2.
september 2004, ein uhr mittag, gespräch auf schweizer radio drs1
mit dr. bertino somaini.
eben ist eine studie vom
bundesamt für gesundheit herausgekommen: ein drittel der bevölkerung
in der schweiz sei zu schwer, zu dick. dem müsse einhalt geboten
werden, denn das koste viel, viel geld. 3 milliarden franken pro jahr
müssten für die folgekosten - behandlung von diabetikerinnen,
unfallkosten, medikamente etc. -, die übergewichtige verursachten,
aufgebracht werden.
so, so.
und was weiter an analyse und vorschlägen zur verbesserung'
der situation folgt, mutet fadengrad faschistisch an.
das "zauberwort" heisst body-mass-index: eine berechnungsart
des idealen' körpergewichts. wer hier über einer entsprechenden
norm liegt, ist zu dick und hat abzuspecken. die angabe einer norm und
damit die zeichnung derer als abnorm und krank, die diese norm nicht
erfüllen, hat züge des totalitären und unterdrückt
ganz direkt; genauso wie bereits die bennenung der fettleibigkeit mit
medizinischen fachausdrücken (z.b. adipositas, lipomatose u.a.)
die bezeichneten abstempelt und aussondert. der body-mass-index ist
nichts anderes als eine form, in die man das menschenfleisch hineinpresst;
eine geistige, d.h. überaus effektive, weil vordergründiger
freiwilligkeit gemässe, wursterei. wobei hinten dann selbstverständlich
keine würstchen rauskommen sollen, sondern fitte, gestählte
körper nach mass. (wann kommt der index für die ideale körperlänge?)
der körper wird beherrscht, falls nicht in freiwilliger selbstkontrolle,
halt mit sanftem druck von aussen - das ist ein entzug der selbstbestimmung
des individuums, körperliche gleichschaltung.
erstaunlicherweise hat diese krankheit', welche als "schleichende
epidemie" (nazi-slang!) erkannt ist, für einmal nichts oder
nur ganz am rande etwas mit genetik zu tun. die hauptursachen werden
bei der falschen ernährung - zu fett, zu süss, allgemein zu
einseitig - sowie im bewegungsmangel geortet. so weit, so gut, mira,
nun aber folgt der hammer: der grund dafür, dass wir uns falsch
ernähren und zu wenig bewegen, liegt bei unserem wohlstand und
unserer bequemlichkeit. wenn wir dann noch erfahren dürfen, dass
fettleibigkeit vor allem die arme, untere gesellschaftsschicht betrifft,
wird das warme gesicht des lieben doktors auf einmal zur stinkenden
fratze des eugenikers.
lässt man den firlefanz von pseudowissenschaftlichem speach und
vorgegebener fürsorge weg, vernimmt eine/r circa solches: "fette,
faule arme, reisst euch gopfertami am riemen, ihr kostet zu viel, euren
wohlstand können wir uns nicht leisten - und: wenn ihr nicht wollt,
dann bezahlt ihr, und zwar über eine nicht verbilligte krankenkassenprämie.
doktor somaini kann sich zum beispiel vorstellen, dass jede und jeder
jährlich zur body-mass-index-kontrolle geht; wer sie erfüllt,
erhält eine verbilligte krankenkassenprämie. das sei ein positiver
ansatz der belohnung für die, die ihren beitrag ans allgemeinwohl
leisten. (auch er muss um sein gewicht "kämpfen", also
sollen das die anderen gefälligst auch - auch "kämpfen"
ist nazi-sprache.) "dabei handelt es sich keineswegs um einen staatlichen
eingriff in die privatsfäre", sondern hilft quasi der ganzen
gemeinschaft schweiz, gesund zu bleiben... man vernimmt ein völkisches
wispern, ganz sachte, sachte. auch soll ein nationalrat - der name wurde
leider nicht genannt - eine motion für die einführung einer
fettsteuer eingereicht haben.
selbstverständlich kein wort darüber, dass die gesunden'
bioprodukte sehr viel teurer sind; wenig differenzierte worte darüber,
inwiefern die autoindustrie (fahrt velo!), die fernsehindustrie (sitzt
nicht vor dem fernseher rum!) oder auch die fastfoodindustrie (esst
mehr spaghetti und äpfel bei muttern zuhause!) sich an ihren konsumentinnen
dumm und dämlich verdienen bzw. die eben beschriebenen güter
auch als die zu erreichenden ideale von genau denselben gepriesen werden,
die jetzt die fetten weghaben wollen. denn selbstverständlich:
auto, fernseher, fastfood können nichts dafür, dass sie gebraucht
werden (und propaganda hat noch nie gewirkt, ausser bei fidel castro).
die interviewerin, sonja hasler (studierte teologin), unterliess jegliches,
aber auch wirklich jegliches kritische nachfragen.
den armen wird immer dreister der krieg erklärt.