schandfleck.ch_archiv/2002/nr.3 |
johannes
künzler
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über einen zivildiensteinsatz in cochabamba, bolivien | |||
gefunden: ein "kommunikator" - interview mit adrian
aeschlimann, informationsbeauftragter des buwal und langjähriger
redaktor bei der zeitung der bund in der zeit vom dezember
1999 bis ende mai 2000 hat adrian aeschlimann in cochabamba, bolivien,
zivildienst geleistet. während die auf 2500 meter über meer,
am anden ost-abhang gelegene, drittgrösste stadt bolivens (zwischen
einer halben und einer million einwohner) zuweilen im smog versinkt, ist
ihr umland sehr grün und fruchtbar. johannes künzler
(jy): auf nach bolivien! entführe mich doch zuerst ein bisschen
in die orte und örtlichkeiten deines wirkens. adrian aeschlimann
(a.ae.): nun, mein arbeitsort war ein frauenhaus in einem vorort von
cochabamba, etwa vergleichbar mit einem kaff wie ostermundigen. es herrschen
dort sehr viele soziale spannungen, da die bevölkerung grösstenteils
aus zugewanderten besteht, die sich ein besseres leben in der stadt erhoffen,
welche aber in überaus prekären verhältnissen zu leben
haben. die männer sollten arbeit suchen, oft finden sie aber keine.
den ganzen tag warten sie vergebens bei den arbeitsvermittlungsstellen.
dann haben sie vielleicht ein wenig geld und weil sie keine arbeit erhalten,
versaufen sie dieses geld. am abend zuhause steht dann jeweils nichts
auf dem tisch - woher hätte die frau auch etwas nehmen sollen...
-, der mann ist betrunken, es ist kein geld mehr da, kein essen - ja die
ganze teufelsspirale halt. und dann schlagen viele dieser männer
ihre frauen und ihre kinder, vergewaltigen etc. solche misshandelten frauen
kommen schliesslich in das frauenhaus, in dem ich gewirkt habe. dem frauenhaus
angelehnt ist übrigens auch eine kinderstätte. das haus ist
aus stein gebaut, einfach, aber durchaus gut, fest und zweckdienlich.
da stecken ja auch westliche hilfsgelder drin, von terre des hommes deutschland
und holland, weiter von der caritas schweiz und auch von japanischen und
us-amerikanischen hilfswerken, und so konnte da etwas solides aufgebaut
werden. jy: wie bist
du denn eigentlich dahin gekommen, welche organisation oder stelle hat
dir das ermöglicht, wie bist du an diese bzw. jene gelangt? was muss
man tun, um einen zivildienst im ausland absolvieren zu können? braucht
es spezielle qualifikationen, welche? a.ae.: nun,
nachdem ich wusste, dass ich zivildienst leisten konnte, fragte ich bei
der regionalstelle nach, ob es eigentlich auch ausland-stellen gäbe.
die antwort war ja, doch, sie hätten da auch so eine liste mit den
entsprechenden angeboten. nach dieser speziellen liste muss man aber schon
fragen. kurz darauf erhielt ich diese papiere und bewarb mich für
zwei südamerika-projekte der caritas, für die lehrpersonen gesucht
wurden - lehrer war meine erste berufsausbildung, zum journalismus kam
ich dann erst etwas später. dann habe ich mich beworben, schriftlich,
bei der caritas. ich konnte schliesslich auswählen, bei welchem projekt
ich mitmachen wollte, entschied mich dann für das projekt in cochabamba,
da dieses nicht nur auf den lehrberuf ausgerichtet war (ich hatte als
lehrer praktisch kaum berufserfahrung). jy: was waren
denn ganz konkret deine aufgaben? ein tagesablauf vielleicht... jy:
was findest du zur entlöhnung im zivildienst? (wurde das flugbillett
bezahlt?) warum will unser reicher staat solche arbeit - in den meist
ohnehin stiefmütterlich behandelten bereichen wie ausland, kultur,
bildung u.ä. - nicht voll entschädigen, zumal ja in der regel
qualifizierte arbeitskräfte am werk sind? a.ae.:
nun, ich habe so viel verdient wie ein soldat, wenn er in den wk geht
bzw. was er vom arbeitgeber erhält - ich hatte also, man darf es
fast nicht laut sagen, in diesen sechseinhalb monaten (einen monat lang
verarbeitete ich dann die ganze sache noch in der schweiz, in luzern auf
dem büro der caritas) den vollen lohn, dies dank dem goodwill des
damaligen arbeitgebers, der soldaten und zivis zu 100% weiterbezahlt(e).
das flugbillett wurde mir bezahlt, ja, von der caritas, so auch der sold.
auf das geld für kost und logis verzichtete ich, verdiente ich doch
im verhältnis zu den leuten dort so viel (wie ein minister unter
präsident banzer offiziell), dass ich mich nicht dafür hatte,
dem infante-projekt auch noch auf dem portemonnaie zu hocken. jy: was denkst
du zu einem zivildiensteinsatz in südamerika im zusammenhang mit
den stichwörtern entwicklungshilfe, mission, (kultur-)imperialismus,
globalisierung ? a.ae.: ja,
was soll ich sagen, es war für mich persönlich zuerst einmal
einfach eine sehr wertvolle erfahrung, dieser kulturaustausch. es sind
aber schon auch kritische fragen aufgetaucht, etwa, ob man nicht den jeweiligen
staat, in dem man solche programme durchführt, zu sehr aus der verantwortung
entlässt. das ist eigentlich so die hauptdiskussion gewesen. dennoch
denke ich, dass bei projekten dieser art die positiven aspekte überwiegen.
man, d.h. die hilfswerke und auch die offizielle politik der schweizerischen
entwicklungshilfe, versucht schon, die jeweilige basis zu stärken
und schwung in die bewegungen von unten zu bringen. unterstützt werden
in den meisten fällen nicht-regierungs-organisationen. ich finde
das auch gut, dass die schweiz solche organisationen unterstützt.
gewissen leuten ist das natürlich ein dorn im auge, wenn sie sehen,
dass da eher der seite der so genannten globalisierungskritikerInnen geholfen
wird. jy: konnte
da der rechten politik in der schweiz ein schnippchen geschlagen werden?
a.ae.: schnippchen
ist vielleicht zu viel gesagt, ich denke, die, denen das nicht gefällt,
wissen gar nichts über diese leistungen. aber widersprüchlichkeiten
treten natürlich schon auf in der ganzen sache: wenn man denkt, dass
caritas ein christlich-katolisches hilfswerk ist, sich vorstellt, wie
ältere jumpfern im geiste und sinne der mission ihr erbe der caritas
vermachen... aber es sind da ja auch sehr viele gelder des bundes drin.
den missionsaspekt habe ich selber eigentlich kaum gespürt. die frühere
caritas bolivien soll aber schon versucht haben, die fehlgeleiteten heiden
zu bekehren. heute, würde ich sagen, hat man sich recht gut arrangiert,
d.h. die religionen - katolizismus und indio-religionen - haben sich im
laufe der zeit auch vermischt, gewisse christliche elemente (namen für
gottheiten) wurden übernommen bzw. an der oberfläche gewissermassen
aufgepfropft, andere nicht. andererseits hat der bolivianische katolizismus
nicht etwa etwas revolutionäres im sinne der befreiungsteologie an
sich. da läuft die sache schon sehr konform und regierungstreu. als
ich einmal zwei wochen mit einer caritas-verantwortlichen andere programmplätze
in bolivien besichtigen ging, kam ich auch mit den jeweilig obhütenden
bischöfen in kontakt - das waren sehr römisch-traditionelle
anlässe. jy: zurück
zum tema ziviles und militärisches: wie hast du das militär
von/in bolivien wahrgenommen? hast du überhaupt welches gesehen?
wenn ja, wie hat das ausgesehen? a.ae.: ich
habe davon einiges gesehen... es war irgendwie paradox, ich wollte in
meinem land dem militär entfliehen und landete in bolivien mitten
in einem, auch militärisch ausgetragenen, konflikt. als ich drüben
war, ereignete sich in cochabamba gerade ein volksaufstand gegen die privatisierung
der gesamten wasserversorgung. das grundwasser, die leitungen, jeder brunnen
und die bäche quasi auch sollten an eine us-amerikanische firma verkauft
werden. immer wieder gab es demonstrationen und strassenblockaden. schon
damals übrigens war evo morales, ein nicht-weisser politiker und
starker vertreter der sog. cocaleros, recht gut bekannt und sorgte mit
seinen aktionen und denen seiner anhängerInnen für aufsehen.
diese aufständischen aktionen wurden mit aller härte von polizei
und v.a. militär niedergemacht. neben den bekannten mitteln wie tränengas
und gummischrot wurden auch scharfschützen eingesetzt - es gab auch
tote. ich selbst habe mich nicht aus dem haus getraut, habe drinnen aber
viel radio gehört. diese (lokal-)radios übrigens gaben auch
hin und wieder die meldung durch, sie würden jetzt dann gleich abgestellt,
die armee stehe direkt vor der tür. des weiteren patroullierten zu
dieser zeit viele soldaten durch die stadt. das waren sehr junge männer,
z.t. angekarrt aus anderen städten, die nichts mit den konflikten
hier zu tun hatten. ja, es war also 'schon noch so strub', beängstigend
auch. hin und wieder hörte man wieder von der verschleppung von gewerkschaftern
oder bauernführern. jy: und: was
sprach die bevölkerung dort über das militär? was hielten
die leute von deinem einsatz als zivildienstler? a.ae.: die
sache ist zwiespältig. auf der einen seite wird die armee selbstverständlich
als verlängerter arm der korrupten regierung, als unterdrückungsmaschinerie
gesehen. auf der anderen seite gibt es keine fundamentale infragestellung
des militärs, also es käme niemandem in den sinn, über
die abschaffung der armee eine abstimmung zu lancieren - schliesslich
gibt es da den bösen chilenen im süden und den mächtigen
brasilianer im norden... das ist eigentlich verrückt! im gundsätzlichen
glauben die menschen dort an die demokratie und daran, dass sie ein mitbestimmungsrecht
haben, was ihre opposition vielleicht schon etwas mässigt. jy: kehren
wir zurück in die schweiz und ganz an den anfang deiner zivi-karriere:
wo ging denn eigentlich dein weg durch die instanzen durch? wie lautete,
ganz grob, deine argumentation im gesuch um zulassung zum zivildienst?
aus welcher militärverweigerer-ecke kommst du? a.ae.: als
bub aus dem emmental, lieb, unkriegerisch, aber in angst davor, es würde
mir ein beruflicher nachteil daraus erwachsen, wenn ich nicht ins militär
ginge, rückte ich 1989 in die rs ein. der teufel wollte es, dass
ich ein zu umgänglicher und zuverlässiger typ war und ich zum
weitermachen verdonnert wurde. ich absolvierte also halt - auch da ohne
gross widerstand zu leisten - die verdammte uo, im jahr später machte
ich noch einen wk, und von da an begann ich damit, alle militärdienste
zu verschieben. ich hatte zu dieser zeit einen chef, der mir schöne
zeugnisse schrieb. die erste grosse reise nach südamerika fiel ebenso
in diese periode. als um 1995/96 die zivildienstfrage einigermassen geregelt
war, habe ich umgehend (1997) ein gesuch eingereicht. im januar 1998 wurde
ich zur anhörung zitiert. nun, ich argumentierte zum ersten mit meinen
ewigen verschiebungen (wegschieben der 'pflicht', die für mein gewissen
nichts als negative folgen zeitigte). zum zweiten - eine pazifistische
schiene - verwies ich auf meine erfahrungen in südamerika (kolumbien),
wo ich das militär als direkte tötungsmaschinerie erlebte. zum
dritten gab es noch ein politisches geleise: ich versuchte aufzuzeigen,
inwiefern eine politische haltung aufs engste mit dem gewissen verknüpft
ist. jy: ich rede
gern vom zivildienst als volkserziehung bzw. maschinerie zur einordnung
junger, wilder männer in die auf hierarchien ausgelegte disziplin
der hiesigen arbeitsunverhältnisse. entdeckst du im fall von deinem
zivildienst diesbezüglich gewisse affinitäten - oder bist du
der meinung, du konntest dich dem entziehen? a.ae.: ich
bin der meinung, ich hätte mich dem entziehen können. weil gell,
wenn du schon zehn jahre gearbeitet hast, da bist du einfach in diesem
hierarchischen system der hiesigen arbeitsverhältnisse eingegliedert.
ich empfand dann meinen zivildienst mehr als ausgliederung! sechs monate
in einem ganz anderen umfeld zu leben, neue sachen und verhältnisse
kennen zu lernen, das empfand ich nicht als einengung. und gegenüber
dem strengen system der militärischen hierarchien, dünken mich
die hierarchien im arbeitsleben doch nicht so schlimm, zumal man am arbeitsplatz
in der regel eindeutig mehr mitspracherecht besitzt denn als soldat im
militär. ich finde, du bist da schon recht fundamentalistisch in
deiner gesellschaftskritik (nein, nein, versteh mich nicht falsch, das
ist auch gut!). wenn ich an die südamerikanischen verhältnisse
denke, dann dünken mich die hiesigen eben doch fast paradiesisch. jy: zum schluss:
kannst du den zivildienst in bolivien oder sonstwo im ausland weiter-empfehlen?
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