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schandfleck.ch_archiv/2006/april
jan philipp adelmann

über das geldeintreiben in der schweiz

da nichts kommt, überquere ich die strasse. dass ein polizist genau dort, wo ich auf dem gegenüberliegenden trottoir ankomme, auf einem töff sitzt und mir zuguckt, wie ich mich über die fussgängerstreifenpflicht hinwegsetze, übersehe ich. schnell ist der bussenblock gezückt: zehn franken strafe. dem natürlichen instinkt, wegzurennen, widersetze ich mich. verhinderung einer amtshandlung könnte mit gefängnis bestraft werden. und auch die dinge, die ich dem an sich freundlichen polizisten mitteilen möchte, sind unter dem titel beamtenbeleidigung verboten.

in der firma erreicht mich ein schreiben der ahv-zweigstelle. die monatsrechnung wurde noch nicht beglichen; am 13. arbeitstag nach dem fälligkeitsdatum habe ich schon die zweite, eingeschriebene mahnung im haus, 70 franken busse werden gesprochen nebst verzugszins und ich werde auf die strafrechtlichen folgen fortgesetzten nichtbezahlens hingewiesen.

parkbussen, geschwindigkeitsbussen, verwarnungen wegen zu spät eingereichter steuererklärungen, güselsäcke, die zu früh auf der strasse stehen und zu viel lärm nach zehn uhr abends: nichts bleibt unbeachtet, leviathans zahnräder drehen sich unweigerlich. schwere zeiten für kleinkriminelle wie mich!

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am montag am frühen nachmittag sitzt herr k. bei mir im büro. ich habe herrn k. zu hilfe gerufen, denn herr k. weiss, wer in der schweiz die rechnungen zahlt und wer nicht. das heisst, er weiss es natürlich nicht selbst, aber seine datenbank weiss es. denn herr k. arbeitet bei intrum justitia. alles online abrufbar. sein system kennt mehr meiner vergangenen wohnadressen, als ich mich selbst erinnern kann. ich frage alle meine freunde und bekannten ab, sie bezahlen alle ihre rechnungen.

ich hatte einen kunden dabei ertappt, eine grössere bestellung bei mir zu tätigen und die ware gleich nach erhalt auf eBay zum halben preis zu verscherbeln. deshalb sitzt jetzt herr k. in meinem büro und zeigt mir die datenbank. und tatsächlich: da ist der kunde, oskar c., und seine gläubigerliste liest sich wie die gelben seiten. solche kunden werden in der zukunft nichts mehr bei uns bestellen können, denn ab jetzt wissen wir schon im voraus, dass sie nicht bezahlen werden.

doch was soll ich mit oskar c.? die betreibung kostet geld, und wenn er rechtsvorschlag erhebt, darf ich vor gericht erscheinen, das sind hin und zurück 4 stunden fahrt, am schluss erhalte ich einen verlustschein und oskar c. bleibt unbehelligt. es ist sinnlos, das geld eintreiben zu wollen, es ist sicher dass der mann kein geld hat, und wenn er welches hat, dann hat er es auf einem konto, vom dem der staat nichts weiss. und damit kriegt der betreibungsbeamte, wenn er glück hat, von ihm höchstens einen kaffee.

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in einem land, in dem man für den diebstahl einer schokolade einen strafregistereintrag erhält, ist es natürlich auch verboten, serienmässig bei firmen ware zu bestellen und nicht zu bezahlen. der von oskar c. angerichtete schaden dürfte im sechsstelligen bereich liegen. artikel 146 des strafgesetzbuches lässt keinen zweifel, gewerbsmässiges handeln wird mit mindestens drei monaten gefängnis bestraft. also wird die polizei informiert über oskar c. betrug ist ein offizialdelikt, der staat muss auch ohne anzeige aktiv werden, wenn er davon kenntnis hat. nachdem ich mehrheitlich unter der strengen liebe des staates zu leiden hatte, weiss ich jetzt, dass sie doch zu etwas gut ist.

doch die meldung an die polizeiwacht gleich um die ecke von oskar c. wird mit einem anruf erwidert: "melden sie sich doch bei der polizeistation in ihrem dorf, die leiten das dann an uns weiter". aha.

gesagt, getan. ich erstatte hier meldung. der polizist meldet sich bald darauf auch telefonisch: wieso ich denn strafanzeige erstatte, ich solle den mann doch betreiben. ich lege eine feurige rede ein für den rechtsstaat, erkläre dass der zusammenhalt der gesellschaft davon abhängt, solche asozialen elemente zu belangen und dass sogar das raum-zeit-kontinuum betroffen sein könnte. der mann lässt sich schliesslich überzeugen. das ist das letzte, was ich in der sache gehört habe. und da ich im geschäft unglücklicherweise schon das eine oder andere mal mit betrugsfällen konfrontiert war, wage ich die prognose: ich werde auch nie mehr etwas davon hören.

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herr k. sagt, in der schweiz leben wohl 40'000 menschen wie oskar c. davon, sich mittels nichtbezahlung von rechnungen zu ernähren. herr k. sammelt weiter daten. wir versenden nichts mehr an leute, die ein rotes viereck in der datenbank haben. der polizist rennt weiter den leuten nach, die schokolade klauen in der migros und den fussgängerstreifen nicht benutzen. oskar c. hält sich weiterhin über wasser dank firmen, die keine kunden von herrn k. sind. das raum-zeit-kontinuum ist nicht gefährdet. aber irgendwie werde ich doch das gefühl nicht los, dass da irgendwas in einem schwarzen loch verschwindet.

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