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schandfleck.ch_textkritik/2008/dezember
daniel costantino
   

thomas mann: der tod in venedig

>   Ob er nun aus dem Innern der Halle durch das bronzene Tor hervorgetreten oder von außen unversehens heran und hinauf gelangt war, blieb ungewiß. Aschenbach, ohne sich sonderlich in die Frage zu vertiefen, neigte zur ersteren Annahme. Mäßig hochgewachsen, mager, bartlos und auffallend stumpfnäsig, gehörte der Mann zum rothaarigen Typ und besaß dessen milchige und sommersprossige Haut. Offenbar war er durchaus nicht bajuwarischen Schlages: wie denn wenigstens der breit und gerade gerandete Basthut, der ihm den Kopf bedeckte, seinem Aussehen ein Gepräge des Fremdländischen und Weitherkommenden verlieh. Freilich trug er dazu den landesüblichen Rucksack um die Schultern geschnallt, einen gelblichen Gurtanzug aus Lodenstoff, wie es schien, einen grauen Wetterkragen über dem linken Unterarm, den er in die Weiche gestützt hielt, und in der Rechten einen mit eiserner Spitze versehenen Stock, welchen er schräg gegen den Boden stemmte und auf dessen Krücke er, bei gekreuzten Füßen, die Hüfte lehnte. Erhobenen Hauptes, so daß an seinem hager dem losen Sporthemd entwachsenden Halse der Adamsapfel stark und nackt hervortrat, blickte er mit farblosen, rot bewimperten Augen, zwischen denen, sonderbar genug zu seiner kurz aufgeworfenen Nase passend, zwei senkrechte, energische Furchen standen, scharf spähend ins Weite. So — und vielleicht trug sein erhöhter und erhöhender Standort zu diesem Eindruck bei — hatte seine Haltung etwas herrisch Überschauendes, Kühnes oder selbst Wildes; denn sei es, daß er, geblendet, gegen die untergehende Sonne grimassierte oder daß es sich um eine dauernde physiognomische Entstellung handelte: seine Lippen schienen zu kurz, sie waren völlig von den Zähnen zurückgezogen, dergestalt, daß diese, bis zum Zahnfleisch bloßgelegt, weiß und lang dazwischen hervorbleckten.   <

 

das charakteristische an manns stil zeigt sich hier schon ganz zu anfang und wird bis zum schluss durchgezogen. seine sprache erscheint deshalb zurecht aus einem gusse. das berechtigt aber nicht, sie schöpferisch, poetisch, dichterisch zu nennen. mann ist ein beflissener, objektiver erzähler, der viel aufwand betreibt aufzuführen, was er sieht, was an détails und eigenschaften vorhanden sei, aber er tut es ohne den geringsten aufbau an sprachlicher spannung, die der text vom inhalt alleine bezieht, speziell aus dem tabutema der knabenliebe im weitern verlauf der novelle.

 

‚Ob er nun aus dem Innern der Halle durch das bronzene Tor hervorgetreten oder von außen unversehens heran und hinauf gelangt war, blieb ungewiß. Aschenbach, ohne sich sonderlich in die Frage zu vertiefen, neigte zur ersteren Annahme. Mäßig hochgewachsen, mager, bartlos und auffallend stumpfnäsig, gehörte der Mann zum rothaarigen Typ und besaß dessen milchige und sommersprossige Haut.’

 

eine biedere kollektion korrekter, exakter bilder, beflissen rapportierte oberfläche. diese sprache hat etwas musterschülerhaftes, tendenziell verschrobenes. mann muss uns umständlich ausdeutschen, ob jetzt von innen oder aussen her, und dass erst noch heran und hinauf. und die neigung zur ‚ersteren annahme’ nimmt sich ebenso beamtenhaft aus wie die zugehörigkeit ‚zum rothaarigen typ’ und der besitz einer milchigen u. sommersprossigen haut. (punkt hinter dem u ein verbesserungsvorschlag von mir persönlich.) mein gott, wie kann man einen solchen schriftsteller für einen dichter halten, einen wortkünstler:

 

‚Offenbar war er durchaus nicht bajuwarischen Schlages’

 

‚Erhobenen Hauptes, so daß an seinem hager dem losen Sporthemd entwachsenden Halse der Adamsapfel stark und nackt hervortrat, blickte er mit farblosen, rot bewimperten Augen, zwischen denen, sonderbar genug zu seiner kurz aufgeworfenen Nase passend, zwei senkrechte, energische Furchen standen, scharf spähend ins Weite’

 

eine rein deskriptive prosa ohne stimmung und brillanz. nichts, was aus der tiefe kommt, einen instinkt verriete, was mitreisst oder wenigstens originell erscheint.

dem sportshemd entwachsener hals, bewimperte augen, energische furchen, und, wie apart gesagt, ‚scharf spähend ins weite’ – manns stil ist fast trostlos herkömmlich, häufig, besonders in langen schachtelsätzen, recht umständlich (nichts gegen schachtelsätze an sich!), und über das fehlen musikalischer eigenschaften kann die mit stabreimerischen elementen angereicherte sprache nicht hinwegtäuschen, zu rational, zu berechnet, gedanklich zu substanzlos und poetisch uninspiriert erscheint das geschriebene in sprachschöpferischer hinsicht. die fantasie kommt kaum an einer stelle zu ihrem recht, alles, gedanke und bild, vorgefasst, allbekannt, vorgeschrieben, vorgekaut. ich kann mich der langeweile nicht erwehren.

 

 

   >   Es war Reiselust, nichts weiter; aber wahrhaft als Anfall auftretend und ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnestäuschung gesteigert. Er sah nämlich, als Beispiel gleichsam für alle Wunder und Schrecken der mannigfaltigen Erde, die seine Begierde sich auf einmal vorzustellen trachtete, - sah wie mit leiblichem Auge eine ungeheuere Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel, feucht, üppig und ungesund, eine von Menschen gemiedene Urweltwildnis aus Inseln, Morästen und Schlamm führenden Wasserarmen. Die flachen Eilande, deren Boden mit Blättern, so dick wie Hände, mit riesigen Farnen, mit fettem, gequollenem und abenteuerlich blühendem Pflanzenwerk überwuchert war, sandten haarige Palmenschäfte empor, und wunderlich ungestalte Bäume, deren Wurzeln dem Stamm entwuchsen und sich durch die Luft in den Boden, ins Wasser senkten, bildeten verworrene Waldungen. Auf der stockenden, grünschattig spiegelnden Flut schwammen, wie Schüsseln groß, milchweiße Blumen; Vögel von fremder Art, hochschultrig, mit unförmigen Schnäbeln, standen auf hohen Beinen im Seichten und blickten unbeweglich zur Seite, während durch ausgedehnte Schilffelder ein klapperndes Wetzen und Rauschen ging, wie durch Heere von Geharnischten; dem Schauenden war es, als hauchte der laue, mephitische Odem dieser geilen und untauglichen Öde ihn an, die in einem ungeheuerlichen Zustande von Werden oder Vergehen zu schweben schien, zwischen den knotigen Rohrstämmen eines Bambusdickichts glaubte er einen Augenblick die phosphoreszierenden Lichter des Tigers funkeln zu sehen - und fühlte sein Herz pochen vor Entsetzen und rätselhaftem Verlangen. Dann wich das Gesicht; und mit einem Kopfschütteln nahm Aschenbach seine Promenade an den Zäunen der Grabsteinmetzereien wieder auf.   <

 

dem auftretenden anfall, der mannigfaltigen erde, den wunderlich ungestalten bäumen, vögeln von fremder art, mit unförmigen schnäbeln, klapperndem wetzen und rauschen, untauglicher öde und einem rätselhaften verlangen stehen keine vorzüglichen bilder gegenüber, keine erstrangigen metafern und vergleiche, keine frische, wirkungsvolle, eigenständige poesie. mehr oder weniger schreibt mann, wie man schreibt, wenn man gebildet, fleissig und beredt. eine solche sprache ist erlernbar, ein solches gedankengut kann sich irgendeiner zueigenmachen und braucht dafür keinen preis des nobelkomitees. das einmaleins des bildungsbürgers eben, des grosschriftstellers, ohne zuviel wagnis und sensibilität.

ein anfall, ‚ins leidenschaftliche, ja bis zur sinnestäuschung gesteigert’? also ein bisschen subjektivität für einmal? ein beispiel für alle ‚wunder und schrecken’ gefällig? bitte: das leibliche auge sieht eine ‚ungeheure landschaft’! ein ‚tropisches sumpfgebiet’! wie malt man sichs aus, leidenschaftlich und sinnesgetäuscht? ‚feucht, üppig und ungesund’! das wörtchen ungesund finde ich nun besoners leidenschaftlich, ja mitreissend. ‚eine von menschen gemiedene urweltwildnis’ – man lasse es sich auf der zunge vergehen: urweltwildnis! tönt gewiss nicht schlecht, vielleicht gar eine erfindung. aber kommt nicht die urwelt etwa auf dasselbe hinaus wie die wildnis? ist es nicht ein bisschen pleonastisch, bombastisch, das hübsche wort? hier gilt, wie so oft in kunstdingen, das gute alte veterinärprinzip: viel hilft eben viel. -

und nun holt er erst recht aus:

 

‚Die flachen Eilande, deren Boden mit Blättern, so dick wie Hände, mit riesigen Farnen, mit fettem, gequollenem und abenteuerlich blühendem Pflanzenwerk überwuchert war, sandten haarige Palmenschäfte empor, und wunderlich ungestalte Bäume, deren Wurzeln dem Stamm entwuchsen und sich durch die Luft in den Boden, ins Wasser senkten, bildeten verworrene Waldungen’

 

bei allen wundern und schrecken der erde, mannigfaltigen erde! – das ist doch nur nacherzählung, referieren, kolportage. jedes grimmsche märchen findet dieselben ausschmückungen. ich will garnicht sagen, mann schreibe schlecht. aber übers massgeschneiderte hinaus kann ers nicht treiben. das reicht nicht, ihn bedeutend und schon garnicht, ihn einen dichter zu nennen.

der ‚ungeheuerliche zustand von werden oder (!) vergehen’ ist doch nur behauptet und mit allem abenteuerlich blühendem, mannigfachen, quillenden, haarigen und ungestalten nicht eingelöst. eine geile und untaugliche öde! untauglich, ha!

 

ja, nimm du deine promenade wieder auf...

 

die reize mannscher erzählkunst sind bestimmt nicht sprachlicher natur. er beschreibt, was schon fast abgelebt, immer nur common sense gewesen, was so in langen prozessen in den allgemeinen sprachschatz eingedrungen und halbwegs verbraucht, ohne dem etwas neues, ganz eigenes hinzuzufügen. er gibt hunderte sinneseindrücke wider, ohne im geringsten sinnlich zu sein. schreibt er nicht hausbacken, schreibt er gestelzt. schreibt er nicht knochentrocken, strebt er vergleiche an, die er nicht halten kann. die langen sätze sind nicht zu lang, aber zu geschustert, zu vertrackt, nicht wirklich beeindruckend. diese art zu schreiben hat, unter eifriger regie ganzer heerscharen von schulmeistern, viel dazu beigetragen, etwas kompliziertes, schwerfälliges, unschönes in die deutsche sprache hineinzutragen. damit einher geht die überdimensionierte aufzählung um ihrer selbst willen und geht eine rein logische, nur einseitig rationale, wenig mehr als schöngeistige und im ganzen unkünstlerische federführung. mann ist kaum der erfinder dieser sprache, aber gerade sein rendement, seine reputation stehen mir dafür.

man sage mir nicht, so sei halt damals geschrieben worden. die sache ist viel zu relevant, mann als veraltet abzutun. man nehme zum vergleich die prosa seines zeitgenossen musil, man hole den etwas älteren nietzsche hervor – nichts von deren vermögen findet sich bei thomas mann. es fault in all seinen idealen.

an einer stelle sagte karl kraus im zusammenhange mit thomas mann: ....’aber schuld an allem ist gewiss nur meine myopie, die hinter dem schönen äusseren das innere nicht wahrnimmt, und eine schwerhörigkeit, die die ganze literatur von heute in den verdacht bringt, nichts zu sagen.’

und nun reitet mich der teufel, und ich wage zu sagen: ein überkonsum an solcher literatur verursacht erst recht eine kurzsichtigkeit und eine schwerhörigkeit, so dass man gerade wegen mann (und vielen andern) bald nichts mehr wahrnehmen kann als nur den äussern schein.

 

‚er war alt, man konnte nicht zweifeln. runzeln umgaben ihm augen und mund. das matte karmesin der wangen war schminke’

 

und an diesem mickrigen hilfsverbchen war hängt gleich noch ein rattenschwanz andrer aufzählungen, war das braune haar perücke, der hals verfallen, sehnig auch, schnurrbärtchen und fliege gefärbt, (war) sein gebiss billiger ersatz, und seine hände, ‚mit siegelringen an beiden zeigefingern, waren die eines greises.’

 

schauerlich, nicht wahr?

gewiss, denn: ‚schauerlich angemutet, sah aschenbach ihm und seiner gemeinschaft mit den freunden zu.’

und gleich dann: ‚wussten, bemerkten sie nicht, dass er alt war ...?’ und zwei zeilen weiter:

 

‚aschenbach bedeckte seine stirn mit der hand und schloss die augen, die heiss waren, da er zuwenig geschlafen hatte.’

 

und wenig später:

‚der himmel war grau, der wind feucht. hafen und inseln waren zurückgeblieben...’ und der horizont?

 

‚der horizont war vollkommen’.

 

ich bin hingerissen.

 

natürlich ist ein matrose ‚unrein’ und ‚bucklig’, mit ‚grimassenhaft leichtem geschäftsgebaren’. und er bedient sich des ‚breiigen restinhalts eines schräg geneigten tintenfasses’, und natürlich, wie denn anders, ‚hatten’ die ‚glatte raschheit seiner bewegungen und das leere gerede, womit er sie begleitete’, hatten die also ‚etwas betäubendes und ablenkendes’.

klar auch, dass das gewöhnliche volk ‚müssig’, ‚verschlagen’, ‚grob’ ‚brutal’ undsoweiter. wie ist es ausserdem? schmierig ist es, halbseiden, gibt nur vor, höflich zu sein, wenn es ein geschäft wittert, so stellt mann es dar. es gibt allerdings eine ausnahme, und sie geht aus diesem kurzen dialog hervor:

 

> „Sie fahren zum Lido.“

„Allerdings. Aber ich habe die Gondel nur genommen, um mich nach San Marco übersetzen zu lassen. Ich wünsche den Vaporetto zu benutzen.“

„Sie können den Vaporetto nicht benutzen, mein Herr.“

„Und warum nicht?“

„Weil der Vaporetto kein Gepäck befördert.“

Das war richtig; Aschenbach erinnerte sich. Er schwieg. Aber die schroffe, überhebliche, einem Fremden gegenüber so wenig landesübliche Art des Menschen schien unleidlich.“ <

 

der bedauernswerte aschenbach! kurz darauf wird er, ‚landesüblich’?, von ‚musikalischen wegelagerern’ umstellt, die ‚aufdringlich mit der gondel fuhren und die stille über den wassern mit ihrer gewinnsüchtigen fremdenpoesie erfüllten.’

 

ja, die ausländer! der geistige gehalt dieser prosa ist roh und trivial. kulisse, blutleere, steifheit und borniertheit. nichts von einer ursprünglichkeit, überhaupt keine daseinsproblematik. nichts wird infragegestellt, nichts macht die seele frei. diese sprache, dieser inhalt trägt keine verantwortung. ein völliges versagen des dichterischen. dünn, arm, leblos. stilisierte schnörkel, snobistisches gelaber. eine gleichmässig aufgetragene dünne farbe. albert krapp sagte über diese sprache andernorts, aber es gilt ebenso für diese novelle: ‚es ist ein bilderbogen, wo einer neben dem andern steht, numeriert sozusagen, jeder immer nur in einer ‚ansicht’ brauchbar. man kann weggehen: nichts rührt sich.’ ‚was macht eine dichtung aus’, fragt krapp, und antwortet: ‚seele, seele, seele, das heisst wahrheit, das heisst unmittelbarkeit, überzeugungsfähigkeit, notwendigkeit: so und nicht anders.’

krapps wort, als kritik an mann über ‚fiorenza’ geäussert, gilt auch für den ‚tod in venedig’:

 

‚alles ist im besten falle mitgeteilt, aufgezählt.’

 

so ist es . –

 

 

  >   Es war eine Gruppe halb und kaum Erwachsener, unter der Obhut einer Erzieherin oder Gesellschafterin um ein Rohrtischchen versammelt: drei junge Mädchen, fünfzehn- bis siebzehnjährig, wie es schien, und ein langhaariger Knabe von vielleicht vierzehn Jahren. Mit Erstaunen bemerkte Aschenbach, daß der Knabe vollkommen schön war. Sein Antlitz, bleich und anmutig verschlossen, von honigfarbenem Haar umringelt, mit der gerade abfallenden Nase, dem lieblichen Munde, dem Ausdruck von holdem und göttlichem Ernst, erinnerte an griechische Bildwerke aus edelster Zeit, und bei reinster Vollendung der Form war es von so einmalig-persönlichem Reiz, daß der Schauende weder in Natur noch bildender Kunst etwas ähnlich Geglücktes angetroffen zu haben glaubte. Was ferner auffiel, war ein offenbar grundsätzlicher Kontrast zwischen den erzieherischen Gesichtspunkten, nach denen die Geschwister gekleidet und allgemein gehalten schienen. Die Herrichtung der drei Mädchen, von denen die Älteste für erwachsen gelten konnte, war bis zum Entstellenden herb und keusch. Eine gleichmäßig klösterliche Tracht, schieferfarben, halblang, nüchtern und gewollt unkleidsam von Schnitt, mit weißen Fallkrägen als einziger Aufhellung, unterdrückte und verhinderte jede Gefälligkeit der Gestalt. Das glatt und fest an den Kopf geklebte Haar ließ die Gesichter nonnenhaft leer und nichtssagend erscheinen. Gewiß, es war eine Mutter, die hier waltete, und sie dachte nicht einmal daran, auch auf den Knaben die pädagogische Strenge anzuwenden, die ihr den Mädchen gegenüber geboten schien. Weichheit und Zärtlichkeit bestimmten ersichtlich seine Existenz. Man hatte sich gehütet, die Scheere an sein schönes Haar zu legen; wie beim Dornauszieher lockte es sich in die Stirn, über die Ohren und tiefer noch in den Nacken. Ein englisches Matrosenkostüm, dessen bauschige Ärmel sich nach unten verengerten und die feinen Gelenke seiner noch kindlichen, aber schmalen Hände knapp umspannten, verlieh mit seinen Schnüren, Maschen und Stickereien der zarten Gestalt etwas Reiches und Verwöhntes. Er saß, im Halbprofil gegen den Betrachtenden, einen Fuß im schwarzen Lackschuh vor den andern gestellt, einen Ellenbogen auf die Armlehne seines Korbsessels gestützt, die Wange an die geschlossene Hand geschmiegt, in einer Haltung von lässigem Anstand und ganz ohne die fast untergeordnete Steifheit, an die seine weiblichen Geschwister gewöhnt schienen. War er leidend? Denn die Haut seines Gesichtes stach weiß wie Elfenbein gegen das goldige Dunkel der umrahmenden Locken ab. Oder war er einfach ein verzärteltes Vorzugskind, von parteilicher und launischer Liebe getragen? Aschenbach war geneigt, dies zu glauben. Fast jedem Künstlernaturell ist ein üppiger und verräterischer Hang eingeboren, Schönheit schaffende Ungerechtigkeit anzuerkennen und aristokratischer Bevorzugung Teilnahme und Huldigung entgegenzubringen.   <

 

die ‚vollkommene schönheit’ zu beschreiben – gewiss eine besondere herausforderung jedes dichters. wer eine solche ader in sich spürt, wird darauf achten, nicht den hunderttausendsten abklatsch davon zu liefern. fühlt er sich dazu nicht imstande, lasse ers bei ein, zwei kurzen sätzen bewenden und gestehe ein, dass er vor dieser macht als sprachschöpfer kapituliert. es kommt hinzu, dass mit tadzio die hauptfigur (neben aschenbach) eingeführt wird und der dichterische moment doppelt spannungsgeladen erscheint. die novelle ist klassisch konzipiert, hier tritt die wende ein, jeder leser und auch der autor wissen: ein dramatischer höhepunkt. die schönheit selbst tritt auf die bildfläche.

nun, kann mans herzeigen, kann man die stelle rezipieren als künstlerische, meisterhafte, als erstrangige sprachliche leistung? kann es genügen, von vollkomener schönheit zu sprechen, vom bleichen und anmutigen antlitz und dergleichen versatzstücken mehr, kann es genügen, überhaupt nur darüber zu sprechen und nicht zu gestalten, zu bewegen, zu überzeugen?

 

‚Sein Antlitz, bleich und anmutig verschlossen, von honigfarbenem Haar umringelt, mit der gerade abfallenden Nase, dem lieblichen Munde, dem Ausdruck von holdem und göttlichem Ernst, erinnerte an griechische Bildwerke aus edelster Zeit, und bei reinster Vollendung der Form war es von so einmalig-persönlichem Reiz, daß der Schauende weder in Natur noch bildender Kunst etwas ähnlich Geglücktes angetroffen zu haben glaubte.’

 

das sprachliche niveau übertrifft kaum jenes eines durchschnittlichen liebesbriefes, mit dem ein halbwegs talentierter hosen- oder schürzenjäger das objekt seiner begierde bezirzen will. es hängt von der absicht ab und seinem bildungsniveau, ob er bei sonne, mond und sternen schwört oder mit den griechischen bildwerken aus edelster zeit renommiert. ob er das weltall oder die ganze bildende kunst zum zeugen anruft. die gerade abfallende nase, der liebliche mund, der holde und göttliche ernst, der einmalig-persönliche reiz – na, was eigenes fällt dir nicht dazu ein? das einmalig-persönliche wird nur behauptet und durch die sprache nicht belegt. bei der vollendet-reinsten form der liebesgötter!

der autor scheint so berückt, dass er gleich noch sagen muss, was ihm ‚ferner auffällt’ – und das beschreibt er nun mit akribie und beflissenheit, wohl um den knaben desto himmlischer daneben leuchten zu lassen, sein schönes haar noch zu bekräftigen, die feinen gelenke, den lackschuh, die hand an der geschlossenen wange undsoweiter. um ‚aristokratischer bevorzugung teilnahme und huldigung entgegenzubringen’.

 

was bin ich berückt!

aber ich würde mich hüten, mein bild der verehrung mit solchem sterilem krimskrams zu diskreditieren, mit einer solchen sprache einen schönen menschen zu entsinnlichen.

 

  >   Er kam durch die Glastür und ging in der Stille schräg durch den Raum zum Tisch seiner Schwestern. Sein Gehen war sowohl in der Haltung des Oberkörpers wie in der Bewegung der Kniee, dem Aufsetzen des weißbeschuhten Fußes von außerordentlicher Anmut, sehr leicht, zugleich zart und stolz und verschönt noch durch die kindliche Verschämtheit, in welcher er zweimal unterwegs, mit einer Kopfwendung in den Saal, die Augen aufschlug und senkte. Lächelnd, mit einem halblauten Wort in seiner weich verschwommenen Sprache nahm er seinen Platz ein, und jetzt zumal, da er dem Schauenden sein genaues Profil zuwandte, erstaunte dieser aufs neue, ja erschrak über die wahrhaft gottähnliche Schönheit des Menschenkindes. Der Knabe trug heute einen leichten Blusenanzug aus blau und weiß gestreiftem Waschstoff mit rotseidener Masche auf der Brust und am Halse von einem einfachen weißen Stehkragen abgeschlossen. Auf diesem Kragen aber, der nicht einmal sonderlich elegant zum Charakter des Anzugs passen wollte, ruhte die Blüte des Hauptes in unvergleichlichem Liebreiz, das Haupt des Eros, vom gelblichen Schmelze parischen Marmors, mit feinen und ernsten Brauen, Schläfen und Ohr vom rechtwinklig einspringenden Geringel des Haares dunkel und weich bedeckt.   <

 

die stelle kann doch nur ob des tabusisierten temas bewegen, die einen durch die ungehörigkeit halbwegs oder ganzwegs schockieren, die andern an ihre unterdrückte, von der gesellschaft in den dreck gezogene heilige sehnsucht und verehrung schmerzhaft oder nostalgisch erinnern. aber wenn man des temas wegen mit sich ins reine gekommen, verliert eine solche prosa schnell jeden glanz und jede finsternis. es sträubt sich sozusagen nur noch das sprachliche fell vor empörter erregung. man achte auf die wiederholung der vergleiche, von allem anfang an abgegriffener und bloss wiedergekauter vergleiche, die tugendhafte beflissenheit, wie völlige nebensächlichkeiten akribisch aufgehäuft, pedantisch und korrekt widergegeben sind, wie überhaupt dem korrekten, spiessigen, leblosen in manns schreibe nichts entgegenwirkt, ich betone: nichts.

da kommt einer – nein, der schöne jüngling schlechthin, die schönheit selbst durch eine glastür. man merke: schräg durch den raum kommt er, keinesfalls darf der autor hier und überall eine solche wichtige tatsache unterschlagen. damit sich jeder leser das korrekte bild machen kann, so und nicht anders. meine fantasie darf nie von selber atmen. sie muss zum schnauf zu kommen haben durch den dichter, nicht wahr. denn dazu ist ein solcher dichter schliesslich da. und damit man ihn verehren kann. was gäbs für einen andern grund?

dichter also, sage ich. was tischt er mir also auf, der hochverehrte:

‚sein gehen war...’.

war wie?

moment, spannung, spannung aufrechterhalten, nicht gleich ins kraut schiessen und den leser kribblig machen, grosse kunst. sein gehen war also:

‚sowohl in der haltung des oberkörpers...’

aha! wie reizend, bin völlig erotisiert. eingesponnen. verehrung! aber mehr noch: nicht nur sowohl in der haltung des oberkörpers, sondern:

‚wie in der bewegung der kniee, dem aufsetzen des weissbeschuhten fusses’...

so, jetzt wäre die grundlage aufgezählt und eigentlich das hauptsächliche erst zu sagen, zu enthüllen. wie war also das gehen ganymeds:

‚von ausserordentlicher anmut’.

trara!

nur ein dichter kann ein solches wort endlich sprechen, aus dem munde eines normalsterblichen klänge es gewiss ganz anders. der kann tausendmal sagen ‚ausserordentliche anmut’, keiner kaufts ihm ab. da muss man schon mann heissen, damit sowas eben dann richtig und dichtig klingt.

‚sehr leicht, zugleich zart und stolz’ war dies gehen.

da hätten wir also schon wieder eine kleine aufzählung rapportiert und den dichterischen faden erst noch weitergesponnen. dichten, das heisst aufzählen, vorzählen, vorkauen, was genau da ist und was da ist ist gut, ist schön, ist anmut. man muss eben mit dem herzen lesen können, und ein dichter schreibt nunmal aus dem herzen. oder wie meinen?

die kindlichkeit schlägt die augen auf und senkt sie wieder, geschlagene zweimal im saale, mit einer kopfwendung im saale? sie lächelt, gewiss, was soll sie sonst auch tun, die kindliche verschämtheit.

weich spricht sie, sie tuschelt keinesfalls oder flüstert, sie spricht weich, weich und verschwommen. so und genau nicht anders, haargenau, es ist tatsächlich zum erstaunen, nicht? ja, zum erschrecken gar. so eine gottähnliche schönheit, zum erschrecken. es ist also genau korrekt, wenn aschenbach nun erschrickt. so ein menschenkind, so ein gestreifter waschstoff, mit rotseidener masche, mit, nicht ohne!

so eine masche also. eine mitmasche sozusagen. der einfache weisse stehkragen? ‚auf der brust und am halse’ abgeschlossen, brust und am halse.

jetzt hat der leser korrekt schon festgestellt: nicht sonderlich elegant, ausserordetnliche anmut und stehkragen, liebreiz und stehkragen. zwar zum stolz könnts passen, zart und stolz und stehkragen, aber er steht doch dagegen, trotz dem stolze in der zartheit. und wers noch nicht gemerkt hat, dem seis vorgekaut: ‚auf diesem kragen aber, der nicht einmal sonderlich elegant zum charakter des anzugs passen wollte’.

es geht ums äussere. der stehkragen steht nicht der zartheit, sondern der mode im wege. eben. ein dichter der objektivität beschreibe die beschreibbaren dinge. und nun, auf diesem nicht sonderlich passenden stehkragen, was man einräumen kann, ‚ruhte die blüte des hauptes’.

jetzt hat er mich wieder, dieser irrlichternde dichter, jetzt hab ich doch neben den anforderungen der mode, denen selbst ich mich beuge, plötzlich ein dichterwort nicht zur mode noch, sondern quasi in subjektiver sache: ruhte die blüte des hauptes. ich werde genau von diesem jüngling träumen, mir schwants, dass die blüte des hauptes mich im traum noch beflügelt, ‚in unvergleichlichem liebreiz’.

beim haupte des eros! schläfen und ohr vom rechtwinklig einspringenden (rechtwinklig einspringenden) ‚geringel des haares dunkel und weich bedeckt’.

aaah!

 

nicht der letzte kitsch diese sprache, es gibt noch weit schlechteres. aber unmöglich verbiestert, verunstaltend und  verhausmeistert.

heissen kunst und dichtung die erzeugung von leben, heisse ich manns sprache das haus- und salontierchen der künstlichkeit.

selbstverständlich kann man zu anderm urteil kommen über manns sprache. ich lese von atmenden melodien, diffizilen nervenkenntnissen, feinsten psychologischen nuancen, vom hypnotisch tiefen eindringen der worte, von musivisch zusammengesetzter seelenmalerei und solchen dingen. und überlege mir dabei, ob die welt der rechte aufenthalt für mich. –

 

pschologische nuancen? aber ja:

 

  > Links, vor einer der Hütten, die quer zur Reihe der übrigen und zum Meere standen und auf dieser Seite einen Abschluss des Strandes bildeten, kampierte eine russische Familie: Männer mit Bärten und grossen Zähnen, mürbe und träge Frauen, ein baltisches Fräulein, das an einer Staffelei sitzend unter Ausrufen der Verzweiflung das Meer malte, zwei gutmütig-hässliche Kinder, eine alte Magd im Kopftuch und mit zärtlich unterwürfigen Sklavenmanieren. Dankbar geniessend lebten sie

dort, riefen unermüdlich die Namen der unfolgsam sich tummelnden Kinder, scherzten vermittelst weniger italienischer Worte lange mit dem humoristischen Alten, von dem sie

Zuckerwerk kauften, küssten einander auf die Wangen und kümmerten sich um keinen Beobachter ihrer menschlichen Gemeinschaft.  <

 

klischierter personenbeschreibung (männer mit bärten und grossen zähnen; mürbe und träge frauen; gutmütig-hässliche kinder) fügt sich unplausibles: man male mir einmal unter ausrufen der verzweiflung das meer, man setze mir ein kopftuch auf und halte zärtlich-unterwürfige skalvenmanier – und zeige mir, wie man grad so dankbar-geniessend sein kann! (jawohl, mit bindestrich!)

 

ein paar zeilen weiter, tadzio betritt die szene, steht:

 

  >  Kaum aber hatte er die russische Familie bemerkt, die dort in dankbarer Eintracht ihr Wesen trieb, als ein Unwetter zorniger Verachtung sein Gesicht überzog. Seine Stirn verfinsterte sich, sein Mund ward emporgehoben, von den Lippen nach einer Seite ging ein erbittertes Zerren, dass die Wange zerriss, und seine Brauen waren so schwer gerunzelt, dass unter ihrem Druck die Augen eingesunken schienen und böse und dunkel darunter hervor die Sprache des Hasses führten. Er blickte zu Boden, blickte noch einmal drohend zurück, tat dann mit der

Schulter eine heftig wegwerfende Bewegung und liess die Feinde im Rücken.   <

 

die dankbare eintracht (zur erinnerung: mürbe und träge; ausrufe der verzweiflung; sklavenmanieren) eine lächerliche blossstellung manns, die ihn als ernstzunehmenden psychologen, aber mehr noch als dichter demaskiert, die sich verfinsternde stirn ein stümperwort, der emporgehobne mund sehr kitschelig, das erbitterte zerren, das da nach einer seite ‚ging’, schwer gerunzelte brauen, augen, welche die sprache des hasses führen, ja: es ist tatsächlich zum davonlaufen. –

manns sprache neigt oft vom klischee zum kitsch. sie ist nicht geboren, eine atmosfäre zu schaffen, es geht in dieser novelle so steril zu und her wie im labor eines krankenhauses. dass mann nicht aus dem innern seelenerleben schöpft, beweist sich grade in den psychologisierenden stellen. es ist alles reine kopfgeburt, am reissbrett konstruiert. aschenbachs zerrissenheit, sein schmerz, sein bedauern, seine tränen – die novelle handelt gegen das ende zu von solchen dingen – es ist, als ob ein etwas düpierter professor vor einem publikum seine ferienerlebnisse referierte, akademistisch, lebensfremd und distanziert.

 

  >  Wunderlich unglaubhaftes, beschämendes, komisch traumartiges Abenteuer: Stätten, von denen man eben in tiefster Wehmut Abschied auf immer genommen, vom Schicksal umgewandt und zurückverschlagen, in derselben Stunde noch wiederzusehen! Schaum vor dem Buge, drollig behend zwischen Gondeln und Dampfern lavierend, schoss das kleine, eilfertige Fahrzeug seinem Ziele zu, indes sein Passagier unter der Maske ärgerlicher Resignation die ängstlich-übermütige Erregung eines entlaufenen Knaben verbarg. Noch immer, von Zeit zu Zeit, ward seine Brust bewegt von Lachen über dies Missgeschick, das, wie er sich sagte, ein Sonntagskind nicht gefälliger hätte heimsuchen können. Es waren Erklärungen zu geben, erstaunte Gesichter zu bestehen, - dann war, so sagte er sich, alles wieder gut, dann war ein Unglück verhütet, ein schwerer Irrtum richtig gestellt, und alles, was er im Rücken zu lassen geglaubt hatte, eröffnete sich ihm wieder, war auf beliebige Zeit wieder sein... Täuschte ihn übrigens die rasche Fahrt oder kam wirklich zum Überfluss der Wind nun dennoch vom Meere her?   <

 

man glaubt dem professor eine gewisse verwunderung, vielleicht, dass ihm etwas drollig vorgekommen sein mag. mit der behauptung des unglaubhaften aber überschreitet mann die grenze schon, die dichtung von camouflage trennt. das weitere des abschnitts wirkt deshalb wie eingefärbt in schminke, zur kaschierung eines tiefen unvermögens, einer nichtvorhandenen ausstrahlung. der raunende schlusssatz eine mytologische anzüglichkeit. es wimmelt überhaupt von mytologischen bezügen in diesem buche, von todes- und liebessymbolen, dionysischen und charonschen reminiszenzen. das mag alles richtig und stimmig und schlüssig sein und bedeutet, dass der autor ein gebildeter mensch. das einzige aber, was mich freuen kann, ist streckenweise durchrytmisierte prosa, nach dem klassisch-griechischen vorbild. aber ich sage: da wuchert einer mit pfunden, die er nicht hat. als wie ein papst vom liebesakt enzykliert.

hypnotisch-tiefes eindringen der worte? mitnichten. poesielose penetranz.

 

   >  Der wohlige Gleichtakt dieses Daseins hatte ihn schon in seinen Bann gezogen, die weiche und glänzende Milde dieser Lebensführung ihn rasch berückt. Welch ein Aufenthalt in der Tat, der die Reize eines gepflegten Badelebens an südlichem Strande mit der traulich bereiten Nähe der wunderlich-wundersamen Stadt verbindet! Aschenbach liebte nicht den Genuss. Wann immer und wo es galt, zu feiern, der Ruhe zu

pflegen, sich gute Tage zu machen, verlangte ihn bald - und namentlich in jüngeren Jahren war dies so gewesen - mit Unruhe und Widerwillen zurück in die hohe Mühsal, den heilig nüchternen Dienst seines Alltags. Nur dieser Ort verzauberte ihn, entspannte sein Wollen, machte ihn glücklich. Manchmal vormittags, unter dem Schattentuch seiner Hütte, hinträumend über die Bläue des Südmeers, oder bei lauer Nacht auch wohl, gelehnt in die Kissen der Gondel, die ihn vom Markusplatz, wo er sich lange verweilt, unter dem gross gestirnten Himmel heimwärts zum Lido führte - und die bunten Lichter, die schmelzenden Klänge der Serenade blieben zurück, -  erinnerte er sich

seines Landsitzes in den Bergen, der Stätte seines sommerlichen

Ringens, wo die Wolken tief durch den Garten zogen, fürchterliche Gewitter am Abend das Licht des Hauses löschten und die Raben, die er fütterte, sich in den Wipfeln der Fichten schwangen. Dann schien es ihm wohl, als sei er entrückt ins elysische Land, an die Grenzen der Erde, wo leichtestes Leben den Menschen beschert ist, wo nicht Schnee ist und Winter noch Sturm und strömender Regen, sondern immer sanft kühlenden Anhauch Okeanos aufsteigen lässt und in seliger Musse die Tage

verrinnen, mühelos, kampflos und ganz nur der Sonne und ihren Festen geweiht.   <

 

poesie ist, wenn eine innere tür aufgeht. ein geistiger raum. eine fügung gelingt, die man von den worten nicht erwartet hätte. um die sie sich nicht einmal drehen. ein raum sich öffnet, der nicht durch die konkreten worte, sondern durch die situation, in denen sie gesprochen, aufgegangen. der überhaupt zuvor nicht da war, niemals dieser worte wegen. die leistung des lesers besteht darin, durch diese türe, die zu seinem eignen innern führt, zu gehen, die türe, die vielleicht nur angelehnt, zu öffnen.

worte aber, die nur das konkrete meinen und auskleiden, haben keine poetische kraft. lauthals schreien sie: hier bin ich, hier bin ich. da kann man gar nicht eintreten, man wird sofort vereinnahmt und in beschlag genommen wie von einem gröhlenden haufen.

führt mich nun der ‚wohlige gleichtakt dieses daseins’ irgendwohin? eine weiche und glänzende milde dieser lebensführung? hat das kraft oder gähnende leere? eine wunderlich-wundersame stadt? möcht ich dahin? auf dass mein wollen sich entspannte? unter bunten lichtern und schmelzenden klängen? wo nicht schnee ist und winter noch sturm und strömender regen? hat das geist, gehen mir räume auf, riecht, schmeckt, klingt das nach irgendwas ausser stabreim? ähnelt diese sprache nicht selbst den reizen eines gepflegten badelebens?

das sind doch alles nur mit buchstaben versehene etiketten. falls es preisschilder wären: zum discount. –

(aber musil sagt es viel besser: ein weg, der in das wesen der dichtung führt, ist die beachtung der tatsache, dass andeutung stärker wirkt als ausführung. damit sich berührende tatsachen des lebens sind: spiel der kinder mit ganz rohen puppen. warum erregen diese die fantasie stärker als schön ausgeführte? berührt sich das mit der tatsache, dass ein hund mit einem stein ‚beute’ spielt, mit einem nachgemachten hasen aber nichts anzufangen weiss? weil dieser eine in allen punkten bis zur unkenntlichkeit abgeschwächte wiedergabe des originals ist, der stein aber nur in einem punkt, der tragbarkeit mit dem maul. das kleine der puppe, das mit dem man schalten kann: ist für die mütterlichkeit die hauptsache; es ist sozusagen die idee des kleinen kindes, von der die erscheinungsfülle nur ablenkt.)

 

manches erinnert an die sprache eines reiseführers. und dann wieder anderes, so:

 

  >  Standbild und Spiegel! Seine Augen umfassten die edle Gestalt dort am Rande des Blauen, und in aufschwärmendem Entzücken glaubte er mit diesem Blick das Schöne selbst zu begreifen, die Form als Gottesgedanken, die eine und reine Vollkommenheit, die im Geiste lebt und von der ein menschliches Abbild und Gleichnis hier leicht und hold zur Anbetung aufgerichtet war. Das war der Rausch; und unbedenklich, ja gierig, hiess der alternde Künstler ihn willkommen. Sein Geist kreiste, seine Bildung geriet ins Wallen, sein Gedächtnis warf uralte, seiner Jugend überlieferte und bis dahin niemals von eigenem Feuer belebte Gedanken auf. Stand nicht geschrieben, dass die Sonne unsere Aufmerksamkeit von den intellektuellen auf die sinnlichen Dinge wendet? Sie betäube und bezaubere, hiess es, Verstand und Gedächtnis, dergestalt, dass die Seele vor Vergnügen ihres eigentlichen Zustandes ganz vergesse und mit staunender Bewunderung an dem schönsten der besonnten Gegenstände hängen bleibe: ja, nur mit Hilfe eines Körpers

vermöge sie dann noch zu höherer Betrachtung sich zu erheben. Amor fürwahr tat es den Mathematikern gleich, die unfähigen Kindern greifbare Bilder der reinen Formen vorzeigen: So auch bediente der Gott sich, um uns das Geistige sichtbar zu machen, gern der Gestalt und Farbe menschlicher Jugend, die er zum Werkzeug der Erinnerung mit allem Abglanz der Schönheit schmückte und bei deren Anblick wir dann wohl in Schmerz und Hoffnung entbrannten.   <

 

niemals vom eigenen feuer belebte gedanken – dieses zitat aus der passage mache ich zu meinem grundsätzlichen urteil über den ‚tod in venedig’. ich glaube dem autor, dass sein liebesrausch und die verzückung in seinem geiste leben. aber er vermag sie nicht zu papier zu bringen. ich glaube ihm hingegen obiges zitat gerade nicht. die knabenerotik hätte ihn, aschenbach natürlich, jetzt plötzlich und niemals früher erfasst? sie wäre ihm nicht allzu schmerzhaft bewusst gewesen die ganze zeit? diesem geistesmenschen gerade nicht? mann soll es meiner grossmutter erzählen. es ist doch ein bisschen arg zurechtgerückte schummelei in solchen passagen. ein wackerer bischof wäre aus aschenbach gewiss auch geworden. und dann noch der vergleich mit der matematik – er stimmt ja sogar, gehört zu diesem konstrukt wie der exorzismus zum heiligen geist.

der schöne und das biest – und eine ganze bibel, eine ganze gelehrtenbibliotek dazwischengeschoben! es folgen in gewisser weise die besten passagen des buches. nichts regt so zum nachdenken an wie die filosofischen schwärmereien aschenbachs. und doch – man muss das meiste am filosofen verwerfen. geschenkt, dass sich sein enthusiasmus nicht sinnlich über die sprache trägt. dass thomas mann kein dichter, sei abgebucht durch meine bisherigen erörterungen.

 

  >  Auf dem Rasen aber, der sanft abfiel, so, daß man im Liegen den Kopf hoch halten konnte, lagerten Zwei, geborgen hier vor der Glut des Tages: ein Ältlicher und ein Junger, ein Häßlicher und ein Schöner, der Weise beim Liebenswürdigen. Und unter Artigkeiten und geistreich werbenden Scherzen belehrte Sokrates den Phaidros über Sehnsucht und Tugend. Er sprach ihm von dem heißen Erschrecken, das der Fühlende leidet, wenn sein Auge ein Gleichnis der ewigen Schönheit erblickt;   <

 

ich gebe zu bedenken, dass die gegensatzpaare, die hier aufgebaut werden, durchaus einer diskussion würdig wären und nicht felsenfest und von göttlicher instanz gemacht mir erscheinen. es sind recht künstlich aufgetischte dinge, welche vom zwang, der norm, dem tabu herrühren. und dahinter steht nicht ein gott oder dergleichen, dahinter steht eine machtpolitik.

 

  >  sprach ihm von den Begierden des Weihelosen und Schlechten, der die Schönheit nicht denken kann, wenn er ihr Abbild sieht, und der Ehrfurcht nicht fähig ist; sprach von der heiligen Angst, die den Edlen befällt, wenn ein gottgleiches Antlitz, ein vollkommener Leib ihm erscheint, er dann aufbebt und außer sich ist und hinzusehen sich kaum getraut und den verehrt, der die Schönheit hat, ja, ihm opfern würde, wie einer Bildsäule, wenn er nicht fürchten müßte, den Menschen närrisch zu scheinen.   <

 

der knabenliebhaber als opfer der gesellschaftsnorm. statt dass er mit der gesellschaft bricht, frisst er davon doppelte ration und verklärt sich die sache ins mytologische. und sich selbst zum bannerträger. nun kann er sich als heiliges opfer erhaben fühlen. und vergibt sich keinen cent an einkommen und kein aristokratisches renommé. kuscher!

 

  >  Denn die Schönheit, mein Phaidros, nur sie, ist liebenswürdig und sichtbar zugleich: sie ist, merke das wohl! die einzige Form des Geistigen, welche wir sinnlich empfangen, sinnlich ertragen können. Oder was würde aus uns, wenn das Göttliche sonst, wenn Vernunft und Tugend und Wahrheit uns sinnlich erscheinen wollten? Würden wir nicht vergehen und verbrennen vor Liebe, wie Semele einstmals vor Zeus? So ist die Schönheit der Weg des Fühlenden zum Geiste, - nur der Weg, ein Mittel nur, kleiner Phaidros...  <

 

nee. schönheit ist lernbar. und wahrheit, die nicht sinnlich erscheint, verlogenheit. was für ein pfäffisches geschnorr!

 

  >  Und dann sprach er das Feinste aus, der verschlagene Hofmacher: Dies, daß der Liebende göttlicher sei, als der Geliebte, weil in jenem der Gott sei nicht aber im andern, -  diesen zärtlichsten, spöttischsten Gedanken vielleicht, der jemals gedacht ward, und dem alle Schalkheit und heimlichste Wollust der Sehnsucht entspringt.  < 

 

sagt ichs doch. das heilige opfer. eine selbstmitleids- und -beweihräucherungsschiene.

und dass wollust und sehnsucht heimlich zu sein haben – eine ganze, dreiste, schuttabfuhrige zivilisationskritik darüber!

 

  >  Glück des Schriftstellers ist der Gedanke, der ganz Gefühl, ist das Gefühl, das ganz Gedanke zu werden vermag. Solch ein pulsender Gedanke, solch genaues Gefühl gehörte und gehorchte dem Einsamen damals: nämlich, daß die Natur vor Wonne erschaure, wenn der Geist sich huldigend vor der Schönheit neige.  <

 

ein kluger satz. und dann der kitsch mit der natur dazu. der kluge satz war geklaut. nichts im buche kann ihm entsprechen. der nachsatz hat den hauptsatz korrumpiert. worte, die nur das konkrete auskleiden, haben keine poetische kraft. entsinnlichte filosofie fängt nur grillen.

 

behauptungen? ja. beiderseits. aber ich hätt da noch einiges im köcher. meine behauptungen entsprechen der lebenserfahrung und nicht angelesener bildung. 

 

  >  Er wünschte plötzlich, zu schreiben. Zwar liebt Eros, heißt es, den Müßiggang, und für solchen nur ist er geschaffen. Aber an diesem Punkte der Krisis war die Erregung des Heimgesuchten auf Produktion gerichtet. Fast gleichgültig der Anlaß. Eine Frage, eine Anregung, über ein gewisses großes und brennendes Problem der Kultur und des Geschmackes sich bekennend vernehmen zu lassen, war in die geistige Welt ergangen und bei dem Verreisten eingelaufen. Der Gegenstand war ihm geläufig, war ihm Erlebnis; sein Gelüst, ihn im Licht seines Wortes erglänzen zu lassen, auf einmal unwiderstehlich. Und zwar ging sein Verlangen dahin, in Tadzios Gegenwart zu arbeiten, beim Schreiben den Wuchs des Knaben zum Muster zu nehmen, seinen Stil den Linien dieses Körpers folgen zu lassen, der ihm göttlich schien, und seine Schönheit ins Geistige zu tragen, wie der Adler einst den troischen Hirten zum Äther trug. Nie hatte er die Lust des Wortes süßer empfunden, nie so gewußt, daß Eros im Worte sei, wie während der gefährlich köstlichen Stunden, in denen er, an seinem rohen Tische unter dem Schattentuch, im Angesicht des Idols und die Musik seiner Stimme im Ohr, nach Tadzios Schönheit seine kleine Abhandlung,  jene anderthalb Seiten erlesener Prosa formte, deren Lauterkeit, Adel und schwingende Gefühlsspannung binnen kurzem die Bewunderung vieler erregen sollte.   <

 

aschenbach/mann ist nicht weit fortgeschritten auf dem wege, ein dichter sein zu wollen. das ist doch eine reichlich naive, spätpubertäre vorstellung vom handwerk. vielleicht schreibt er bald ansichtskarten mit froher kunde nach hause? mir kommt unwillkürlich ein chanson eines berner liedermachers in den sinn: ‚chue am waldrand’, von mani matter - ein sonntagsmaler betritt eine landschaft, mitten drin eine kuh am waldesrand. nun stellt er seine staffelei auf, mischt die farben und will die kuh malen und fühlt, es gibt ein meisterwerk. doch die kuh ist inzwischen weggelaufen. verdutzt sitzt er da und wartet stundenlang, dass sie wiederkomme, es könnte auch eine andre kuh sein, dass irgendeine komme und ihn erlöse. doch was verstehn banausenhafte kühe schon von kunst? keine ist mehr gekommen, und die welt um ein meisterwerk betrogen.

bliebe die frage, ob thomas mann einen schriftsteller karikiere. ich glaube es nicht. es mag ironisches mitschwingen. aber thomas mann selbst schreibt ja genau so, seine sprache vermag es nirgends zu leugnen. (plus disziplin, selbstverständlich. so oder so, inspiriert oder nicht, soundsoviel seiten am tage! wir zeigen der kunst mal die zähne! und zu dem schönen sag ich: soi beau et tais-toi...)

 

  >  Es ist sicher gut, daß die Welt nur das schöne Werk, nicht auch seine Ursprünge, nicht seine Entstehungsbedingungen kennt; denn die Kenntnis der Quellen, aus denen dem Künstler Eingebung floß, würde sie oftmals verwirren, abschrecken und so die Wirkungen des Vortrefflichen aufheben. Sonderbare Stunden! Sonderbar entnervende Mühe! Seltsam zeugender Verkehr des Geistes mit einem Körper! Als Aschenbach seine Arbeit verwahrte und vom Strande aufbrach, fühlte er sich erschöpft, ja zerrüttet, und ihm war, als ob sein Gewissen wie nach einer Ausschweifung Klage führe.  <

 

ja, es ist sicher gut, hast du darüber nun endlich schreiben können. 

 

aschenbach will den jungen ansprechen, zögert, zaudert, wendet sich ab. und nun muss ich erfahren:

 

  >  Zu spät! dachte er in diesem Augenblick. Zu spät! Jedoch war es zu spät? Dieser Schritt, den zu tun er versäumte, er hätte sehr möglicherweise zum Guten, Leichten und Frohen, zu heilsamer Ernüchterung geführt. Allein es war wohl an dem, dass der Alternde die Ernüchterung nicht wollte, dass der Rausch ihm zu teuer war. Wer enträtselt Wesen und Gepräge des Künstlertums! Wer begreift die tiefe Instinktverschmelzung von Zucht und Zügellosigkeit, worin es beruht! Denn heilsame Ernüchterung nicht wollen zu können, ist Zügellosigkeit. Aschenbach war zur Selbstkritik nicht mehr aufgelegt; der Geschmack, die geistige Verfassung seiner Jahre, Selbstachtung, Reife und späte Einfachheit machten ihn nicht geneigt, Beweggründe zu zergliedern und zu entscheiden, ob er aus Gewissen, ob aus Liederlichkeit und Schwäche sein Vorhaben nicht ausgeführt habe. Er war verwirrt, er fürchtete, dass irgend jemand, wenn auch der Strandwächter nur, seinen Lauf, seine

Niederlage beobachtet haben möchte, fürchtete sehr die Lächerlichkeit. Im übrigen scherzte er bei sich selbst über seine komisch-heilige Angst. "Bestürzt", dachte er, "bestürzt wie ein Hahn, der angstvoll seine Flügel im Kampfe hängen lässt. Das ist wahrlich der Gott, der beim Anblick des Liebenswürdigen so unseren Mut bricht und unsern stolzen Sinn so gänzlich zu Boden drückt..." Er spielte, schwärmte und war viel zu hochmütig, um ein Gefühl zu fürchten.  <

 

der schritt hätte zur ernüchterung geführt, ja? so billig dir dein göttlicher junge? vielleicht lispelt er und wäre deiner weitern betrachtung nicht mehr würdig? oder was stellst du dir vor? dem alternden ist der rausch zu teuer. aha. und nun – hopp! wären wir wieder beim künstlertum. beim wesentlichen, nicht wahr. dem künstler vorbehalten, gewiss. einem einfachen arbeiter wäre so tiefe instinktverschmelzung, gepaart mit zucht und zügellossigkeit, nicht möglich. sehr möglicherweise nicht möglich. was tischst du mir da auf? das einzige, was ich davon glaube, ist deine panik vor dem strandwächter. du fürchtest dich lächerlich zu machen. und dann fürchtest du wiederum nichts, nicht mal ein gefühl. bestürzung und hochmut also, panik und furchtlosigkeit in einem. komisch-heiliger bindestrichadjektivist!

weiter unten eine passage, wie aschenbach den morgen erlebt. man liest von köstlich einförmigen tagen, von zart durchdringendem erschrecken (auch ohne bindestrich wirds nicht besser), von geweihter seele und beschwingter kunde, holdem scheinen und blühen, raffenden hufen und heiligen rennern, es zucken goldene speere zur höhe des himmels, und man(n) gerät vom unsäglich holden in brandenen glanz. eine drollige, manieristische  mischung von kitsch, stabreim, lautmalerei und rytmus findet man da:

 

  > Aber der Tag, der so feurig-festlich begann, war im ganzen seltsam gehoben und mythisch verwandelt. Woher kam und stammte der Hauch, der auf einmal so sanft und bedeutend, höherer Einflüsterung gleich, Schläfe und Ohr umspielte? Weisse Federwölkchen standen in verbreiteten Scharen am Himmel, gleich weidenden Herden der Götter. Stärkerer Wind erhob sich, und die Rosse Poseidons liefen, sich bäumend, daher, Stiere auch wohl, dem Bläulichgelockten gehörig, welche mit Brüllen

anrennend die Hörner senkten. Zwischen dem Felsengeröll des

entfernteren Strandes jedoch hüpften die Wellen empor als springende Ziegen. Eine heilig entstellte Welt voll panischen Lebens schloss den Berückten ein, und sein Herz träumte zarte Fabeln. Mehrmals, wenn hinter Venedig die Sonne sank, sass er auf einer Bank im Park, um Tadzio zuzuschauen, der sich, weiss gekleidet und farbig gegürtet, auf dem gewalzten Kiesplatz mit Ballspiel vergnügte, und Hyakinthos war es, den er zu sehen glaubte, und der sterben musste, weil zwei Götter ihn liebten. Ja, er empfand Zephyrs schmerzenden Neid auf den Nebenbuhler, der des Orakels, des Bogens und der Kithara vergass, um immer mit dem Schönen zu spielen; er sah die Wurfscheibe, von grausamer Eifersucht gelenkt, das liebliche Haupt treffen, er empfing, erblassend auch er, den geknickten Leib, und die Blume, dem süssen Blute entsprossen, trug die Inschrift seiner unendlichen Klage...  <

 

keine konzentration. imitatorischer bluff. eitler klingklang und krimskrams.

 

das fünfte und letzte kapitel ist das beste. es gibt passagen, die haben einen sog, alles zieht sich ins verderben, in venedig geht die cholera um, die liebesgeschichte aschenbachs zum jungen tadzio endet mit dem tode des alten. der meiner ansicht nach erste stimmige psychologische abschnitt beschreibt folgende szene (ganz ende viertes kapitel):

 

  >  Er war der teuren Erscheinung nicht gewärtig gewesen, sie kam unverhofft, er hatte nicht Zeit gehabt, seine Miene zu Ruhe und Würde zu befestigen. Freude, Überraschung, Bewunderung mochten sich offen darin malen, als sein Blick dem des Vermissten begegnete, - und in dieser Sekunde geschah es, dass Tadzio lächelte: ihn anlächelte, sprechend, vertraut, liebreizend und unverhohlen, mit Lippen, die sich im Lächeln erst langsam öffneten. Es war das Lächeln des Narziss, der sich über das spiegelnde Wasser neigt, jenes tiefe, bezauberte, hingezogene Lächeln, mit dem er nach dem Widerschein der eigenen Schönheit die Arme streckt, - ein ganz wenig verzerrtes Lächeln, verzerrt von der Aussichtslosigkeit seines Trachtens, die holden Lippen seines Schattens zu küssen, kokett, neugierig und leise gequält, betört und betörend.

Der, welcher dies Lächeln empfangen, enteilte damit wie mit einem verhängnisvollen Geschenk. Er war so sehr erschüttert, dass er das Licht der Terrasse, des Vorgartens, zu fliehen gezwungen war und mit hastigen Schritten das Dunkel des rückwärtigen Parkes suchte.

Sonderbar entrüstete und zärtliche Vermahnungen entrangen sich ihm: "Du darfst so nicht lächeln! Höre, man darf so niemandem lächeln!" Er warf sich auf eine Bank, er atmete ausser sich den nächtlichen Duft der Pflanzen. Und zurückgelehnt, mit hängenden Armen, überwältigt und mehrfach von Schauern überlaufen, flüsterte er die stehende Formel der Sehnsucht, - unmöglich hier, absurd, verworfen, lächerlich und heilig doch, ehrwürdig auch hier noch: "Ich liebe dich!"  <

wenn auch dieses und jenes an sprachlicher kraft nicht erreicht werden kann, wenn die sprache auch recht konventionell erscheint, so haben wir hier eine ergriffenhait vor augen, neben der alles weitere verblasst. nun geht es um die sache an sich, und das dekorative ist endlich, endlich einmal überwunden.

aschenbachs innenleben, sein heiliges feuer, die unmöglichkeit der situationen, in die er sich mit seiner verliebtheit bringt – glaubhaft und gut beschrieben. die novelle erreicht eine mittlere tiefe, die ihr zuvor völlig gefehlt, etwas existentielles und damit einnehmendes. das tabu der knabenliebe, der leidensdruck, unter dem der schriftsteller steht, der pädofile an sich – beinahe, aber nur beinahe, übertragen sich auch begeisterung und leidenschaft durch die sprache. der unterschied zur grossen dichtung bleibt aber nach wie vor, dass thomas mann sein seelenerleben aufs papier kopiert und nicht frisch am tische durch die sprache sich zum leben und erleben steigert. das höchste, wessen er fähig, und es ist für einen untalentierten sprachkünstler nicht wenig: dass er seine sprache vom zierrat befreit. jetzt hat er endlich einmal wirklich etwas zu sagen und zu wagen. dies letzte kapitel lädt geradezu zur verfilmung ein, mann führt uns einiges vor augen, die regie ist ausserordentlich. geglückte einfälle, die gespenstische verschwiegenheit, die omertà gegen die cholera, eine wüste traumorgie des untergangs, etwas drohendes, krimihaftes, jederzeit aus dem hinterhalt zum meucheln bereites setzt ein, szenen vom markt, in der kirche, beim friseur, am strand, rytmisierende und das dramatische unterstreichende prosa. eine ehrbare und klug durchdachte arbeit. im wichtigsten aber, der sprache selbst, die auch hier nicht frei von klischees, von ärgerlichen passagen, bleibt thomas mann mittelmass.

der ‚tod in venedig’ ist ein zu unrecht hochgelobtes buch. -

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