schandfleck.ch_textkritik/2008/dezember | david
manuel kern |
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Der Tod der Kunst |
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Zu Thomas Manns Der Tod in Venedig Essay von David Manuel Kern I. Nietzsche Allein, nur die Künstlerschaft
rechtfertigt die Existenz. In der Zerrissenheit zwischen den uneingestandenen
Bedürfnissen und der erlebten Daseinsverteidigung erleuchtet sich
die Symptomatik des Mannschen Werkes. Ist aber die Einsamkeit, die
im Naturgemäßen der Gefährte des Künstlers, des Schriftstellers ist,
ebenso die Notwendigkeit, die Voraussetzung für das Schaffen, das
allein im Alleinsein bewältigt werden kann? Ist die produktive Künstlerschaft,
die Meisterlichkeit zum obersten Prinzip erkort, die Antonymität zur
Geselligkeit, zum Leben, gar zum arglosen Frohsinn? Ist das wahre
Erleben der Feind der Kunst? II. Schiller Der
Tod in Venedig
ist ausschließlich im Kontext des Autobiographischen zu verstehen.
Die Hinweise im Text, die zur Annahme führen, Gustav von Aschenbach,
der „Einsame“, sei, abseits aller Parallelitäten zu Gustav Mahler,
Thomas Mann, häufen sich dergestalt, dass der Versuch einer Hermeneutik
jene Richtung einschlagen muss, welche die Person Thomas Mann als
hauptsächlichen Bezugspunkt der Erzählung stellt. Der öffentliche
Autor wird zum öffentlichen Privatmann. Es ist erstaunlich, in welchem
Ausmaß der Autor sich selbst entblößend in den Mittelpunkt stellt,
sich exhibitionistisch karikiert. „Der Autor der klaren und mächtigen
Prosa-Epopöe vom Leben Friedrichs von Preußen; der geduldige Künstler,
der in langem Fleiß den figurenreichen, so vielerlei Menschenschicksal
im Schatten einer Idee versammelnden Romanteppich, „Maja“ mit Namen,
wob; der Schöpfer jener starken Erzählung, die „Ein Elender“ überschrieben
ist und einer ganzen dankbaren Jugend die Möglichkeit sittlicher Entschlossenheit
jenseits der tiefsten Erkenntnis zeigte; der Verfasser endlich (…)
der leidenschaftlichen Abhandlung über „Geist und Kunst“, deren ordnende
Kraft und antithetische Beredsamkeit ernste Beurteiler vermochte,
sie unmittelbar neben Schillers Raisonnement über naive und sentimentalische
Dichtung zu stellen (…).“
[2]
Es sind dies die geplanten aber unverfassten Werke
des jungen Thomas Mann, der Nachwelt in den unzähligen Notiz- und
Tagebüchern nicht vorenthalten. Der ernstgemeinte Vergleich zu Friedrich
Schiller kommt dem vordergründig nicht irrelevanten altbekannten Topoi
der Mannschen Ironie zuvor; Schiller als programmatischer Repräsentant
einer in einer bestimmten humanistischen und elitären Geistestradition
behafteten deutschen Kulturepoche zeigt sich als ein würdiger Vorfahre
des Dichters, und wird partout missbraucht. Goethe, Schiller, Mann.
So sieht sich der Sechsunddreißigjährige. Denn er war „sich seiner
Meisterschaft jeden Augenblick in Gelassenheit sicher“
[3]
; Manns, pardon, Aschenbachs „ganzes Wesen“ war
auf „Ruhm gestellt“, denn er wähnte sich „früh für die Öffentlichkeit
reif und geschickt“. Das „Repräsentieren“ vom „Schreibtisch aus“
[4]
war das bescheidene Ziel, das er womöglich gerade
mit der Veröffentlichung dieser Erzählung tatsächlich erreichte. Die dichterische Leistung aber
hat seinen Preis. Aschenbach lebte die Jugend als Erwachsensein, bereits
„als Jüngling von allen Seiten auf die Leistung (…) verpflichtet,
hatte er niemals den Müßiggang, niemals die sorglose Fahrlässigkeit
der Jugend gekannt“, er erkannte an sich selbst eine Möglichkeit,
dem ungefragt erhaltenen Leben seine Rechtfertigung zu erteilen, abseits
aller „vegetativen Benommenheit“ (Peter Sloterdijk); er erkannte „daß
er einem Geschlecht angehörte, in dem nicht das Talent, wohl aber
die physische Basis eine Seltenheit war, deren das Talent zu seiner
Erfüllung bedarf“, nicht bloß das Talent war gegeben, sondern auch
die banale körperliche Voraussetzung in der plumpen Pragmatik der
Welt. Hier ist Schillers Spruch „Der Geist baut sich den Körper“ zwar
umgekehrt, nichtsdestotrotz wird die Körperlichkeit zur Feindschaft
deklariert, die es geistig zu besiegen gilt, indem man sich arrangiert,
oder, wie im Fall Aschenbach, indem am Ende die Überwindung des Körpers
durch den Tod geschieht. Vorerst aber ist die körperliche Gebrechlichkeit
noch kein Hindernis: Die Erkrankung in Wien bedeutete nicht, den einmal
eingeschlagenen, notwendigen Weg zu verlassen, „‘Sehen Sie,
Aschenbach hat von jeher nur so gelebt‘ – und der Sprecher schloß
die Finger seiner Linken fest zur Faust -; ‚niemals so‘ – und er ließ die geöffnete Hand bequem von der Lehne des Sessels
hängen.“
[5]
Der Wille triumphiert über den Körper, das Alter
triumphiert über die Jugendlichkeit. Durch Tadzios Jugend wird der
alte Mann zugrunde gehen. III. Tod Der Tod ist allgegenwärtig.
Er widerfährt dem Leser bereits im ersten Satz als der bevorstehende
Dämon des Krieges, der „monatelang eine so gefahrdrohende Miene zeigte“
[6]
, er präsentiert sich als fratzenhaftes Antlitz
im Gesicht eines Fremden auf dem Friedhof, „mäßig hochgewachsen, mager,
bartlos und auffallend stumpfnäsig“ mit einem „breit und gerade gerandeten
Basthut“, der seinem Aussehen ein „Gepräge des Fremdländischen und
Weithergekommenen verlieh“, mit einem Hals, dessen „Adamsapfel stark
und nackt hervortrat“: „Seine Lippen schienen zu kurz, sie waren völlig
von den Zähnen zurückgezogen, dergestalt, daß diese, bis zum Zahnfleisch
bloßgelegt, weiß und lang dazwischen hervorbleckten“ Als dieser Fremde
seinen „Blick erwiderte und zwar so kriegerisch, so gerade ins Auge
hinein, so offenkundig gesonnen, die Sache aufs Äußerste zu treiben“
[7]
, flüchtet Aschenbach und bemerkt später, im Nachdenken
über jene seltsame Gestalt, ein flaues Gefühl im Magen. Die Todessymbolik begleitet,
Todesandeutungen markieren den Weg Aschenbachs. Am Friedhof, noch
bevor der Wanderer in Erscheinung tritt, bemerkt der Dichter „hinter
den Zäunen der Steinmetzereien“ allerlei „Kreuze, Gedächtnistafeln
und Monumente“
[8]
, Erinnerungen an den Tod; die Begegnung auf dem
Schiff mit dem „aufgestutzten Greis“
[9]
, der Aschenbach in seiner Widerwärtigkeit irritiert
und, noch unausgesprochen, seiner eigenen Vergänglichkeit einen Spiegel
vorhält; die Fahrt mit der Gondel, die so eigentümlich einem „Sarg“
ähnelt, „erinnert“ an den „Tod selbst“, der Gondoliere, mit „brutaler
Physiognomie“, erfüllt nicht den Befehl des Ekstasierenden, der sich
im „Bann der Trägheit“ und erleichtert den beruhigenden Bewegungen
des Wassers überlässt und sich mit den unheilvollen Worten „‘Sie werden
bezahlen.‘“
[10]
als Scharlatan herausstellt (Hier bricht Thomas
Mann mit den Erwartungen des Lesers: Der Androhung des Bezahlens,
die auf den ersten Blick als Sterbensprophezeiung kodiert werden kann,
wird, im Gegensatz zum Anrecht des Todes, nicht Folge geleistet, da
der Gondoliere keine Konzession besitzt und von zwei „Munizipalbeamten“
[11]
zur Flucht gedrängt wird; noch kann er den Tod
flüchten.); der vom Karbolgeruch umhüllte Straßensänger, der es nicht
versäumt, der elegant-reichen Abendgesellschaft die Zunge zu entblößen;
und endlich Tadzio selbst, der am Ende als möglicher Todesengel mit
den beiden „apokalyptischen Tieren“
[12]
am Friedhof zu Beginn der Erzählung einen semantischen
Kreis schließt. IV. Homoerotik und Kunst „Mit Erstaunen bemerkte Aschenbach,
daß der Knabe vollkommen schön war.“ Der junge Tadzio wird zum reinen
Kunstwerk transzendiert, ihm haftet eine „gottähnliche Schönheit“
an, er erinnert Aschenbach an „griechische Bildwerke aus edelster
Zeit“
[13]
. In Tadzio und seiner Rolle der Passivität wird
einerseits all jene Sehnsucht projiziert, die sich der Schriftsteller
zeitlebens versagte. Der Knabe ist die Jugend, die dem Alternden durch
sich selbst niemals gestattet wurde. Andererseits lässt sich Mann
in eine Metaanalyse ein: Das vollendete Kunstwerk ist jenes, das kein
Zutun benötigt. Es ist eine quasireligiöse mystische Kunstauffassung,
zu deren Ergebnis allein die Götter Macht besitzen. Es ist ein Kunstwerk,
das sich selbst ästhetisiert, ohne äußerliche Bedrängnis, ohne soziale
Erfahrung, ohne das Medium des schweißgebadeten und gequälten Künstlers.
Ein Kunstwerk der unverfälschten Ästhetik, nicht aus dem Schleier
der Problematisierung, der Reflexion, der Rücksicht geboren. Diese
ästhetische Kunst „erhebt“. Aschenbachs Kunst aber, im Schweiße des
Angesichts, legt Hand an sich an, sie „hatte dem Geiste gefrönt, mit
der Erkenntnis Raubbau getrieben, Saatfrucht vermahlen, Geheimnisse
preisgegeben, das Talent verdächtigt, die Kunst verraten“. Die naturgegebene
Ästhetik des „Jünglings Seichtheit“ aber leugnet das Wissen, lehnt
es ab, geht „erhobenen Hauptes“ darüber hinweg. Aschenbach also lehnt
sich auf; er gegen den „unanständigen Psychologismus der Zeit“, Thomas
Mann gegen den aufkommenden Expressionismus des anfänglichen zwanzigsten
Jahrhunderts, und beide verkünden „die Abkehr von jedem moralischen
Zweifelssinn“. Die reine Ästhetik in Gegnerschaft zur Moral. Nietzsche
spricht. Die gesellschaftlich geforderte Moral verhindert die perfektionistische
Entfaltung des Ich, und des Schönen Kunstwerks. Erst die Befreiung
aus der moralischen Maskerade des angeblich Rechten und Guten ermöglicht
die Emanzipation und Erhebung des Ästhetischen. Die „Absage an die
Laxheit des Mittleidsatzes“
[14]
ist Aschenbachs Intention im Elenden.
In Tadzio findet er all diese Ansprüche im lebendigen Gelingen der
reinen Schönheit. Die Klassizität der Sprache
der Erzählung, diese „Wucht des Wortes“, geht einher mit der Forderung
nach dem klassischen Kunstwerk. Widerspruchsfrei lässt Mann seine
Gedanken nicht stehen. Aschenbach, bei allen Gewissheiten, bei allem
Glauben, bei aller Anbetung zum unangestrengten Geistesprodukt, zur
Reinen Schönheit, zweifelt ob seiner endgültigen Wahrhaftigkeit. Denn
bedeutet diese „moralische Entschlossenheit jenseits des Wissens“
nicht „eine Vereinfachung, eine sittliche Vereinfältigung der Welt
und der Seele“? Führt die in sich geschlossene, unhinterfragte, unreflektierte,
unproblematisierte, amoralische und doch wieder in sich moralische
Form nicht zu einer „moralischen Gleichgültigkeit“, ist sie nicht
gar „wesentlich bestrebt, das Moralische unter ihr stolzes und unumschränktes
Szepter zu beugen“
[15]
? Das Wort aber kann ohnehin nicht
zum aus dem Zufall geborenen klassischen Kunstwerk werden. Das Wort
kann die Sphäre der Sinnlichkeit nicht erfassen, die es zu erfassen
gilt. Das Wort ist zu reflektiert, zu qualvoll, zu peinigend, zu schmutzig.
„Er war schöner, als es sich sagen läßt, und Aschenbach empfand wie
schon oftmals mit Schmerzen, daß das Wort die sinnliche Schönheit
nur zu preisen, nicht wiederzugeben vermag.“
[16]
Aschenbachs Schriftstellertum kann nur die Vorstufe
bedeuten, die Ästhetik des Knabens Gesicht ist die Vollendung. Thomas Mann versteckt seine
Homosexualität, transzendiert sie in jene Aschenbachs und ästhetisiert
sie im Erlebnis mit Tadzio. Der Schriftsteller verachtet die Geschlechtlichkeit. Er empfindet Ekel vor ihr, wendet sich ihr nach
jugendlichen Ausschweifungen ab und heiratet die großbürgerliche Katia
Pringsheim. Er wird Familienvater und –oberhaupt, und lernt mit der
Sehnsucht zu leben. Der Schopenhauerische Wille
findet Eingang im dichterischen Werk, unablässig und monströs. In
den sicheren Grenzen der vermeintlichen Fiktion wird die Liebe zum
Mann ausgelebt; nicht unvermittelt, nicht umschweiflos, nicht freimütig.
Thomas Mann findet die Erlösung aus der verhassten Geschlechtlichkeit,
aus dem Trieb, aus dem Ungeistigen in der Verkehrung der Homosexualität
in die Homoerotik. Diese Homoerotik wird durch die ästhetische Sinnlichkeit
aufgewertet und intellektualisiert, ihr wird jede körperliche Leidenschaft
rücksichtslos entzogen. Ihr Fundament findet Mann in der griechischen
Antike; eine unschuldige, gesellschaftlich gefrönte Knabenliebe und
Platons Sinnlichkeit des Schönen Kunstwerks. Die Homoerotik ist rein,
weil sie der lebensbejahenden und zweckvollen Zeugung gleichgültig
gegenübersteht. Zwischen Tadzio und Aschenbach spielt sich der Gedanke
eines sexuellen Aktes nicht
ab, vielmehr erlebt der Dichter die reine „Liebe“. Es ist die Liebe
zur Kunst, zur jugendlichen Jungfräulichkeit und Reinheit, ohne den
furchterregenden Beigeschmack der grauenhaften Erkenntnis. So kann Tadzio männlich sein,
und jeglicher Verdacht hinfällig. V. Hitler Die Kunst aber bedeutet den
Tod. Trotz Warnungen, Vermutungen, Gewissheiten verlässt Aschenbach
Venedig nicht. Er folgt Tadzio, dem Todesengel in sein Verderben.
Die Novelle ist neunzehnhundertelf entstanden, kurz vor Ausbruch des
Ersten Weltkriegs, und obwohl Thomas Mann zu jener Zeit publizistisch
auf Seiten jener stand, die lauthals brüllend einen Krieg forderten,
kann Der Tod in Venedig anderweitig, zukunftspolitisch gedeutet werden.
Aschenbach, den „Psychologismus“ seiner Zeit ablehnend und die Geistlosigkeit
und reine Sinnlichkeit anstrebend, lebt eine Zeittendenz, die dem
Faschismus vorgearbeitet hat mit seinen nationalistischen Hurrarufen,
den subtilen Vorahnungen, den unbeirrten Weg in die letzte Konsequenz
in der Gefolgschaft Hitlers. Es gab eine Neigung der Intellektuellen
jener Zeit, dem Nationalsozialismus und seinen rassisch fundierten
und mystisch verklärten Theorien ihren Tribut zu zollen. Eine Sehnsucht
nach Romantik, nach nationaler Einigkeit, nach protestantischer Düsternis.
Hamsun, Heidegger, Benn. Eine Sehnsucht nach mörderischer Sinnlichkeit.
Tadzio, der Todesbote und Erleuchter, deutet in Aschenbachs letzten
Sekunden ins „Verheißungsvoll-Ungeheure“
[17]
. Der deutsche Realfaschismus sollte das „Verheißungsvoll-Ungeheure“
werden. [1] Alle Zitate aus: Thomas Mann: Der Tod in Venedig. In: ders.: Die Erzählungen, S. Fischer –Verlag: Frankfurt am Main 2005. S. 444.
[2]
S.
442.
[3]
S.
441.
[4]
Alle ebenda.
[5]
S.
443.
[6]
S.
436.
[7]
Alle
S. 437f.
[8]
S.
437.
[9]
S.
454.
[10]
S.
456ff.
[11]
S.
459.
[12]
S.
437.
[13]
S.
461 bzw. 465.
[14]
Alle
S. 446f.
[15]
S.
447.
[16]
S.
489.
[17]
S.
516.
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