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literatur ¦ 2006¦ daniel costantino
deutsch assoziativ
(geschrieben für einen privaten anlass)

mein text über die drei hässlichen wörter kommt mit grosser verspätung, das heisst, er kommt ja gar nicht, er entstand mit grosser verspätung müsste es heissen, nicht wahr, er hat ja keine eigenen beine, höchstens, wenn er löge, dann aber höchst kurze, ich mache mich mit grosser verspätung an die aufgabe, ihn endlich zu schreiben, zu verfassen, zu erfinden, so wärs richtig, und noch richtiger, ich hätt zeitig genug damit begonnen, und eigentlich kommt er aber sogar pünktlich, ihr hört ihn ja jetzt, wie versprochen, früh genug, es kann nie zu spät sein, von hässlichen dingen zu hören, sag ich mir, ja, also, mein text entstand sozusagen im letzten moment, fast noch ein bisschen später, zu spät eigentlich. das hatte mein lehrer immer gesagt zu mir, wenn ich als letzter zur tür herein kam: du kommst noch einmal zu spät in den himmel! auch wenn es noch gar nicht zum letzten mal geläutet hatte: wenn die pause zu ende war, hats geläutet, dann hats nochmal geläutet, jetzt fängt die stunde an, und meist kam ich mit diesem läuten herein, und dieser lehrer sass immer schon da und alle mitschüler der klasse mit ihm. so ungerecht geht es zu auf der welt. eigentlich war ich gerade noch pünktlich, wie jetzt mit diesem text. aber natürlich hatte ich die hausaufgaben nicht gemacht, so wie eben eigentlich jetzt, oder sie im letzten moment liederlich, wie er sagte, hingeschwiemelt, oder ich hatte sie zuhause vergessen. liederlich, das galt ihm gewiss als hässliches wort, das war eine niederschmetternde diagnose, ungenügend, er hätt auch sagen können lausig, miserabel, schlecht, aber er sagte liederlich, was ich eigentlich schön fand, weil ich gerne lieder sang und immer noch singe, vom gassenhauer über den schlager, vom chanson zum choral, von der oper bis zum volkslied und zurück.
ja, aber um endlich aufs tema zu kommen - es ist ja beim schreiben eine merkwürdige sache: wie soll ich jetzt auf die schnelle drei hässliche wörter, für mich persönlich hässliche wörter, hinzaubern und noch was kluges darüber sagen, so wie auf kommando, nicht wahr, das ist ja keine art und weise, literatur zu produzieren. so wirst du nie ein rechter schriftsteller, sag ich mir, du musst seriös und täglich, von halb zehn bis um eins schreiben. mindestens! das ist auch so ein kommando, was ich nicht einhalten kann. überhaupt hasse ich dies wort seit geburt, welch hässlichstes aller wörter. und der ganze sprachliche hof, der dazugehört, mit allen stämmen und fürsten und kommandierenden verwandten. so ne richtige feudalistische tyrannenklicke, wie im mittelalter der folterknechte und der inquisition, kommandozentrale und befehlsgewalt gehören gleich mit dazu, sogar der liebesentzug, der drohend mitschwingt, der revolverschuss und überhaupt die ganzen sachzwänge und das unterdrückerische ambiente, widerlich und antierotisch, das geht alles am leben total vorbei, wie ich es schön und der rede und des geniessens wert fände. es fängt zuhause schon an, im frühstadium jeder erkenntnis, jedes denkens, des ganzen gefühlshaushalts, lass das und mach dies und halt dich jetzt endlich einmal still, so bestimmt und führt die hausfrau den kindlichen gefühlshaushalt. vom kindergarten über die ausbildungsstätte, am arbeitsplatz und in der regelung aller staatsbürgerlichen angelegenheiten, immer ist da dieses wort und seine stellvertreter, ein kommando von der wiege bis zur bahre, und ich wette, falls man gar nicht tot nach dem sterben, geht das spiel im jenseits so weiter, tritt man vor die absoluten gesetzestafeln mit den zehn geboten und schon wieder und immer noch und in alle ewigkeit wird man bestraft und gepiesackt und soll es büssen und hat sich zu fügen und einzugliedern und anzupassen. und jetzt soll ich auf kommando diesen text, als mein eigentlich eigener befehlshaber, herr und meister, wie meine grossmutter immer sagte von ihrem dritten mann, er sei sein eigener herr und meister, weil er eine kleine firma hatte und die ganzen ostschweizerischen und bernbietischen und anarcho-jurassischen ochsenscheunen und schweineställe und futtersilos mit seinen elektrischen jauchemixern belieferte, und als er an krebs erkrankt war kam er selber ins silo, das hiess siloah, mit oder ohne h, ich weiss es bis heute nicht, in gümligen oder münsingen oder zollikofen, ich habs vergessen, aber silo und siloah waren für mich damals dasselbe, und ich konnte mir seinen verbleib einfach nicht recht erklären, dann ist er dort gestorben und jetzt kann ich mir seinen verbleib erst recht nicht erklären. erst hatte ich angenommen, er schaue mir vom himmel oben zu und es mir untersagt, zu onanieren, das ist auch auf ein kommando zurückzuführen, auf ein kommandoverbot sozusagen, ein verbotskommando, eine verbotskommandokette, eine attacke auf die existentielle freiheit schon des kindes, aber dann hab ich mir gedacht, wird er ein auge zudrücken. ich wünsche ihm ruhe und frieden jedenfalls, denn er hat mich trotz allem seit seinem tode in ruhe gelassen und keinesfalls seine stimme wie einen blitz zu mir herabgeschleudert, und wenn ich gestorben bin, bring ich neue jasskarten mit und wir werden zusammen spielen und uns über alle irdischen kommandi und jegliches gebrüll und gebell und alle revolverschüsse und kriegsgurgeln und autoritäten erhaben und erhoben fühlen, so wahr ich hier sitze und lese.
ich könnts mir ja nun einfach machen. ich könnt ja erklären, mit den worten gebrüll und liebesentzug, mit antierotik und so und inquisition hätt ich mein soll erfüllt, übererfüllt und längst drei vollkommen negativ besetzte wörter beschrieben. aber ich mach mirs nicht einfach, die wörter gehören zum sprachlichen hof des wortes kommando dazu, drum zeig ich charakter und komme noch auf anderes zu sprechen. das leben soll ja auch nicht einfach sein. wo kämen wir hin, wenn auch bei mir nur die faulheit grassierte und das oberflächliche streben nach spass und fun. ich fühlte mich schuldig und verbisse mich in die schuld wie die schuld sich ins kommando verbeisst, von ihm geradezu schmarotzerisch abhängt. nee. auch die schuld lassen wir mal links liegen oder rechts liegen, völlig egal, und stossen noch zu einem andern bereich der sprache vor.

mitnehmen oder essen? fragt mein türke, wenn er mir das dürüm reicht, oder die oder den dürüm, das wär auch noch die frage. ja, also - mitnehmen oder essen? oder essen? das ding kostet acht franken, da werd ich es natürlich essen, sonst hätt ich das geld gleich wegschmeissen können. mitnehmen oder essen kann ja wohl keine alternative sein. entweder ich esse oder nehme mit. dann ess ich eben nicht. ich stells zuhause in die blumenvase. ja, ist doch wahr. ich kauf mir ein-e-n dürüm und steck das ding als wc-ente ans klo. oder aber auch am pizzastand und bei den brötchen und den käsekuchen, ob schweizerdeutsches oder tamilisches, italienisches oder jugoslawisches personal, immer heisst es prompt: mitnehmen oder essen? ob man sich vorstellt, ich trage die sache auf den müll oder schick sie mit der schweizerpost meiner grossmutter in die hölle nach. und was das schlimmste ist: ich komme im gedränge meist gar nicht dazu, das missverständnis aufzuklären, die welt aufzuklären, meinen feldzug gegen die verflachung der sprache anzutreten. die sprache ist ein lebewesen und wandlungen unterworfen; doch sollten diese ausdruck sein einer gewissen ordnung und genauigkeit und nicht eine folge bequemer, nachgiebiger verflachung und gleichgültigkeit. aber man wird weggeschubst und nicht mehr beachtet, der verkäufer hört gar nicht mehr zu oder versteht sowieso nix im lärm und glotzt dich mit verständnislosen augen an, und wenn ers noch hören kann, versteht er immer noch nichts. und dass ich das gekaufte zu essen beabsichtige, wäre das eine und steht ausser frage, wenn es irgendwie geniessbar ist, und da bin ich ja nun ein anspruchsloser und zuversichtlicher mensch. dass ich aber den oder das oder die dürüm oder den kuchen oder die wurst ja eigentlich auch mitnehme, wegnehme aus diesen plastikhaltern, in den sie der verkäufer legt, damit ich mit freien händen mein geld abzählen kann, dass ich die essware nicht dort belasse und wie eine ziege dran zu knabbern beginne, versteht sich wohl von selbst. oder? zuweilen wird die frage auch so gestellt: mitnehmen oder hier essen, also nicht wie eine ziege, sondern gesittet, aber hier, am platze. das ist zwar besser formuliert, bringt mich aber nicht weiter. ich will die sache nämlich unterwegs verspeisen, mich also wegbegeben und sie im gehen essen. antworte ich mit mitnehmen, wird sie eingepackt wie toll, zugepackt, mit vier lagen und fünf postichklammern und sieben siegeln drum, eine ganze verpackungsindustrie beteiligt sich dran, und nirgends ein papierkorb, weil die alle wegrationalisiert wurden, weil es leute gibt, welche die kehrichtmarke einsparen, indem sie öffentliche papierkörbe dazu missbrauchen, ihren gesamten müll dort zu deponieren, und der kiosk kann dann die entsorgung zahlen oder die bankrotte gemeinde. und bis man die ware aus dem plasitk- und papier- und kartongewulst befreit hat, ohne schere, ohne messer, mit den krallen und den zähnen, ganz schön umständlich. sag ich aber: hier essen, krieg ich einen teller und messer und gabel, was ich auch nicht will, denn dann müsste ich auf meinem weg zum büro wieder umkehren, wenn ich gegessen habe, ich esse meistens auf dem weg ins büro, und das besteck und das teller zurückbringen, dann komm ich zu spät zur arbeit oder verpasse meinen zug, ich esse auch häufig vor einer reise noch etwas kleines, kurz vor der abfahrt, begebe mich essend zum bahnsteig. was man auch sagt, nie ist es richtig. drum hasse ich auch solche stehenden formulierungen, die nur dazu da sind, die dinge zu komplizieren und zu missverstehen, fragen, die man weder mit ja noch mit nein beantworten kann. die welt wird an ihren ungelösten problemen noch zugrundegehen, und zwar deshalb, weil die ungelösten probleme gar nicht entstünden, wenn man sich die mühe gäbe, vor dem sprechen zu denken.

und dann fällt mir noch ein letztes wort ein: assoziationen. ein assoziativer text. eine assoziationskette. zia-tion. as-so-zia-tion. das ist auch ganz schlimm, da schlackern mir die ohren. diese vielen scharfen s-laute. ob s, t, oder zett. richtig unsensibel, hart, grell, schrill, furchtbar. wie ein missgestimmtes klavier ohne tonarten und zusammenklänge. dabei brauch ich es ja selber auch. ich weiss, dass ich verknüpfung sagen könnte, eine verknüpfungskette, ein verküpfender text, nur drängt sich dann in meinem geist die frage in den vordergrund, wen oder was verknüpfend, und dann sag ich besser gleich, was eigentlich sache ist, assoziativ. abgesehen davon tönt verknüpfen eher nach einer strickenden oma hinterm ofen als nach modernem deutsch. eine verknüpfte firma undsoweiter. ein verknüpftes mitglied. ich bin ein verknüpftes mitglied des berner schriftstellervereins. das wär dann ein an den pranger gestelltes armes schwein mit der schlinge um den hals, um ihn herum seine bücher, die verbrannt werden, bis er zuletzt selbst der flammen frass, unter gejohle und applaus des publikums. womit wir schon fast wieder bei der inquisition wären. ich habe bis heute nicht herausgefunden, wie ichs auf die schnelle ohne dies scheussliche wort assoziation sagen könnte. zia steckt ja auch noch drin, eine zähe, italienische tante, migräneanfällig und mit haaren auf den zähnen, die ihren neffen immer kopfnüsse verabreicht, durch die ganze kindheit hindurch kriegen sie nichts als kopfnüsse von ihr, kein freundliches wort, kein geschenk, immer nur und sofort kopfnüsse, bei jedem besuch, jeder taufe, jedem geburtstag. solche tanten sollten verboten werden. und solche wörter auch.


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