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schandfleck.ch_archiv/2002/nr.2
lukas lüscher
der achtundzwanzigste?
spanische konsensfindung
konsens ist wichtig. das finden auch die spanier. allerdings wird im süden eine art von konsensfindung praktiziert, die uns nordländern bisweilen merkwürdig vorkommt. meine gutgemeinten versuche, der hiesigen kultur der problemlösung einen namen zu verpassen, schlugen allesamt fehl. soviel haben meine stadt- und feldstudien ergeben: es handelt sich nicht um eine gemeine art eidgenössischer konsensdemokratie.

der spanische weg zum entscheid ist ebenso lange wie der schweizerische und vor allem laut. in einer ersten fase - ich nenne sie versuch, die problemstellung dem publikum zu eröffnen - positioniert sich die des problems bewusste person gut sichtbar vor der gemeinde derjenigen, die hierzu eine meinung abzugeben haben. wenn nötig aus erhöhter position (pult, stuhl) und mit kräftigem bass oder sopran wird die zu debattierende frage ausgerufen. in der nachfolgenden fase der synchronen anhörung der standpunkte wird dem recht auf meinungsäusserung rechnung getragen. um einem vorschlag gewicht zu verleihen, empfiehlt sich dessen unablässige und lautstarke wiederholung. die ausrufer haben sodann die gemeinde über die am lautesten geäusserten standpunkte in kenntnis zu setzen. bei der bildung eines vorentscheides versuchen die meinungsführer in der folge, mit den ausrufern einig zu werden, ehe diese dem übrigen publikum den vermeintlich demokratischen schlussentscheid präsentieren. dieser schritt wiederum führt zur entrüsteten nachdebatte, wo nochmals sämtliche problemlösungen zur diskussion anstehen. sobald das stadium der verzweiflung des ausrufers erreicht ist, leitet dieser die operation rückkehr zur normalität ein (beispielsweise mittels faustschlägen auf einen tisch). in der ihm zur verfügung stehenden, meist kurz bemessenen redezeit bittet er die anwesenden inständig um einen konsens, wobei er bei nichterfüllen dieser forderung mit der vertagung der debatte auf unbestimmt droht. bei zeitknappheit wählt er nach zufallsprinzip eine der geäusserten problemlösungen aus und präsentiert diese als fiktiven konsens der gemeinde. seine übrigen äusserungen gehen in der diskussion des fiktiven konsenses unter.

nach auflösung der versammlung wird anlässlich der gruppenkonsultation des ausrufers in erfahrung gebracht, ob es letztendlich zu einem entscheid gekommen ist oder nicht.

professorin (schreit): gut, leute, wir müssen noch den termin für die zwischenprüfung festlegen... ich schlage vor, wir nehmen den dreizehnten...
alle: eine zwischenprüfung? was für eine zwischenprüfung? ist das überhaupt legal?
professorin: jawohl, eine zwischenprüfung.
jorge: der dreizehnte, das ist in nur drei wochen, mann!
carmen: da muss ich zu meiner grossmutter!
eloise: in dieser woche kommen meine eltern, da kann ich unmöglich...
jorge, paco, dolores, carmen: der achtundzwanzigste, leute, das ist viel besser, da haben wir vorher noch puente ("brücke" von feiertag zu feiertag, da man dazwischen ja unmöglich arbeiten kann).
professorin: o.k., dann also der achtundzwanzigste.
alle übrigen (entrüstet): was? wer spricht hier vom achtundzwanzigsten?
miguel, zu josé-manuel und inmaculada: ach, und mein vortrag fällt in die gleiche zeit... und dann dieses dicke skript, habt ihr euch das schon einmal angeschaut? wie? ob ihr euch das skript schon angeschaut habt?
professorin (beschwichtigend): also, die zwischenprüfung wird bestimmt nicht schwierig.
dolores: ja, und weshalb machen wir dann überhaupt eine zwischenprüfung?
professorin: na, um eine vorselektion zu machen.
alle: eben doch eine richtige prüfung, mit noten und so!
professorin: o.k., bleiben wir beim dreizehnten.
jorge, paco: aber wir hatten doch gesagt...
carmen, zu paco: also, ich werde nachher zur professorin hingehen und ihr sagen, dass meine grossmutter...

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