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literatur ¦ 2005¦ daniel costantino
aus der neuen welt

man wird verrückt von den worten.
ballen sich zu klumpen und trauben, summenden haufen. tritt man zu nah, verscheucht man sie. in alle richtungen sind sie zerstoben. einzelne, auf nahrungssuche, sirrende, mag man zu fassen kriegen, wenn ein angriff sie überrascht. man beobachtet sie und schnappt sie sich auf dem weg zurück zu ihrem stamm. man muss nur behutsam sein, ein geduldiger jäger. sonst stellen sie sich tot und geben ihr geheimnis nicht preis. oder abkommen ihrer familie stürzen auf einen zu, schwirren, verwirren, ein bunter knäuel, und das gesuchte nutzt die gelegenheit und macht sich still aus dem staube.
in horden auftretend, verscheuchen sie die innere ruhe, gerade, wenn man ihrer aufs äusserste bedürfte. sie sind wie geister, die man nicht gerufen. ruft man sie aber herbei, verweigern sie sich, sind nicht aufzustöbern. man stochert in verdorrtem exkrement.
man weiss nicht, wie sie entstehen, noch um das rätsel ihrer verbreitung, der zusammenrottung und zerstiebung. im dung verwesenden geschehens, wie schmeissfliegen. auf dem komposthaufen des zivilisationsmülls. in den jahresringen des holzes. neutronen und elektronen unserer empfindung. ein unerklärliches fysikalisches und akustisches fänomen. jonen und protonen des herdenstroms. reflexe unserer nervenzellen, druckwellen psychischer stauungen und eruptionen.
erhitzt, schwirren sie. bevölkern den menschlichen horizont wie schwärme von heuschrecken. sie gleichen kleinsten atomstrukturen, molekülsträngen. sie verbinden sich untereinander wie die elemente, polygam, bizarr, inzestuös. stossen sich ab, ziehen sich an, unbekümmert von moral, nach den gesetzen des magnetismus. bei idealer temperatur, etwas abgekühlt, von herbstlicher sonne beschienen, entfalten sie ihre schönste farbenpracht gleich den blumen auf den wiesen einer paradiesischen landschaft. sie verglühen und verdampfen wie kometen, erstarren zu eisigen klötzen und lassen sich nicht mit pickeln und hacken spalten. nicht wenige überwintern im polareis, und der fischer verhungert. kommen bei tauwetter wieder hervor, wenn noch leben in ihnen steckt. hat man glück, erblühen sie von neuem.
es gelingt kaum, sich auf einzelne im schwarm zu konzentrieren, eines herauszugreifen, zu untersuchen. langt man zu kräftig hin, hauchen sie ihren geist auf der stelle aus. ist man zu feinfühlig, stechen sie zu und hinterlassen eine böse wunde, die schwer vernarbt.
eine lebenslange marter mit ihnen, wenige stunden der harmonischen entfaltung. und wie im kleinen, so im grossen. meuten von leuten, jeder einzelne mit einer katastrofalen grillenplage im schädel, elektronische impulse, atomares flimmern des stroms, herdenstroms. viel verrückter als das tohuwabohu des grossstädtischen autoverkehrs. und die biester rotten sich zusammen wie milliarden von heuschrecken und zerfressen über die köpfe hinweg die geistige landschaft, so dass sie einer wüste gleicht, in der kaum ein einzelnes kahlgefressenes und ausgehöhltes bäumchen mehr einknickt noch als steht. sie ist ruiniert auf lange zeit.
und jedes einzelne dieser biester, dieser milliardenbrut, verhält sich orbital. tritt gleichzeitig an diversen punkten des erdballs mit widerhall in erscheinung. ein spektakuläres rauschen und tosen. ein ungeheures untergründiges grummeln und erbeben. kaskaden von böllerschüssen, eine stete sintflut aus nieseltropfen und hagelkörnern. katarakte, wirbel und schnellen.
man kann nur hoffen, dass es einmal ganz und gar zuendegeht. dass nicht im jenseits diese monumentale orgie des lärms und der schwätzerei die seligkeit vergällt.
sollen mal endlich alle mal schweigen einen tag! einen ganzen kurzen langen tag schweigen, nur einen, und alle bildschirmströme versiegen, alle textfluten sich legen. und die politikerschwälle auf kommando verebben und die zeitungskaskaden ausbleiben, einfach ausbleiben und stumm sein. alle nachbarn und freunde und feinde, tutti! alle sollen einen geschlagenen tag nichts sagen und rechten und maulen und klatschen. und hernach sachte, sachte wieder einsetzen, ganz schön langsam wieder einsetzen, einen satz pro tag sprechen, eine zeile pro zeitung drucken. und ich hätte absolut nichts gegen ein paar zusätzliche fusionen. einen satz fürs fernsehen und keinen mehr. und der nachbar darf einen sprechen, und ich rede einen kurzen, und du auch, und der pfarrer in einer wortkargen predigt, wie sie die welt noch nicht gehört. und auch der marktschreier beschränkt sich und die behörde. und kann sich einer nicht für einen vollendeten wichtigsten und einzigen entscheiden, weiss ers nicht zu sagen in kürze, wohlan, man darf ruhig weiterschweigen und überlegen. einen satz höchstens pro tag, zwei in drei wochen, fünf in einem jahr! als wäre die sprache etwas äusserst kostbares und ihre verschwendung eine vergeudung knappster, unersetzlicher ressourcen, die uns noch bitter fehlen werden. und schwiegen alle, wäre die sprache fast ausgemerzt, ein international geschütztes, vom aussterben bedrohtes tier, dürfte niemand sie einfangen und nutzbarmachen und abschlachten und handel mit ihr treiben.

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