schandfleck.ch_textkritik/2007/november |
daniel
costantino
|
|||||||
An baches ranft |
||||||||
An baches ranft weniges im erdenleben,
was mich augenblicklich für sich gewinnt wie dies gedicht: verblüffend
ästetisch, ungemein eingängig, ebenso sorglos wie geometrisch
streng, eine waghalsige eigenwilligkeit. der verstand, ein nüchterner,
sittenstrenger bursche, bringt aber einwände vor, warnt, allzu
instinktive schwärmerei mache blind und dumm. die überzählige
silbe der zweiten zeile, sagt er. der vogel, der wie alle andern auch
nur pfeift. das etwas summarische, etwas klinische zucken und bleichen.
im ganzen doch ein paar abstriche. er frage sich also, ob es klug von
mir sei, mich mit meiner frischen liebe in der öffentlichkeit zu
zeigen. man beachte die gesamte rytmische gestaltung in folgender zeilenaufteilung: |
||||||||
An
baches ranft Ein vogel pfeift Ein leuchten streift Das feld ist brach Blumen streut vielleicht |
Die einzigen
frühen In kühler au. Erwärmt uns sanft Der baum noch grau .. Der lenz uns nach. |
Die
hasel blühen.
Und zuckt und bleicht. |
||||||
- '
- ' - ' - - ' - - ' - ' - |
||||||||
perfekte,
schlanke, kühn konzipierte konstruktion. die kleine zäsur zwischen
zweitem und drittem takt der ersten zeile, vor der dritten zeile im gedicht.
die erstaunliche wirkung des eigenwillig gesetzten reims, murmeln und nachmurmeln
eines kleinen baches, der lautmalerische z (einzigen; zuckt; lenz), der
herausragende klang frühen-blühen, aber auch die färbung
brach-(baum)-grau, die verlebendigung pfeift-streift, plötzlich erscheint
alles kühle, distanzierte des gedichtes natürlich, organisch,
fänomenal. und die unnachahmliche gebärde der letzten zwei zeilen,
ausblick, hommage, epilog - ein kunstwerk. ein grosses kleines gedicht.
geschrieben wurde es im jahre 1907. sein verfasser heisst stefan george (1868-1933). Nebel Ein Nebel hat die
Welt so weich zerstört. Gefangne Fliegen sind
die Gaslaternen. Wir aber, die, verrucht,
zum Tode taugen, im jahre 1913 hat
alfred lichtenstein (1889-1914) dieses bildhafte gedicht geschrieben,
mit farben, tönen, blitzen komponiert, dessen rahmensprengende intensität
von grosser, feuriger ausdruckskraft und sinnlicher höchstleistung
zeugt. gewagte, gelungene metafern, opulente palette starker reize und
sprachliches konzentrat befruchten geist und fantasie in hohem masse.
es sind andere akzente möglich, nuancen, standpunkte, ein gutes gedicht zu interpretieren. es spricht für ein kunstwerk, dass es in mannigfachem zusammenhange steht. da wäre erstmal die konkrete ebene, die schilderung eines nebels und die umgebung dazu - man kann sich das alles sehr plastisch und ausgesprochen lebhaft vorstellen. durchaus ein naturgedicht. man kann und darf den 'nebel' politischer deuten, als ich es getan, zeitbezogen, biografisch, gesellschaftskritisch - meiner auffassung nach wäre es jedoch falsch, zum kriterium heranzuziehen, ob einem zum beispiel lichtensteins 'nebel' weltanschaulich in den kram passt oder nicht oder ob er ausgewogen erscheint, das positive mit in die waagschale wirft, weissnichtwas mitbedenkt, -beteuert, -beweist. bedeutet das wort, vorgeblich objektiv, doch die zugrundeliegenden kriterien verschleiernd, meist nichts anderes als ausgelogen. man sage mir nie: zu pessimistisch oder dergleichen, wenn es um die beurteilung der künstlerischen qualität geht. solches hat einen künstler überhaupt nicht zu kümmern. er soll und darf keinem publikum und keiner gesellschaft nach dem munde reden. lichtensteins gedicht ist dank der sprachlichen kraft, wegen der fülle an plastischem darstellungsvermögen seines autors und seiner fähigkeit, ebenen des fühlens und des denkens zu öffnen und ineinanderzuweben, seiner ungeheuren transzendenz, ein sprachkunstwerk, also ein lebewesen - facettenreich und vielgestaltig, wandelbar, das sich, wie anderes leben auch, einer festgestanzten, fürallemalrichtigen, doktrinären zuschreibung entzieht. Erinnerung Und du wartest, erwartest
das Eine, Es dämmern im
Bücherständer Und da weißt
du auf einmal: das war es. ich habe eine etwas
zwiespältige beziehung zu diesem gedicht rainer maria rilkes (1875-1926),
publiziert im jahre 1902. seinem charakter gemäss treibt es auf den
punkt zu, der die welt in angeln hält, sucht essentielles, gültiges,
bedeutungsvolles zu erreichen. Und du wartest, erwartest
das Eine, mit wenigen worten ist die atmosfäre geschaffen, der gegenstand des gedichts in bleibende form gefügt, eine spannung erreicht und gar noch gesteigert durch den präzisierenden, verstärkenden zusatz in der ersten zeile: erwartest das eine. das ist ebenso musikalisch wie gross. handschrift eines dichters. das Mächtige,
Ungemeine, das mächtige,
ungemeine: gut, trefflich. das erwachen der steine fällt dagegen
schon etwas ab, eine spur zu gesucht. leicht unpassend. möglicherweise
als wendung auch schon etwas abgegriffen, doch akzeptabel noch immerhin.
möge also das erwachen der steine mein innenleben bereichern. es
steht einfach introspektion etwas holterdipolter einem naturwunder gegenübergestellt,
ohne dass die ebene tatsächlich wechselt und das folgende den übergang
unterstriche. die wendung: tiefen, dir zugekehrt macht meines erachtens
viel vom hervorragenden anfang zunichte. du erwartest tiefen, dir zugekehrt
- naja. kein berauschendes deutsch jedenfalls. obwohl die wendung durchaus
ins bild passt, es verdeutlicht, anders als das steinerwachen aussenwelt
und innenleben widerspiegelt, miteinander verwebt - das angehängte
partizip ist unschön und reichlich unpoetisch, prosa-aritmetik. Es dämmern im
Bücherständer wirkt eine spur zu
aufgezählt, zu leichtfüssig plötzlich, was dem charakter
des gedichtes widerspricht, etwas plattes, poesieloses macht sich breit,
als wär die stelle tante irmas hausgedichten entnommen. ich sage:
eine spur! diskreditiert ist das gedicht damit nicht, doch kann von einer
grossen zweiten strofe bestimmt nicht gesprochen werden. die müsste
tadellos sitzen. auch die gewänder der wiederverlorenen fraun: gutgut,
ganz nett, mehr nicht. Und da weißt
du auf einmal: das war es. ich anerkenne hingegen
die grösse der letzten strofe. sie ist unaustauschbar, gedankenreich,
erinnerungswürdig. da ist etwas gelungen, was mit jedem recht zeitlos
genannt werden kann. Sehnsucht Ich ging den Weg entlang,
der einsam lag, Weit liegt vor mir
die Straße ausgedehnt; Und im Begegnen, nur
ein einzger Blick, Doch wenn dein schönes
Auge grüßt und lacht, ein gutes gedicht
ist ein beitrag zur wirklichkeit. die welt, solcherart bereichert, nicht
mehr, die sie war. was für zeiten damals, 1883, als detlev von liliencron
(1844 - 1909) das werk publizierte! wie schade, eigentlich: heute verändert höchstens noch terror die welt. wer den kalender nine/eleven bestimmt, sammelt die meisten skalps. und wers mit der kunstrezeption tut, die dümmsten schafe.
|
||||||||
nach
oben >>>
|