schandfleck.ch_archiv/2002/nr.1 |
johannes
künzler
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arbeit als religion | |||
im
folgenden sollen hier in kürze - und so auch unvollständig und
nur ausschnittweise - ein paar grundzüge aus max webers protestantischer
etik (1920) wiedergegeben werden. dabei möchte der collage-fabrikant
möglichst oft weber selbst 'sprechen' lassen. es ist sicher nichts
neues, das tema arbeit anhand der ideen webers anzugehen - weber mag unter
soziologen ein alter hut sein, nur: wie viele leute sind schon soziologInnen?
webers tesen sind genug interessant, möglichst vielen menschen zu teil
zu werden und nicht nur einem kleinen, exklusiven kreis. sie sind immer
noch aktuell und können einem vielleicht helfen, gewisse probleme der
heutigen (arbeits-) verhältnisse etwas besser zu verstehen. warum und inwiefern arbeit zur religion werden konnte, soll nun in vier - miteinander in verbindung stehenden - komplexen dargelegt werden: die erste kapitelüberschrift
lautet so: vom arbeiten um zu leben zu vom leben um zu arbeiten oder
der traditionalismus als ärgster feind des 'neuen' kapitalistischen
geistes. "der gegner, mit welchem der geist des kapitalismus im sinne eines bestimmten, im gewande einer etik auftretenden, normgebundenen lebensstils in erster linie zu ringen hatte, blieb jene art des empfindens und der gebarung, die man als traditionalismus bezeichnen kann." die männer des neuen geistes können ungefähr so charakterisiert werden: "der gedanke an die fromme langeweile des paradieses hat für ihre tatenfrohe natur wenig verlockendes, die religion erscheint ihnen als ein mittel, die menschen vom arbeiten auf dem boden dieser erde abzuziehen. würde man sie selbst nach dem sinn ihres rastlosen jagens fragen, welches des eigenen besitzes niemlas froh wird, und deshalb gerade bei rein diesseitiger orientierung des lebens so sinnlos erscheinen muss, so würden sie, falls sie überhaupt eine antwort wissen, zuweilen antworten: die sorge für kinder und enkel, häufiger aber - da jenes motiv ja offenbar kein ihnen eigentümliches ist, sondern bei den traditionalistischen menschen ganz ebenso wirkte, - richtiger ganz einfach: dass ihnen das geschäft mir seiner steten arbeit zum leben unentbehrlich geworden sei. das ist in der tat die einzige zutreffende motivierung und sie bringt zugleich das, vom persönlichen glücksstandpunkt aus angesehen, so irrationale dieser lebensführung, bei welcher der mensch für sein geschäft da ist, nicht umgekehrt, zum ausdruck." die in der traditionellen lebensführung verbliebenen konnten das nicht einsehen: "das aber ist es eben, was dem präkapitalistischen menschen so unfasslich und rätselhaft, so schmutzig und verächtlich erscheint. dass jemand zum zweck seiner lebensarbeit ausschliesslich den gedanken machen könne, dereinst mit hohem materiellen gewicht an geld und gut belastet ins grab zu sinken, scheint ihm nur als produkt perverser triebe (...) erklärlich." kommen wir um zweiten komplex: die entzauberung der welt und arbeit als religiöses moment. wenn weber von der "entzauberung der welt" spricht, so meint er damit das allmähliche herausfallen alles magischen und magisch-rituellen bei religiösen handlungen, welches insbesondere die proterstanischen 'sekten' - hier immer noch in scharfem gegensatz zu den katoliken - radikal beförderten. die verbindung zu gott ist abgerissen, nichts, aber auch rein gar nichts ist von seiner anwesenheit in der welt zu spüren, kommunikation mit allem übersinnlichen unmöglich geworden. dies bewirkt u.a., dass dinge wie busse tun, für verstorbene beten oder almosen verteilen ihre wirkung als heilsgarantie völlig verloren haben, heiligenverehrung ist götzendienst geworden, das abendmahl zum blossen symbol (an stelle des zaubertricks, aus wein blut zu machen und dieses anschliessend in dracula-manier zu schlürfen) verkommen. der absolut unverständliche, geheimnisvolle gott wirft den menschen umso mehr auf sich selbst zurück und auf das leben in der welt: die irdischen, die so genannt innerweltlichen tugenden sind so zum einzigen religiösen akt der bewährung und des heils geworden, allem voran die (berufs-)arbeit. "aber dabei ist zu berücksichtigen, was heute oft vergesen wird: dass die reformation ja nicht sowohl die beseitigung der kirchlichen herrschaft über das leben überhaupt, als vielmehr die ersetzung der bisherigen form derselben durch eine andere bedeutete. und zwar die ersetzung einer höchst bequemen (...), vielfach fast nur noch formalen herrschaft durch eine im denkbar weitest gehenden masse in allen sfären des häuslichen und öffentlichen lebens eindringende, unendlich lästige und ernst gemeinte reglementierung der lebensführung." etwas konkreter: "nun ist unverkennbar, dass schon in dem deutschen worte beruf (...) eine religiöse vorstellung: - die einer von gott gestellten aufgabe - wenigstens mitklingt (...). " Luther habe dieses wort bei seiner bibelübersetzung so quasi neu erfunden - in den hebräischen oder lateinischen bibeltexten sei bei dem entsprechenden wort noch keine solche berufungs-konnotation beigemischt gewesen. und weiter: "und wie die wortbedeutung, so ist auch (...) der gedanke neu und ein produkt der reformation. (...) unbedingt neu war jedenfalls zunächst eins: die schätzung der pflichterfüllung innerhalb der weltlichen berufe als des höchsten inhaltes, den die sittliche selbstbetätigung überhaupt annehmen könne. dies war es, was die vorstellung von der religiösen bedeutung der weltlichen alltagsarbeit zur unvermeidlichen folge hatte und den berufsbegriff in diesem sinne erstmalig erzeugte. es kommt also in dem begriff beruf jenes zentraldogma aller protestantischen denominationen zum ausdruck, welches die katolische unterscheidung der christlichen sittlichkeitsgebote in praecepta und consilia verwirft und als das einzige mittel, gott wohlgefällig zu leben, nicht eine überbietung der innerweltlichen sittlichkeit durch mönchische askese, sondern ausschlisslich die erfüllung der innerweltlichen pflichten kennt, wie sie sich aus der lebensstellung des einzelnen ergeben, die dadurch eben sein beruf wird. " somit sind wir bei einem weiteren komplex der protestantischen etik angelangt: jeder mensch ein mönch! - innerweltliche askese und die vereinsamung des individuums. als konsequenz aus der höchst religiösen vorstellung von arbeits- und berufsleben konnte das entstehen, was weber mit innerweltliche askese bezeichnet. es bedeutet, dass der einzelne mensch sich dauernd, wirklich in jeder sekunde seiner wertvollen lebenszeit, der selbstreflexion und selbstkontrolle unterwerfe, im stil: "wie kann ich meine arbeitskraft optimieren, wie kann ich mein leben rationell bis ins letzte durchgestalten, damit ich die grösstmögliche leistung aus mir herausholen kann? was tue ich als nächstes und was hat dies für konsequenzen bezüglich meiner arbeit?" usw. konkret: hart arbeiten im beruf und weiter: bescheidene nahrung (v.a. wenig fleisch!), keine genussmittel überhaupt, sexuelle enthaltsamkeit, hartes bett, kühle arbeitsräume, denn sie halten einen wach etc. ständiges, nimmer aufhörendes an sich halten! (dies ging natürlich einher und hing eng zusammen mit der mehr und mehr sich entwickelnden industrialisierung der arbeitswelt und deren immer rationalisierteren arbeitsabläufe. z.b. entstehung der manufakturen). auf diese weise ist nun jeder mensch ein mönch geworden. äusserst wichtig beim ganzen ist nun, dass jede(r) bei diesen tätigkeiten absolut auf sich alleine gestellt ist, nicht nur weil es fortan keine magischen verbindungen zwischen allen lebewesen der welt und überwelt mehr geben soll, sondern auch weil bei der neuen gnadenkonzeption alle nur sich selbst helfen können. hier vermischen sich nun verschieden aspekte des dritten und des vierten komplexes, weshalb nun schon die überschrift des vierten feldes gegeben wird: arbeiten für gott - kapitalvermehrung als garantie der erlösung: das konzept der auserwählten im calvinismus. ja, die frage stellt sich natürlich: wieso soll denn jeder für sich schauen und nichts tun als arbeiten und darauf achten, wie der arbeitsprozess zu verbesseren wäre? "der calvinismus fügte aber im verlauf seiner entwicklung etwas positives: den gedanken der notwendigkeit der bewährung des glaubens im weltlichen berufsleben hinzu. er gab damit den breiten schichten der religiös orientierten naturen den positiven antrieb zur askese." und im zusammenhang mit der askese der puritaner: "aber die arbeit ist darüber hinaus, und vor allem von gott verschriebener selbstzweck des lebens überhaupt. der paulinische satz: wer nicht arbeitet, soll nicht essen, gilt bedingungslos und für jedermann. die arbeitsunlust ist symptom fehlenden gnadenstandes." der letzte satz dieses zitates ist in der lehre von johannes calvin (reformator in genf) noch weiter getrieben worden, und zwar auf diese weise nämlich, dass nicht nur die fehlende arbeitslust, sondern vor allem auch das fehlende geld/kapital, der ausbleibende reichtum ein überdeutliches zeichen darstellte, dass jener 'arme' bereits ausersehen ist, in der hölle zu schmoren. es konnte einer noch so hart arbeiten - wenn er zugleich kein kapital anhäufen konnte, dann war er verloren, ein verdammter (so genannte praedestinationslehre - alles ist schon vorbestimmt). es wurde in ihm auch ein schlechter mensch gegenüber der ganzen menschheit (oder zumindest einer bestimmten grösseren gruppe) gesehen, einer, der offensichtlich nicht gewillt war, den reichtum des reiches gottes auf erden zu mehren. und so dazu nichts beitrug, den entwicklungsstand gottes vorwärts zu bringen. (das ist ein teosofisches konzept, wenn der entwicklungsstand der menschen gleich dem entwicklungsstand gottes gesetzt wird. es gibt im buddhismus ähnliche vorstellungen - siehe reinkarnations-vorstellung: wer schlecht gelebt hat, muss noch einmal antreten, bis die sache 'gut' ist.) für die armen wurde das hart: "... - eine kluft, die in harter schärfe in alle soziale empfindungen einschnitt. denn diesem gottesgnadentum der erwählten und deshalb heiligen war angesichts der sünde des nächsten nicht nachsichtige hilfsbereitschaft im bewusstsein der eigenen schwäche, sondern der hass und die verachtung gegen ihn als einen feind gottes, der das zeichen ewiger verwerfung an sich trägt, adäquat. " jeder gegen jeden! "gottes gnade ist, da seine ratschlüsse unwandelbar feststehen, ebenso unverlierbar für die, welchen er sie zuwendet, wie unerreichbar für die, welchen er sie versagt. in ihrer patetischen unmenschlichkeit musste diese lehre (...) vor allem eine folge haben: ein gefühl einer unerhörten inneren vereinsamung des einzelnen individuums. " also: einem bettler nichts geben, denn erstens verringert das das eigene vermögen und so den gnadenstand und andererseits ist ein bettler ein schlechter mensch, denn er hilft nicht mit, dem reich gottes auf erden zu grösserer ehre zu verhelfen, ja er ist demzufolge asozial und ohne menschenliebe! schliesslich kann ihm ohnehin nicht geholfen werden, denn er ist praedestiniert...
- max weber: die protestantische etik und der geist des kapitalismus. in: gesammelte aufsätze zur religonssoziologie I . tübingen 1988. - peter blickle: die reformation im reich. 2. , überarbeitete und erweiterte auflage. stuttgart 1992.
vorgängig muss noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass dieser text womöglich allzu räselhaft bleibt, wenn du, lieber leser, liebe leserin, nicht schon den anderer 'arbeit-text', arbeit als religion, der als eine art einführung ins tema gedach ist, gelesen hast.
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