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schandfleck.ch_archiv/2001/nr.1
daniel costantino
alternatives zivildienstgesuch
sehr geehrte damen und herren

es geht mir nicht darum, ihnen einen gewissenskonflikt nachzuweisen; ich bin nicht daran schuld, dass man mich ins militär schickt, mich darin unterweisen will, menschen, feinde zu hunderten, tausenden niederzumachen, totzuschiessen, abzumurksen. es schmerzt mich nicht, diesen dienst dem staat und der gesellschaft zu versagen, versagen zu müssen. ich spüre durchaus keine zerrissenheit, nein, die sache ist ganz klar, ganz vernünftig und völlig egoistisch: militärische landesverteidigung geht mich nichts an. und brächte man mich eines tages dazu, hier mitzumachen, ich kann mir schlecht vorstellen wie, als einen gefangenen, als einen, dem man das messer an den hals setzt: du oder die - vielleicht würde ich um mein leben schiessen, irgendwohin, ausser rand und band, barbarisch, vielleicht den befehlshaber erschiessen, oder mich selbst, aber ich glaube nicht, dass in so einem moment anstand etwas vordringliches wäre, egal: das wäre nicht ich, der so handelte, das wäre nicht einmal mehr ein schatten meiner selbst, als identität, als mensch wäre ich schon längst gestorben, wie ich überhaupt in dem ganzen spiel nur zur leiche tauge: ein minus für diese, ein plus für die andere seite. ich selbst stehe auf keiner.

aber ich stehe auf der seite der menschlichkeit, der lebensfreude, des vertrauens. ich habe vielleicht feinde, zugegeben, kenne menschen, die mir die luft zum atmen abschneiden: ein paar lehrer, die uns jahrelang terrorisierten, sich auf unsere kosten an unseren fehlern ergötzten, um von schlimmerem nicht zu sprechen, und es doch nur gut gemeint haben wollen; meinen vater, der nicht mehr mit mir spricht, seit ich mit meinem freund schlafe; kommandanten, die mich in eine uniform stecken wollen und mir befehlen, mich wie ein soldat, wie ein folgsamer hund, wie ein kretin zu verhalten - überhaupt, wer mir befiehlt und
damit mein wesen geringschätzt und meine lebensfreude. befehle machen die welt, die menschenwelt kaputt: so selbstverständlich und gewohnt erscheinen sie, so allgegenwärtig und noch in intimsten bereichen treiben sie ihr unwesen, dass es bald keiner mehr merkt. die meisten menschen blenden klaglos aus, dass sie nicht frei sind, sondern befehlsempfänger. elias canetti hat einmal geschrieben, nur der sei ein freier mensch, der befehlen auszuweichen wisse. arbeitsplatz, wohnung, ansehen, die äussere bewegungsfreiheit an sich müsste aufgegeben werden, würde man nicht ständig befehlen gehorchen. befehle sind pfeile, die sich in unser fleisch bohren und sich dort festsetzen - feinde jeder einzelne, fremdkörper in jedem falle, keineswegs vermischen sie sich mit unserm blut. der staat ist ein kommandant, der mit harten sanktionen nicht spart, auch die gesellschaft, das volk, offenbar aus dem reflex, sich seiner eigenen pfeile zu entledigen, indem man sie einem andern zusteckt.

ich bin aber nicht das volk, ich will kein stück volk sein, sondern mich selbst, und ich weiss, dass man dies als arroganz auffassen könnte, was es aber nicht ist. ich bin auch nicht stolz oder froh oder irgend glücklich, schweizer zu sein. ich möchte auch nicht deutscher sein oder franzose oder was anderes, ich begehre überhaupt keine staatsbürgerschaft, und schon gar keine, die mich zwingt, mich von feinden bedroht zu fühlen, die jederzeit überall losschlagen könnten, bis an die zähne gerüstet, bis ins mark fanatisiert, lange schon eifersüchtig auf unser schönes, freies, reiches land, und sind sie uns nicht heute schon feind, so werden sie es morgen sein oder gewiss übermorgen zu sein beabsichtigen und auf den gedanken verfallen, man lernt ja aus der geschichte, uns zu zerstören, zu vernichten, zu unterjochen, was weiss ich. ich weiss, dass es sich um meinen bruder handeln könnte, der ebenso denkt wie ich, der mich erschiessen soll oder ich ihn; beide hätten wirs von uns aus nicht gewollt.

die welt sei schlecht, sagt im jahr 2000 der bundesrat, und politik, die sie verbessern wolle, illusionär und verantwortungslos. ich finde gerade das gegenteil wahr: vertrauen ist keine illusion, wenn man es selber in sich spürt und entwickelt und den andern zu spüren gibt; aber ich verströme kein vertrauen, wenn ich mich bewaffne und an der waffe übe, was wunder, ich hätte ja gar keins, überhaupt keins. ich erwarte, ich habe mich über ihre anhörungspraxis orientiert, ihre frage nach der legitimen notwehr, sie werden mich fragen, ob ich mich gegen einen messerstecher zur wehr setzen würde oder gegen jemanden, der versucht, meine freundin zu vergewaltigen, vielleicht hätten sie sogar den anstand, von meinem freund zu sprechen, wer weiss - dies ist eine verfängliche frage, was ich auch sage, kann gegen mich ausgelegt werden: nicht gewaltlos genug oder ein feiger schuft. abgesehen davon, dass der begriff notwehr sich mit einer reflexhaften, spontanen aktion verbindet und nicht mit der vorstellung einer lange eingeübten, klug ausgetüftelten und paraten abwehr, der sich notwehrende also den feind nicht erwartet und geradezu herbeiredet, im gegenteil gar nicht mit ihm rechnet und nicht mord, sondern totschlag im affekt beginge - ich bin versucht, ihnen ein gegenbeispiel zu bringen, ihnen zu sagen, ich hätte bald keine freunde mehr, würde ich mit einer pistole herumlaufen, sondern lauter gegner, feinde, die mich fürchteten und sich zu ihrem schutz bewaffneten, so sie den umgang mit mir nicht zu vermeiden wüssten. ich glaube auch, alles, was der mensch einmal geschaffen hat, kann er auch wieder verändern, sogar die wirtschaft und das kapitalistische system. ich finde es unerhört, dass ich für lohn arbeiten muss, nur um ein dach überm kopf zu haben und zu essen. ich bin kein kommunist, obwohl ich auch erkenne, dass die güter und das geld ungerecht verteilt sind und es zuviele profiteure gibt, die im luxus leben, weil das geld für sie arbeitet und knappgehaltene lohnabhängige, während millionen menschen verhungern. ich habe zwar mehr sympatien für proletarier als für allerlei andern menschenschlag, doch ich finde nicht, dass produktion sein muss, dass arbeit an sich ein wert sei; und ich will gar keine überflüssigen sachen und nicht an einer monotonen, schädlichen arbeit verdummen. ich wäre zufrieden, wenn wir keinen atomstrom und keine autos hätten, ich finde sogar die meisten fernsehprogramme volksschädigend. ich wünsche mir eine welt, die zeit hat und nicht in den geistigen und fysischen untergang hetzt, ich wünsche mir mehr menschen, die sich zeit nehmen können, mensch zu sein und nicht eine neurotische, egoistische, völlig aus dem ruder laufende dienstleistungsgesellschaft, eine zukunft, in der es keinen anstoss, sondern freude erregen würde, wenn ich mit meinem freund schmuse.

ich möchte ihnen anhand dreier zwillingspaare darlegen, wie die armee die idee von welt, die ich ablehne, fördert und vertedigt, indes jene, für die ich lebe und einstehe, allerdings gewiss ohne gewehr, geradezu zertreten wird.

befehl und gehorsam

"du sollst nicht töten", heisst es in der bibel. unser staat, unsre gesellschaft beruft sich auf christliche werte, meint gerade sie, wenn von der "wertegemeinschaft" oder auch von der "kulturellen identität" die rede ist - je nachdem steckt man die grenzen etwas weiter und gehört plötzlich zum "westen", gar zu "europa", wenn man die eigenen werte in gefahr sieht, sie sind ja auch gar so zerbrechlich und flatterhaft. die präambel der bundesverfassung beruft sich auf den christlichen gott, gerade hat ein neugewählter bundesrat die eidesformel gesprochen: "so wahr mir gott helfe" - nun ist er verteidigungsminister. ich bin mit dem bibelsatz einverstanden, obwohl ich kein christ bin. vielleicht sehe ich deshalb nicht ein, warum es verboten sein soll, einen einzelnen zu töten, aber erlaubt, ja befohlen, es hundert- oder tausendfach im krieg zu tun. ich gehe noch weiter, ich fange schon vorher an mit dem tötungsverbot. das fysische töten ist der extreme vorgang, doch töten fängt mit dem befehlen an, und mit dem gehorsam: töten von individualität, von ideen, selbstaufgabe und preisgabe, töten von seelen, abstumpfung, töten von lebenskraft und daseinsfreude. der befehl ist in einem umfassenden sinn antierotisch. er schaut, dass sich menschen nicht zu nahe kommen, nicht kommen dürfen, dass sie auf distanz bleiben, in funktion, dass sie aneinander als befehlshaber und befehlsempfänger, als chefs und untergebene, als bewilligungsinstanzen und bittsteller vorbeibeileben, vorbeikommandieren, vorbeigehorchen. er sorgt für hierarchische abstufungen, er schubladisiert sie, er hängt ihnen zahlen und nummern und statistiken an. er sorgt für konkurrenz und neid, für fremdbestimmung, letztlich auch dafür, dass kriege im geiste und in den rüstungsfabriken vorbereitet und auf den schlachtfeldern geführt werden; er sorgt für tote, für tote menschen, tote tiere, tote natur, millionenfach, alljährlich, alltäglich. er ist schon krieg im kleinen.

die armee ist kein verein, in dem andere gesetze gelten als in der übrigen gesellschaft. es gelten in ihr die gleichen, sogar sehr anschaulich die gleichen, unausweichlich und unabwendbar, man weiss, wes geistes kind die gesellschaft ist, wenn man die armee studiert, das ist jedem kind begreiflich. die armee ist der auf den punkt gebrachte befehl, die todesdrohung an sich. die drohung mit dem tode steckt im kleinsten ihrer befehle schon, den sie über kasernenhöfe schreit und in die welt hinausposaunt. und der gehorsam ist sein gegenstück, die individuelle, geistige und psychische kapitulation. ich lehne es ab, mich diesem makaberen zwillingsgespinst zu beugen. ich gebe meine lebensfreude nicht auf.

arbeit und produktion

bosse und arbeiter sind sich darin einig, in der konkurrenz der produzierenden mächte ganz zuvorderst sein zu wollen. es ist leicht einsehbar, zu wessen vorteil, zu wessen nachteil. immer wird versucht, den kleinen einzureden, sie arbeiteten in ihrem eigenen interesse. genau wie bei der kriegsvorbereitung. die gewerkschaften kämpfen derweil schon für das "recht auf arbeit" - auf lohnarbeit, notabene, auf irgendeine arbeit. man ist froh, wenn man mit steuergeldern einer firma erleichtern kann, eine schweizerische zu werden oder zu bleiben, das sichere arbeitsplätze, heisst es. es sichert vor allem die profite. am eklatantesten erscheint diese art von arbeit, von der ich spreche, im militär gefördert zu werden: so sinnlos, so idiotisch, so langweilig - und schlimmen zwecken dienend, wie vieles in der industrie auch; man geht allerorts über leichen: zerstörte freiheit, abgestumpfte herzen, vernichtete feinde, und das gerade bei bestem geschäftsgang. es ist mir bewusst, dass ich als zivildienstleistender automatisch diesem prozess einverleibt werde, zu hundert prozent sozusagen, nicht zu dreissig, vierzig arbeitsprozenten, die mir persönlich weitaus genügen. sollten sie mein gesuch bewilligen, werde ich genau auslesen, in welcher organisation ich mich engagieren möchte, und behalte mir vor, eine mir zugewiesene arbeit abzulehnen. ich protestiere auch deshalb gegen
die armee, weil sie die gesellschaft auf diesem absurden weg des arbeitszwangs und seiner noch absurderen beweihräucherung weitertreibt. zivildienst erscheint mir ebenfalls als ein übel, aber für mich das kleinste von allen neben militär, psychiatrie oder dem knast.

uniform und sexualität

ich habe geträumt, ich liege wie eine landkarte ausgebreitet auf einem grossen tisch in einem kriegsministerium, wie eine sezierte leiche, und um mich herum generäle, feldmarschälle und hochrangige politiker, die gefechtslage erörternd. mir werden stecknadeln aufgesetzt, an der brust, auf der lunge, über dem bauch, an den beinen, zwischen den beinen, sogar zwei am kopf. lauter feindbewegungen, truppenbewegungen, eigene und fremde posten. ich schreie, man fesselt mich, die landkarte darf sich nicht verrücken. man geht überhaupt nicht auf mich ein, ich merke, dass keiner meine schreie hört, keiner sieht, dass ich ja ein mensch, kein fetzen papier bin. das habe ich vor ein paar monaten geträumt, und die sache hat mich sehr beschäftigt.

ich stelle mir vor, man steckt mich in eine uniform: mann, strammes glied, allzeit bereit. homofobie, die angst der truppe vor sich selbst. kein schwank, bittrer ernst. stammtischwitze vom penetrantesten, auch heterosexualität eine tragödie. mutter helvetia unser besitz, wir verehren sie wie eine frau: ritterlich, in verkrampfter haltung, zu einem gespannten pfeil gebogen, ganz befehl, ganz gehorsam. initiation. rauher, stachliger stoff: rührmichnichtan, kamerad. die mannesehre ist verletztlich und reizbar, in meiner gegenwart fürchtet mann, kein rechter mann zu sein, die andeutung einer avance von meiner seite wird streng geahndet. von einem mann erhält mann keine avancen, sonst denken die andern noch, man sei selber schwul. ich werde verprügelt, ich werde geächtet. ich bin umzingelt von feinden, die mein heiligstes in den schmutz ziehen. ich bin krank, glaubt man. oder ich hätte einen falschen genetischen code. so bin ich ein unglücksfall, besten falles. etwas dümmeres und enttäuschenderes als diese "männliche initiation", wie sie häufig beschworen wird, existiert überhaupt nicht. ich würde mich schämen, diese uniform zu tragen, vielleicht noch mehr als man sich schämen würde, mit mir unter einer decke zu stecken. mein stolz verbietet mir, mich dermassen lächerlich zu machen, mein stolz verbietet mir,
mit diesem sexistischen ambiente zu tun zu haben, und sagen sie mir nicht, ich übertreibe, ich gehe mit offenen augen durch die welt, es ist schon schwer genug, im normalen leben nicht dauernd aufs dach zu bekommen. ich weiss, wie das militär, wie seine hierarchie mit geouteten schwulen umspringt: schikanen, spiessrutenläufe, psychiatrie. ich kann mich mit dem propagierten und geforderten männlichkeitsbild nicht identifizieren, ich nehme eine solch perverse rolle nicht an. auch die unterdrückung der sexualität oder, noch umfassender, der erotik führt zu kriegen: hilflose, verängstigte menschen, verelendet im innersten, konditioniert, verdummt, stauen aggressionen an. unsere gesellschaft krankt sehr an ihrem umgang mit sexualität, sie ist erotisch geschädigt, verstümmelt, fast schon tot. das ganze gleicht einer hirnwäsche, ganz verdammt tut es das, einer christlichen, würde ich sagen. was schrieb ich oben von unserer "wertegemeinschaft"? auch dafür stehe ich nicht mit meinem leben ein, nicht mal mit einem gedanken.

ich werde ihnen keine biografischen daten liefern, es geht sie und den staat nichts an, was ich als meine privatangelegenheiten betrachte, auch will ich nicht, dass während meines lebens intime daten gehortet und gehütet und möglicherweise ausgewertet werden. es genügt, wenn sie diesen text lesen, wenn sie mich vor sich haben werden, mich sprechen hören. ich bin geboren, mein glück zu suchen, einen sinnvolleren und edleren grund kann ich nicht sehen. ich weiss und spüre, dass glück eine verbindende, liebende kraft ist, eine kreative auch. es gibt nichts, was dem frieden zuträglicher wäre. das gemüt, die seele ist das wichtigste und kostbarste im menschen. der verstand muss dem gefühl folgen, sonst nimmt der mensch und nimmt die gesellschaft schaden.

ich will nicht auswandern, unsereiner war als mensch zuerst da. ich verweigere den militärdienst aus gefühlsmässigen, erotischen gründen, aus verstandesgründen und aus dem tiefen bedürfnis heraus, mich nicht manipulieren und missbrauchen zu lassen.

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