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schandfleck.ch_archiv/2005/januar
georg l'homme

virtuell töten

von der simulation zur wirklichkeit

die wirkung von gewaltvollen computergames auf die verstärkung und förderung aggressiven verhaltens ist umstritten. denn kinder und jugendliche können meist zwischen wirklichkeit und fantasiewelt unterscheiden. tod und gewalt werden von kindern oft - mit und ohne computerspiele - im spiel thematisiert. worüber erwachsene reden und reflektieren, das verarbeiten kinder eher spielerisch. "wenn kinder und jugendliche aggressiv oder gewalttätig sind, dann liegen die ursachen viel eher in real erlebter gewalt im direkten sozialen umfeld als bei spielen und medien," so aggressionsforscher allan guggenbühl. anders psychologieprofessor august flammer: "auch fiktive spielinhalte können das verhaltensspektrum von kindern beeinflussen. aggressives verhalten aus spielen kann in frustration oder im affekt durchaus zur realität werden."

in diesem bereich existieren drei genres: semi-realistische first-person-shooters (ego-shooters), militärsimulationen sowie echtzeitstrategiegames.
besonders in ego-shooter-games spritzt blut, und sie gelten als gewaltfördernd und jugendgefährdend. "half life 2" ist ein intensives ballergame "das herausragendste ego-shooter im jahr 2004," so ein begeisterter gamekritiker der auflagenstärksten schweizer zeitung. gemäss neueren analysen machten sogar kriegssimulationen die spieler nicht aggressiver, sondern impften ihnen "nur" ein verharmlostes bild vom krieg ein. militärsimulationen vertuschen die reale brutalität von kampf und krieg. fiktive szenarios, die den spieler in eine fantasiewelt entführen, seien hingegen unbedenklich. "war craft iii" ist ein beispiel für ein echtzeitstrategiespiel in dem orkwesen gegen menschen kämpfen, für einen einzelnen spieler oder für bis zu zwölf übers internet. den spielern sei stets bewusst, wo die spielwelt endet und die wirklichkeit beginnt. simulationen hingegen suchen gerade diese grenze zu verwischen, das macht sie so gefährlich! in dem strategiespiel "command & conquer generals" gilt es städte und länder des feindes zu erobern und zu zerstören. hier kämpfen westliche gegen islamische truppen. ähnliche aber unpolitische spiele mit rittern oder monstern oder mythologischen figuren geben weniger grund zur auseinandersetzung.
in anderen europäischen ländern sind ballergames verboten, die einen bezug zu aktuellen kriegshandlungen haben. die schweiz bleibt da neutral, in den geschäften ist es ein verkaufshit. offizielle verbote oder von eltern sind wenig effektiv und im zeitalter von internet und kopieren oder direktimport umgehbar. spiele der "schwarzen liste" sind attraktiv und reizvoller aber gleichzeitig auch schwerer erhältlich. - es müssen nicht immer gleich verbote sein, doch die schweiz kennt nicht einmal verbindliche altersfreigaben für computerspiele, wie sie für kinofilme selbstverständlich sind. da die mehrheit der spiele unbedenklich ist, hätten die firmen wenig zu verlieren, und ein verlässlicher orientierungsraster würde eltern und verkäufern helfen.

die grenze zwischen fiktiven szenarios und der realität verschwindet zusehends. graphische darstellung wurde perfektioniert, hintergrundgeschichte wird von aktueller weltpolitik entlehnt, und ergänzt wird die computeranimation mit echten, gefilmten kriegsszenen und bildern von getöteten menschen. zahlreiche games laden zum töten in den nahen osten ein: karge landschaften erinnern stark an jene aus nachrichtensendungen, die "feinde" haben orientalische gesichtszüge, moscheen stehen dort mehr als kirchen, existierende städte- und ländernamen lassen keine zweifel offen.
pr-agenturen der militärs arbeiten unter anderem eng mit der computerspielindustrie zusammen. durch kriegssimulationen soll militärisches denken in die zivile lebens- und denkwelt eindringen und fuss fassen. fiktion verschmilzt mit wirklichkeit!
die usarmee wirbt für ihre sache, indem sie auf ihrer homepage einen ego-shooter (ein-personen-kriegsspiel) zum herunterladen anbietet. das gratisgame soll lust auf das armeeleben und den krieg machen. der spieler muss sich dazu ein datenpaket herunterladen und seine email angeben. so kann jeder beim aktuellen kriegstreiben vom heimischen bildschirm mitmachen, inklusive terroristenjagd und wüstenoperation. das spiel richtet sich in erster linie an wehrfähige jüngere männer und ist somit eine neue art der sympathie- und rekrutenwerbung für die armee. ein auszug aus der offiziellen werbung für "america's army": "a thrilling first-person game. become a member of the world's premier land force; trained and equipped to achieve decisive victory anywhere. earn the right to call yourself a soldier, letting the enemies of freedom know that america's army has arrived. make a difference in the world - and in yourself - as you join thousands online, neutralizing threats wherever they arise. honor and integrity will forge your character; bravery and firepower will prove your readiness in any situation. teamwork. respect. action. the adventure starts here!" (ein packendes ein-personen spiel. werde ein mitglied der ersten landstreitkraft der welt; trainiert und ausgerüstet um überall entschiedenen sieg zu erreichen. verdiene das recht dich selber einen soldaten zu nennen, lass die feinde von freiheit/frieden wissen, dass amerikas armee angekommen ist. mach einen unterschied in der welt - und in dir selber - indem du dich tausenden online anschliesst, neutralisiere ängste wo immer sie wachsen. ehre und integrität werden deinen charakter schmieden; tapferkeit und feuerkraft werden deine bereitschaft in jeder situation beweisen. teamarbeit. respekt. handlung. das abenteuer beginnt hier!)
die militärerwartungen wurden weit übertroffen. seit der lancierung anfangs 2003 sind weltweit mehrere millionen menschen der virtuellen usarmee beigetreten. der virtuelle krieg sei noch nie so realistisch gewesen: wer dort mitmacht, lässt sich registrieren, muss zuerst eine virtuelle grundausbildung durchlaufen und sich dann nach armeedienstgraden hochdienen. vom nachladen der waffe, über das pfeifen im ohr nach einem granateneinschlag wird alles simuliert "so realistisch und gut wie nie!" auch eine special-forces version des games wurde schon herausgegeben.
dank den millionen spielern haben die militärstrategen, neben der werbe-, rekrutierungs- und sympathiekampagne gleichzeitig einen kostengünstigen kriegssimulator. sie werden genauestens darüber informiert, wie heimische gamer im realistischsten virtuellen krieg reagieren. die auswertung der spielerdaten ist nämlich kein problem, die bewegungen jedes spielers werden unverschlüsselt per internet übermittelt.
doch die usarmee quälen bereits anfang jahr schwierigkeiten mit spielern, die in ihrem eigenen game schummeln. um das zu beenden warnt der produktionsleiter des schiessspieles im forum, sich mit der usarmee anzulegen. wer im spiel betrüge, werde nicht nur durch die army selbst, sondern auch durch deren partner bei den justizbehörden sowie dem secret service und dem fbi verfolgt. "die army ist verärgert und kommt euch sonst holen". und das ist ja gerade das ziel der ganzen aktion, die spieler für die armee zu begeistern und zu rekrutieren!

doch auch die private konkurrenz schläft nicht. echte fotos und videoszenen aus dem irakkrieg werden im reality game "kuma: war" eingefügt. die einleitung wird als reportage im nachrichtenstil dargestellt. spielern werden auch originalfotos von ermordeten menschen präsentiert. diese bilder stammen unter anderem von journalisten, die sich in die ustruppen integrieren liessen. das kampfgeschehen ist jeweils dem echten krieg nachempfunden und wird von einem virtuellen militärexperten kommentiert und immer wieder die echten videoszenen aus dem irakkrieg. gegen bezahlung können monatlich neue einsatze aus dem netz heruntergeladen werden.

es ist zu befürchten/ zu erwarten, dass die positive und extrem realistische darstellung des tötens die gewalthemmschwelle der gamer auch im wirklichen leben reduziert. die grenze zwischen fiktion und realität wurde definitiv aufgehoben. die zusammenarbeit von militärstrategen und der unterhaltungsindustrie ist ein strategischer coup: "wie hämmere ich den stoff in die köpfe möglichst vieler leute?"

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