Des Fischers
Liebesglück
Dort blinket
durch Weiden
Und winket ein Schimmer
Blaßstrahlig vom Zimmer
Der Holden mir zu.
Es gaukelt
wie Irrlicht
Und schaukelt sich leise
Sein Abglanz im Kreise
Des schwankenden Sees.
Ich schaue
mit Sehnen
Ins Blaue der Wellen
Und grüße den hellen,
Gespiegelten Strahl.
Und springe
zum Ruder
Und schwinge den Nachen
Dahin auf den flachen,
Kristallenen Weg.
Fein Liebchen
schleicht traulich
Vom Stübchen herunter
Und sputet sich munter
Zu mir in das Boot.
Gelinde
dann treiben
Die Winde uns wieder
Seeeinwärts zum Flieder
Des Ufers hin dann.
Die blassen
Nachtnebel
Umfassen mit Hüllen
Vor Spähern den stillen,
Unschuldigen Scherz.
Und tauschen
wir Küsse,
So rauschen die Wellen
Im Sinken und Schwellen,
Den Horchern zum Trotz.
Nur Sterne
belauschen
Uns ferne und baden
Tief unter den Pfaden
Des gleitenden Kahns.
So schweben
wir selig,
Umgeben vom Dunkel,
Hoch überm Gefunkel
Der Sterne einher.
Und weinen
und lächeln
Und meinen enthoben
Der Erde, schon oben,
Schon drüben zu sein.
karl gottfried von leitners formal anspruchsvolles gedicht – anfangsreim
der jeweils ersten und zweiten zeile, dazu endreim auf nur zwei betonte
silben pro zeile, eine reimübung auf dem quivive – präsentiert
sich nicht ohne makel, gefällige glasierung hin oder her. der schimmer
blassstrahlig vom zimmer, sein abglanz im schwankenden see kündet
von einer nächtlichen idylle, was von den blassen nachtnebeln und
dem seligen ’umgeben vom dunkel’ im verlaufe des gedichts
bezeugt wird. wie nun das tagesblaue der wellen in der landschaft?
und wozu schaut der junge voll sehnen auf den strahl im see und nicht
gleich zum haus seines mädchens? sehnt er sich nun nach den wellen?
dem strahle? dem mädchen?
ich glaube am ehesten, leitner macht glauben, er sehne sich nach der
poesie.
die winde treiben wieder seeeinwärts – bevor die sache mit
der bootsfahrt richtig losgegangen. liebchen ist doch erst gerade zugestiegen.
und schon sind wir ’wieder’ beim flieder des ufers. eine
verblüffend abgekürzte sache, eine rudimentärpsychologie
schlag auf schlag.
der schwankende see und die gelinden winde verhalten sich etwas ungefügig
zueinander. man ist eher versucht, sich ein kippendes seebett vorzustellen
mitsamt überspülung des kenternden kahns im weitern verlaufe
als dessen leichtes schwanken in lieblich plätschernden, kaum wirklich
rauschenden wellen. es küssen sich zwei innig verliebte, lebensfrohe
menschen und nicht zwei mit todesverachtung untergende im sturm.
poetisch doch eher ein aufundab von einfällen und niederfällen,
nähfehler wie das reimpaar nachen (mit langem a) und flachen (kurz)
eingeschlossen. das hochangesetzte gleichnis der zwei schlussstrofen
und das sternengefunkel, ein alltagsfetzen aus der klamottenkiste, ein
fast abschätziges wort, passen auch nicht recht zueinander. das
eine diskreditiert das andre.
aber schuberts lied nun dazu! (nachlass, lfg. 27.) das ist erfühlte
stimmung, nicht dekor. poesie, die beim komponieren selbst entsteht,
und die nicht, in den hirnzellen vorgelettert, wie losgelöste feinstaubpartikel
aufs papier niedergekommen. tragende, ineinandergreifende farben, töne,
bewegung. keinesfalls dieses kitschelnde, nur-selige des gedichts, diese
polierte, saubere, mit ruhebänklein versetzte promenade für
sonntagslangweiler, von der jedes stück natur rausgehauen, ferngehalten,
wo nicht zweckdienlich, und wie komfortabel! zurechtgestutzt.
ein strofenlied, nicht durchkomponiert. sechsachteltakt, auf 1 und 2
punktierter sechzehntel, im wechsel mit punktierten achteln. der eine
sechzehntel löst sich von der punktierung zum zwillingsgespann,
ein zeilenende zu durchgehenden sechzehnteln, indes das strofenende
jeweils aus durchgehenden sechzehnteln besteht, gefolgt von über
den taktstrich verbundenen schlägen, einem ganzen, einer viertelnote,
einer achtelnote, zwei zweiunddreissigstelschlenkern und darauf noch
ein langatmiger schlussviertel, ein durch stilgemässe ritardierung
sehr langatmiger. recht agogisch zu singende melodie, ritardierende
stellen, munterer, leicht accelerierender wellenschlag wieder, melodische
höhepunkte mit halbtonvertiefungen. typisch schubertsche dur-moll-irisierungen,
ein ruhiger, steter grund das klavier.
seltsamerweise wird meist die zweite strofe (im gedicht strofen vier
bis sechs) beim vortrag weggelassen. mir ist jedenfalls nicht erinnerlich,
sie je gesungen gehört zu haben. falls das an der peinlichkeit
des textes läge, was ich nicht glaube: viel besser sind auch die
andern strofen nicht. der text ist völlig unwichtig, weil er wertlos
ist, weil er gefühlsklischees bedient und die sprache, das sentiment,
die natur selbst zum zuschauer nimmt, die dem dichter applaudieren soll.
man achtet seiner worte während des gesungenen vortrags nur wie
zufällig, wie in tranceähnlichem zustande einer beschwörungsformel.
flüchtige, fliehende, flugs lockende und wieder verschwindende
reize in schuberts betörender musik, die alleine weder bestand
haben noch zusammenhalt.
es ist eine tiefe, bewegende, von moll zu dur und in doppelt verminderten
akkorden erklingende musik, die sehr stark mit dem oberflächlich-verliebten
und dem eindimensionalen gehalt des textes kontrastiert, der nur eine
einzige gefühlsebene, und die noch mehr scheinbar als echt, beschreibt.
ja, sie überhaupt nur beschreibt und gar nicht wirklich entstehen
lässt. sie geradezu nicht zulässt. als hätte der schreibprozess
nicht stattgefunden, sondern sei alles in abstracto zuvor fixfertig
im kopfe gewesen und auskalkuliert wie eine manipulierte buchhaltung
rein geschäftlich am tische behandelt worden. beim hören des
lieds spielt das indes eine kleine oder keine rolle. vielleicht eine
weghörübung aus der gewohnheit, ein kontrollverlust, um nicht
enttäuscht zu werden. die musik scheint elementarer zu sein als
jeder text. und es entsteht mir auch nicht der eindruck, durch die musik
werde das wort nun veredelt und über sich selbst emporgehoben.
es ist die musik alleine, die höhere aufschlüsse bietet. schubert
hat das eigentliche gedicht geschrieben. der text aber wird eingesogen,
aufgelöst und weggesungen. man erinnert sich nur an die musik,
und das mit vollem recht.
Litanei
Auf das Fest 'Aller Seelen'
Ruhn in
Frieden alle Seelen,
Die vollbracht ein banges Quälen,
Die vollendet süßen Traum,
Lebenssatt, geboren kaum,
Aus der Welt hinüberschieden:
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Liebvoller
Mädchen Seelen
Deren Tränen nicht zu zählen,
Die ein falscher Freund verließ,
Und die blinde Welt verstieß;
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Und die
nie der Sonne lachten,
Unterm Mond auf Dornen wachten,
Gott, im reinen Himmelslicht,
Einst zu sehn von Angesicht:
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
der reimer heisst
johann georg jacobi. nicht bloss ich, auch goethe mäkelt an dessen
gedichten herum und schreibt ihren erfolg ‚den frauenzimmern zu,
die ein gedicht schön finden und denken dabei bloss an die empfindungen,
an die worte, an die verse. dass aber die wahre kraft und wirkung eines
gedichts in der situation, in den motiven besteht, daran denkt niemand.
und aus diesem grunde werden denn auch tausende von gedichten gemacht,
wo das motiv durchaus null ist, und die bloss durch empfindungen und
klingende verse eine art von existenz vorspiegeln.’
der künstler kann aus einem nichts seine kunst formen, der dilettant
verleugnet und vernichtet fortlaufend das substantielle und wesentliche,
das sich ihm etwa in den weg zu stellen droht. man muss schubert als
einen komponisten sehen, der sich auf alles gestürzt hat, selbst
das kläglichste an literatur, dessen er habhaft werden konnte.
dem alles recht war, jeder reiz anlass, seine grosse kunst daran zu
üben. wäre ich komponist, es fiele mir durchaus schwer, selbst
in der heutigen zeit, an 600 gute deutsche gedichte zu kommen.
was an eingeschobenen dominantseptakkorden, an leitereigener harmonie,
chromatischen basslinien, an melodieführung, spektakulären
quartsextballungen, mollsepten, organischer verzierung geleistet wird,
was an rytmischen wechseln, an crescendi, an dynamischen elementen hinzukommt,
was alleine die coda für eine verzauberung bewirkt – es findet
im gedicht keine dichterische entsprechung. hier finden wir floskeln,
windelweiche wellness- und wohlfühloase, um es modern auszudrücken,
geistloses gewäsch. ein banges quälen vollbringen, ach herrjemineh!
und ohne atempause dann gleich das leben als süssen traum hingestellt,
was für ein hokuspokus! die ungezählten tränen, eine
blinde welt, die dornen unterm mond, die ganze religiöse, frömmlerische,
krückenkranke aufrichtung, es ist ein graus. das beste an den strofen
ist, dass schubert die meisten weggelassen hat, die gedicht genannte
beschämung böte noch einige dummdreiste verknullerungen mehr.
hier die negierung der werte, da eine komposition, die werte schafft.
jacobis litanei war schubert nur vorwand dazu.
dichter und komponist
arbeiten nicht mit denselben mitteln, selbstverständlich. es besteht
aber hier wie da ein markt, ein konsum, ein umschlag von massenware,
teils eitlem zierrat, billig zu haben, billig zu halten, grad so, wie
volkes ohr und mund die platteste konversation, teils von fast farmazeutischen
produkten, die wie tranquilizer den alltag erträglich machen und
bewirken, dass nichts bewegendes, aufwühlendes, nichts schönes
und nichts schlimmes und überhaupt nichts mehr geschehen kann -
dämpfende, schützende, das richtige lachen und das richtige
weinen dosierende rezepturen. ein handeln und bandeln mit gefühlskleister,
aufzutragen und einzureiben wie heilende kräutersalbe, in der schafswolle
gefärbte strickereien und muster, die auf das heimatlich-bekannte
spekulieren und für kunst gehalten werden, wie man ein symbol für
die sache selbst hält und die sache selbst für das symbol.
Tränenregen
Wir saßen
so traulich beisammen
Im kühlen Erlendach,
Wir schauten so traulich zusammen
Hinab in den rieselnden Bach.
Der Mond
war auch gekommen,
Die Sternlein hinterdrein,
Und schauten so traulich zusammen
In den silbernen Spiegel hinein.
Ich sah
nach keinem Monde,
Nach keinem Sternenschein,
Ich schaute nach ihrem Bilde,
Nach ihren Augen allein.
Und sahe
sie nicken und blicken
Herauf aus dem seligen Bach,
Die Blümlein am Ufer, die blauen,
Sie nickten und blickten ihr nach.
Und in den
Bach versunken
Der ganze Himmel schien
Und wollte mich mit hinunter
In seine Tiefe ziehn.
Und über
den Wolken und Sternen,
Da rieselte munter der Bach
Und rief mit Singen und Klingen:
Geselle, Geselle, mir nach!
Da gingen
die Augen mir über,
Da ward es im Spiegel so kraus;
Sie sprach: Es kommt ein Regen,
Ade, ich geh nach Haus.
in der wohlwollenden
aufnahme eines solchen gedichts (wilhelm müller, aus der ‚schönen
müllerin’) kommt vieles von dem zusammen, was ich einen parfümierten
humor nenne. weil ihm die natürlichen düfte zu herb und zu
derb, versprüht er sein temperiertes, süssliches flair, so
dass es bald in jedem kuhstalle genau gleich riecht wie im gehobenen
salon. da ihm insbesondere der geschlechtliche trieb und die damit zusammenhängenden
liebesdinge zu schockant, regrediert er ins kindische, alberne, babyhafte.
alles temperament, jedes patos verweigert er sich, er muss partout den
ernst ins lächerliche ziehen, ins indiskrete, mit enthüllungen
sticheln und prahlen, und das lächerliche in einen tapferen, hausbackenen
ernst, der wachsam üble nachrede wie einen wetterumschwung wittert.
statt tränen über den verlust einer liebe, einer freiheit,
eines ideals zu vergiessen, zwinkert er schamhaft mit dem auge. sein
mickriger zeigefinger, sein bigottes sündenbeichten, sein läppisches
gebaren und gehabe erstickt die leidenschaft im keime. er ist nicht
nur der beweis der unfreiheit, sondern zugleich sein vornehm tuendes
erziehungsmittel dazu.
ich habe mich lange genug in konzertsälen herumgeschlagen, um zu
wissen, wie das geneigte publikum auf den inhalt und die vortragsweise
dieser verse reagiert. genau so, wie beschrieben. herrliche zeiten und
jugend, wo man so traulich. so selig wie selbst der bach. verklärtes
lächeln der sterne, als wären sie express fürs eigne
verknullerte herz an den himmel genagelt. nicht etwa, dass man so dumm,
es wirklich zu glauben. man ist aber so falsch, dergleichenzutun und
die idiotisierung mitzumachen. und dort, wo man vom andern ahnt, vom
ganzen saale weiss, dass er eben so falsch, entsteht dieser zwinkerhumor
und entfaltet seine wohltuende und doch so unsägliche rührseligkeit.
nun singen die grossen sänger, dem entsprechend, den text mit staunendem
augenrollen, mit kosmischem patos und und runzelnder attitüde,
besonders wenn sie alt, oder mit neckischer geste, im wechsel mit spontanem
liebesschmerz und plötzlichem gefühlstaumel, besonders wenn
sie jung sind. aber so kann man alles singen, alles. so ein text stört
einen sänger zuletzt, und es ist ihm nicht zu verargen, dass die
konvention eine grammatische sprache verlangt. er könnte ebensogut
nur die vokale singen, nach freiem ermessen, es würde sich nichts
am klangerlebnis ändern. zum beweis nehme man die oper: wer versteht
schon italienisch, dazu noch lyrisches und veraltetes - nicht einmal
die sänger selbst. von einem koloratursopran versteht man die worte
aus fysikalischen gründen sowieso nur, wenn man sie mitliest oder
auswendig gelernt hat.
das wenigste an der intension des textes holt schubert heraus. er nimmt
die innigkeit sehr ernst und missachtet die ironie. die komposition
entspricht allerdings der strofenform (mit dem zusatz, dass die letzte
strofe statt in dur in moll erklingt), und damit einer gewissen distanziertheit,
ausgeglichenheit, wo der tonfall mehr ausmacht als ein einzelnes wort.
wenn man das lied denn spiele und sänge, wie es komponiert, und
nicht bloss auf die stichworte des textes mal verzögert (an den
strofenenden), mal generalstabsmässig laut (‚ich sah nach
keinem monde’), mal bedeutungsschwanger (‚sie nickten und
blickten ihr nach’) oder schwerfällig in form plötzlich
und willkürlich abgesetzter achtel (‚es kommt ein regen’)
reagiert. auf diese triviale, groteske und leider eingebürgerte
weise kommt die doppelbödigkeit, die dem text durchaus eignet,
nie zum vorschein. der ironisch gebrochene weltschmerz der müller-zyklen
ist keine erlebnis- und affektdichtung, und auch schubert hat nicht
so komponiert. das soziale problem der verarmten wandergesellen betrachtet
müller, wohlsituiert, aus persönlicher distanz. so nun der
sänger meint, er müsse höchstselbst den juvenilen wandergesellen
mimen, effekthascherisch vom hütt zum hott hüpfen, da verklärt,
dort verliebt, hier depressiv und da wieder donnernd auf den gefühlshaushalt
des zuhörers einwirken, und alles im einen, selben lied, irrt er
sich wohl. die strofenkonzeption der meisten dieser lieder und ihr volksliedcharakter
sperren sich gegen eine zu indivisualisierte, psychologisierende form
des vortrags.
wenn ich doch gestehen muss, dem versteckt-ironischen und insofern gelinderten
weltschmerz des müllerschen werks, seinem gleich heine so traulich-heimatlichen,
so sündenlos reinen, so gnadenlos aseptischen, in dessen worten:
wahren und einfachen klang nichts gutes abgewinnen zu können, so
muss ich gleichwohl sagen: mit solcher aufnahme und interpretation wird
ihm unrecht getan. hier haben wir einen fall, wo nicht die musik den
text in den schatten stellt, sondern seine interpretation die komposition.
der text trägt
keine musik und die musik keinen text. beides lebt aneinander vorbei,
ähnlich dem paar unterm erlendach. seine doppelte distanziertheit,
sein merkwürdiges beziehungsarrangement wird kompositorisch nicht
umgesetzt. da sitzt einer neben seinem mädchen und träumt
in den bach hinein. alle sehnsucht gilt dem spiegelbilde, als sässe
neben ihm eine puppe. die traulichkeit scheint nur staffage, persiflage
und reminiszenz. der saloppe abgang des mädchens spricht sehr dafür
und sagt alles. man hat sich ineinander getäuscht. es handelt sich
hier nicht um unerfüllte, nicht um verschmähte liebe, sondern
um einen irrtum.
und es lässt
sich fast sagen, schubert habe ihn nicht bemerkt und sei ihm infolgedessen
auch nicht aufgesessen.