schandfleck.ch_textkritik/2008/dezember | daniel
costantino |
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thomas mann: der tod in venedig |
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das
charakteristische an manns stil zeigt sich hier schon ganz zu anfang
und wird bis zum schluss durchgezogen. seine sprache erscheint deshalb
zurecht aus einem gusse. das berechtigt aber nicht, sie schöpferisch,
poetisch, dichterisch zu nennen. mann ist ein beflissener, objektiver
erzähler, der viel aufwand betreibt aufzuführen, was er sieht, was an
détails und eigenschaften vorhanden sei, aber er tut es ohne den geringsten
aufbau an sprachlicher spannung, die der text vom inhalt alleine bezieht,
speziell aus dem tabutema der knabenliebe im weitern verlauf der novelle. ‚Ob
er nun aus dem Innern der Halle durch das bronzene Tor hervorgetreten
oder von außen unversehens heran und hinauf gelangt war, blieb ungewiß.
Aschenbach, ohne sich sonderlich in die Frage zu vertiefen, neigte zur
ersteren Annahme. Mäßig hochgewachsen, mager, bartlos und auffallend
stumpfnäsig, gehörte der Mann zum rothaarigen Typ und besaß dessen milchige
und sommersprossige Haut.’ eine
biedere kollektion korrekter, exakter bilder, beflissen rapportierte
oberfläche. diese sprache hat etwas musterschülerhaftes, tendenziell
verschrobenes. mann muss uns umständlich ausdeutschen, ob jetzt von
innen oder aussen her, und dass erst noch heran und hinauf. und die
neigung zur ‚ersteren annahme’ nimmt sich ebenso beamtenhaft aus wie
die zugehörigkeit ‚zum rothaarigen typ’ und der besitz einer milchigen
u. sommersprossigen haut. (punkt hinter dem u ein verbesserungsvorschlag
von mir persönlich.) mein gott, wie kann man einen solchen schriftsteller
für einen dichter halten, einen wortkünstler: ‚Offenbar
war er durchaus nicht bajuwarischen Schlages’ ‚Erhobenen
Hauptes, so daß an seinem hager dem losen Sporthemd entwachsenden Halse
der Adamsapfel stark und nackt hervortrat, blickte er mit farblosen,
rot bewimperten Augen, zwischen denen, sonderbar genug zu seiner kurz
aufgeworfenen Nase passend, zwei senkrechte, energische Furchen standen,
scharf spähend ins Weite’ eine
rein deskriptive prosa ohne stimmung und brillanz. nichts, was aus der
tiefe kommt, einen instinkt verriete, was mitreisst oder wenigstens
originell erscheint. dem
sportshemd entwachsener hals, bewimperte augen, energische furchen,
und, wie apart gesagt, ‚scharf spähend ins weite’ – manns stil ist fast
trostlos herkömmlich, häufig, besonders in langen schachtelsätzen, recht
umständlich (nichts gegen schachtelsätze an sich!), und über das fehlen
musikalischer eigenschaften kann die mit stabreimerischen elementen
angereicherte sprache nicht hinwegtäuschen, zu rational, zu berechnet,
gedanklich zu substanzlos und poetisch uninspiriert erscheint das geschriebene
in sprachschöpferischer hinsicht. die fantasie kommt kaum an einer stelle
zu ihrem recht, alles, gedanke und bild, vorgefasst, allbekannt, vorgeschrieben,
vorgekaut. ich kann mich der langeweile nicht erwehren. > Es
war Reiselust, nichts weiter; aber wahrhaft als Anfall auftretend und
ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnestäuschung gesteigert. Er sah
nämlich, als Beispiel gleichsam für alle Wunder und Schrecken der mannigfaltigen
Erde, die seine Begierde sich auf einmal vorzustellen trachtete, - sah
wie mit leiblichem Auge eine ungeheuere Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet
unter dickdunstigem Himmel, feucht, üppig und ungesund, eine von Menschen
gemiedene Urweltwildnis aus Inseln, Morästen und Schlamm führenden Wasserarmen.
Die flachen Eilande, deren Boden mit Blättern, so dick wie Hände, mit
riesigen Farnen, mit fettem, gequollenem und abenteuerlich blühendem
Pflanzenwerk überwuchert war, sandten haarige Palmenschäfte empor, und
wunderlich ungestalte Bäume, deren Wurzeln dem Stamm entwuchsen und
sich durch die Luft in den Boden, ins Wasser senkten, bildeten verworrene
Waldungen. Auf der stockenden, grünschattig spiegelnden Flut schwammen,
wie Schüsseln groß, milchweiße Blumen; Vögel von fremder Art, hochschultrig,
mit unförmigen Schnäbeln, standen auf hohen Beinen im Seichten und blickten
unbeweglich zur Seite, während durch ausgedehnte Schilffelder ein klapperndes
Wetzen und Rauschen ging, wie durch Heere von Geharnischten; dem Schauenden
war es, als hauchte der laue, mephitische Odem dieser geilen und untauglichen
Öde ihn an, die in einem ungeheuerlichen Zustande von Werden oder Vergehen
zu schweben schien, zwischen den knotigen Rohrstämmen eines Bambusdickichts
glaubte er einen Augenblick die phosphoreszierenden Lichter des Tigers
funkeln zu sehen - und fühlte sein Herz pochen vor Entsetzen und rätselhaftem
Verlangen. Dann wich das Gesicht; und mit einem Kopfschütteln nahm Aschenbach
seine Promenade an den Zäunen der Grabsteinmetzereien wieder auf.
< dem
auftretenden anfall, der mannigfaltigen erde, den wunderlich ungestalten
bäumen, vögeln von fremder art, mit unförmigen schnäbeln, klapperndem
wetzen und rauschen, untauglicher öde und einem rätselhaften verlangen
stehen keine vorzüglichen bilder gegenüber, keine erstrangigen metafern
und vergleiche, keine frische, wirkungsvolle, eigenständige poesie.
mehr oder weniger schreibt mann, wie man schreibt, wenn man gebildet,
fleissig und beredt. eine solche sprache ist erlernbar, ein solches
gedankengut kann sich irgendeiner zueigenmachen und braucht dafür keinen
preis des nobelkomitees. das einmaleins des bildungsbürgers eben, des
grosschriftstellers, ohne zuviel wagnis und sensibilität. ein
anfall, ‚ins leidenschaftliche, ja bis zur sinnestäuschung gesteigert’?
also ein bisschen subjektivität für einmal? ein beispiel für alle ‚wunder
und schrecken’ gefällig? bitte: das leibliche auge sieht eine ‚ungeheure
landschaft’! ein ‚tropisches sumpfgebiet’! wie malt man sichs aus, leidenschaftlich
und sinnesgetäuscht? ‚feucht, üppig und ungesund’! das wörtchen ungesund
finde ich nun besoners leidenschaftlich, ja mitreissend. ‚eine von menschen
gemiedene urweltwildnis’ – man lasse es sich auf der zunge vergehen:
urweltwildnis! tönt gewiss nicht schlecht, vielleicht gar eine erfindung.
aber kommt nicht die urwelt etwa auf dasselbe hinaus wie die wildnis?
ist es nicht ein bisschen pleonastisch, bombastisch, das hübsche wort?
hier gilt, wie so oft in kunstdingen, das gute alte veterinärprinzip:
viel hilft eben viel. - und
nun holt er erst recht aus: ‚Die
flachen Eilande, deren Boden mit Blättern, so dick wie Hände, mit riesigen
Farnen, mit fettem, gequollenem und abenteuerlich blühendem Pflanzenwerk
überwuchert war, sandten haarige Palmenschäfte empor, und wunderlich
ungestalte Bäume, deren Wurzeln dem Stamm entwuchsen und sich durch
die Luft in den Boden, ins Wasser senkten, bildeten verworrene Waldungen’ bei
allen wundern und schrecken der erde, mannigfaltigen erde! – das ist
doch nur nacherzählung, referieren, kolportage. jedes grimmsche märchen
findet dieselben ausschmückungen. ich will garnicht sagen, mann schreibe
schlecht. aber übers massgeschneiderte hinaus kann ers nicht treiben.
das reicht nicht, ihn bedeutend und schon garnicht, ihn einen dichter
zu nennen. der
‚ungeheuerliche zustand von werden oder (!) vergehen’ ist doch nur behauptet
und mit allem abenteuerlich blühendem, mannigfachen, quillenden, haarigen
und ungestalten nicht eingelöst. eine geile und untaugliche öde! untauglich,
ha! ja,
nimm du deine promenade wieder auf... die
reize mannscher erzählkunst sind bestimmt nicht sprachlicher natur.
er beschreibt, was schon fast abgelebt, immer nur common sense gewesen,
was so in langen prozessen in den allgemeinen sprachschatz eingedrungen
und halbwegs verbraucht, ohne dem etwas neues, ganz eigenes hinzuzufügen.
er gibt hunderte sinneseindrücke wider, ohne im geringsten sinnlich
zu sein. schreibt er nicht hausbacken, schreibt er gestelzt. schreibt
er nicht knochentrocken, strebt er vergleiche an, die er nicht halten
kann. die langen sätze sind nicht zu lang, aber zu geschustert, zu vertrackt,
nicht wirklich beeindruckend. diese art zu schreiben hat, unter eifriger
regie ganzer heerscharen von schulmeistern, viel dazu beigetragen, etwas
kompliziertes, schwerfälliges, unschönes in die deutsche sprache hineinzutragen.
damit einher geht die überdimensionierte aufzählung um ihrer selbst
willen und geht eine rein logische, nur einseitig rationale, wenig mehr
als schöngeistige und im ganzen unkünstlerische federführung. mann ist
kaum der erfinder dieser sprache, aber gerade sein rendement, seine
reputation stehen mir dafür. man
sage mir nicht, so sei halt damals geschrieben worden. die sache ist
viel zu relevant, mann als veraltet abzutun. man nehme zum vergleich
die prosa seines zeitgenossen musil, man hole den etwas älteren nietzsche
hervor – nichts von deren vermögen findet sich bei thomas mann. es fault
in all seinen idealen. an
einer stelle sagte karl kraus im zusammenhange mit thomas mann: ....’aber
schuld an allem ist gewiss nur meine myopie, die hinter dem schönen
äusseren das innere nicht wahrnimmt, und eine schwerhörigkeit, die die
ganze literatur von heute in den verdacht bringt, nichts zu sagen.’ und
nun reitet mich der teufel, und ich wage zu sagen: ein überkonsum an
solcher literatur verursacht erst recht eine kurzsichtigkeit und eine
schwerhörigkeit, so dass man gerade wegen mann (und vielen andern) bald
nichts mehr wahrnehmen kann als nur den äussern schein. ‚er
war alt, man konnte nicht zweifeln. runzeln
umgaben ihm augen und mund.
das matte karmesin der wangen war schminke’ und
an diesem mickrigen hilfsverbchen war
hängt gleich noch ein rattenschwanz andrer aufzählungen, war das braune haar perücke,
der hals verfallen, sehnig auch, schnurrbärtchen und fliege gefärbt, (war)
sein gebiss billiger ersatz, und seine hände, ‚mit siegelringen an beiden
zeigefingern, waren die eines greises.’ schauerlich,
nicht wahr? gewiss,
denn: ‚schauerlich angemutet, sah aschenbach ihm und seiner gemeinschaft
mit den freunden zu.’ und
gleich dann: ‚wussten, bemerkten sie nicht, dass er alt war ...?’ und zwei zeilen weiter: ‚aschenbach
bedeckte seine stirn mit der hand und schloss die augen, die heiss waren,
da er zuwenig geschlafen hatte.’ und
wenig später: ‚der
himmel war grau, der wind feucht. hafen und inseln waren
zurückgeblieben...’ und der horizont? ‚der
horizont war vollkommen’. ich
bin hingerissen. natürlich
ist ein matrose ‚unrein’ und ‚bucklig’, mit ‚grimassenhaft leichtem
geschäftsgebaren’. und er bedient sich des ‚breiigen restinhalts eines
schräg geneigten tintenfasses’, und natürlich, wie denn anders, ‚hatten’ die ‚glatte raschheit seiner bewegungen und das leere gerede,
womit er sie begleitete’, hatten die also ‚etwas betäubendes und ablenkendes’. klar
auch, dass das gewöhnliche volk ‚müssig’, ‚verschlagen’, ‚grob’ ‚brutal’
undsoweiter. wie ist es ausserdem? schmierig ist es, halbseiden, gibt
nur vor, höflich zu sein, wenn es ein geschäft wittert, so stellt mann
es dar. es gibt allerdings eine ausnahme, und sie geht aus diesem kurzen
dialog hervor: >
„Sie fahren zum Lido.“ „Allerdings.
Aber ich habe die Gondel nur genommen, um mich nach San Marco übersetzen
zu lassen. Ich wünsche den Vaporetto zu benutzen.“ „Sie
können den Vaporetto nicht benutzen, mein Herr.“ „Und
warum nicht?“ „Weil
der Vaporetto kein Gepäck befördert.“ Das
war richtig; Aschenbach erinnerte sich. Er schwieg. Aber die schroffe,
überhebliche, einem Fremden gegenüber so wenig landesübliche Art des
Menschen schien unleidlich.“ < der
bedauernswerte aschenbach! kurz darauf wird er, ‚landesüblich’?, von
‚musikalischen wegelagerern’ umstellt, die ‚aufdringlich mit der gondel
fuhren und die stille über den wassern mit ihrer gewinnsüchtigen fremdenpoesie
erfüllten.’ ja,
die ausländer! der geistige gehalt dieser prosa ist roh und trivial.
kulisse, blutleere, steifheit und borniertheit. nichts von einer ursprünglichkeit,
überhaupt keine daseinsproblematik. nichts wird infragegestellt, nichts
macht die seele frei. diese sprache, dieser inhalt trägt keine verantwortung.
ein völliges versagen des dichterischen. dünn, arm, leblos. stilisierte
schnörkel, snobistisches gelaber. eine gleichmässig aufgetragene dünne
farbe. albert krapp sagte über diese sprache andernorts, aber es gilt
ebenso für diese novelle: ‚es ist ein bilderbogen, wo einer neben dem
andern steht, numeriert sozusagen, jeder immer nur in einer ‚ansicht’
brauchbar. man kann weggehen: nichts rührt sich.’ ‚was macht eine dichtung
aus’, fragt krapp, und antwortet: ‚seele, seele, seele, das heisst wahrheit,
das heisst unmittelbarkeit, überzeugungsfähigkeit, notwendigkeit: so
und nicht anders.’ krapps
wort, als kritik an mann über ‚fiorenza’ geäussert, gilt auch für den
‚tod in venedig’: ‚alles
ist im besten falle mitgeteilt, aufgezählt.’ so
ist es . – > Es
war eine Gruppe halb und kaum Erwachsener, unter der Obhut einer Erzieherin
oder Gesellschafterin um ein Rohrtischchen versammelt: drei junge Mädchen,
fünfzehn- bis siebzehnjährig, wie es schien, und ein langhaariger Knabe
von vielleicht vierzehn Jahren. Mit Erstaunen bemerkte Aschenbach, daß
der Knabe vollkommen schön war. Sein Antlitz, bleich und anmutig verschlossen,
von honigfarbenem Haar umringelt, mit der gerade abfallenden Nase, dem
lieblichen Munde, dem Ausdruck von holdem und göttlichem Ernst, erinnerte
an griechische Bildwerke aus edelster Zeit, und bei reinster Vollendung
der Form war es von so einmalig-persönlichem Reiz, daß der Schauende
weder in Natur noch bildender Kunst etwas ähnlich Geglücktes angetroffen
zu haben glaubte. Was ferner auffiel, war ein offenbar grundsätzlicher
Kontrast zwischen den erzieherischen Gesichtspunkten, nach denen die
Geschwister gekleidet und allgemein gehalten schienen. Die Herrichtung
der drei Mädchen, von denen die Älteste für erwachsen gelten konnte,
war bis zum Entstellenden herb und keusch. Eine gleichmäßig klösterliche
Tracht, schieferfarben, halblang, nüchtern und gewollt unkleidsam von
Schnitt, mit weißen Fallkrägen als einziger Aufhellung, unterdrückte
und verhinderte jede Gefälligkeit der Gestalt. Das glatt und fest an
den Kopf geklebte Haar ließ die Gesichter nonnenhaft leer und nichtssagend
erscheinen. Gewiß, es war eine Mutter, die hier waltete, und sie dachte
nicht einmal daran, auch auf den Knaben die pädagogische Strenge anzuwenden,
die ihr den Mädchen gegenüber geboten schien. Weichheit und Zärtlichkeit
bestimmten ersichtlich seine Existenz. Man hatte sich gehütet, die Scheere
an sein schönes Haar zu legen; wie beim Dornauszieher lockte es sich
in die Stirn, über die Ohren und tiefer noch in den Nacken. Ein englisches
Matrosenkostüm, dessen bauschige Ärmel sich nach unten verengerten und
die feinen Gelenke seiner noch kindlichen, aber schmalen Hände knapp
umspannten, verlieh mit seinen Schnüren, Maschen und Stickereien der
zarten Gestalt etwas Reiches und Verwöhntes. Er saß, im Halbprofil gegen
den Betrachtenden, einen Fuß im schwarzen Lackschuh vor den andern gestellt,
einen Ellenbogen auf die Armlehne seines Korbsessels gestützt, die Wange
an die geschlossene Hand geschmiegt, in einer Haltung von lässigem Anstand
und ganz ohne die fast untergeordnete Steifheit, an die seine weiblichen
Geschwister gewöhnt schienen. War er leidend? Denn die Haut seines Gesichtes
stach weiß wie Elfenbein gegen das goldige Dunkel der umrahmenden Locken
ab. Oder war er einfach ein verzärteltes Vorzugskind, von parteilicher
und launischer Liebe getragen? Aschenbach war geneigt, dies zu glauben.
Fast jedem Künstlernaturell ist ein üppiger und verräterischer Hang
eingeboren, Schönheit schaffende Ungerechtigkeit anzuerkennen und aristokratischer
Bevorzugung Teilnahme und Huldigung entgegenzubringen. < die
‚vollkommene schönheit’ zu beschreiben – gewiss eine besondere herausforderung
jedes dichters. wer eine solche ader in sich spürt, wird darauf achten,
nicht den hunderttausendsten abklatsch davon zu liefern. fühlt er sich
dazu nicht imstande, lasse ers bei ein, zwei kurzen sätzen bewenden
und gestehe ein, dass er vor dieser macht als sprachschöpfer kapituliert.
es kommt hinzu, dass mit tadzio die hauptfigur (neben aschenbach) eingeführt
wird und der dichterische moment doppelt spannungsgeladen erscheint.
die novelle ist klassisch konzipiert, hier tritt die wende ein, jeder
leser und auch der autor wissen: ein dramatischer höhepunkt. die schönheit
selbst tritt auf die bildfläche. nun,
kann mans herzeigen, kann man die stelle rezipieren als künstlerische,
meisterhafte, als erstrangige sprachliche leistung? kann es genügen,
von vollkomener schönheit zu sprechen, vom bleichen und anmutigen antlitz
und dergleichen versatzstücken mehr, kann es genügen, überhaupt nur
darüber zu sprechen und nicht zu gestalten, zu bewegen, zu überzeugen?
‚Sein
Antlitz, bleich und anmutig verschlossen, von honigfarbenem Haar umringelt,
mit der gerade abfallenden Nase, dem lieblichen Munde, dem Ausdruck
von holdem und göttlichem Ernst, erinnerte an griechische Bildwerke
aus edelster Zeit, und bei reinster Vollendung der Form war es von so
einmalig-persönlichem Reiz, daß der Schauende weder in Natur noch bildender
Kunst etwas ähnlich Geglücktes angetroffen zu haben glaubte.’ das
sprachliche niveau übertrifft kaum jenes eines durchschnittlichen liebesbriefes,
mit dem ein halbwegs talentierter hosen- oder schürzenjäger das objekt
seiner begierde bezirzen will. es hängt von der absicht ab und seinem
bildungsniveau, ob er bei sonne, mond und sternen schwört oder mit den
griechischen bildwerken aus edelster zeit renommiert. ob er das weltall
oder die ganze bildende kunst zum zeugen anruft. die gerade abfallende
nase, der liebliche mund, der holde und göttliche ernst, der einmalig-persönliche
reiz – na, was eigenes fällt dir nicht dazu ein? das einmalig-persönliche
wird nur behauptet und durch die sprache nicht belegt. bei der vollendet-reinsten
form der liebesgötter! der
autor scheint so berückt, dass er gleich noch sagen muss, was ihm ‚ferner
auffällt’ – und das beschreibt er nun mit akribie und beflissenheit,
wohl um den knaben desto himmlischer daneben leuchten zu lassen, sein
schönes haar noch zu bekräftigen, die feinen gelenke, den lackschuh,
die hand an der geschlossenen wange undsoweiter. um ‚aristokratischer
bevorzugung teilnahme und huldigung entgegenzubringen’. was
bin ich berückt! aber
ich würde mich hüten, mein bild der verehrung mit solchem sterilem krimskrams
zu diskreditieren, mit einer solchen sprache einen schönen menschen
zu entsinnlichen. > Er
kam durch die Glastür und ging in der Stille schräg durch den Raum zum
Tisch seiner Schwestern. Sein Gehen war sowohl in der Haltung des Oberkörpers
wie in der Bewegung der Kniee, dem Aufsetzen des weißbeschuhten Fußes
von außerordentlicher Anmut, sehr leicht, zugleich zart und stolz und
verschönt noch durch die kindliche Verschämtheit, in welcher er zweimal
unterwegs, mit einer Kopfwendung in den Saal, die Augen aufschlug und
senkte. Lächelnd, mit einem halblauten Wort in seiner weich verschwommenen
Sprache nahm er seinen Platz ein, und jetzt zumal, da er dem Schauenden
sein genaues Profil zuwandte, erstaunte dieser aufs neue, ja erschrak
über die wahrhaft gottähnliche Schönheit des Menschenkindes. Der Knabe
trug heute einen leichten Blusenanzug aus blau und weiß gestreiftem
Waschstoff mit rotseidener Masche auf der Brust und am Halse von einem
einfachen weißen Stehkragen abgeschlossen. Auf diesem Kragen aber, der
nicht einmal sonderlich elegant zum Charakter des Anzugs passen wollte,
ruhte die Blüte des Hauptes in unvergleichlichem Liebreiz, das Haupt
des Eros, vom gelblichen Schmelze parischen Marmors, mit feinen und
ernsten Brauen, Schläfen und Ohr vom rechtwinklig einspringenden Geringel
des Haares dunkel und weich bedeckt.
< die
stelle kann doch nur ob des tabusisierten temas bewegen, die einen durch
die ungehörigkeit halbwegs oder ganzwegs schockieren, die andern an
ihre unterdrückte, von der gesellschaft in den dreck gezogene heilige
sehnsucht und verehrung schmerzhaft oder nostalgisch erinnern. aber
wenn man des temas wegen mit sich ins reine gekommen, verliert eine
solche prosa schnell jeden glanz und jede finsternis. es sträubt sich
sozusagen nur noch das sprachliche fell vor empörter erregung. man achte
auf die wiederholung der vergleiche, von allem anfang an abgegriffener
und bloss wiedergekauter vergleiche, die tugendhafte beflissenheit,
wie völlige nebensächlichkeiten akribisch aufgehäuft, pedantisch und
korrekt widergegeben sind, wie überhaupt dem korrekten, spiessigen,
leblosen in manns schreibe nichts entgegenwirkt, ich betone: nichts.
da
kommt einer – nein, der schöne jüngling schlechthin, die schönheit selbst
durch eine glastür. man merke: schräg durch den raum kommt er, keinesfalls
darf der autor hier und überall eine solche wichtige tatsache unterschlagen.
damit sich jeder leser das korrekte bild machen kann, so und nicht anders.
meine fantasie darf nie von selber atmen. sie muss zum schnauf zu kommen
haben durch den dichter, nicht wahr. denn dazu ist ein solcher dichter
schliesslich da. und damit man ihn verehren kann. was gäbs für einen
andern grund? dichter
also, sage ich. was tischt er mir also auf, der hochverehrte: ‚sein
gehen war...’. war
wie? moment,
spannung, spannung aufrechterhalten, nicht gleich ins kraut schiessen
und den leser kribblig machen, grosse kunst. sein gehen war also: ‚sowohl
in der haltung des oberkörpers...’ aha!
wie reizend, bin völlig erotisiert. eingesponnen. verehrung! aber mehr
noch: nicht nur sowohl in der haltung des oberkörpers, sondern: ‚wie
in der bewegung der kniee, dem aufsetzen des weissbeschuhten fusses’...
so,
jetzt wäre die grundlage aufgezählt und eigentlich das hauptsächliche
erst zu sagen, zu enthüllen. wie war also das gehen ganymeds: ‚von
ausserordentlicher anmut’. trara!
nur
ein dichter kann ein solches wort endlich sprechen, aus dem munde eines
normalsterblichen klänge es gewiss ganz anders. der kann tausendmal
sagen ‚ausserordentliche anmut’, keiner kaufts ihm ab. da muss man schon
mann heissen, damit sowas eben dann richtig und dichtig klingt. ‚sehr
leicht, zugleich zart und stolz’ war dies gehen. da
hätten wir also schon wieder eine kleine aufzählung rapportiert und
den dichterischen faden erst noch weitergesponnen. dichten, das heisst
aufzählen, vorzählen, vorkauen, was genau da ist und was da ist ist
gut, ist schön, ist anmut. man muss eben mit dem herzen lesen können,
und ein dichter schreibt nunmal aus dem herzen. oder wie meinen? die
kindlichkeit schlägt die augen auf und senkt sie wieder, geschlagene
zweimal im saale, mit einer kopfwendung im saale? sie lächelt, gewiss,
was soll sie sonst auch tun, die kindliche verschämtheit. weich
spricht sie, sie tuschelt keinesfalls oder flüstert, sie spricht weich,
weich und verschwommen. so und genau nicht anders, haargenau, es ist
tatsächlich zum erstaunen, nicht? ja, zum erschrecken gar. so eine gottähnliche
schönheit, zum erschrecken. es ist also genau korrekt, wenn aschenbach
nun erschrickt. so ein menschenkind, so ein gestreifter waschstoff,
mit rotseidener masche, mit, nicht ohne! so
eine masche also. eine mitmasche sozusagen. der einfache weisse stehkragen?
‚auf der brust und am halse’ abgeschlossen, brust und am halse. jetzt
hat der leser korrekt schon festgestellt: nicht sonderlich elegant,
ausserordetnliche anmut und stehkragen, liebreiz und stehkragen. zwar
zum stolz könnts passen, zart und stolz und stehkragen, aber er steht
doch dagegen, trotz dem stolze in der zartheit. und wers noch nicht
gemerkt hat, dem seis vorgekaut: ‚auf diesem kragen aber, der nicht
einmal sonderlich elegant zum charakter des anzugs passen wollte’. es
geht ums äussere. der stehkragen steht nicht der zartheit, sondern der
mode im wege. eben. ein dichter der objektivität beschreibe die beschreibbaren
dinge. und nun, auf diesem nicht sonderlich passenden stehkragen, was
man einräumen kann, ‚ruhte die blüte des hauptes’. jetzt
hat er mich wieder, dieser irrlichternde dichter, jetzt hab ich doch
neben den anforderungen der mode, denen selbst ich mich beuge, plötzlich
ein dichterwort nicht zur mode noch, sondern quasi in subjektiver sache:
ruhte die blüte des hauptes. ich werde genau von diesem jüngling träumen,
mir schwants, dass die blüte des hauptes mich im traum noch beflügelt,
‚in unvergleichlichem liebreiz’. beim
haupte des eros! schläfen und ohr vom rechtwinklig einspringenden (rechtwinklig
einspringenden) ‚geringel des haares dunkel und weich bedeckt’. aaah! nicht
der letzte kitsch diese sprache, es gibt noch weit schlechteres. aber
unmöglich verbiestert, verunstaltend und
verhausmeistert. heissen
kunst und dichtung die erzeugung von leben, heisse ich manns sprache
das haus- und salontierchen der künstlichkeit. selbstverständlich
kann man zu anderm urteil kommen über manns sprache. ich lese von atmenden
melodien, diffizilen nervenkenntnissen, feinsten psychologischen nuancen,
vom hypnotisch tiefen eindringen der worte, von musivisch zusammengesetzter
seelenmalerei und solchen dingen. und überlege mir dabei, ob die welt
der rechte aufenthalt für mich. – pschologische
nuancen? aber ja: > Links, vor einer der Hütten, die quer zur
Reihe der übrigen und zum Meere standen und auf dieser Seite einen Abschluss
des Strandes bildeten, kampierte eine russische Familie: Männer mit
Bärten und grossen Zähnen, mürbe und träge Frauen, ein baltisches Fräulein,
das an einer Staffelei sitzend unter Ausrufen der Verzweiflung das Meer
malte, zwei gutmütig-hässliche Kinder, eine alte Magd im Kopftuch und
mit zärtlich unterwürfigen Sklavenmanieren. Dankbar geniessend lebten
sie dort, riefen unermüdlich
die Namen der unfolgsam sich tummelnden Kinder, scherzten vermittelst
weniger italienischer Worte lange mit dem humoristischen Alten, von
dem sie Zuckerwerk kauften,
küssten einander auf die Wangen und kümmerten sich um keinen Beobachter
ihrer menschlichen Gemeinschaft. < klischierter
personenbeschreibung (männer mit bärten und grossen zähnen; mürbe und
träge frauen; gutmütig-hässliche kinder) fügt sich unplausibles: man
male mir einmal unter ausrufen der verzweiflung das meer, man setze
mir ein kopftuch auf und halte zärtlich-unterwürfige skalvenmanier –
und zeige mir, wie man grad so dankbar-geniessend sein kann! (jawohl,
mit bindestrich!) ein
paar zeilen weiter, tadzio betritt die szene, steht: > Kaum aber hatte er die russische Familie bemerkt,
die dort in dankbarer Eintracht ihr Wesen trieb, als ein Unwetter zorniger
Verachtung sein Gesicht überzog. Seine Stirn verfinsterte sich, sein
Mund ward emporgehoben, von den Lippen nach einer Seite ging ein erbittertes
Zerren, dass die Wange zerriss, und seine Brauen waren so schwer gerunzelt,
dass unter ihrem Druck die Augen eingesunken schienen und böse und dunkel
darunter hervor die Sprache des Hasses führten. Er blickte zu Boden,
blickte noch einmal drohend zurück, tat dann mit der Schulter eine heftig
wegwerfende Bewegung und liess die Feinde im Rücken. < die
dankbare eintracht (zur erinnerung: mürbe und träge; ausrufe der verzweiflung;
sklavenmanieren) eine lächerliche blossstellung manns, die ihn als ernstzunehmenden
psychologen, aber mehr noch als dichter demaskiert, die sich verfinsternde
stirn ein stümperwort, der emporgehobne mund sehr kitschelig, das erbitterte
zerren, das da nach einer seite ‚ging’, schwer gerunzelte brauen, augen,
welche die sprache des hasses führen, ja: es ist tatsächlich zum davonlaufen.
– manns
sprache neigt oft vom klischee zum kitsch. sie ist nicht geboren, eine
atmosfäre zu schaffen, es geht in dieser novelle so steril zu und her
wie im labor eines krankenhauses. dass mann nicht aus dem innern seelenerleben
schöpft, beweist sich grade in den psychologisierenden stellen. es ist
alles reine kopfgeburt, am reissbrett konstruiert. aschenbachs zerrissenheit,
sein schmerz, sein bedauern, seine tränen – die novelle handelt gegen
das ende zu von solchen dingen – es ist, als ob ein etwas düpierter
professor vor einem publikum seine ferienerlebnisse referierte, akademistisch,
lebensfremd und distanziert. > Wunderlich
unglaubhaftes, beschämendes, komisch traumartiges Abenteuer: Stätten,
von denen man eben in tiefster Wehmut Abschied auf immer genommen, vom
Schicksal umgewandt und zurückverschlagen, in derselben Stunde noch
wiederzusehen! Schaum vor dem Buge, drollig behend zwischen Gondeln
und Dampfern lavierend, schoss das kleine, eilfertige Fahrzeug seinem
Ziele zu, indes sein Passagier unter der Maske ärgerlicher Resignation
die ängstlich-übermütige Erregung eines entlaufenen Knaben verbarg.
Noch immer, von Zeit zu Zeit, ward seine Brust bewegt von Lachen über
dies Missgeschick, das, wie er sich sagte, ein Sonntagskind nicht gefälliger
hätte heimsuchen können. Es waren Erklärungen zu geben, erstaunte Gesichter
zu bestehen, - dann war, so sagte er sich, alles wieder gut, dann war
ein Unglück verhütet, ein schwerer Irrtum richtig gestellt, und alles,
was er im Rücken zu lassen geglaubt hatte, eröffnete sich ihm wieder,
war auf beliebige Zeit wieder sein... Täuschte ihn übrigens die rasche
Fahrt oder kam wirklich zum Überfluss der Wind nun dennoch vom Meere
her? < man
glaubt dem professor eine gewisse verwunderung, vielleicht, dass ihm
etwas drollig vorgekommen sein mag. mit der behauptung des unglaubhaften
aber überschreitet mann die grenze schon, die dichtung von camouflage
trennt. das weitere des abschnitts wirkt deshalb wie eingefärbt in schminke,
zur kaschierung eines tiefen unvermögens, einer nichtvorhandenen ausstrahlung.
der raunende schlusssatz eine mytologische anzüglichkeit. es wimmelt
überhaupt von mytologischen bezügen in diesem buche, von todes- und
liebessymbolen, dionysischen und charonschen reminiszenzen. das mag
alles richtig und stimmig und schlüssig sein und bedeutet, dass der
autor ein gebildeter mensch. das einzige aber, was mich freuen kann,
ist streckenweise durchrytmisierte prosa, nach dem klassisch-griechischen
vorbild. aber ich sage: da wuchert einer mit pfunden, die er nicht hat.
als wie ein papst vom liebesakt enzykliert. hypnotisch-tiefes
eindringen der worte? mitnichten. poesielose penetranz. > Der
wohlige Gleichtakt dieses Daseins hatte ihn schon in seinen Bann gezogen,
die weiche und glänzende Milde dieser Lebensführung ihn rasch berückt.
Welch ein Aufenthalt in der Tat, der die Reize eines gepflegten Badelebens
an südlichem Strande mit der traulich bereiten Nähe der wunderlich-wundersamen
Stadt verbindet! Aschenbach liebte nicht den Genuss. Wann immer und
wo es galt, zu feiern, der Ruhe zu pflegen, sich gute
Tage zu machen, verlangte ihn bald - und namentlich in jüngeren Jahren
war dies so gewesen - mit Unruhe und Widerwillen zurück in die hohe
Mühsal, den heilig nüchternen Dienst seines Alltags. Nur dieser Ort
verzauberte ihn, entspannte sein Wollen, machte ihn glücklich. Manchmal
vormittags, unter dem Schattentuch seiner Hütte, hinträumend über die
Bläue des Südmeers, oder bei lauer Nacht auch wohl, gelehnt in die Kissen
der Gondel, die ihn vom Markusplatz, wo er sich lange verweilt, unter
dem gross gestirnten Himmel heimwärts zum Lido führte - und die bunten
Lichter, die schmelzenden Klänge der Serenade blieben zurück, -
erinnerte er sich seines Landsitzes
in den Bergen, der Stätte seines sommerlichen Ringens, wo die Wolken
tief durch den Garten zogen, fürchterliche Gewitter am Abend das Licht
des Hauses löschten und die Raben, die er fütterte, sich in den Wipfeln
der Fichten schwangen. Dann schien es ihm wohl, als sei er entrückt
ins elysische Land, an die Grenzen der Erde, wo leichtestes Leben den
Menschen beschert ist, wo nicht Schnee ist und Winter noch Sturm und
strömender Regen, sondern immer sanft kühlenden Anhauch Okeanos aufsteigen
lässt und in seliger Musse die Tage verrinnen, mühelos,
kampflos und ganz nur der Sonne und ihren Festen geweiht. < poesie
ist, wenn eine innere tür aufgeht. ein geistiger raum. eine fügung gelingt,
die man von den worten nicht erwartet hätte. um die sie sich nicht einmal
drehen. ein raum sich öffnet, der nicht durch die konkreten worte, sondern
durch die situation, in denen sie gesprochen, aufgegangen. der überhaupt
zuvor nicht da war, niemals dieser worte wegen. die leistung des lesers
besteht darin, durch diese türe, die zu seinem eignen innern führt,
zu gehen, die türe, die vielleicht nur angelehnt, zu öffnen. worte
aber, die nur das konkrete meinen und auskleiden, haben keine poetische
kraft. lauthals schreien sie: hier bin ich, hier bin ich. da kann man
gar nicht eintreten, man wird sofort vereinnahmt und in beschlag genommen
wie von einem gröhlenden haufen. führt
mich nun der ‚wohlige gleichtakt dieses daseins’ irgendwohin? eine weiche
und glänzende milde dieser lebensführung? hat das kraft oder gähnende
leere? eine wunderlich-wundersame stadt? möcht ich dahin? auf dass mein
wollen sich entspannte? unter bunten lichtern und schmelzenden klängen?
wo nicht schnee ist und winter noch sturm und strömender regen? hat
das geist, gehen mir räume auf, riecht, schmeckt, klingt das nach irgendwas
ausser stabreim? ähnelt diese sprache nicht selbst den reizen eines
gepflegten badelebens? das
sind doch alles nur mit buchstaben versehene etiketten. falls es preisschilder
wären: zum discount. – (aber
musil sagt es viel besser: ein weg, der in das wesen der dichtung führt,
ist die beachtung der tatsache, dass andeutung stärker wirkt als ausführung.
damit sich berührende tatsachen des lebens sind: spiel der kinder mit
ganz rohen puppen. warum erregen diese die fantasie stärker als schön
ausgeführte? berührt sich das mit der tatsache, dass ein hund mit einem
stein ‚beute’ spielt, mit einem nachgemachten hasen aber nichts anzufangen
weiss? weil dieser eine in allen punkten bis zur unkenntlichkeit abgeschwächte
wiedergabe des originals ist, der stein aber nur in einem punkt, der
tragbarkeit mit dem maul. das kleine der puppe, das mit dem man schalten
kann: ist für die mütterlichkeit die hauptsache; es ist sozusagen die
idee des kleinen kindes, von der die erscheinungsfülle nur ablenkt.) manches
erinnert an die sprache eines reiseführers. und dann wieder anderes,
so: > Standbild
und Spiegel! Seine Augen umfassten die edle Gestalt dort am Rande des
Blauen, und in aufschwärmendem Entzücken glaubte er mit diesem Blick
das Schöne selbst zu begreifen, die Form als Gottesgedanken, die eine
und reine Vollkommenheit, die im Geiste lebt und von der ein menschliches
Abbild und Gleichnis hier leicht und hold zur Anbetung aufgerichtet
war. Das war der Rausch; und unbedenklich, ja gierig, hiess der alternde
Künstler ihn willkommen. Sein Geist kreiste, seine Bildung geriet ins
Wallen, sein Gedächtnis warf uralte, seiner Jugend überlieferte und
bis dahin niemals von eigenem Feuer belebte Gedanken auf. Stand nicht
geschrieben, dass die Sonne unsere Aufmerksamkeit von den intellektuellen
auf die sinnlichen Dinge wendet? Sie betäube und bezaubere, hiess es,
Verstand und Gedächtnis, dergestalt, dass die Seele vor Vergnügen ihres
eigentlichen Zustandes ganz vergesse und mit staunender Bewunderung
an dem schönsten der besonnten Gegenstände hängen bleibe: ja, nur mit
Hilfe eines Körpers vermöge sie dann noch
zu höherer Betrachtung sich zu erheben. Amor fürwahr tat es den Mathematikern
gleich, die unfähigen Kindern greifbare Bilder der reinen Formen vorzeigen:
So auch bediente der Gott sich, um uns das Geistige sichtbar zu machen,
gern der Gestalt und Farbe menschlicher Jugend, die er zum Werkzeug
der Erinnerung mit allem Abglanz der Schönheit schmückte und bei deren
Anblick wir dann wohl in Schmerz und Hoffnung entbrannten.
< niemals
vom eigenen feuer belebte gedanken – dieses zitat aus der passage mache
ich zu meinem grundsätzlichen urteil über den ‚tod in venedig’. ich
glaube dem autor, dass sein liebesrausch und die verzückung in seinem
geiste leben. aber er vermag sie nicht zu papier zu bringen. ich glaube
ihm hingegen obiges zitat gerade nicht. die knabenerotik hätte ihn,
aschenbach natürlich, jetzt plötzlich und niemals früher erfasst? sie
wäre ihm nicht allzu schmerzhaft bewusst gewesen die ganze zeit? diesem
geistesmenschen gerade nicht? mann soll es meiner grossmutter erzählen.
es ist doch ein bisschen arg zurechtgerückte schummelei in solchen passagen.
ein wackerer bischof wäre aus aschenbach gewiss auch geworden. und dann
noch der vergleich mit der matematik – er stimmt ja sogar, gehört zu
diesem konstrukt wie der exorzismus zum heiligen geist. der
schöne und das biest – und eine ganze bibel, eine ganze gelehrtenbibliotek
dazwischengeschoben! es folgen in gewisser weise die besten passagen
des buches. nichts regt so zum nachdenken an wie die filosofischen schwärmereien
aschenbachs. und doch – man muss das meiste am filosofen verwerfen.
geschenkt, dass sich sein enthusiasmus nicht sinnlich über die sprache
trägt. dass thomas mann kein dichter, sei abgebucht durch meine bisherigen
erörterungen. > Auf
dem Rasen aber, der sanft abfiel, so, daß man im Liegen den Kopf hoch
halten konnte, lagerten Zwei, geborgen hier vor der Glut des Tages:
ein Ältlicher und ein Junger, ein Häßlicher und ein Schöner, der Weise
beim Liebenswürdigen. Und unter Artigkeiten und geistreich werbenden
Scherzen belehrte Sokrates den Phaidros über Sehnsucht und Tugend. Er
sprach ihm von dem heißen Erschrecken, das der Fühlende leidet, wenn
sein Auge ein Gleichnis der ewigen Schönheit erblickt;
< ich
gebe zu bedenken, dass die gegensatzpaare, die hier aufgebaut werden,
durchaus einer diskussion würdig wären und nicht felsenfest und von
göttlicher instanz gemacht mir erscheinen. es sind recht künstlich aufgetischte
dinge, welche vom zwang, der norm, dem tabu herrühren. und dahinter
steht nicht ein gott oder dergleichen, dahinter steht eine machtpolitik.
> sprach ihm von den Begierden des Weihelosen
und Schlechten, der die Schönheit nicht denken kann, wenn er ihr Abbild
sieht, und der Ehrfurcht nicht fähig ist; sprach von der heiligen Angst,
die den Edlen befällt, wenn ein gottgleiches Antlitz, ein vollkommener
Leib ihm erscheint, er dann aufbebt und außer sich ist und hinzusehen
sich kaum getraut und den verehrt, der die Schönheit hat, ja, ihm opfern
würde, wie einer Bildsäule, wenn er nicht fürchten müßte, den Menschen
närrisch zu scheinen. < der
knabenliebhaber als opfer der gesellschaftsnorm. statt dass er mit der
gesellschaft bricht, frisst er davon doppelte ration und verklärt sich
die sache ins mytologische. und sich selbst zum bannerträger. nun kann
er sich als heiliges opfer erhaben fühlen. und vergibt sich keinen cent
an einkommen und kein aristokratisches renommé. kuscher! > Denn die Schönheit, mein Phaidros, nur sie,
ist liebenswürdig und sichtbar zugleich: sie ist, merke das wohl! die
einzige Form des Geistigen, welche wir sinnlich empfangen, sinnlich
ertragen können. Oder was würde aus uns, wenn das Göttliche sonst, wenn
Vernunft und Tugend und Wahrheit uns sinnlich erscheinen wollten? Würden
wir nicht vergehen und verbrennen vor Liebe, wie Semele einstmals vor
Zeus? So ist die Schönheit der Weg des Fühlenden zum Geiste, - nur der
Weg, ein Mittel nur, kleiner Phaidros...
< nee.
schönheit ist lernbar. und wahrheit, die nicht sinnlich erscheint, verlogenheit.
was für ein pfäffisches geschnorr! > Und
dann sprach er das Feinste aus, der verschlagene Hofmacher: Dies, daß
der Liebende göttlicher sei, als der Geliebte, weil in jenem der Gott
sei nicht aber im andern, - diesen
zärtlichsten, spöttischsten Gedanken vielleicht, der jemals gedacht
ward, und dem alle Schalkheit und heimlichste Wollust der Sehnsucht
entspringt. < sagt
ichs doch. das heilige opfer. eine selbstmitleids- und -beweihräucherungsschiene. und
dass wollust und sehnsucht heimlich zu sein haben – eine ganze, dreiste,
schuttabfuhrige zivilisationskritik darüber! > Glück
des Schriftstellers ist der Gedanke, der ganz Gefühl, ist das Gefühl,
das ganz Gedanke zu werden vermag. Solch ein pulsender Gedanke, solch
genaues Gefühl gehörte und gehorchte dem Einsamen damals: nämlich, daß
die Natur vor Wonne erschaure, wenn der Geist sich huldigend vor der
Schönheit neige. < ein
kluger satz. und dann der kitsch mit der natur dazu. der kluge satz
war geklaut. nichts im buche kann ihm entsprechen. der nachsatz hat
den hauptsatz korrumpiert. worte, die nur das konkrete auskleiden, haben
keine poetische kraft. entsinnlichte filosofie fängt nur grillen. behauptungen?
ja. beiderseits. aber ich hätt da noch einiges im köcher. meine behauptungen
entsprechen der lebenserfahrung und nicht angelesener bildung. > Er wünschte plötzlich, zu schreiben. Zwar liebt
Eros, heißt es, den Müßiggang, und für solchen nur ist er geschaffen.
Aber an diesem Punkte der Krisis war die Erregung des Heimgesuchten
auf Produktion gerichtet. Fast gleichgültig der Anlaß. Eine Frage, eine
Anregung, über ein gewisses großes und brennendes Problem der Kultur
und des Geschmackes sich bekennend vernehmen zu lassen, war in die geistige
Welt ergangen und bei dem Verreisten eingelaufen. Der Gegenstand war
ihm geläufig, war ihm Erlebnis; sein Gelüst, ihn im Licht seines Wortes
erglänzen zu lassen, auf einmal unwiderstehlich. Und zwar ging sein
Verlangen dahin, in Tadzios Gegenwart zu arbeiten, beim Schreiben den
Wuchs des Knaben zum Muster zu nehmen, seinen Stil den Linien dieses
Körpers folgen zu lassen, der ihm göttlich schien, und seine Schönheit
ins Geistige zu tragen, wie der Adler einst den troischen Hirten zum
Äther trug. Nie hatte er die Lust des Wortes süßer empfunden, nie so
gewußt, daß Eros im Worte sei, wie während der gefährlich köstlichen
Stunden, in denen er, an seinem rohen Tische unter dem Schattentuch,
im Angesicht des Idols und die Musik seiner Stimme im Ohr, nach Tadzios
Schönheit seine kleine Abhandlung, jene
anderthalb Seiten erlesener Prosa formte, deren Lauterkeit, Adel und
schwingende Gefühlsspannung binnen kurzem die Bewunderung vieler erregen
sollte. < aschenbach/mann
ist nicht weit fortgeschritten auf dem wege, ein dichter sein zu wollen.
das ist doch eine reichlich naive, spätpubertäre vorstellung vom handwerk.
vielleicht schreibt er bald ansichtskarten mit froher kunde nach hause?
mir kommt unwillkürlich ein chanson eines berner liedermachers in den
sinn: ‚chue am waldrand’, von mani matter - ein sonntagsmaler betritt
eine landschaft, mitten drin eine kuh am waldesrand. nun stellt er seine
staffelei auf, mischt die farben und will die kuh malen und fühlt, es
gibt ein meisterwerk. doch die kuh ist inzwischen weggelaufen. verdutzt
sitzt er da und wartet stundenlang, dass sie wiederkomme, es könnte
auch eine andre kuh sein, dass irgendeine komme und ihn erlöse. doch
was verstehn banausenhafte kühe schon von kunst? keine ist mehr gekommen,
und die welt um ein meisterwerk betrogen. bliebe
die frage, ob thomas mann einen schriftsteller karikiere. ich glaube
es nicht. es mag ironisches mitschwingen. aber thomas mann selbst schreibt
ja genau so, seine sprache vermag es nirgends zu leugnen. (plus disziplin,
selbstverständlich. so oder so, inspiriert oder nicht, soundsoviel seiten
am tage! wir zeigen der kunst mal die zähne! und zu dem schönen sag
ich: soi beau et tais-toi...) > Es
ist sicher gut, daß die Welt nur das schöne Werk, nicht auch seine Ursprünge,
nicht seine Entstehungsbedingungen kennt; denn die Kenntnis der Quellen,
aus denen dem Künstler Eingebung floß, würde sie oftmals verwirren,
abschrecken und so die Wirkungen des Vortrefflichen aufheben. Sonderbare
Stunden! Sonderbar entnervende Mühe! Seltsam zeugender Verkehr des Geistes
mit einem Körper! Als Aschenbach seine Arbeit verwahrte und vom Strande
aufbrach, fühlte er sich erschöpft, ja zerrüttet, und ihm war, als ob
sein Gewissen wie nach einer Ausschweifung Klage führe.
< ja,
es ist sicher gut, hast du darüber nun endlich schreiben können. aschenbach
will den jungen ansprechen, zögert, zaudert, wendet sich ab. und nun
muss ich erfahren: > Zu
spät! dachte er in diesem Augenblick. Zu spät! Jedoch war es zu spät?
Dieser Schritt, den zu tun er versäumte, er hätte sehr möglicherweise
zum Guten, Leichten und Frohen, zu heilsamer Ernüchterung geführt. Allein
es war wohl an dem, dass der Alternde die Ernüchterung nicht wollte,
dass der Rausch ihm zu teuer war. Wer enträtselt Wesen und Gepräge des
Künstlertums! Wer begreift die tiefe Instinktverschmelzung von Zucht
und Zügellosigkeit, worin es beruht! Denn heilsame Ernüchterung nicht
wollen zu können, ist Zügellosigkeit. Aschenbach war zur Selbstkritik
nicht mehr aufgelegt; der Geschmack, die geistige Verfassung seiner
Jahre, Selbstachtung, Reife und späte Einfachheit machten ihn nicht
geneigt, Beweggründe zu zergliedern und zu entscheiden, ob er aus Gewissen,
ob aus Liederlichkeit und Schwäche sein Vorhaben nicht ausgeführt habe.
Er war verwirrt, er fürchtete, dass irgend jemand, wenn auch der Strandwächter
nur, seinen Lauf, seine Niederlage beobachtet
haben möchte, fürchtete sehr die Lächerlichkeit. Im übrigen scherzte
er bei sich selbst über seine komisch-heilige Angst. "Bestürzt",
dachte er, "bestürzt wie ein Hahn, der angstvoll seine Flügel im
Kampfe hängen lässt. Das ist wahrlich der Gott, der beim Anblick des
Liebenswürdigen so unseren Mut bricht und unsern stolzen Sinn so gänzlich
zu Boden drückt..." Er spielte, schwärmte und war viel zu hochmütig,
um ein Gefühl zu fürchten. < der
schritt hätte zur ernüchterung geführt, ja? so billig dir dein göttlicher
junge? vielleicht lispelt er und wäre deiner weitern betrachtung nicht
mehr würdig? oder was stellst du dir vor? dem alternden ist der rausch
zu teuer. aha. und nun – hopp! wären wir wieder beim künstlertum. beim
wesentlichen, nicht wahr. dem künstler vorbehalten, gewiss. einem einfachen
arbeiter wäre so tiefe instinktverschmelzung, gepaart mit zucht und
zügellossigkeit, nicht möglich. sehr möglicherweise nicht möglich. was
tischst du mir da auf? das einzige, was ich davon glaube, ist deine
panik vor dem strandwächter. du fürchtest dich lächerlich zu machen.
und dann fürchtest du wiederum nichts, nicht mal ein gefühl. bestürzung
und hochmut also, panik und furchtlosigkeit in einem. komisch-heiliger
bindestrichadjektivist! weiter
unten eine passage, wie aschenbach den morgen erlebt. man liest von
köstlich einförmigen tagen, von zart durchdringendem erschrecken (auch
ohne bindestrich wirds nicht besser), von geweihter seele und beschwingter
kunde, holdem scheinen und blühen, raffenden hufen und heiligen rennern,
es zucken goldene speere zur höhe des himmels, und man(n) gerät vom
unsäglich holden in brandenen glanz. eine drollige, manieristische
mischung von kitsch, stabreim, lautmalerei und rytmus findet
man da: >
Aber der Tag, der so feurig-festlich begann, war im ganzen seltsam gehoben
und mythisch verwandelt. Woher kam und stammte
der Hauch, der auf einmal so sanft und bedeutend,
höherer Einflüsterung gleich, Schläfe und Ohr umspielte? Weisse Federwölkchen
standen in verbreiteten Scharen am Himmel,
gleich weidenden Herden der Götter. Stärkerer Wind erhob sich, und die
Rosse Poseidons liefen, sich bäumend, daher, Stiere auch wohl, dem Bläulichgelockten
gehörig, welche mit Brüllen anrennend die Hörner
senkten. Zwischen dem Felsengeröll des entfernteren Strandes
jedoch hüpften die Wellen empor als springende Ziegen. Eine heilig entstellte
Welt voll panischen Lebens schloss den Berückten ein, und sein Herz
träumte zarte Fabeln. Mehrmals,
wenn hinter Venedig die Sonne sank, sass er auf einer Bank im Park,
um Tadzio zuzuschauen, der sich, weiss gekleidet und farbig gegürtet,
auf dem gewalzten Kiesplatz mit Ballspiel vergnügte, und Hyakinthos
war es, den er zu sehen glaubte, und der sterben musste, weil zwei Götter
ihn liebten. Ja, er empfand Zephyrs schmerzenden
Neid auf den Nebenbuhler, der des Orakels, des Bogens und der Kithara
vergass, um immer mit dem Schönen zu spielen; er sah die Wurfscheibe,
von grausamer Eifersucht gelenkt, das liebliche Haupt treffen, er
empfing, erblassend auch er,
den geknickten Leib, und die Blume, dem
süssen Blute entsprossen, trug die Inschrift seiner unendlichen Klage... < keine
konzentration. imitatorischer bluff. eitler klingklang und krimskrams.
das
fünfte und letzte kapitel ist das beste. es gibt passagen, die haben
einen sog, alles zieht sich ins verderben, in venedig geht die cholera
um, die liebesgeschichte aschenbachs zum jungen tadzio endet mit dem
tode des alten. der meiner ansicht nach erste stimmige psychologische
abschnitt beschreibt folgende szene (ganz ende viertes kapitel): > Er
war der teuren Erscheinung nicht gewärtig gewesen, sie kam unverhofft,
er hatte nicht Zeit gehabt, seine Miene zu Ruhe und Würde zu befestigen.
Freude, Überraschung, Bewunderung mochten sich offen darin malen, als
sein Blick dem des Vermissten begegnete, - und in dieser Sekunde geschah
es, dass Tadzio lächelte: ihn anlächelte, sprechend, vertraut, liebreizend
und unverhohlen, mit Lippen, die sich im Lächeln erst langsam öffneten.
Es war das Lächeln des Narziss, der sich über das spiegelnde Wasser
neigt, jenes tiefe, bezauberte, hingezogene Lächeln, mit dem er nach
dem Widerschein der eigenen Schönheit die Arme streckt, - ein ganz wenig
verzerrtes Lächeln, verzerrt von der Aussichtslosigkeit seines Trachtens,
die holden Lippen seines Schattens zu küssen, kokett, neugierig und
leise gequält, betört und betörend. Der, welcher dies
Lächeln empfangen, enteilte damit wie mit einem verhängnisvollen Geschenk.
Er war so sehr erschüttert, dass er das Licht der Terrasse, des Vorgartens,
zu fliehen gezwungen war und mit hastigen Schritten das Dunkel des rückwärtigen
Parkes suchte. Sonderbar entrüstete
und zärtliche Vermahnungen entrangen sich ihm: "Du darfst so nicht
lächeln! Höre, man darf so niemandem lächeln!" Er warf sich auf
eine Bank, er atmete ausser sich den nächtlichen Duft der Pflanzen.
Und zurückgelehnt, mit hängenden Armen, überwältigt und mehrfach von
Schauern überlaufen, flüsterte er die stehende Formel der Sehnsucht,
- unmöglich hier, absurd, verworfen, lächerlich und heilig doch, ehrwürdig
auch hier noch: "Ich liebe dich!"
< wenn
auch dieses und jenes an sprachlicher kraft nicht erreicht werden kann,
wenn die sprache auch recht konventionell erscheint, so haben wir hier
eine ergriffenhait vor augen, neben der alles weitere verblasst. nun
geht es um die sache an sich, und das dekorative ist endlich, endlich
einmal überwunden. aschenbachs
innenleben, sein heiliges feuer, die unmöglichkeit der situationen,
in die er sich mit seiner verliebtheit bringt – glaubhaft und gut beschrieben.
die novelle erreicht eine mittlere tiefe, die ihr zuvor völlig gefehlt,
etwas existentielles und damit einnehmendes. das tabu der knabenliebe,
der leidensdruck, unter dem der schriftsteller steht, der pädofile an
sich – beinahe, aber nur beinahe, übertragen sich auch begeisterung
und leidenschaft durch die sprache. der unterschied zur grossen dichtung
bleibt aber nach wie vor, dass thomas mann sein seelenerleben aufs papier
kopiert und nicht frisch am tische durch die sprache sich zum leben
und erleben steigert. das höchste, wessen er fähig, und es ist für einen
untalentierten sprachkünstler nicht wenig: dass er seine sprache vom
zierrat befreit. jetzt hat er endlich einmal wirklich etwas zu sagen
und zu wagen. dies letzte kapitel lädt geradezu zur verfilmung ein,
mann führt uns einiges vor augen, die regie ist ausserordentlich. geglückte
einfälle, die gespenstische verschwiegenheit, die omertà gegen die cholera,
eine wüste traumorgie des untergangs, etwas drohendes, krimihaftes,
jederzeit aus dem hinterhalt zum meucheln bereites setzt ein, szenen
vom markt, in der kirche, beim friseur, am strand, rytmisierende und
das dramatische unterstreichende prosa. eine ehrbare und klug durchdachte
arbeit. im wichtigsten aber, der sprache selbst, die auch hier nicht
frei von klischees, von ärgerlichen passagen, bleibt thomas mann mittelmass. der
‚tod in venedig’ ist ein zu unrecht hochgelobtes buch. - |
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