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schandfleck.ch_archiv/2002/nr.2
johannes künzler
allzu stille rebellen -

paul kessler (1929), albert ehrismann (1931) und traugott vogel: zwei frühe dienstverweigerer aus gewissensnöten und ihr verteidiger

beim blättern in r.j. humms "bei uns im rabenhaus" - ein büchlein, das die literatenszene der 30er-jahre in zürich beschreibt - stiess ich auf folgende sätze: "traugott vogel war sowohl mit albin zollinger als auch mit albert ehrismann gut befreundet. diesen hatte er in den zwanzigerjahren, als er den dienst verweigert hatte, vor divisionsgericht verteidigt."
20er-jahre? dienstverweigererprozess? schriftsteller? - das interessierte mich. und ich stieg in die schlünde der biblioteken und archive. zuerst allerdings mit herzlich wenig erfolg; dokumente zu diesem tema in jener zeit scheinen nicht grad der absolute renner zu sein - oder sie wollen nicht so leicht herausgerückt werden... (archiv-tamtam / militärjustiz-tango.) dank eines tipps eines aufmerksamen kenners der schweizer literatur konnte ich die - bereits verloren geglaubte - spur aber zum feldweg ausbauen. in der autobiografie traugott vogels (leben und schreiben. achtzig reiche magere jahre) findet sich nämlich ein längeres kapitel mit dem titel dienstverweigerer, paul kessler und albert ehrismann.

vogel sitzt zuhause an seinem schreibtisch, blätternd im dienstbüchlein, und erinnert sich seiner dienstzeit. immerhin war er einmal mehr oder weniger stolzer fourier gewesen: "...im schluttigen waffenrock kam man sich stets ein wenig als braver soldat schwejk vor, einfältiger als man von natur aus war, aber auch pfiffiger". dieser, vogels, spruch, der die unentschiedene haltung gegenüber dem soldatentum aufgreift, weist direkt auf die haltung des dienstverweigerer-verteidigers vogel hin - eine haltung, die im ersten fall direkt in der blamage endete und die - geschickter vorgetragen - im zweiten fall für milderne umstände sorgte. nun aber schön der reihe nach:

am 17. juni 1929 hatte der junge teologe paul kessler aus dem appenzell in st. gallen vor dem divisdionsgericht anzutreten. er verweigerte den dienst aus releigiös-pazifistischen gründen und im vollen bewusstsein der konsequenzen, die ein dienstverweigerer damals zu erwarten hatte. was er erhoffte, war einzig "eine sonderzelle mit einzelbett". kessler organisierte sich selbst einen verteidiger, und zwar seinen freund traugott vogel. letzterer aber war in verschiedener hinsicht nicht unbedingt die ideale besetzung in diesem stück. nicht, dass vogel nicht gut vorbereitet gewesen wäre, liess er sich doch für sein plädoyer von verschiedenen (ge)wichtigen leuten wie z.b. dem basler strafrechtler baumgarten oder dem schriftsteller alexandre vinet inspirieren und holte er doch bei dr. ernst aeppli ein grafologisches attest über kessler ein, in dem bestätigt wird, das sich in dessen schrift "eine ausserordentliche sauberkeit des charakters, grosse sachlichkeit, überstarkes gerechtigkeitsempfinden, bedürfnis nach klarheit und klarer situation" manifestiere. gut gerüstet fuhr vogel nach st. gallen - und war dennoch verzagt: denn er begriff sich nicht als "pazifist" und schon gar nicht als vaterlands-anpisser. vogel wollte seinen freund verteidigen, nicht aber dessen ideen von der absoluten gewaltfreiheit. "ich beneidete die so gar sicheren gegner zu beiden seiten: sowohl die verfechter der gewaltlosigkeit als die ebenso fanatischen kraftmeier der unentwegten aufrüstung. so befand ich mich zwischen den fronten und sah, wie standhaft und hart die unangefochtene besessene einseitigkeit sie werden liess." vogel plädierte aus dieser position heraus für seinen ach so gefühlvollen, seelisch untauglichen, aber im grunde der dienstpflicht selbst auch nicht völlig ablehnend gegenüber stehenden schützling. schauen sie ihn sich an, beweisen sie mitleid: ein einzelfall! politisch völlig korrekt, aber leider zu zart zum robben und schiessen. nun, das ganze ging tüchtig in die hosen: der ursprünglich zu einem zivilen dienst bereite angeklagte, der auf ein urteil gemäss artikel 45 ("achtungswerte beweggründe") hoffte, fasste - nebst beschimpfungen durch den ankläger: "an die laterne"! - die volle packung, d.h. gefängnis, ehrverlust (aberkennung der aktiven bürgerrechte für mehrere jahre!), gerichtskosten. "der verurteilte verzichtet selbstverständlich auf den im gesetz vorgesehenen ehrenvolleren strafvollzug auf einer festung und zog das zivilgefängnis vor."

"völlig zerknirscht" schlich vogel aus st. gallen ab. falls es ein nächstes mal geben würde, wollte er es besser, das meint, entschiedener für die seite des angeklagten, machen. nun, dieses nächste mal liess nicht lange auf sich warten. der zürcher lyriker albert ehrismann fragte freund vogel an, ob dieser ihn am 15. januar 1932 vor dem militärgericht verteidigen würde. vogel erklärte sich bereit, die "stille rebellion" zu unterstützen.
"es gibt dienstuntauglichkeit sowohl aus körperlichem als aus geistigem ungenügen. neben schwachsinnigen werden mehr oder weniger gesunde burschen mit krampfadern, plattfuss, zu geringem brustumfang oder anderen organischen gebrechen bei der miliärischen musterung entweder ausgeschieden oder zurückgestellt. wenn solche mängel in der geistigen oder körperlichen entwicklung zu ausschluss aus der armee führen, warum sollten seelische anfälligkeit und gesteigerte sensibilität nicht dieselbe rücksichtnahme bewirken? der so oder anders hinfällige trägt ja ohnehin zur schwächung der truppe bei. ich denke da an den menschenschlag des künstlers (...)." unter dieser prämisse - das zuschreiben einer offiziell-öffentlichen völligen debilität des künstlers - wollte also nun vogel seinen aktuellen 'klienten' durch die instanzen schaukeln. zu einem grafologischen gutachten hinzu legte vogel auch noch eine rezension von eduard korrodi (nzz!) zu ehrismanns gedichten: "...man spürt einen beinahe sympatisch zu nennenden zwiespalt des jungen dichters, der seinen mitmenschen liebender bruder sein wollte, aber durch viel leid und unbill das welt- und brudererlebnis so oft vergällt sieht (...)." vor dem tribunal setzte vogel diese rede (-nsart) in ähnlicher weise fort: "denn a. e. ist nicht ein zeternder, zimperlicher hasenfuss; seine sensibilität hat sich künstlerisch bezeugt; er ist der sprecher junger, zukunftsgläubiger menschen, die seine eindringliche lyrische stimme vernommen haben."
abermals setzte der verteidiger also auf die individualistische einzelfall-strategie der zarten seele - diesmal eben nur bestimmter für den angeklagten. und in einem gewissen sinne hatte er damit auch einen bestimmten erfolg, nämlich im vergleich mit einem anderen fall, der unmittelbar nach der vernahme ehrismanns vor dasselbe gericht kam, aber nicht das gleiche gericht bekam. indem ehrismann vor gericht betonte, "er stehe für sich alleine und habe keine sendung zu erfüllen", (...) "stellte er sich ohne absicht in gegensatz zum zweiten vor die schranken gerufenen dienstverweigerer jenes tages, der von seinen partei- und gesinnungsgenossen als demonstrant gegen den militaristischen gewaltglauben herausgestellt wurde. von seiten jener kämpfer wurde ehrismann hinterher vorgeworfen, er habe durch mich lediglich seine persönliche sache verteidigen lassen; ja einige eiferer schimpften ihn verräter und ziehen ihn der gesinnungslosigkeit, weil sie nicht billigen wollten, dass einer aus persönlicher notwehr den waffendienst ablehne." (...) albert ehrismann verurteilte man zu zwei, den anderen, mit namen eugen lyrer, zu vier monaten gefängnis (inkl. ehrverlust, gerichtskosten und nicht-befreiung von der dienstpflicht!). ehrismann und lyrer hatten übrigens in ihrer gefängniszeit briefkontakt - ersterer entschuldigte sich bei zweiterem für seine antidemo- und antipatostaktik, was dieser jenem jedoch schon von beginn weg gar nie übelnahm. immerhihn spielte also die solidarität der gefangenen unter sich.
der verzicht ehrismanns auf "lärmige publizität" verhalf ihm also zu einer milderen strafe. trotz der stille dieser rebellion habe der fall ehrismann unter vaterlandsfreunden einige erregung verursacht - ein richtiges aufsehen aber gab es aber dann doch nicht. offensichtlich wollte man die angelegenheit dienstverweigerer möglichst unter dem deckel behalten. wer sich also nur brav still verweigerte, dem würde es nicht so schlecht ergehen, wer sich aber laut und deutlich und in der art einer politischen manifestation artikulierte, der sollte drankommen.

nun, die moral von der geschicht ist leicht abzulesen: noch heute werden (vor der zivildienstgewissensprüfungskommission) nur so genannte gewissensgründe akzeptiert - niemals aber politische! das gewissen ist nämlich nur beim einzelnen und isoliert auszumachen (definition des modernen, autonomen subjekts schlechthin -denn nur wer ein gewissen hat, ist überhaupt erst ein autonomes subjekt!) und alles kann so auf die selbstverantwortung abgeschoben werden. gesellschaftliche missstände können übergangen und negiert werden usw. im handumdrehen wird so die solidarität unter den 'sklaven' sabotiert. so also wird: verurteilt, geteilt und geherrscht.

in seinem schlusswort am ende dieses kapitels geht traugott vogel - der hier ja in einer autobiografie zurückblickt (1975) - noch kurz auf die frage ein, ob es denn mit der sache der dienstverweigerer etwas gebessert habe. er kommt zum schluss, dass ja. immerhin würde heute niemand mehr der aktiven bürgerrechte beraubt und auch nicht, wie es im 2. wk üblich war, als landesverräter kurzerhand erschossen! auch sei das tema zivildienst heute nicht mehr ein absolutes tabutema.
Man muss auch noch bedenken, dass mittlerweilen, also in den 70er-jahren, gerade die schweizer schriftsteller enorm viel militärkritischer daherkamen und dies in ihren werken auch deutlich zu ausdruck brachten!
In den grossen 'denklinien', d.h. im moralischen (teologischen) unterbau sozusagen der dienstverweigerer-frage, meinte ich, ist aber vieles beim alten geblieben.

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