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schandfleck.ch_archiv/2004/september
daniel costantino

die folterdebatte im "spiegel"

das ding gilt als intellektuellenblatt, leibspeise denkender menschen, leuchtturm des journalismus, preisgekrönt gerade deshalb immer wieder, bisschen kopflastig, doch unerreicht und vielbenieden. augstein und seine mannen, die ausgezogen, die politiker das fürchten zu lehren und für die demokratie wie gegen überdimensionierte windmühlen ankämpfen, wo es geht, sümpfe der korruption trockenlegen und gegen lüge und betrug die meinungsfreiheit verteidigen.

ja, meinung und so: wichtiges gut, verantwortung, erziehung zum staatsbürger, der sich eine bilden soll.
eigene, klaro, nicht einfach dreinfahren drum und ausgewogen.
objektiv!

wie das geht?
die sache erwägen. daher ja das wort ausgewogen. aber auch eine spur drehen schwingt mit: hin und herdrehen, verschiedene seiten der medaille. wägen und wägen, drehen und drehen.
erziehen heisst, sagt karlheinz deschner, einen kopf drehen, bis er verdreht ist. natürlich auf den neusten stand.

so macht man das:

"rückkehr in die barbarei! die dunkle welt der folter!" prangt auf der titelseite 36/04.
als wäre die menschheit je die barbarei losgewesen. das suggeriert doch das wort rückkehr? ja, kein zweifel.

illustriert, wegen meinungsbildungsprozess und so, mit greulichen folterbildern, einer zeichnung aus alten zeiten, ziemliches mittelalter, wies scheint, und aktuellen fotos.
etwas aus finsteren mittelalterlichen zeiten verbanntes holt die hightechmenschheit wieder ein.
mehr als worte wirken ja bilder, vor allem bei intellektuellen.

brr aber auch!
bin schwer beeindruckt, fassungslos, muss ich sagen.
zum glück muss meine oma das nicht mehr miterleben!
unverzeihlicher ausrutscher abscheusslicher individuen! und das in unserer zeit! freie westmenschen!
wo doch in aller welt, der westlichen mindestens, die waffenarsenale vor friedenswillen strotzen, mit bombastischem nachdruck nichts anderes als menschenwürde und friede verteidigt wird mit den armeen, mehr, oft geradezu kategorisch herbeigeführt, erzwungen. nimmt man doch häufig sogar die mühe auf sich, die freiheit in andere länder direkt zu bringen, so gutedel ist man drauf zuweilen, heutzutage. weit fortgeschritten in der humanisierung des planeten quasi.
jetzt haben wir also diesen hübschen kleinen befreiungskrieg dem irakischen volk zuliebe, und dann pfuschen einem ein paar folterer ins geschichtshandwerk, pfui! würde ich auch eine schlagzeile drausmachen, wenn ich spiegel hiesse, aber ganz sicher.

schwer beeindruckt also. ich, kleiner wicht, der mit roten ohren der dinge lauscht, die ihm aus der weiten welt kundgetan. bisschen aufgegeilt gar, hm? oder muss ich mir die sache aus höheren gründen reinziehen, so als intellektueller sollte ich ja informiert sein, nicht wahr, und nicht abgehoben im elfenbeinturm so vor mich hin denken und seelenputzend dahindümpeln. kein wichtiges tema verpassen, nur das nicht!

kleine gedächtniszelle aus besagtem elfenbein meldet sich blöderdings: da hast du doch paar nummern zuvor ganz anderes gelesen....scheisse, wenn einer mit einem solchen sprachgedächtnis geplagt. nämlich über die feiern zum 60. jahrestag des d-day. ja, feiern. nicht feste gerade, das nun nicht. freude eierkuchen für gehobene sozusagen, für intellektuelle zum beispiel (23/04):

"mit der landung der alliierten in der normandie am 6. juni 1944 begann die befreiung westeuropas."
aha. krieg und befreiung. kühle zweck-mittel-analyse, zwickdiemittel-system:
"die invasion verkürzte den krieg - und bewahrte die westdeutschen vor stalins truppen."

die haben nämlich brutal gefoltert und misshandelt! habt ihr nicht gewusst? die kamen nämlich aus dem osten!
oder bin ich jetzt schon zu emotional? mehr sachliche berichterstattung lesen, zur kur. zum beispiel in meinem leibblatt:

"der angriff verkürzte den krieg um etliche monate - und ersparte den verlierern damit den abwurf amerikanischer atombomben, wie ihn die japaner im august 1945 erlebten. vor allem aber verhinderte die frühe präsenz der gis auf dem festland und ihre eroberung westdeutschlands einen durchmarsch stalins bis an den rhein. ohne die invasion, das ist gewiss, hätte es eine freie bundesrepublik nie gegeben. in der normandie erkämpften sich die amerikaner das moralische recht - und die praktischen voraussetzungen - in der nachkriegszeit europas schicksal mitzubestimmen."

also der atombombenschmiss wäre weniger schlimm gewesen als stalins truppen. die lieben amis hätten selbst das für uns getan! westdeutschland wäre nie, nie, nie eine demokratie geworden. ostdeutschland ist es ja bis heute nicht, nicht wahr. aber es wäre eben alles anders gekommen. die russen hätten auf ewige zeiten alles geschluckt. mindestens tausenjähriges reich. zum frühstück drei eier im glas, wodka pur, und dann wird kräftig an den demokratien gerüttelt. cha-cha-cha!

wes brot ich fress, des lied ich sing. gilt nicht nur für den spiegel. auch für die preisverleiher. alles in allem also eine "heroische vergangenheit" dieser krieg, lese ich.
naja.
"batteriestellungen samt besatzung wurden zerfetzt, minenfelder gingen in die luft, munitionslager explodierten....11912 tonnen bomben gingen allein am d-day nieder....man kam sich vor wie schlachtvieh...."

heroisch also. wacker. moralisches recht. befreiung. vom faschismus, dem kommunismus, und überhaupt.
rührende amerikanische fürsorge. fürsorglichkeit ganz generell von bomben und giften und raketen für europa, demokratie, menschenrechte, freiheit undsofort.

"der vergleich mit der heroischen vergangenheit ist für bush allerdings riskant..."

kleiner sprachkritischer einschub, ich lass mal die experten sprechen:
"das beste mittel zur unterwerfung von menschen ist die unterwerfung ihres geistes, und diese ist dort am wirksamsten, wo die dazu verwendeten lehren der menschlichen illusionsbedürftigkeit entgegenkommen." (www.sprachkritik.de)

ganz sachlich, plötzlich, dann wieder das interview mit dem historiker oder was in 35/04. fachsimpelei über die richtigkeit der alliierten-taktik, das deutsche volk durch pausenloses bombardemt wichtiger städte zu zermürben und es mit seinem führer zu entzweien. nicht, ob die taktik vertretbar gewesen, ist die gretchenfrage, sondern, ob sie aufgegangen sei oder ob nicht anderes entscheidender war...

perfider vielleicht, und deshalb effizienter?
hätt ich doch besser aufgepasst im geschichtsunterricht!

wie immer: zehntausende, hunderttausende gequält, verkrüppelt, mausetot.
kein skandal. nix barbarei, dunkle welt und folter und so. hier - für die freiheit. moralisches recht. heroisch.

doch da nun, 36/04, über die folter, als wäre ein schöngeschnorrter krieg, als wären atombombenschmeissereien nicht die steigerung des worts. rückkehr in die barbarei! dunkle welt der folter! die "geissel der götter".
welch schwachsinniger, schwülstiger quatsch!

"charles graner", einer der folterknechte im irak, "wurde durch solche folterfotos zu einem symbol des skandals, der die westliche welt erschütterte und die nahöstliche in all ihren (vor)urteilen bestätigte."

bisschen viel aufs mal, find ich. bin doch wohl zuwenig intellektuell, das alles zu raffen. also "der spiegel" publiziert die fotos, marktschreierisch, eierkützlerisch, bauscht alles zu einer riesigen wiederkunft des bösen auf erden auf, indes er noch weit schlimmeres schönfärbt, und jetzt ist der graner schuld:

"weiss er, was er angerichtet hat? ahnt er das weltweite entsetzen, das die bilder, welche die ermittler auf seinem laptop fanden, ausgelöst haben?"

jetzt sind ein paar folterer schuld dran, dass die westliche welt, offenbar in ihren moralischen grundfesten, erschüttert ist. ins mark getroffen, götter!
ein solcher eiertanz. und in welcher kloake! doch statt blut spritzt ja nur druckerschwärze herum.
aber eben die westliche welt nur, die erschüttert, wird auch noch gesagt. offenbar denkt ja die nahöstliche sowieso wie der spiegel nur in vorurteilen.
‚ah, diese scheisswestler, folterknaben, pfui!'
obzwar weiter unten steht, dass dorten ja auch gefoltert werde und wurde, von saddams schergen beispielsweise.

also welche bestätigung nun des nahen ostens?

wo wäre denn intellektuelle redlichkeit oder so etwas wie eine halbwegs moralische haltung hinter diesen zuweisungen und dem ganzen geschrei auszumachen?
aber voll die moralische schlachtkeule ausfahren, gelle?
immer draufgehauen, wenns grade opportun!

heroische morgartengeschichten, böse, böse einzeltäter, leider. weiss "der spiegel", was er anrichtet in den köpfen seiner leser, wenn er so zu schreiben beliebt?
es sieht nicht danach aus. -

"wie konnte es passieren, dass der von präsident george w. bush ausgerufene krieg gegen den terrorismus an der frontlinie mit ähnlich brutalen mitteln geführt wird, denen sich auch die gegner bedienen?"

ganz einfach: indem die geschichtsklitterer ihr handwerk schon am aktuellen geschehen ausüben. so wird das volk allmählich dummgemacht, so dumm, wie es die presse eben haben will. erst dann kann man ihm die sache so auftischen. wie denn sonst konnts passieren, dass wir den demokratischen kriegern nie, aber wirklich auch nie zugetraut, dass sie ähnlich brutal metzeln, verstümmeln und....ja, foltern wie ihre gegner?

man drücke mir nicht auf die tränendrüse und halte solches geschwiemel für glaubhaftes entsetzen ehrenwerter gutmenschen. ach wo.

aber denn doch, der ehre halber seis dem "spiegel" gepfiffen mit trompeten, ein wenig kritisch:
"hat nicht der us-präsident selbst die atmosfäre für einen rechtlichen freiraum im weltweiten gefangenen-archipel der usa geschaffen - und gehört er, mindestens moralisch, gleichfalls auf die anklagebank?".

ja, mit fragezeichen und keiner antwort drauf hat man dem leser eben ermöglicht, sich seine eigene meinung zu bilden. durch astreine information, tatsachenberichte, nichts als die sauberkeit pur.
dass die regierungen moralisch verludert sind, haben nur "der spiegel" und andere erzeugnisse der pressefreiheit noch nicht bemerkt. und das glaub ich denen aufs wort. weil sie selbst ein teil dieses systems, ihr propagandistisches sprachrohr sind.
das grundschema: die herde soll glauben und gehorchen.

man lese diesen schwulst nüchtern, welch groteskes lügengebäude steckt darin:
"'god's own country', stets auf moralische lufthoheit bedacht und nach eigenem bekunden angetreten, freiheit und demokratie nach nahost zu bringen, machte sich schlicht unglaubwürdig....die ausnahmesituation ist nun keine ausnahme mehr, die dunkle macht der folter hat auch die usa verführt."

wäre ich journalist und der aufklärung verpflichtet, wie flössen mir solche sätze aus der feder? nie was gehört von negerversklavung, indianerausrottung, atombombenwürfen vietnammassakern, wirtschaftskriegen, erdölmultis....die reihe liesse sich beliebig fortsetzen. ich zähl doch nur auf, was jedem kind bekannt. wer kann sich da noch unglaubwürdiger machen, als er schon ist?

der spiegeljournalist.

es wird sogar noch krauser:
"die fantastischen ausgeburten der quälenden - von daumenschrauben, würgeeisen bis zu elektroschocks und psychotorturen - verraten auch die nie versiegende lust der menschheit an ihrer selbstzerstörung."

uff! also die lust der menschheit...nee. und was foltern mit selbstzerstörung denn zu tun hätte - leeres, weisses papier.

nein, nicht leeres papier. vier seiten werbung. toyota. jeans. deka. spiegel-leser wissen mehr.

kleines àpropos: als dunnemals, so ums jahr 1990, ein deutscher bundestagspräsident zurücktreten musste, weil er in einer rede zum holocaust vom nationalsozialismus als einem ‚faszinosum der geschichte' gesprochen, da hatte gerade "der spiegel" die kampagne zur absetzung mitbetrieben. das wort faszinosum, wurde argumentiert, beeinhalte einen durchwegs positiven begriff und sei also im zusammenhang mit hitlers regime einfach geschmacklos.
und nun die ‚fantastischen ausgeburten' der folterer.
positive allmachtsfantasien?
stellt euch vor: man nötigt den "spiegel", sein blatt einzustellen wg. linguistischer schindluderei. aber subito. geschmacklosigkeit.

schon ein perverses spiel: diese frasendrescherei, orgie obszöner zuhälterei, soll den konsumenten dazu verleiten, die zeitung zu kaufen. soll ihn erschrecken und kitzlig machen. und die rechnung geht erst noch auf. und viele viele arbeitsplätze, gutbezahlte, werden erhalten.

hört, hört, kinder: "folterbank und modernisierung sind zuweilen gefährliche geschwister" - na, jetzt sieht euch aber vor. die schwester der technik ist die folter. seid auf eurer hut!
und die schwester der atombombe ist die freiheit.
nur der unsern, selbstredend.
und der bruder des spiegeljournalisten?

(zensur)


ja, da schlägt sie uns, die ‚stunde der folter'. jetzt ‚lebt sie auf'. wie das nun mal so ist manchmal mit solchen dingen. kriege kommen und gehen ja auch, wies ihnen beliebt. man muss sich ihnen dann bloss noch ‚heroisch' stellen.

blut scheint für diese art journalisten doch nichts weiter zu sein als ein ähnlicher stoff wie die druckerschwärze der marschbefehle. diese dumme, blöde ausnahme der folter! dabei wäre doch ein krieg heutzutage weissgott ‚nichts weiter als ein nach rationalen grundsätzen moderner betriebsführung geleitetes unternehmen, geradewegs die fortsetzung der vernunft mit andern mitteln.' (goedart palm).

na also, freunde, jetzt wissen wirs: die folterpraxis hatte bislang nie system in der vom westen geführten kriege. denn die demütigung des feindes und die menschenverachtung liegen keineswegs in der natur demokratischer kriegsführung. ein gegner, den es zu vernichten gilt, wird von uns allen geachtet. unsre soldaten, wir, sind keine hunde, die lange im keller bellen und nun endlich von der kette losgelassen. unsere zeitungen im freien westen schreiben nichts propagandistisches, welches den feind als teufel und untermenschen charakterisiert, der dann folglich auch so behandelt werden darf. wir führen hier, das beispiel der alliierten beweists, keine primatenkriege. ihre opfer sollen froh sein, von den briten und amerikanern und nicht von den russen verkohlt worden zu sein. krieg heisst hier befreiung.
und wenn nun die befreier foltern, verstösst dies gegen die etikette. bush hats ja schon vorgeplappert: die amerikaner sind nicht so.

irgendwie werd ich den verdacht nicht los, als sei dieser journalismus, am beispiel des "spiegels" hier verdeutlicht, nichts wirklich intellektuelles. kein erzeugnis des denkens- und erkennenwollens. einfach ein reines abklatschprodukt des marktes und der anpassung an ihn.

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