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schandfleck.ch_archiv/1998/nr.2
daniel costantino
 

interview mit ralf winkler

dc - ralf winkler, du hast jahrgang 1915. erzähl uns doch: was waren deine ersten eindrücke vom militär und vom krieg?

rw - ich habe erlebt, wie's in frankreich ausgesehen hat nach dem 1. weltkrieg. komplett zusammengeschlagene dörfer, und überall gab es noch blindgänger und unterstände, in denen wir herumkrochen trotz verbot, und dauernd ging irgendwo wieder ein blindgänger hoch, und was mir vor allem zu schaffen machte war dieser hass auf die deutschen, da waren wir als deutschschweizer auch mitgemeint, und weil wir reformiert und nicht katolisch waren, hiessen wir nicht nur 'sales boches', sondern auch 'sales juifes'. solche dinge haben mich seit kindheit beschäftigt.

dc - viele ältere schweizer sagen, auch wenn sie heute ein bisschen anders über die armee denken als damals, 1939 sei eine andere zeit gewesen, da habe man einfach mittun müssen.

rw - ja, es hat eingeleuchtet, dass man sich gegen hitler wehren musste, wenn der uns auch hätte fressen wollen. man hat allerdings kein fragezeichen dahintergesetzt, ob die armee das richtige mittel sei, um sich gegen hitler zu wehren.

dc - und du? hast du damals daran geglaubt?

rw - so halbwegs. jedenfalls hätte ich mich meines beines wegen drücken können. ich liess mich aber stattdessen bei der nachmusterung zum hd machen. ich hätte es nicht fair gefunden, mich zu drücken. dann aber ist einiges passiert, ich habe natürlich das weltgeschehen mitverfolgt und erkannt, dass man militärisch zu keinen gescheiten zuständen kommen kann. in der schweiz war schon immer die meinung da, die armee habe uns vor hitlers eindringen gerettet. aber das habe ich nie geglaubt. schon damals nicht, weil ich gesehen habe, wie es in sachen rüstungsexport gelaufen ist. bei sulzer in winterthur haben wir in dieser zeit unterseebootmotoren gemacht für die nazis. da habe ich schon befunden, dafür hätte ich nicht maschinenschlosser gelernt.

dc - würdest du das als kollaboration bezeichnen?

rw - natürlich, das war schon eine echte kollaboration. und gleichzeitig hiess es, welch fürchterliche gestalt dieser hitler sei, der auch uns fressen wolle. dabei ist doch hitler deshalb nicht einmarschiert, weil wir für ihn waffen geschmiedet haben! der wäre ja ein narr gewesen! allerdings war ich selber auch oft genug einer, ich habe zum beispiel einmal in dieser zeit unterschriften gesammelt für eine duttweiler-initiative, die 1000 flugzeuge beschaffen wollte!

dc - und dann hast du dich aber doch eines besseren besonnen?

rw - ja. im verlaufe des krieges wurde mir der militärische weg je länger desto fragwürdiger. schliesslich wurde ich als eisenbahn-hd eingeteilt. da habe ich mithelfern müssen, die strecke winterthur-schaffhausen zu elektrifizieren, an sich noch eine sinnvolle sache, an der ich nichts auszusetzen hatte. dazu habe ich aber vereidigt werden müssen, und diesen fahneneid habe ich verweigert, weil ich nicht absoluten gehorsam schwören wollte. dieser passus der eidesformel hat mir gar nicht gepasst. da ist mir blitzartig klar geworden, dass ich mich an einen solchen eid nicht halten könne, wenn ein vorgesetzter mir zum beispiel befehlen würde, jemanden zu erschiessen. da habe ich halt die hand nicht aufgestreckt und bin dafür 3 monate ins gefängnis gekommen, juristisch gesprochen wegen nichtbefolgens von dienstvorschriften. es hat bei der gerichtsverhandlung geheissen, ich würde dann wieder ein aufgebot kriegen, und wenn ich mich wieder weigern sollte, gehe man dann schärfer vor. das aufgebot kam tatsächlich wieder, im folgenden jahr, und ich hatte es mir immer noch nicht anders überlegt, trotz dem überaus miesen strafvollzug im solothurnischen, habe den eid wieder nicht geleistet. infolgedessen entliess man mich mit der drohung, ich müsse dann wieder vor gericht. dann habe ich aber lange nichts vernommen und wurde unruhig, weil ich die stelle hätte wechseln wollen und nicht genau wusste, wann ich nun vor gericht komme und in den knast müsse. da habe ich mich bei der gerichtskanzlei erkundigt, und die haben mir gesagt, ihnen sei keine zweite eidesverweigerung bekannt. nun meinte ich, die sache werde ins rollen kommen, gerade weil ich mich selber gemeldet habe, aber nichts passierte. ich rief ein zweites mal an, und man beschied mir, von sich aus unternehme man nichts, wenn keine anzeige vorliege. Jahre später habe ich vernommen, dass die sache beim oberst steckengeblieben ist, der gefunden hat, der winkler habe ja vielleicht recht. so bin ich also beim zweiten mal durch die maschen geschlüpft.

dc - und hast aber doch dienst geleistet?

rw - ja, eben als eisenbahn-hd. irgendwann scheinen sie meine eidesverweigerung geschluckt zu haben. aber im februar 45 musste ich ein drittes mal einrücken. da habe ich mich entschlossen, auch weil wir in der zwischenzeit bewaffnet wurden, dem aufgebot nicht mehr folge zu leisten und den militärdienst zu verweigern, was mich für 10 monate in den knast gebracht hat. ich hätte mit einem jahr oder anderthalb jahren zuchthaus gerechnet, es hat aber nur gefängnis gegeben und, was mich erstaunte, gleich den ausschluss aus der armee. ich habe einen gekannt, der war vier mal wegen dienstverweigerung im gefängnis, bis sie ihn endlich zur armee rausgeworfen haben.

dc - wo fand der strafvollzug statt?

rw - ich hatte ganz normalen strafvollzug, war nicht wie andere auf dem zugerberg, also nicht im militärischen strafvollzug und auch nicht in lagerhaft. weshalb, weiss ich nicht und hat mich damals auch nicht interessiert. immerhin musste ich zur psychiatrischen begutachtung während der untersuchungshaft drei wochen ins burghölzli.

dc - was hat man drei wochen lang mit dir gemacht?

rw - von zeit zu zeit gab's ein gespräch, auch einen intelligenztest. mir war es egal, wie lange die für ihr gutachten brauchten, es hat mir soweit im burghölzli gefallen. ich hatte den eindruck, die haben's mit mir gut gemeint und absichtlich ein schlimmes gutachten erstellt, damit ich vor gericht nicht so schlecht wegkomme. es hat dann geheissen, zum zeitpunkt der tat sei ich leicht vermindert zurechnungsfähig gewesen. so hat man im burghölzli versucht, mich zu schonen. aber ich akzeptiere es eigentlich nicht, dass man einen als verrückt einstuft, nur weil er nein zum militärischen schwindel sagt.

dc - was sagst du zur situation heutzutage?

rw - die sache mit jugoslawien hat mir sehr zu schaffen gemacht, wieviele pazifisten sind umgefallen, die dann doch gefunden haben, es gebe letztlich nichts anderes, als sich militärisch zu wehren. ich finde das schlecht. es stärkt einfach den aberglauben an die notwendigkeit einer armee. es stärkt den glauben an die gewalt. klar kann man unter umständen damit ein bisschen was erreichen, aber nur für den moment. mit gewalt kann man nichts vernünftiges erreichen. man denkt einfach zuwenig darüber nach, ob gewalt eine menschlich haltbare lösung ist. ich finde es eine unmenschliche sache. ein versagen des gewissens, des verstandes, von allem möglichen. und zur situation in der schweiz: ich finde, dass es nicht so sein sollte, dass das gewissen jener überprüft wird, die sich der legalisierten kriminalität widersetzen. ein soldat wird einfach zum verbrecher ausgebildet. vielmehr sollte der geisteszustand, das gewissen und die vernunft aller überprüft und womöglich terapiert werden, die sich mehr oder weniger willig dazu hergeben, sich zu der finanziell und moralisch unhaltbaren "pflichterfüllung" in unheilsarmeen abrichten zu lassen und im sogenannten ernstfall - folge vorausgegangenen versagens - sich als mörder, zerstörer, lebensschädiger und so weiter zu betätigen. also mitwirkende in einem apparat zu sein, der legalisierte kriminalität betreibt und dementsprechend friedenshinderlich wirkt, also auf menschenunwürdigem und lebensfeindlichem untergangskurs verharrt. ist das so schwer einzusehen und die daraus erforderlichen konsequenzen zu ziehen? übrigens habe ich auch mit jener einstellung mühe, dass menschen, die möglicherweise aus dummheit, faulheit, liederlichkeit, unlust oder irgendwelchen "niederen gründen" etwas nicht tun, das im grunde schlecht und verwerflich ist und das es unter anständigen menschen überhaupt nicht geben dürfte und verpönt sein müsste, dann dafür bestraft werden. soll beispielsweise ein sogenannter drückeberger dafür bestraft werden, dass er bei einer räuberaktion, einem bankeneinbruch, terroristenakt oder ähnlichem nicht mitmacht? ein solches rechtsempfinden kann doch nur eine räuber- und verbrecherbande, eine verluderte gesellschaft besitzen.

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