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schandfleck.ch_archiv/2002/nr.4
lukas h.
meine persönlichen überlegungen, welche zum gewissensentscheid gegen den militärdienst geführt haben.

ich liebe das leben. ich liebe mein leben, und alle lebenden. das leben ist da, um es zu leben. zum schaffen für das leben. zum leben im einklang mit allen lebenden und allem lebendigen.
militär ist leben fürs nebeneinander und gegeneinander leben. ist der anfang von krieg. krieg ist leben gegen das leben - leben für das töten.
das leben ist das kostbarste gut - alles - das wir besitzen. niemand hat das recht, es jemand anderem wegzunehmen. in keinem fall. zu keinem zwecke.
wir müssen alles daran setzen, das leben zu bewahren, es zu schützen. und vor allem müssen wir verhindern, dass jemand den wunsch kriegt, es zu vernichten.
im militär gelten diese werte nicht. hier wird gesagt: man darf töten. es gibt wertvollere güter als das menschliche leben. unser leben ist mehr wert als dasjenige des feindes.
mit einer gewalttätigen ausbildung werden gewaltbereite "schüler" herangezogen, welche gewaltbereite truppen bilden. diese verlangen nach gewaltbereiten gegentruppen jenseits der grenze. um diese zu stellen, wird wiederum gewalt angewandt.
auch ohne kriegsschauplätze beherrscht eine militärbedingte gewaltspirale die gesellschaft.

ich bin gewaltfrei erzogen worden. meine eltern schlugen mich nie, sie lehrten mich, dass gewalt niemals eine konfliktlösung sein darf und kann.
auch von natur aus bin ich nicht streit- und kampflustig, sondern gesprächs- und kompromissbereit. ich bemühte mich zeitlebens, nie gewalt anwenden zu müssen -erfolgreich. streitsuchenden kindern und jugendlichen begegnete ich mit passivität, statt mich "ehrenhaft" mit den fäusten zu verteidigen. glücklicherweise kam ich stets mit wenigen schrammen davon.
doch gewalt wird nicht nur mit fäusten und waffen ausgetragen, sie beginnt schon mit beschimpfungen, ungerechtfertigten vorwürfen und ausgrenzung. in solchen situationen vermittelnd zu wirken, ist einer meiner beiträge zum gewaltabbau im kleinen.

meine familie pflegt seit vielen jahren freundschaftliche beziehungen zu kosovaris. so hörte ich schon als kleiner junge von den schikanen und grausamen übergriffen der serbischen sicherheitskräfte gegenüber der kosovo-albanischen zivilbevölkerung. ich fragte mich: weshalb sind die serben so grausam?
unsere freunde zeigten uns fotos von ihren dörfern und häusern. später erzählten sie uns, fast alles sei zerbombt worden. sie hatten alles verloren im kosovo.
eine familie, die während den etnischen säuberungen noch im kosovo lebte, wurde vertrieben. der vater rief uns aus einem flüchtlingslager in bosnien an und bat uns, seiner familie geld zu schicken. sie hatten kaum das nötigste, um zu überleben.
ich fragte mich oft:
-woher kommt der unendliche hass, welcher soldaten so unmenschlich macht?
-warum machen sie bei diesen etnischen säuberungen mit?
-wieso desertieren die soldaten nicht einfach alle?
ich konnte mir keine schlüssigen antworten auf diese fragen geben.

aus persönlicher überzeugung und durch den kontakt zu kriegsgeschädigten bin ich zum kriegsgegner geworden. jedesmal, wenn sich ein neuer bewaffneter konflikt anbahnt, und ich dies durch die medienberichte erfahre, spüre ich einen stich im herzen. weshalb sprechen die menschen nicht besser, nicht intensiver miteinander? ich glaube fest daran, dass mit ehrlicher kommunikation und mit dem dadurch erworbenen, gegenseitigen verständnis konflikte vermieden werden können.
ehrliche kommunikation kann aber nur dann erfolgen, wenn waffen in keinem fall zur durchsetzung der eigenen interessen eingesetzt werden. folglich dürfen den konfliktparteien keine armeen zur verfügung stehen. daher muss jeder einzelne, welcher einen dauerhaften frieden will, die mitgliedschaft zu einem kampfverband verweigern.
dass sich ein land wie die schweiz in einer derart friedlichen lage bewaffnet, zeugt von einer angst, einem misstrauen gegenüber anderen staaten - einem schlechten menschenbild.
die gelegenheit, auf waffen zu verzichten, im wissen, dass dieses niederlegen der gewaltbereitschaft anderen staaten und gruppierungen zumindest als zeichen dienen wird. als zeichen, dass frieden auch ohne armee zu haben ist.
mit den finanziellen mitteln, vor allem aber den menschlichen energien, die zurzeit ins schweizer militär gebuttert werden, könnten wir das antlitz der erde mehr als nur ein bisschen verändern.

am aushebungstag hatte ich das glück, wegen eines kleinen ohrenleidens und aus etischen gründen ein "schiessuntauglich" ins dienstbüchlein gestempelt zu bekommen. vom aushebungsoffizier wurde ich dem wetterzug zugeteilt.
ich wollte jedoch nicht militärdienst leisten und begann mich nach alternativen umzusehen. mit einem zeugnis vom psychiater einzurücken, entspricht nicht meiner ehrlichen art. da blieb der zivildienst, über welchen ich mich zu informieren begann. dieser zivile weg gefiel mir gut. ich erfuhr auch, dass es möglich sei, erst während oder nach der rs in den zivildienst zu wechseln.

als neugieriger und kritischer mensch wollte ich mir aber erst ein bild vom militär machen. es ist schwer, darüber zu urteilen, allein aufgrund von gesprächen. als waffenloser wettersoldat, dachte ich mir, werde ich wohl eher der wissenschaft dienen, als für kampfhandlungen ausgebildet.

in der rekrutenschule erwachte ich brutal. ich war hier mit den anderen rekruten, nicht um schönwetterprognosen in krisensituationen zu erstellen. wir sollten hier einzig das kriegshandwerk erlernen. um uns abzustumpfen, lässt das kader uns "sinnlose" befehle hundertfach ausführen. doch letztendlich sind diese befehle nicht sinnlos, sie haben einen grausamen sinn, nämlich uns zu gewissenlosen tötungsmaschinen umzuformen. damit wir im ernstfall ohne darüber nachzudenken einen tödlichen befehl ausführen.
das militärische gleicht dem faschistischen, dem totalitären: "nur die einheit zählt!", "ihr seid die besten!", der gehorsam, die ordnung, der befehl, die hierarchie, die propaganda, die "losgelöstheit" vom (etischen) denken, das fehlen von kommunikation und demokratischen strukturen, die präsenz von uniform und waffen...

bei der zugsinspektion hatte ich ein schlüsselerlebnis. unter anderem sagte der major bei der beurteilung unserer zugsschule:
"nein, ihr wart nicht gut, wie euer zugführer sagte, höchstens genügend! das ganze programm wird auf der stelle wiederholt, aber ohne dieses lächerliche stämpfelen! ja, ich mache euch bewusst so fertig, denn ihr müsst mich hassen, damit ihr gut seid! ihr müsst hassen und denken: ‚dem zeigen wirs!'"

nun war mir um einiges klarer, wie das grausame handeln der (serbischen) soldaten im krieg zustandekommt.

mir bereitete es grösste mühe, mitglied in dieser allein aufs töten ausgelegten organisation zu sein und zu bleiben. wenn ich - leider oft - gehorsam leistete, sei dies aus loyalität, solidarität oder dem selbsterhaltungstrieb, fühlte ich mich schlecht. ich verachtete mich dafür, das kriegshandwerk zu lernen. ich verachtete mich dafür, ein system zu unterstützen, welches ich als eine der hauptursachen der gewalt betrachte. ich verachtete mich dafür, nichts für den frieden zu tun.
wenn ich mich jedoch dem kommando widersetzte, erlebte ich kleine aufhellungen. anschliessend, die strafe ausbadend, schlugen diese jedoch bald in bitterkeit um.

die last des wissens, mitglied einer todbringenden einheit - der artillerie - zu sein, lag und liegt mir besonders schwer auf.
ich bin mitverantwortlich für die zielgenauigkeit der zerstörung. die zerstörung feindlicher kampfkraft... menschen!
junge menschen, deren ziel es ist, gesund und möglichst schnell zurück in ihr leben zu kommen. junge menschen, die während ihrer militärischen erziehung mit denselben frasen wie ich vollgepumpt worden sind. junge menschen, die das pech haben, einer anderen nation, fahne oder gruppierung als ich anzugehören.
ich bin genaugleich mensch wie mein möglicher gegner. nur haben wir unterschiedliche meinungen darüber, wer im recht ist. ich könnte genauso in seiner haut stecken. ich kann nicht von ihm verlangen, die waffe niederzulegen, ohne dass ich ihm dies vorgemacht habe.
was ich in einem vorangegangenen abschnitt über das waffenniederlegen der armee gesagt habe, gilt natürlich auch für mich als einzelnen. egal, ob ich alleine bin auf diesem weg, ich muss und werde es tun. ich werde, wenn auch nur als kleines kerzchen, teil des lichtes für den frieden sein.
ich könnte es nicht ertragen, jemanden getötet zu haben. ich würde ob dem gedanken, jemandem das leben genommen zu haben, zugrunde gehen. wenn ich meine wichtigsten werte derart mit füssen treten würde, hätte für mich ein weiterleben keinen sinn mehr!
auch wenn dieser fremde soldat mich getötet hätte, wäre ich ihm nicht zuvorgekommen, wäre ich vollkommen schuld an seinem tod. vorher die armee zu verlassen oder die weisse fahne hissen, das hätte unser beider leben retten können.

ich bin bereit, unserem staat einen teil meiner zeit und meine fähigkeiten zur verfügung zu stellen. jedoch nicht in form des militärdienstes.
ich will im zivildienst unserer gesellschaft wirklich dienen.

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