn und unter den bei solchen reisen üblichen bedingungen; jedenfalls
kann ich sagen, dass es zwei dinge gibt, die ich bis dahin nie verstanden
hatte und die ich auch schwerlich überhaupt hätte glauben
können. zum beispiel liess sich ein früher oft gehörter
ausdruck wie sterbliche überreste' nach meinem vormaligen
wissen ausschliesslich auf einen verstorbenen beziehen. ich jedoch,
daran war kein zweifel, lebte noch, wenn auch flackernd, ganz hinuntergeschraubt
gewissermassen, aber etwas brannte noch in mir, die lebensflamme, wie
man so sagt - andererseits war da mein körper, ich wusste alles
von ihm, nur war ich selbst irgendwie nicht mehr in ihm drin. ich konnte
ohne weiteres feststellen, dass dieses ding, zusammen mit ähnlichen
dingen neben und über ihm, hier lag, auf dem kalten und von verdächtigen
säften feuchten stroh des rumpelnden wagenbodens, dass der papierverband
sich schon längst gelöst hatte, zerfleddert und weggerissen
war, dass mein hemd und die sträflingshose, die man mir für
die reise angezogen hatte, sich mit den offenen wunden verklebten -
aber all das berührte mich nicht wirklich, interessierte mich nicht,
es beeinflusste mich nicht mehr, ja, ich darf sagen, dass ich mich schon
lange nicht mehr so leicht, so friedlich, fast schon verträumt,
um es rundheraus zu sagen: so angenehm gefühlt hatte. nach so langer
zeit war ich zum ersten mal endlich auch die qual der gereiztheit los:
die körper, die an mich gepresst waren, störten mich nicht
mehr, irgendwie freute es mich eher, dass sie bei mir waren, mir so
vertraut und dem meinen so ähnlich, und jetzt zum erstenmal erfasste
mich ihnen gegenüber ein ungewohntes, regelwidriges, irgendwie
linkisches, um nicht zu sagen ungeschicktes gefühl - möglicherweise
vielleicht liebe, glaube ich. und gleiches wurde mir von ihnen zuteil.
hoffnungen, wie zu anfang, versuchten sie mir allerdings nicht mehr
zu machen. möglicherweise war das, was sie hin und wieder kundgaben
- abgesehen von dem allgemeinen leichten stöhnen, dem atemholen
zwischen den zähnen, den leisen klagen - gerade deswegen, natürlich
aber auch wegen der übrigen schwierigkeiten, so still und andererseits
auch so familiär: hier ein tröstendes wort, da ein beruhigender
zuspruch. aber ich kann sagen, auch mit taten geizte nicht, wer dazu
nur noch irgend fähig war, und auch zu mir reichten hände
in barmherziger fürsorge aus wer weiss welcher entfernung die konservendose
weiter, nachdem ich gemeldet hatte, dass ich urinieren musste. als dann
am ende auf einmal - ich weiss nicht, wie, wann und vermittels welcher
hände - statt der bretter des eisenbahnwagens die von einer eishaut
überzogenen pfützen eines gepflasterten bodens unter meinem
rücken waren, da bedeutete es mir allerdings nicht mehr viel, glücklich
in buchenwald angekommen zu sein, und ich hatte längst vergessen,
dass es eigentlich der ort war, an den es mich so gezogen hatte. ich
hatte auch keine ahnung, wo ich war: noch am bahnhof oder schon ein
stück weiter drinnen, ich erkannte die gegend nicht und sah auch
nicht die strasse, die villen und das denkmal, an das ich mich doch
so gut erinnern konnte.
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