schandfleck.ch_textkritik/2005/august |
daniel
costantino
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MEERES STILLE |
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über
die frage, was ist ein gutes gedicht?
ich habe nicht die absicht, mit langatmigen teorien zu langweilen, weder mit versmassen noch epochen, sondern lade ein, unverzüglich in die welt der poesie einzutauchen und dem wohlklange der deutschen sprache zu lauschen und dem folgendem gedicht: Traurigkeit Die mir noch gestern
glühten, Ich seh sie fallen,
fallen Der Himmel hat nicht
Sterne, Wer kann sein Herz
behüten hohe kunst, nicht
wahr? unverwechselbare klänge, die nur aus der feder eines meisters
fliessen, nur von einem wirklichen dichter stammen können. und
so gekonnt geheimnisvoll und vielschichtig: sinds blüten, die glühten,
oder die freunde gar? der meister deutet an, weckt ahnung und verzauberung,
ohne gleich mit dem zaunpfahl zu winken. oder nicht? wie sinnbildhaft
doch der baum der traurigkeit, diese rare und exquisite substantivverbindung,
der gefühlvolle und sensible schwang! und tatsächlich: auf
gefallenen blüten hallen selbst keine poetenschritte mehr, da müsste
schon lehm oder würde kies unter den sohlen...hallen, halt. oder
knirschen? aber wie würd sichs auf fallen dann reimen? wär
auch ein zu prosaisches verb, hinwiederum. oder dröhnen, tönen,
klingen? so sind die pfade der poesie verschlungen und verfallstrickt,
sozusagen, denn ändert man ein wort, und wärs der genauigkeit
wegen, verrutscht die ganze komposition. auch eine mozartsonate wär
zerstört, tauschte man zum exempel ein beliebiges fis aus mit etwa
einem f, was ja naheläge, fast ebenso nahe wie schritte, die hallen
- die ganze tonart wäre futsch. verriete ich nun, das gedicht sei
am anfange oder in der mitte des 19. jahrhunderts geschrieben worden,
sagen wir zur schaffenszeit eichendorffs, lenaus oder platens, würde
mans glauben? doch lenau war fast hundert jahre tot, als hermann hesse
1944, in welch böser zeit! dies werk verfasst. es ist künstlerisch
völlig impotent, ja kitschig. ohne scheuklappen betrachtet und
im ernst: die zweite strofe wär glatt noch für einen primaner
zu schlecht. wie abgedroschen doch der himmel ohne sterne, ein herz
ohne liebe, wie bieder, banal, poetisch längst mausetot in hesses
zeit. das ist nicht einmal mehr epigonal, nachahmend, das wär vor
hundertfünfzig jahren schon nicht mehr zweitrangig gewesen. gewiss
kann auch kunst noch sein, was nicht mit allen traditionen bricht, was,
kongenial nachempfunden, bereichern, hinzuzufügen vermag. bach
hat der musik des barocks, anders als die avantgardisten seiner zeit,
zu einer letzten, grossen blüte verholfen, sie noch einmal um seinen
typischen klanglichen kosmos bereichert. wie einen guten komponisten,
erkennt man auch einen erstrangigen dichter an seiner musik. doch wenn
mans nicht kennt, dies gedicht, man käme auf niemanden. irgendwer
könnte es geschrieben haben, nur kein dichter. in mancher familie
kommt ein oheim vor, eine tante, die nicht schlechter reimt. wer dermassen
stümpert wie hesse, liegt auch hinter der originalen romantik zurück
und hätte zu lenaus zeiten wohl mit der feder der höfischen
dichter gekritzelt. November Rings ein Verstummen,
ein Entfärben; Von hinnen geht
die stille Reise, Die Vögel zogen
nach dem Süden, In dieses Waldes
leisem Rauschen ich denke, der qualitätsunterschied ist ohne weiteres spürbar, man muss garnichts von gedichten verstehen. ganz andere, musikalische bögen, wirkliche stimmung, poesie. wie dürr, farblos und eindimensional doch dagegen das andre gedicht! was hesse macht, ist nicht nur banal, sondern direkt verlogen und betrogen. bei lenau jedoch gemütsbewegung, sentiment, ehrliches und gültiges handwerk. prüfen wir noch einmal hesse: Regen im Herbst O Regen, Regen im
Herbst, Du aber traure,
Lieber, wem beim lesen dieses gedichtes die pötische seele schwingt, dem ist kaum zu helfen, fürchte ich. ich behaupte, man kann alle gedichte hesses lesen, man wird da und dort ein etwas besseres, weniger katastrofales finden, aber gewiss kein einziges erstrangiges. auf diese stufe sinkt, in diese grube fällt kein meister je. nicht nur, dass es jeder seelischen regung entbehrt, jeder begabung spottet, dass es rein beschreibend, geradzu lächerlich instruierend wirkt - es ist einfach indiskutabel, gerade schlecht genug, in einem traktätlein für fromme, abgelebte seelen gedruckt zu werden. o regen, regen! bäume mit müde sinkendem spätlaub! mit! tappende und trunkene salamander und gurgelnd unendlich gewässer! und, achja, die feste der jugend, gott! mein herz! im 20. jahrhundert! - nein, das ist alles einfach unsäglich, unsäglich! einem blümeranten gemüte, einer verknullerten seele vielleicht zuträglich, aber doch keinem guten geschmack! als hätt ers selber gewusst, hat hesse einst gedichtet: Das ist mein Leid Das ist mein Leid,
dass ich in allzuvielen Das muss ich meinen
Jammer nennen: niederschmetternde selbsterkenntnis. in einem nur hat sich der epigone hesse getäuscht: allzugut hat er keineswegs gespielt, und allzugut hat er nicht getäuscht. dass aber die welt betrogen sein will, ist eine andre geschichte. ein zeitgenosse hesses, zehn jahre später, 1887 geboren, aber jung, 1914 bereits, gestorben, hat das folgende gedicht geschrieben: Föhn Blinde Klage im
Wind, mondene Wintertage, Verwandelt in purpurne
Träume Schmerz und Plage Tief der Wind in
zerbrochenen Bäumen, Dieser schweigenden
Trauer; Nächte, nicht wahr, würde man etwa einen komponisten bitten, ein gedicht zu vertonen, dieses oder ein anderes von georg trakl würde sich bestimmt lohnen. kein zweifel, es hat stimmung und dichte. die bilder leben auf, die lautmalerei, nicht aufdringlich, aber bestechend, gefühlvoll, zeugt von hoher dichterischer kraft. er traut seiner sprache etwas zu, wagt sich über die grenzen konventioneller zuschreibung hinaus, die stimmung verdichtend, der empfindung verhaftet. wenn ich auch die dritte zeile der zweiten strofe diskutabel finde, etwas umständlich, mir auch die nächste zeile etwas abgewetzt vorkommt, so überzeugen mich doch der insgesamt kühne wurf, die nuancen, der sensible aggregatszustand der seele. nichts ist vorhersehbar in diesem kunstwerk, alles emotional gesteigert und souverän gestaltet. für einen menschen wie trakl muss schreiben eine art gewesen sein, intensiv zu leben. ich empfehle sehr, sich mit seinen gedichten zu befassen. er führt seine eigene, ganz typische sprache. trotz der schwermut, manchmal auch dem wahnsinn in seinen versen, strömt eine begütigende ruhe, ein glücksgefühl durch sein werk, das ganz und gar unverwechselbar erscheint: der daumenabdruck eines grossen. lauschen wir noch seinem Frühling der Seele Aufschrei im Schlaf;
durch schwarze Gassen stürzt der Wind, Feierlich rauschen
die Wasser. O die feuchten Schatten der Au, Reinheit! Reinheit!
Wo sind die furchtbaren Pfade des Todes, Schwester, da ich
dich fand an einsamer Lichtung Dunkler umfliessen
die Wasser die schönen Spiele der Fische. Leise tönen
die Wasser im sinkenden Nachmittag
um den unmittelbaren eindruck nicht zu verwischen, möchte ich gleich zu einem andern werk überleiten und fragen, was man nach der offenbarung trakls von folgendem gedicht halten mag: Freies Geleit Mit schlaftrunkenen
Vögeln Die Flüsse
wallen ans grosse Wasser, Die Erde will keinen
Rauchpilz tragen, Mit uns will sie
die bunten Brüder Für uns pflanzt
sie Korallen ins Meer. Die Erde will ein
freies Geleit ins All vergleicht man ingeborg bachmanns gedicht mit jenem trakls, so lässt sich wohl kaum behaupten, die bachmann führe eine unverwechselbare sprache, eine ganz eigener prägung. grossartig das spiel der vokale in trakls auftakt: Aufschrei im Schlaf;
durch schwarze Gassen stürzt der Wind, indes bachmanns beginn: Mit schlaftrunkenen
Vögeln schon viel weniger besticht, was ebenso für den stabreim gilt. beide künstlerische elemente ziehen sich durchs ganze gedicht trakls, unaufdringlich und meisterhaft, besonders schön zum beispiel hier: Reinheit! Reinheit!
Wo sind die furchtbaren Pfade des Todes, während nach bachmanns zweiter, sehr gelungener, vielleicht auch schon ein wenig forcierten strofe: Die Flüsse
wallen ans grosse Wasser, die lautmalerei überhaupt keine, der stabreim doch höchstens noch zufällig eine rolle spielt. ab der dritten strofe verkommt das gedicht zu einem absolut poesielosen konstrukt, weder sprachlich überhaupt interessant noch inhaltlich im entferntesten überzeugend. die erde will keinen rauchpilz tragen! will kein Geschöpf
ausspeien vorm Himmel, das ist doch geradezu quatsch, kindischer schwulst. es riecht, ich kann mir nicht helfen, irgendwie nach politischer korrektheit in diesen strofen, und sehr nach uninspiriertem geflunker: Die Erde will ein
freies Geleit ins All wer das erträgt!
ein häufiges fänomen in bachmanns gedichten, dieser plötzliche
und irreversible fall ins plumpe, patetische, völlig aufgesetzte
und verbiesterte. es verbietet sich jede gleichstellung ihrer lyrischen
werkes mit der magie, der ausdruckskraft und der grossen seelentiefe
der traklschen gedichte. natürlich, nicht jedes seiner werke erhebt
sich zu vollendeter grösse, nicht alle poeme bachmanns sind gleich
schlecht. aber grösse und glanz hat keines, indes trakl nie und
nimmer auf ein solch beklagenswertes niveau herabsinkt. die bachmann,
behaupte ich, ist nicht zu identifizieren. man käme niemals, jedenfalls
nicht nach künstlerischen, sprachlichen kriterien, treffsicher
auf ihren namen, würde einem eines ihrer gedichte vorgelegt, das
man nicht schon kennt. so typisch ein bach, ein mozart, ein john cage
komponierte, ein ligeti seine klangwelt erschafft, so unverkennbar dichtet
ein lenau meistens, schreiben goethe und trakl stets und führt
auch ein erich kästner die feder, wenn auch auf nicht ganz so hohem
poetischen niveau wie die beiden vorgenannten. aber eben doch auch er
solid, meisterhaft und gültig. Die gestundete Zeit Es kommen härtere
Tage. Drüben versinkt
dir die Geliebte im Sand, Es kommen härtere Tage. diesem bloss retorischen gehabe, dieser nicht einmal intellektuellen, geschweige denn sinnlichen kost, diesen geradezu lächerlichen interjektionen sei gegenübergestellt der Abschied Du füllst mich
an wie Blut die frische Wunde Entfremdet früh
dem Wahn der Wirklichkeiten, Manchmal noch denkst
du dich -: die eigene Sage -: Ein letzter Tag
-: spätglühend, weite Räume, sehr schöner beginn, nichtgekannter, sinnlicher und stimmungshafter vergleich: Du füllst mich
an wie Blut die frische Wunde sprachliches feingefühl hohen grades an manchen stellen, etwa in der letzten zeile der ersten strofe die originelle einbettung der partizipwendung: zuviel gelitten und zuviel gewusst, auch die dreimalige beschwörung: mein wort, mein himmelslicht - klagend, insistierend, resignierend - trotz der viel intellektuelleren federführung gottfried benns im vergleich zu trakl, der geringeren musikalität seiner gedichte, mehr dem geist als der seele verschrieben, mehr spannung als stimmung erzeugend, dem filosofischen mehr als dem rein künstlerischen, sinnlichen zugetan, halte ich ihn für einen bedeutenden seines fachs, einen meister der formulierung und einen grosses des geistes. ich habe von anfang an solch genialisches, begeisternd rytmisches und sprachartistisches, ja, -dompteurhaftes geliebt wie etwa Ein Wort Ein Wort, ein Satz
-: aus Chiffren steigen Ein Wort - ein Glanz,
ein Flug, ein Feuer, benn macht süchtig, jedenfalls mich. die bachmann aber kann lyrisch keinem anspruch das wasser reichen. weder ist in ihrem lyrischen werk (und ich vermute deshalb: auch in den prosastoffen) eine besondere sprachliche begabung zu erkennen, noch kann von einem redlichen intellektuellen bemühen gesprochen werden. etwelchen kostbaren und sehr vereinzelten strofen stehen unzählige irrelevante, nichtssagende produktionen, türmen sich blutleere und billige trivialitäten entgegen, fastfoodreimereien überhaupt keines geschmacks. was sich leider ebensosehr von den lyrischen ergüssen, oder was dafür gehalten wird, der neueren und neusten zeit sagen lässt. ob die zeitläufte schlecht für die dichter und der markt nur konfektionsware zulässt und belobigt und bepreisverleiht? klar ist alles schon gedacht und gesagt worden, doch darum kann es in der poesie und ganz allgemein in der literatur nicht gehen: das kriterium für qualität heisst einzig - die form. wie etwas gesagt wird, auf welche weise neu, unverwechselbar. man lebt nicht mehr in der zeit goethes, und darum ist auch unser lebensgefühl ein anderes. kunst aber schafft nur, wer ein echtes lebensgefühl zur sprache bringt, wer selbständig denken und erfühlen kann und nicht einfach irgendeiner mode, einem gerade aktuellen mainstream nachhinkt. oder vorauseilt, jenachdem. aber da ich gerade bei goethe war, der 150 jahre vor gottfried benn lebte und schrieb - hat nicht des jüngeren gedicht ein wort' alles von des alten souveränität im nachstehenden werk: Meeres Stille Tiefe Stille herrscht
im Wasser, hier treffen sich, über die generationen hinweg, zwei geniale poeten - in ihrer eigenen sprache, aus dem erfahrungsschatz ihres eigenen lebens in ihrer zeit formend und dichtend, unter ganz andern umständen lebend, vom geistesleben ihrer epoche geprägt - und treffen sich im menschlichen, in der grossen seelenspannung unserer gattung wieder. |
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