schandfleck.ch_textkritik/2006/september |
daniel
costantino
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herbst im kleinen und grossen |
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ein paar gedichte zur jahreszeit Septembertag Dies ist des
Herbstes leidvoll süsse Klarheit, Dies ist des Herbstes leidvoll süsse Klarheit... solche gedichte
gibt es zu tausenden in deutscher sprache. hätte christian morgensterns
'septembertag' mehr strofen und verklänge nicht ebenso abrupt wie
ahndevoll, man könnte die reime soufflieren. doch ists seine schlechteste
eigenheit nicht, mit der fünften zeile zu enden. das gedicht, klangarm,
stimmungslos, wirkt abgedroschen wie ein leierkastenstück. weder
sprache noch gedanken verraten eigenständigkeit, nur klischee.
die 'leidvoll süsse klarheit', die sich auf 'wahrheit' reimen muss
wie kiesel auf wiesel und bachgeriesel - zu sentimental, nachgeplappert,
mit der wiederholung noch peinlicher. das fehlende komma nach 'wahrheit',
wohl einer flüchtigkeit des verfassers zuzuschreiben, lässt
erst vermuten, morgenstern habe im stile seiner palmström-gedichte
ironisiert und die verseschmiederei minderbegabter kulturbeflissener
mit einem kasusfehler auf die schippe genommen. doch gefehlt, das gedicht
ist durchaus ernsgemeint. dass in allen verlagswerbungen, die mir zugänglich,
dies komma fehlt, auch in zwei vorliegenden büchern, lässt
tief in die empfindungen schöngeistig herausgeforderter verleger
blicken. einzig in einem webblog hat eine scheue verehrerin den lapsus
des meisters bewusst oder unbewusst von eigener hand korrigiert. Novembertag Nebel hängt
wie Rauch ums Haus, Leiser wird die
Hand, der Mund, erste strofe: banaler gehts kaum noch. rauch und nebel - zu bekannt. die welt nach innen: so geistlos wie unverbindlich. die dritte zeile geradezu läppisch. auch die zweite strofe: tausendmal so und ähnlich gehört, nichts eigenständiges, echtes, kein fünkchen poesie. wer erwachsen ist, sollte so nicht schreiben. und lesen. auf meeresgrund träumen - nun ja, wärs neu, wärs gut. ein schönes bild, nur höchst epigonal, schon seinerzeit, abgekupfert, verschlissen, und nach den zeilen fünf und sechs, die aus einem frommen gebetlein stammen könnten, zu improvisiert, drangebastelt, dergleichengetan. beide gedichte sind unsinnlich, antisinnlich von a bis z. höchst prosaische reimereien voller allerweltsbinsen. richard dehmel (1863 - 1920), ein zeitgenosse morgensterns, hat uns das folgende gedicht hinterlassen: Die stille Stadt Liegt eine Stadt
im Tale, Von allen Bergen
drücken Doch als den
Wandrer graute, eher noch schlechter als morgenstern; eine krautundrübenreimerei. wenns grad geht, dann reimt sichs. eine mogelpackung für den seelenpflegebedürftigen poesiebanausen. der blasse tag der zweiten zeile schon langweilig. 'es wird nicht lange dauern mehr': überkandideltes geraune, zeigefingrige spökenkiekerei. ein sterne steht am himmel? oder wärens sterne, die steht? ich kann nachschauen, wo ich will, es steht in allen antologien tatsächlich so da. zu den nebeln, die drücken, kann einem so wenig einfallen wie dem verfasser. und dann diese verbiesterte genauigkeit: kein dach, nicht hof noch haus - passt akkurat zum mond und 'dem sternen'. zu grosser gestus, um nichts damit zu sagen, nichts poetisches zumal. seis drum, dass brücken meist höherstehn als dächer, turmhoch über dächern, und halt noch ein bisschen sichtbar wären. dafür reimen sie sich auf drücken. man muss kreativ sein in der branche, dann gehts schon, und ein gewisses einfühlungsvermögen mitbringen, am besten gleich von hause auf. wie herzig-naiv die dritte strofe, nach dem plötzlichen präteritum pateticum, vor dem es selbst den wandrer graut', wie schauderhaft! dann der schein eines lichtleins. nun ist mir aber trost beschieden! hienieden? gewiss, im grund aus kindermund. so will es schliesslich das belesene volk auch haben, und drum wird der quatsch auch allzeit gedruckt. In den Nachmittag geflüstert Sonne, herbstlich
dünn und zag, Sterbeklänge
von Metall; Stirne Gottes
Farben träumt, Dämmerung
voll Ruh und Wein; ein ruhiges, souveränes
gedicht, unaufdringlich und melodiös. atmosfäre, dichte, bann.
mit wenigen worten vermag georg trakl (1887 - 1914) etwas zu schaffen,
was über blosse mitteilung, beschreibung, berechnend gesetztes
sentiment weit hinausgeht: poesie. welcher zauber, welche berückung
schon in der ersten strofe! wie organisch der raum sich in der dritten
und vierten zeile ins kosmische weitet, wie unaufdringlich die präsenz
des todes in den mittelpunkt rückt (zweite strofe), traum, wahnsinn
und verwesung in der dritten strofe gestaltet werden, die am hügel
sich drehenden schatten, von verwesung umsäumt wie unser menschliches
geschick, der kreislauf aller natur. das gedicht atmet wie vom boden
verdunstender regen beruhigung, begütigung, ein glücksgefühl
in aller schwermut und melancholie, ich jedenfalls kann mich dieses
eindrucks vor allem in der dritten strofe nicht entziehen. es endet
'wie im traume', wie zum troste mit der sehnsucht nach geborgenheit
in der menschlichen welt. ebenso wie trakls gedicht wurde das folgende aus der feder gottfried kellers (1819 - 1890) in herrn marcel reich-ranickis 'kanon lesenswerter deutschsprachiger werke' aufgenommen: Herbst. I. Im Herbst, wenn
sich der Wald entlaubt, Da geht das Dichterjahr
zu End', Da bin ich stets
beim Abendrot Ich richte mir
den Beichtstuhl ein Und wenn er grämlich
zögern will, Ich habe heimlich
mit dem Tod das gedicht kann
panteistisch (auch ateistisch) gedeutet werden. keller entwickelte eine
naturlyrik, die gottesfreunde zu menschenfreunden, gläubige zu
denkenden, aus christen ganze menschen machen sollte. in diesem filosofischen
sinne mag man das gedicht als humorvollen beitrag mit augenzwinkern
auffassen. in lyrischer, poetischer hinsicht enttäuscht es aber
auf der ganzen linie. zur ironie taugen der lockere ton schon, das oberflächlich-karikierende
geraune, die konventionelle reimerei und der biedere witz, der sich
im zweiten teil offenbart und dazu zwingt, das gedicht von anfang an
unter diesem aspekt noch einmal zu lesen - aber filosofisch ist doch
der nette pfaffenspott eine zu kleine nummer, um in einem kanon verewigt
zu sein und rüttelt an keiner kirche fundament. Herbst. V. Es ist ein stiller
Regentag,
wem es an dichterkraft
ermangelt, der sich halt zum patos hangelt. Spät I Die alten schweren
Bäume herbstliche Süsse,
Dies die Natur.
II So enden die
Blicke, die Blicke zurück: Begegnungen der
Seele! Jugend! Und Liebe! III Noch einmal so
sein wie früher: Abends dasitzen,
in den Schlund der Nacht sehn, soviel Lügen
geliebt, soviel Lügen
geliebt, und der Fragen immer mehr - IV Little old lady
Little old lady,
grosser roter Raum, Louella, ruft
sie, Radio! Louella, meine
Mischung - hochprozentig! Hochprozentig
- das Glas an den Silberapparat, Schluss mit der
Promenade! Nur noch einige Steinfliesen, V Fühle -
doch wisse, Jahrtausende fühlten - denke - doch
wisse, die Allererlauchtesten wisse das alles
und trage die Stunde, VI Siehst du es
nicht, wie einige halten, Senken die Stecken,
halten die Uhren ich halte diesen
zyklus von gottfried benn (1886 - 1956) für grosse dichtung. konzentrierter,
atmosfärischer beginn; majestät und verlorenheit stimmungsvoll
eingefangen mit den ersten vier zeilen. die dunklen, schweren vokale.
und die hellen, leichten, verwirrten. ein tadelloser ton. nahtlos, organisch
verflochten die zweite strofe, anklang von sehnsucht und drang (herbstliche
süsse), verfall der natur und ziellose gedanken, die ebenso
ins nichts führen, ins ausgelöschte, niegewesne. strenge zucht
des wortes und höchster ausdruck. das ist alles gestaltet, geformt,
so anschaulich wie prägnant (in sich gekehrtes kraut). da
bleibt nichts zufällig, missverständlich, gefallsüchtig
zurück. so enden die blicke, die blicke zurück. was für ein satz! die illusion der spiessigkeit gleich weggepustet. schön, wie hier das hauptmotiv des ersten teils - vergänglichkeit und verfall - wiederkommt. es ist ein sog in dem gedicht, dem man sich nicht entziehen kann. meisterhaft der schluss: so enden die rosen, blatt um blatt. in diesem melancholischen gesang wirkt der eingestreute gesprochene satz wie eine erinnerung aus einer andern welt, als wäre alles hiesige schon zurückgelassen. Noch einmal so
sein wie früher: wenn auch die aufzählung
der dritten zeile sprachlich etwas herkömmlich erscheint, konventionell,
zu substantivisch, so korrespondiert die vierte doch wieder aufs trefflichste
mit der ersten, ja, mit der intension des ganzen gedichts, des bennschen
werks überhaupt. 'es gibt nur zwei dinge', hat er andernorts geschrieben:
'die leere und das gezeichnete ich.' soviel Lügen
geliebt, auflösung und
zusammenballung. filosofisch hochstehender gehalt, sinnliche schwingungen
sind aber nicht zu überhören - eine wundervolle mischung.
man soll das gedicht laut und mehrmals lesen, es gewinnt immerzu an
aspekten, kraft und intensität. eine musik, von der man nicht genug
bekommen kann. ich möchte mit zwei kurzen gedichten schliessen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. das erste stammt von hermann hesse (1877 - 1962):
eine plumpe quacksalberei, nichts als klägliches entengeschnatter. der abrupte übergang von der zweiten zur dritten zeile, vom welken, treibenden blatt zum jungsein, wandern und lieben - es kann nicht nur das versmass holpern, offensichtlich. ebenso grotesk die schlusszeile: der gedanke müsste doch erst gestaltet werden. gewiss ein altes, uraltes motiv aller dichtung, dies wohin, aber man ist doch kein hund als leser, der freudig mit dem schwanze wedelt, wenn er einen morschen knochen zugeworfen kriegt, zu dem er sich das fleisch selbst erfinden muss. das gedicht genannte verslein zeugt von totaler amusikalität und kindischem sprach- und kunstverstand. jeder werbetexter schreibt doch besser. und nun noch ein französisches, von paul verlaine (1844 - 1896): Chançon d'Automne Les sanglots
longs Tout suffocant Et je m'en vais hochmusikalisch, gefühlsstark, äusserst sinnlich und stimmungsvoll. die letzte strofe enthält denselben gedanken wie hesses letzte. welch ein unterschied aber zum impotenten dergleichentun! ein meisterhaftes, ästetisches gedicht, kein rein gedanklich-abstraktes gebilde, sondern echter ausdruck und mitreissende emotion. es kann, dies zum schluss, in der lyrik nicht darum gehen, die welt neu zu erfinden - alles wurde seit langem gesagt. doch die art, wie es ein dichter tut, seine ganz persönliche, unverwechselbare weise, sein poetischer daumenabdruck, das sind die entscheidenden, ästetischen kriterien für die beurteilung seiner grösse. es ist die form, die der substanz kraft verleiht, nicht der gute oder der richtige gedanke, diese oder jene weltanschauung, pessimistische oder optimistische sicht der dinge. anders als bei erzählungen und romanen haben wir auf wenigen zeilen ein in sich abgeschlossenes werk vor augen, dessen qualität auf diesem engen raum sich erweist oder enttäuscht. |
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