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schandfleck.ch_textkritik/2007/oktober
daniel costantino
 

elfriede jelinek:
lust gedankenfetzen für hirn solo

vielleicht ein lyrisches werk und deshalb nach einer seite lesen eine organische pause bis zum nächsten tage. ich empfehle, nicht ins kraut zu schiessen und nach dreissig seiten die nerven zu verlieren.
statische, meditative sache, ähnlich der musik morton feldmans. string quartett. das buch bricht mit jeder lesekonvention und hält als letzte reminiszenz an der grammatik fest.
gestrenge, gnadenlos gastlose komposition. rytmisierte monotonie. eigenwilliger humor durch missratene metafern, absurde sätze. etappe für etappe durststrecke, feststellung, trockene mitteilung. überbordender anteil antierotischer sprache, leerer aneinanderreihung. spröde klötze.
nicht der versuch, hinter die dinge zu kommen - das liegt hinter ihr. ein roman hinter allen fragen, jenseits eines erklärungsbedarfs. exekution einer ideologie.
wieviel montage ertrage ich? alles umgekrempelt, ausgesogen, eine droge, die keinen rausch ergibt.
anfangs liest man, bemüht, seite um seite, viertelstundenlang, fälschlicherweise, tritt auf den balkon, raucht, bläst dem strassenverkehr ein paar wolken und hat jede gelesene zeile vergessen. man müsste täglich eine seite auswendig lernen. nach vollständiger lektüre, acht monate später, wird nichts mehr im eigenen kopfe sein wie zuvor.
als hätte man rückwärts sprechen gelernt und man verstünde sich selber nicht mehr. alle figuren sexistisch reduziert, bewusst antiseptische prosa. eine mordsanklage, und ein unbeteiligter automat trägt die fakten vor. anspruch, was ich erkennen kann, und ausführung kommen überein, sind deckungsgleich. ich glaube, man muss über sexualität und die gesellschaftlichen zusammenhänge, über das verhältnis der geschlechter, wie die rede geht, schon viel nachgedacht haben, um zu verstehen. mir half, dass ich sofort begriff: sprachliche form und das spiel der collagen sind vollkommen. drei, vier grundstimmen ergeben diese monotonie, in der sich wie zufällig und selten etwas verändert, um auf der stelle vom eintönigen verschluckt zu werden.
es hat keinen wert, sich über den inhalt des weitern zu verbreitern. ein äusserst subversives unterfangen, das seine kreativität aus der negation bezieht. man könnte seine helle freude haben. man ist mit allem einverstanden, aber es bleibt offen, für wen die sache keine zu grosse hürde ist. ich habe nach drei wochen und 50 seiten keine weitere geduld. in homöopatischer dosierung werde ich das buch dann und wann zur hand nehmen und mir ein bisschen gift ins hirn träufeln. oder es nie mehr anfassen.
vergleicht man mit nobelpreisstümpern deutscher zunge, geht die verleihung an jelinek schwer in ordnung. eine artistische meisterleistung jedenfalls.
und meinerseits eine kapitulation.
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