news ¦ archiv ¦ forum ¦ kontakt ¦ literatur ¦ shop ¦ links
schandfleck.ch_archiv/2002/nr.3
lukas lüscher
an den schalterhebeln der macht
in der bürokratischen welt herrschen eigene gesetze. sie sind weder in der verfassung noch sonst wo festgeschrieben. denn die gesetze der bürokratie ändern sich von fall zu fall, von bürgerin zu bürger. im grunde genommen hat die bürokratie nicht viel zu sagen. und genau dies stört ihre vertreter. lauter berufe ohne macht, ist das haltbar?

also erfand man den stempel. ohne ihn läuft gar nichts. der stempel hat die wunderbare eigenschaft, einem toten dokument leben einzuhauchen. da mag das zeugnis oder die anwesenheitsbestätigung noch so vollständig ausgefüllt sein, ohne stempel ist es ein wertloses stück papier. damit nicht genug: die bürokratie schickte sich an, um den stempel stets einen mantel des schweigens zu hüllen und ihm damit jenen mystischen charakter zu verleihen, den wir an miraculix' zaubertrank schätzen. "ja, es soll einen stempel geben und er soll sehr wichtig sein", wird auf der strasse getuschelt. "aber mein gott, wer führt uns zu ihm?"

womit wir bei einem weiteren bürokratischen machtwerkzeug angelangt sind: der nicht-information. weshalb dem bürger oder der bürgerin sagen, wo sich der stempel aufhält, wenn er oder sie dies selbst herausfinden kann? nichtwissen führt zu unsicherheit und unsichere lassen sich leichter beherrschen. "heute pingpong mit einschreibewilligen studenten: sekretariat versus dekanat" steht auf dem tagesplan. pingpong? das spiel ist einfach: sowohl im sekretariat wie auch auf dem dekanat ist während der dauer des wettkampfs niemand für nichts zuständig. beide wollen aber gehört haben, die jeweils andere stelle würde sich um den fall kümmern. zur allgemeinen bereicherung wurde das bürokratische spiel ähnlich den regeln gewisser ballspiele ausgebaut, wie wir am folgenden praktischen beispiel sehen: zur erlangung meiner spanischen aufenthaltsbewilligung durfte ich als erstes am spiel zwischen dem fc konsulat und dem fc fremdenpolizei teilnehmen (als ball, notabene). der siegreiche fc konsulat traf wochen später auf die granada-university-boys, und es wurde ziemlich gefoult. ich kann mich nur noch erinnern, wie ich von den swiss medical hoppers auf der bahre herausgetragen wurde. soviel ich weiss, lief dann zwei monate lang nichts mehr, denn der fc konsulat behauptete, die swiss medical hoppers hätten beim check nicht abgeklärt, ob ich gedopt (drogensüchtig) sei oder nicht. der match gegen ubs united war kurz und schmerzlos und bald konnte ich fürs finalspiel vor ort reisen. der dortige fc polizeikommissariat war allgemein gefürchtet, doch der fc konsulat hatte mit guten spielern vorgesorgt. endlich kam der grosse tag und das spiel begann: bankkontoauszug spielte mich geschickt zu arztzeugnis, während passfoto eins, zwei und drei das heimische goal verteidigten. ein geschickter pass von arztzeugnis liess mich zu visum fliegen und... tor! nach nur 8 monaten kam ich in den besitz des begehrten dokumentes.

doch die bürokratie besitzt noch weitere waffen. um die bürgerinnen und bürger gefügig zu machen, wird deren vertraut geglaubtes weltbild kurzerhand auf den kopf gestellt, wie ich wochen später bei einem persönlichen kontakt mit der spanischen eisenbahngesellschaft renfe feststellen durfte. im glauben, spanien und die schweiz verbinde ein durchgehender schienenstrang, versuchte ich am schalter 2 von granadas hauptbahnhof das für die entsprechende reise nötige ticket zu erstehen:

schalterbeamter: "barcelona-genf kann ich ihnen nicht verkaufen."
reiseanwärter: "ja, aber da fährt doch ein zug".
schalterbeamter: "schon, aber deswegen kann ich ihnen trotzdem kein ticket verkaufen".
reiseanwärter: "aber... was wollen wir denn da machen... ich muss ja reisen..."
schalterbeamter: "mann, ich habe auch kein interesse, dass sie hier vor meinem schalter stehen bleiben müssen, aber ich kann ihnen einfach kein ticket verkaufen, es geht einfach nicht."

was bürokraten - oder konkret unser schalterbeamter - nicht zu wissen oder zu tun fähig sind, das gibt es nicht. zumindest solange, bis mein anti-bürokratisches vor-dem-schalter-ausharren das unmögliche möglich werden lässt.

news ¦ archiv ¦ forum ¦ kontakt ¦ literatur ¦ shop ¦ links
nach oben >>>