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schandfleck.ch_textkritik/2008/august
daniel costantino
   

des fischers liebesglück
unkanonische betrachtungen zu drei schubertliedern

Des Fischers Liebesglück

Dort blinket durch Weiden
Und winket ein Schimmer
Blaßstrahlig vom Zimmer
Der Holden mir zu.

Es gaukelt wie Irrlicht
Und schaukelt sich leise
Sein Abglanz im Kreise
Des schwankenden Sees.

Ich schaue mit Sehnen
Ins Blaue der Wellen
Und grüße den hellen,
Gespiegelten Strahl.

Und springe zum Ruder
Und schwinge den Nachen
Dahin auf den flachen,
Kristallenen Weg.

Fein Liebchen schleicht traulich
Vom Stübchen herunter
Und sputet sich munter
Zu mir in das Boot.

Gelinde dann treiben
Die Winde uns wieder
Seeeinwärts zum Flieder
Des Ufers hin dann.

Die blassen Nachtnebel
Umfassen mit Hüllen
Vor Spähern den stillen,
Unschuldigen Scherz.

Und tauschen wir Küsse,
So rauschen die Wellen
Im Sinken und Schwellen,
Den Horchern zum Trotz.

Nur Sterne belauschen
Uns ferne und baden
Tief unter den Pfaden
Des gleitenden Kahns.

So schweben wir selig,
Umgeben vom Dunkel,
Hoch überm Gefunkel
Der Sterne einher.

Und weinen und lächeln
Und meinen enthoben
Der Erde, schon oben,
Schon drüben zu sein.


karl gottfried von leitners formal anspruchsvolles gedicht – anfangsreim der jeweils ersten und zweiten zeile, dazu endreim auf nur zwei betonte silben pro zeile, eine reimübung auf dem quivive – präsentiert sich nicht ohne makel, gefällige glasierung hin oder her. der schimmer blassstrahlig vom zimmer, sein abglanz im schwankenden see kündet von einer nächtlichen idylle, was von den blassen nachtnebeln und dem seligen ’umgeben vom dunkel’ im verlaufe des gedichts bezeugt wird. wie nun das tagesblaue der wellen in der landschaft?
und wozu schaut der junge voll sehnen auf den strahl im see und nicht gleich zum haus seines mädchens? sehnt er sich nun nach den wellen? dem strahle? dem mädchen?
ich glaube am ehesten, leitner macht glauben, er sehne sich nach der poesie.
die winde treiben wieder seeeinwärts – bevor die sache mit der bootsfahrt richtig losgegangen. liebchen ist doch erst gerade zugestiegen. und schon sind wir ’wieder’ beim flieder des ufers. eine verblüffend abgekürzte sache, eine rudimentärpsychologie schlag auf schlag.
der schwankende see und die gelinden winde verhalten sich etwas ungefügig zueinander. man ist eher versucht, sich ein kippendes seebett vorzustellen mitsamt überspülung des kenternden kahns im weitern verlaufe als dessen leichtes schwanken in lieblich plätschernden, kaum wirklich rauschenden wellen. es küssen sich zwei innig verliebte, lebensfrohe menschen und nicht zwei mit todesverachtung untergende im sturm.
poetisch doch eher ein aufundab von einfällen und niederfällen, nähfehler wie das reimpaar nachen (mit langem a) und flachen (kurz) eingeschlossen. das hochangesetzte gleichnis der zwei schlussstrofen und das sternengefunkel, ein alltagsfetzen aus der klamottenkiste, ein fast abschätziges wort, passen auch nicht recht zueinander. das eine diskreditiert das andre.
aber schuberts lied nun dazu! (nachlass, lfg. 27.) das ist erfühlte stimmung, nicht dekor. poesie, die beim komponieren selbst entsteht, und die nicht, in den hirnzellen vorgelettert, wie losgelöste feinstaubpartikel aufs papier niedergekommen. tragende, ineinandergreifende farben, töne, bewegung. keinesfalls dieses kitschelnde, nur-selige des gedichts, diese polierte, saubere, mit ruhebänklein versetzte promenade für sonntagslangweiler, von der jedes stück natur rausgehauen, ferngehalten, wo nicht zweckdienlich, und wie komfortabel! zurechtgestutzt.
ein strofenlied, nicht durchkomponiert. sechsachteltakt, auf 1 und 2 punktierter sechzehntel, im wechsel mit punktierten achteln. der eine sechzehntel löst sich von der punktierung zum zwillingsgespann, ein zeilenende zu durchgehenden sechzehnteln, indes das strofenende jeweils aus durchgehenden sechzehnteln besteht, gefolgt von über den taktstrich verbundenen schlägen, einem ganzen, einer viertelnote, einer achtelnote, zwei zweiunddreissigstelschlenkern und darauf noch ein langatmiger schlussviertel, ein durch stilgemässe ritardierung sehr langatmiger. recht agogisch zu singende melodie, ritardierende stellen, munterer, leicht accelerierender wellenschlag wieder, melodische höhepunkte mit halbtonvertiefungen. typisch schubertsche dur-moll-irisierungen, ein ruhiger, steter grund das klavier.
seltsamerweise wird meist die zweite strofe (im gedicht strofen vier bis sechs) beim vortrag weggelassen. mir ist jedenfalls nicht erinnerlich, sie je gesungen gehört zu haben. falls das an der peinlichkeit des textes läge, was ich nicht glaube: viel besser sind auch die andern strofen nicht. der text ist völlig unwichtig, weil er wertlos ist, weil er gefühlsklischees bedient und die sprache, das sentiment, die natur selbst zum zuschauer nimmt, die dem dichter applaudieren soll. man achtet seiner worte während des gesungenen vortrags nur wie zufällig, wie in tranceähnlichem zustande einer beschwörungsformel. flüchtige, fliehende, flugs lockende und wieder verschwindende reize in schuberts betörender musik, die alleine weder bestand haben noch zusammenhalt.
es ist eine tiefe, bewegende, von moll zu dur und in doppelt verminderten akkorden erklingende musik, die sehr stark mit dem oberflächlich-verliebten und dem eindimensionalen gehalt des textes kontrastiert, der nur eine einzige gefühlsebene, und die noch mehr scheinbar als echt, beschreibt. ja, sie überhaupt nur beschreibt und gar nicht wirklich entstehen lässt. sie geradezu nicht zulässt. als hätte der schreibprozess nicht stattgefunden, sondern sei alles in abstracto zuvor fixfertig im kopfe gewesen und auskalkuliert wie eine manipulierte buchhaltung rein geschäftlich am tische behandelt worden. beim hören des lieds spielt das indes eine kleine oder keine rolle. vielleicht eine weghörübung aus der gewohnheit, ein kontrollverlust, um nicht enttäuscht zu werden. die musik scheint elementarer zu sein als jeder text. und es entsteht mir auch nicht der eindruck, durch die musik werde das wort nun veredelt und über sich selbst emporgehoben. es ist die musik alleine, die höhere aufschlüsse bietet. schubert hat das eigentliche gedicht geschrieben. der text aber wird eingesogen, aufgelöst und weggesungen. man erinnert sich nur an die musik, und das mit vollem recht.

Litanei
Auf das Fest 'Aller Seelen'

Ruhn in Frieden alle Seelen,
Die vollbracht ein banges Quälen,
Die vollendet süßen Traum,
Lebenssatt, geboren kaum,
Aus der Welt hinüberschieden:
Alle Seelen ruhn in Frieden!

Liebvoller Mädchen Seelen
Deren Tränen nicht zu zählen,
Die ein falscher Freund verließ,
Und die blinde Welt verstieß;
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!

Und die nie der Sonne lachten,
Unterm Mond auf Dornen wachten,
Gott, im reinen Himmelslicht,
Einst zu sehn von Angesicht:
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!

der reimer heisst johann georg jacobi. nicht bloss ich, auch goethe mäkelt an dessen gedichten herum und schreibt ihren erfolg ‚den frauenzimmern zu, die ein gedicht schön finden und denken dabei bloss an die empfindungen, an die worte, an die verse. dass aber die wahre kraft und wirkung eines gedichts in der situation, in den motiven besteht, daran denkt niemand. und aus diesem grunde werden denn auch tausende von gedichten gemacht, wo das motiv durchaus null ist, und die bloss durch empfindungen und klingende verse eine art von existenz vorspiegeln.’
der künstler kann aus einem nichts seine kunst formen, der dilettant verleugnet und vernichtet fortlaufend das substantielle und wesentliche, das sich ihm etwa in den weg zu stellen droht. man muss schubert als einen komponisten sehen, der sich auf alles gestürzt hat, selbst das kläglichste an literatur, dessen er habhaft werden konnte. dem alles recht war, jeder reiz anlass, seine grosse kunst daran zu üben. wäre ich komponist, es fiele mir durchaus schwer, selbst in der heutigen zeit, an 600 gute deutsche gedichte zu kommen.
was an eingeschobenen dominantseptakkorden, an leitereigener harmonie, chromatischen basslinien, an melodieführung, spektakulären quartsextballungen, mollsepten, organischer verzierung geleistet wird, was an rytmischen wechseln, an crescendi, an dynamischen elementen hinzukommt, was alleine die coda für eine verzauberung bewirkt – es findet im gedicht keine dichterische entsprechung. hier finden wir floskeln, windelweiche wellness- und wohlfühloase, um es modern auszudrücken, geistloses gewäsch. ein banges quälen vollbringen, ach herrjemineh! und ohne atempause dann gleich das leben als süssen traum hingestellt, was für ein hokuspokus! die ungezählten tränen, eine blinde welt, die dornen unterm mond, die ganze religiöse, frömmlerische, krückenkranke aufrichtung, es ist ein graus. das beste an den strofen ist, dass schubert die meisten weggelassen hat, die gedicht genannte beschämung böte noch einige dummdreiste verknullerungen mehr.
hier die negierung der werte, da eine komposition, die werte schafft. jacobis litanei war schubert nur vorwand dazu.

dichter und komponist arbeiten nicht mit denselben mitteln, selbstverständlich. es besteht aber hier wie da ein markt, ein konsum, ein umschlag von massenware, teils eitlem zierrat, billig zu haben, billig zu halten, grad so, wie volkes ohr und mund die platteste konversation, teils von fast farmazeutischen produkten, die wie tranquilizer den alltag erträglich machen und bewirken, dass nichts bewegendes, aufwühlendes, nichts schönes und nichts schlimmes und überhaupt nichts mehr geschehen kann - dämpfende, schützende, das richtige lachen und das richtige weinen dosierende rezepturen. ein handeln und bandeln mit gefühlskleister, aufzutragen und einzureiben wie heilende kräutersalbe, in der schafswolle gefärbte strickereien und muster, die auf das heimatlich-bekannte spekulieren und für kunst gehalten werden, wie man ein symbol für die sache selbst hält und die sache selbst für das symbol.

Tränenregen

Wir saßen so traulich beisammen
Im kühlen Erlendach,
Wir schauten so traulich zusammen
Hinab in den rieselnden Bach.

Der Mond war auch gekommen,
Die Sternlein hinterdrein,
Und schauten so traulich zusammen
In den silbernen Spiegel hinein.

Ich sah nach keinem Monde,
Nach keinem Sternenschein,
Ich schaute nach ihrem Bilde,
Nach ihren Augen allein.

Und sahe sie nicken und blicken
Herauf aus dem seligen Bach,
Die Blümlein am Ufer, die blauen,
Sie nickten und blickten ihr nach.

Und in den Bach versunken
Der ganze Himmel schien
Und wollte mich mit hinunter
In seine Tiefe ziehn.

Und über den Wolken und Sternen,
Da rieselte munter der Bach
Und rief mit Singen und Klingen:
Geselle, Geselle, mir nach!

Da gingen die Augen mir über,
Da ward es im Spiegel so kraus;
Sie sprach: Es kommt ein Regen,
Ade, ich geh nach Haus.

in der wohlwollenden aufnahme eines solchen gedichts (wilhelm müller, aus der ‚schönen müllerin’) kommt vieles von dem zusammen, was ich einen parfümierten humor nenne. weil ihm die natürlichen düfte zu herb und zu derb, versprüht er sein temperiertes, süssliches flair, so dass es bald in jedem kuhstalle genau gleich riecht wie im gehobenen salon. da ihm insbesondere der geschlechtliche trieb und die damit zusammenhängenden liebesdinge zu schockant, regrediert er ins kindische, alberne, babyhafte. alles temperament, jedes patos verweigert er sich, er muss partout den ernst ins lächerliche ziehen, ins indiskrete, mit enthüllungen sticheln und prahlen, und das lächerliche in einen tapferen, hausbackenen ernst, der wachsam üble nachrede wie einen wetterumschwung wittert. statt tränen über den verlust einer liebe, einer freiheit, eines ideals zu vergiessen, zwinkert er schamhaft mit dem auge. sein mickriger zeigefinger, sein bigottes sündenbeichten, sein läppisches gebaren und gehabe erstickt die leidenschaft im keime. er ist nicht nur der beweis der unfreiheit, sondern zugleich sein vornehm tuendes erziehungsmittel dazu.
ich habe mich lange genug in konzertsälen herumgeschlagen, um zu wissen, wie das geneigte publikum auf den inhalt und die vortragsweise dieser verse reagiert. genau so, wie beschrieben. herrliche zeiten und jugend, wo man so traulich. so selig wie selbst der bach. verklärtes lächeln der sterne, als wären sie express fürs eigne verknullerte herz an den himmel genagelt. nicht etwa, dass man so dumm, es wirklich zu glauben. man ist aber so falsch, dergleichenzutun und die idiotisierung mitzumachen. und dort, wo man vom andern ahnt, vom ganzen saale weiss, dass er eben so falsch, entsteht dieser zwinkerhumor und entfaltet seine wohltuende und doch so unsägliche rührseligkeit.
nun singen die grossen sänger, dem entsprechend, den text mit staunendem augenrollen, mit kosmischem patos und und runzelnder attitüde, besonders wenn sie alt, oder mit neckischer geste, im wechsel mit spontanem liebesschmerz und plötzlichem gefühlstaumel, besonders wenn sie jung sind. aber so kann man alles singen, alles. so ein text stört einen sänger zuletzt, und es ist ihm nicht zu verargen, dass die konvention eine grammatische sprache verlangt. er könnte ebensogut nur die vokale singen, nach freiem ermessen, es würde sich nichts am klangerlebnis ändern. zum beweis nehme man die oper: wer versteht schon italienisch, dazu noch lyrisches und veraltetes - nicht einmal die sänger selbst. von einem koloratursopran versteht man die worte aus fysikalischen gründen sowieso nur, wenn man sie mitliest oder auswendig gelernt hat.
das wenigste an der intension des textes holt schubert heraus. er nimmt die innigkeit sehr ernst und missachtet die ironie. die komposition entspricht allerdings der strofenform (mit dem zusatz, dass die letzte strofe statt in dur in moll erklingt), und damit einer gewissen distanziertheit, ausgeglichenheit, wo der tonfall mehr ausmacht als ein einzelnes wort. wenn man das lied denn spiele und sänge, wie es komponiert, und nicht bloss auf die stichworte des textes mal verzögert (an den strofenenden), mal generalstabsmässig laut (‚ich sah nach keinem monde’), mal bedeutungsschwanger (‚sie nickten und blickten ihr nach’) oder schwerfällig in form plötzlich und willkürlich abgesetzter achtel (‚es kommt ein regen’) reagiert. auf diese triviale, groteske und leider eingebürgerte weise kommt die doppelbödigkeit, die dem text durchaus eignet, nie zum vorschein. der ironisch gebrochene weltschmerz der müller-zyklen ist keine erlebnis- und affektdichtung, und auch schubert hat nicht so komponiert. das soziale problem der verarmten wandergesellen betrachtet müller, wohlsituiert, aus persönlicher distanz. so nun der sänger meint, er müsse höchstselbst den juvenilen wandergesellen mimen, effekthascherisch vom hütt zum hott hüpfen, da verklärt, dort verliebt, hier depressiv und da wieder donnernd auf den gefühlshaushalt des zuhörers einwirken, und alles im einen, selben lied, irrt er sich wohl. die strofenkonzeption der meisten dieser lieder und ihr volksliedcharakter sperren sich gegen eine zu indivisualisierte, psychologisierende form des vortrags.
wenn ich doch gestehen muss, dem versteckt-ironischen und insofern gelinderten weltschmerz des müllerschen werks, seinem gleich heine so traulich-heimatlichen, so sündenlos reinen, so gnadenlos aseptischen, in dessen worten: wahren und einfachen klang nichts gutes abgewinnen zu können, so muss ich gleichwohl sagen: mit solcher aufnahme und interpretation wird ihm unrecht getan. hier haben wir einen fall, wo nicht die musik den text in den schatten stellt, sondern seine interpretation die komposition.

der text trägt keine musik und die musik keinen text. beides lebt aneinander vorbei, ähnlich dem paar unterm erlendach. seine doppelte distanziertheit, sein merkwürdiges beziehungsarrangement wird kompositorisch nicht umgesetzt. da sitzt einer neben seinem mädchen und träumt in den bach hinein. alle sehnsucht gilt dem spiegelbilde, als sässe neben ihm eine puppe. die traulichkeit scheint nur staffage, persiflage und reminiszenz. der saloppe abgang des mädchens spricht sehr dafür und sagt alles. man hat sich ineinander getäuscht. es handelt sich hier nicht um unerfüllte, nicht um verschmähte liebe, sondern um einen irrtum.

und es lässt sich fast sagen, schubert habe ihn nicht bemerkt und sei ihm infolgedessen auch nicht aufgesessen.

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