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literatur ¦ 2002¦ daniel costantino
tot umfallen

tot umfallen hier vor dem pissoir, entblössten geschlechts wie er gezeugt, folgerichtiges ende einer stolperfahrt voller fährnisse und wirren und schuldhafter drangsal, es wäre denn, nichts würde hernach sich daran ändern, umfallen hier und tot sein, die umstände sprächen nicht dagegen, fast schon im pissoir stehend, einknickend, versinkend wie eine welke rose im weiten meere, und ausser verblühen wäre nichts gewesen, verblassen, verstummen;

erbärmlicher zwar die symbolik des ambientes, ehrlicher auch, die grelle neondiele, die aufsicht polizeilichen videos, die öffentliche preisgabe, der gestank im raume, das wort bedürfnisanstalt alleine schon eine metafer für den zwinger irdischen aufenthalts, doch ebenso am horizont verschwindend allen, die sich seiner kurz noch entsinnen mochten, sich auflösend als eine wolke, deren konturen sich verändert mit der zeit, die wechselnde farben bekannt und nun endlich in der ferne verpuffte, weiss vor der zersetzung wie der kalkstein, der immer grösser wurde vor seinen augen, die gerade dies noch registrierten, angstvoll erstarrt, als hätte er zyankali geschluckt;

ins unendliche wuchs dieser stein, wie sein schrecken an diesem punkte, schwebende mauer, zog auch ihn hinauf, gasförmig sich blähende wand, und er, rest eines zitternden körpers, rotierend, kippend, wurm, wurde aufgesogen und schrumpfte währenddem auf handtellergrösse zusammen, kleiner noch, merkwürdiger noch, als sähe er sich schon am boden liegend als leiche, sich selbst da liegen und bedauernd, und er hätte nicht zu sagen vermocht, was dieser mensch mit ihm gemein, oder zu denken, er war sich nicht sicher, ob er noch hätte sprechen können bei betrachtung seines toten, schwarzgekleideten und des geschlechts entäusserten körpers, ob er des mitfühlens noch irgend imstande gewesen, ja ob er des fühlens jetzt, des erinnerns, um atem ringend und kurz vor der trennung, noch mächtig;

empfinden, merkte er, und es war eine ahnung von leichtigkeit, von freiheit in ihm, nach der er zeitlebens vergeblich gesucht, empfinden wäre nun kein fühlen mehr und kein denken, sondern etwas, was im herkömmlichen sinne nicht existierte, aber doch auf einmal wäre und um ihn herum wäre und sich ausserhalb seiner selbst ausbreitete, oder vielleicht innerhalb und er breitete sich aus, lebte auf, spannte die flügel, oder gar er selber wäre, voll und ganz er selber nun endlich und gar nichts anderes mehr;

und die ihn entdeckten, schrien auf, der erste zur bar zurückfliehend in einer dreistufigen bewegung, rückwärts zögernd, tapsig, dann sich windend und seitwärts abschleichend wie ein ertappter dieb, dann rennend, abgewandt von seinem verderben und sein eignes schon spürend, und an der bar um hilfe und ärzte und notfall gestikulierend, die zweite, nur ein paar augenblicke später, eine putzkraft, unverhofft seiner ansichtig, händeringend, einen halbkreis um ihn und das pissoir herum beschreibend wie eine schnüffelnde hündin und, da der versiffte kalk nicht wich, wieder zurück;

und sein lächeln nun über die peinlichkeit der vorstellung und über das beinah obszöne unbehagen jener, die da noch eintraten, von der frau aber gewarnt und schnell verscheucht, einer italienerin oder spanierin, er konnte die sprachen, einst beherrscht, nicht mehr unterscheiden, vielleicht sardisch, jedenfalls hatte sie ein gutes herz, das anerkannte er immerhin noch, dankbar, ganz ihrer meinung trotz seinem leichten tadel über soviel aufhebens der verängstigten kinder um seine person, sein lächeln nun, sfärisch entrückt, galt auch der eigentlichen selbstverständlichkeit des vorgangs, von der lebende gerne absehen;

und heiter ward es ihm, als er das gesicht seines freundes, oft geträumt, nah wie nie erlebte, seine aura, die ihm nie so tröstlich erschienen wie gerade jetzt, da es zu spät war oder gerade zur rechten zeit, dieses leise, doch entschlossene "kommmit" seiner augen, diese atmende, wogende, liebende brust, glücklich war er, den jungen puls zu spüren seiner durchwachten nächte, der ebenso beiden gemein wie allen;

doch jemand hielt die hand in der tür, die er, zornig plötzlich, wankend, er hätte nicht einmal gewusst, ob noch lebendig oder schon tot, zupresste und mit dem riegel zu verschliessen suchte, den er nach einigem bemühen abgebrochen aus dem halfter baumelnd fand, vernachlässigte kommunale aufgabe, zustemmte mit dem ganzen gewicht seines körpers oder seines geistes und seiner existenz gegen den widerstand einer zähen, das zupacken gewohnten hand, eines ganzen volkes aber auch, als dessen schädling er bis anhin ausgemerzt gehört, immer auf der hut vor den häschern, die er in jedem und allem gewittert, zurecht oder unrecht, und aber die hand widerstand, anscheinend schmerzfrei und unbeeindruckt von der klemme, in der sie stak, als habe sie unanfechtbaren zugriff auf ihn, übergriff, sein kampf erschien hoffnungslos wie jeder kampf, den je er ausgefochten, die türe bröselte schon, die wand knitterte, auch kein riegel hätte da noch geholfen, zuviel zeit hatte er sinnlos verschwendet, ihn zu ziehen, hatte er überhaupt verschwendet;

er fing noch an, die aus der spalte zu ihm hinüberragenden finger, die nach ihm griffen, zu knacken, zu brechen, zu zerbeissen, doch die andern dahinter lachten nur grob, wechselten sich der reihe nach ab, und dem letzten und einzigen wuchsen sie und wächst das fleisch aufderstelle nach;

und er glaubt dies lachen zu kennen, die identität seines verfolgers zu ahnen, schaut durch den klaffenden spalt nun den schopf, das halbe antlitz des mörders, fürchtet den nächsten moment der endgültigen konfrontation, gerade weil er weiss, wie vertraut, wie angenehm warm seine gegenwart binnen kurzem sein wird.

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