schandfleck.ch_archiv/1998/nr.1 |
daniel
costantino
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herr leuenberger, was ist ein gewissenskonflikt? |
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interview
mit rolf leuenberger, mitglied der zivildienstkommission des bwa dc - herr leuenberger, wie sind sie in die zivildienstkommission gekommen?
dc - wie wurden
sie dann eingeschult? r.l. - in einem
dreitägigen seminar. erst ging es um die rechtliche situation, dann
war ein filosof dabei,der uns die gewissensproblematik erläutert
hat, auch journalisten waren gekommen, als es um fragetechniken ging.
die haben uns erläutert, wie man fragen angehen kann, temen anschneiden
kann. dc - war von den
alten militärrichtern auch jemand dabei? r.l. - nein,
gar nicht. wir hatten ein einziges mal mit dem militär direkt zu
tun, in einem späteren seminar anlässlich eines podiumsgespächs,
da war der ehemalige oberauditor der armee dabei. ansonsten stehen wir
mit dem militär sogar eher ab und zu auf kriegsfuss. dc - haben sie
die möglichkeit gehabt, die eigentliche anhörung zu üben? r.l. - ja,
wir haben mit leuten üben können, die schon ein militärgerichtsverfahren
hinter sich hatten. mit denen konnten wir anhörungen proben. wir
haben auch geübt, uns nicht von sympatien und antipatien leiten zu
lassen und wie man sich auf ein gespräch vorbereitet. das haben wir
dort gelernt. heute kriegen wir die gesuche vor der anhörung nach
hause geschickt, ich nehme mir da schon zum persönlichen studium
viel zeit, und sitzen dann in der kommission mindestens eine halbe stunde
lang über das jeweils folgende gesuch und gespräch zusammen. dc - haben sich
eingespielte teams gebildet oder werden sie immer mit andern kolleginnen
und kollegen zugeteilt? r.l. - die
einteilung erfolgt bewusst zufällig. ich bin von anfang an dabei
und treffe immer noch auf kolleginnen und kollegen, mit denen ich noch
nicht zusammengesessen bin. man bleibt nur für einen bestimmten anhörungstag
zusammen in der selben gruppe. so kann es eben keine eingespielten teams
geben und keine routinemässig eingelaufene sache. ich finde es gut
so. dc - was würden
sie einem jungen mann empfehlen, der ein zivildienstgesuch stellen will? r.l. - das
meines erachtens wichtigste ist, dass er sich gut vorbereitet. dass er
sich hinterfragt. nicht dass er einfach an die anhörung kommt, sagt,
er könne das militär nicht mit seinem gewissen vereinbaren,
er könne keine gewalt anwenden - und fertig. dann wird es auch für
uns sehr schwierig. dc - wenn man sich
auf der strasse umhört, und auch wenn man gewisse zeitungsberichte
liest, kann schon der eindruck entstehen für einen zivildienstwilligen,
es gebe ja jetzt eine lösung für das militärproblem, man
brauche ja nur ein gesuch zu stellen und an die anhörung zu kommen,
das sei ja heute viel einfacher als früher. r.l. - wenn
einer nur die bewussten sätze sagt, die ja so auch im gesetz stehen
und die auch wichtig sind, aber einfach aus dem zusammenhang gerissen,
ohne weiteren persönlichen bezug dazu, sind es für uns nur schlagwörter.
es ist für uns entscheidend zu sehen, wie fundiert die argumentation
ist, woher sie kommt, womit sie zusammenhängt. hat einer das auf
einer grafitti an der hauswand abgelesen oder hat ihm ein kollege gesteckt,
er müsse das und das erzählen, oder steckt da mehr dahinter.
es gibt andrerseits aber auch ab und zu gesuchsteller, die einfach mühe
haben sich zu äussern, es sind ja auch sehr intime persönliche
gespräche, und wer ein guter schreiber ist, muss noch kein guter
redner sein. da sind wir nun sehr darum besorgt, ihn aus der reserve zu
locken. es kommt durchaus vor, dass wir nicht nur eine, sondern anderthalb
oder zwei stunden dranbleiben, wenn wir das gefühl haben, es hätte
einer wirklich was zu sagen, aber es ist nicht einfach für ihn, es
zu sagen. wir wollen prinzipiell jedem gesuchsteller helfen sich zu artikulieren,
wir wollen, dass er sagen kann, was sache ist. dc - was hat ein
gesuchsteller falsch gemacht, wenn sie nein sagen müssen? r.l. - wenn
ich das gefühl habe, jemand bringt mir ein wunderschönes konstrukt
aus dem lehrbuch, das bei ihm aber nirgends verwurzelt ist, dann kriege
ich probleme. wenn das, was er sagt, nicht wirklich ihm gehört. ich
muss spüren, dass einer das, was er sagt, verinnerlicht hat. er kann
mir nicht eine allgemeingültige filosofie vorlegen, die für
ihn gar nicht stimmt. damit habe ich mühe. die ganze argumentation
muss eine bestimmte tragweite für ihn haben, darf kein vorgetragener
schöner aufsatz sein. oder, was noch schlimmer ist: wenn ich den
eindruck habe, angelogen zu werden. das ist schon vorgekommen. wenn etwas
gefragt wird und eine entsprechende antwort kommt, und dann kommt das
gespräch ein bisschen später wieder in die selbe richtung, und
nun hört man aber etwas ganz anderes. oder wenn mir nach dem munde
geredet wird. wenn jemand etwas nur sagt, damit ich zufrieden bin. das
ist ganz schlecht. und es schmerzt mich, zu merken, jetzt überlegt
einer, was ich gerne hören würde. es kann überhaupt nicht
darum gehen, was ich am liebsten hören würde.es geht einzig
darum, was er zu sagen hat. es kann sogar einer eine filosofie vertreten,
die mir völlig abgeht, das spielt keine rolle, ich bewerte das nicht.
ich bewerte nicht, ob beispielsweise ein sektenangehöriger einer
guten oder schlechten sekte angehört, das ist mir egal. mich interessiert
nur, wie weit ihn selber das, was er vertritt, beeinflusst. dc - es gibt aber
doch dinge, die einer am besten nicht sagt, zum beispiel, die armee brauche
es gar nicht mehr und sowieso koste sie viel zu viel geld! r.l. - es muss
um einen gewissenskonflikt, nicht um einen materiellen konflikt gehen
und nicht um nützlichkeitsüberlegungen. die beiden genannten
temen sind heikel, das stimmt, da geht es stark ins politische hinein. dc - es hat aber
bei einführung des zivildienstes vor anderthalb jahren geheissen,
politische gewissensgründe seien mit diesem gesetz nun möglich,
anders als bei den militärgerichten, wo sie per definitionem ausgeklammert
waren. r.l. - es bleibt
ein heikler bereich. es kommt immer drauf an, wie fest die gründe
verankert sind. auf welcher ebene. es darf nicht nur teorie sein. die
gewissensgründe müssen in den handlungen des gesuchstellers
ihren niederschlag finden. stellen wir uns einen ganz normalen nullachtfünfzehnbürger
vor, der sehr standartmässig lebt. der sagt uns nun, aus politischen
gründen sei das militär nicht mehr nötig. das militär
brauche es nicht mehr, und darum habe er einen gewissenskonflikt. der
wird damit relativ grosse probleme haben. aber wenn sich einer sehr stark
engagiert, sagen wir im sozialwesen, im umweltschutz und dem ganzen drum
und dran und die ablehnung der armee zu seinem ganzen weltbild gehört,
dann sieht es wieder anders aus. dc - was man ja
immer noch als politisch betrachten könnte; der sagt vielleicht,
die armeen müssen weg, der globale schaden, die globale zerstörung,
die sie anrichten, ist viel zu gross. r.l. - ja,
aber nun gehört seine argumentation zu seinem ganzen weltbild, zu
seiner ganzen lebensart. es ist einfach mit diesen gründen relativ
heikel. dc - recht grosse
probleme bekunden die gesuchsteller aber häufig gerade damit, dass
sie zeigen müssen, wie sich ihre haltung auf ihr ganzes leben auswirkt.
da hat doch ein zwanzigjähriger eher mehr mühe als ein älterer. r.l. - sicher,
ja... dc - und einer,
der im büro arbeitet, hat auch die grössern probleme damit als
einer, der krankenpfleger ist! r.l. - würde
ich so eigentlich nicht sagen. es ist oft erstaunlich, und wir sind oft
selber überrascht, wie von leuten, von denen man es kaum erwartet,
zum teil sehr überzeugende aussagen kommen, wo man wirklich merkt,
die haben sich gedanken gemacht. die haben sich echt damit auseinandergesetzt.
und dies ist einer der wichtigsten schritte: sich damit auseinanderzusetzen.
es reicht nicht, eines schönen tages zu sagen, ich will nun zivildienst
machen, halt ein gesuch zu schreiben, sich vielleicht beim formulieren
ein paar gedanken zu machen und die post abzuschicken und auf sich beruhen
zu lassen und sich allenfalls ein halbes jahr später auf der hinfahrt
zur anhörung im zug noch das eine oder andere zu überlegen. dc - schwierig
wird es auch, wenn jemand die atmosfäre im dienst nicht aushält,
die sinnlosigkeit der abläufe, hetzen und dann lange herumhängen,
das erdulden von schikanen, von bevormundung, von strafen - subsummiert:
den "dienstbetrieb" nicht auf die rolle kriegt. ich sehe eine
gefahr, wenn ihnen das einer erzählt. r.l. - das
ist eine gefahr. das ist effektiv eine gefahr, dass dann das bild der
sogenannten insubordination auftaucht. wobei ich aber auch sagen muss:
wir gehen grundsätzlich bei jedem am anfange davon aus, dass er tatsächlich
einen gewissenskonflikt hat und suchen ihn auch zu ergründen, beziehungsweise
zu vertiefen. wenn einer schreibt, er habe auch mit dem dienstbetrieb
probleme, sagen wir nicht zum vornherein, es hat eh keinen sinn, den nehmen
wir nicht. wir versuchen's, wir wollen herausfinden, woher diese probleme
kommen. wieso kann er nicht wie die andern trotzdem militärdienst
leisten, denen es auch stinkt. dc - wobei diese
argumentation für einen psychiater vielleicht ausreichen würde,
dass er ihn untauglich schreibt... r.l. - das
stimmt. grenzfälle sind ein grosses problem. aber wir können
nicht viel tun, wir haben keine befugnisse, ausserhalb des gesetzlich
vorgegebenen rahmens zu entscheiden. dc - wie sieht
das profil eines gesuchstellers aus, der für sie einen gewissenskonflikt
hat? was braucht es, um sie zu überzeugen? r.l. - es muss
mir einer seinen gewissenskonflikt schlüssig darlegen können.
es darf keine unge-reimtheiten drinhaben. keine massiven widersprüche.
einer hat mir zum beispiel einmal gesagt, er dürfe angreifen, wenn
es sich um sein eigenes hab und gut handelt, das er verteidigen will.
das ist ja das, was das militär gerade macht! dc - wie steht
es mit der notwehrfrage? r.l.
- notwehr finde ich legitim. das ist keine frage, auf der wir lange herumreiten.
von uns aus kommt sie gar nicht aufs tapet, es kann sich aber einmal aus
dem zusammenhang heraus ergeben, wenn sie vom gesuchsteller selber angesprochen
wird. dc - zurück
zur schlüssigen darlegung des gewissenskonfliktes: ich sage mal,
schlüssig heisst, es muss plausibel sein, dass... r.l. - richtig,
plausibel ist gut! dc - ...einigermassen
logisch, das heisst, in der argumentation konsequent... r.l. - richtig,
verinnerlicht muss es sein! es muss von ihm kommen, aus ihm selber heraus. dc - was passiert,
wenn die sitzung zu ende ist? r.l. - wir
drei kommissionsmitglieder arbeiten zusammen mit der person des bwa die
ganze vorangegangene stunde nochmals durch. wir diskutieren und tauschen
unsere eindrücke aus. dc - aufgrund eines
planes? r.l. - aufgrund
eines leitfadens. der dient uns hauptsächlich am schluss zur formulierung
des antrags. wir müssen jeden antrag ans bwa begründen. wir
entscheiden ja nicht selber. wir schreiben sicher eine seite begründung. dc - und die person
des bwa diskutiert auch mit? r.l. - ja,
sie hat eine beratende funktion. den entscheid, wie der antrag formuliert
wird, treffen wir. ich empfinde die hilfestellung und beratung der sachverständigen
als äusserst hilfreich. ich selber bemühe mich immer sehr, mich
auch in dieser beratungsstunde richtig in den gesuchsteller hineinzuversetzen.
nach einem ganzen anhörungstag bin ich jeweils ziemlich erledigt. dc - was halten
sie denn eigentlich von diesem zivildienstgesetz, das keine freie wahl
zulässt, wo sie von der kommission bei einem zwanzigjährigen,
der gerne bereit ist, 15 monate im öffentlichen interesse zu arbeiten,
herumnörgeln müssen? r.l. - ich
finde, wir haben nicht die ultimative lösung. für mich wäre
die beste lösung die wahlfreiheit. oder sagen wir etwa, die "deutsche
lösung", in deutschland gibt es ja de facto die wahlfreiheit.
dort müssen die leute zwar immer noch ein gesuch schreiben, aber
nur in ausnahmefällen kommt es zu anhörungen. dc - was mich von
ihnen interessieren würde, sie sind ja von anfang an dabei: in den
ersten monaten wurden 93% der anträge gutgeheissen, mittlerweile
ist man auf einen schnitt von unter 80% herabgesunken. wie erklären
sie mir das? r.l. - ich
persönlich habe es so mitbekommen: anfangs haben wir gesuche behandelt,
die auf den stichtag eingereicht wurden von leuten, die lange auf den
zivildienst gewartet und sich dementsprechend intensiv damit auseinandergesetzt
haben. zum teil waren auch leute dabei, die noch mit der militärjustiz
zu tun hatten, die also noch gefängnis auf sich genommen hätten,
die hatten ein massives problem. es war wie eine gewisse vorselektion.
entsprechend hoch war deshalb auch die zulassungsquote. das ist jedenfalls
mein gefühl, ich habe es so erlebt. zweitens kam dann die fase kurz
vor der ersten rs, die in das zivildienstgesetz fiel, da kriegten wir
viele panikgesuche, knapp vor ablauf der dreimonatefrist eingereicht.
da haben wir zum teil schon gemerkt, dass sich einige nicht viel dazu
überlegt hatten und quasi auf diese weise versucht haben, die rs
hinauszuschieben, nach dem motto: vielleicht klappt es ja. und ein wichtiger
faktor ist drittens: wir haben auch dazugelernt, wir sind weiterhin intensiv
geschult worden, und die messlatte wurde höher gelegt. dc - das deckt sich mit meinem eindruck, wenn ich die ablehnungsentscheide neueren datums lese.plötzlich tauchen da wieder ausdrücke wie "gewissenskonflikt" oder "schwere gewissensnot" auf, das habe ich im ersten halben jahr nie gelesen. da war einfach nur von "gewissensentscheid" die rede. klar und deutlich ist neuerdings auch zu lesen, eine reine überzeugung, die im übrigen nicht angezweifelt werde, reiche nicht aus. r.l. - nun,
es lässt sich etwa so sagen: wir haben natürlich alle gewissermassen
dumm angefangen. es waren noch wenige kenntnisse vorhanden. entsprechend
mussten wir die protokolle aufarbeiten, um zu einem gemeinsamen nenner
zu gelangen. damit auch eine gewisse rechtsgleichheit gewährleistet
ist. dann sind uns auch gewisse kriterien neugegeben, beziehungsweise
alte ausgeweitet worden, nach denen wir zu entscheiden haben. zum beispiel
die verankerung im leben. über gewisse argumente wurde diskutiert,
ob sie ausreichen, wirklich ausreichen oder eben nicht. wir hatten schon
mehrere seminare, in denen es um diese dinge ging. man kann ja eben den
gewissensentscheid nicht klar formulieren. dc - es scheinen
gegenseitig gespenster ihr unwesen zu treiben. unser gespenst heisst,
die kriterien seien aus politischen gründen verschärft worden,
sie dürften deshalb nicht mehr so viele antragsteller zulassen. das
gespenst des bwa und vielleicht einiger kommissionsmitglieder heisst,
dass wir von den beratungsstellen zuviel anhörungen trainierten,
dazu hat sich jedenfalls herr werenfels negativ geäussert, und dass
wir sehr darauf bedacht seien, den leuten die richtigen antworten einzubläuen,
das habe ich von zwei frauen aus der kommission gehört. wir haben
also den verdacht, auf die kommission werde druck ausgeübt, nicht
soviele leute mehr zu nehmen. würden sie das bestreiten? r.l. - nun,
es ist so: es war mal die rede von einer quote. das stand irgendwie im
raum. da hat sich die kommission gesamthaft dagegen gewehrt. das war das
gespenst, das durch die kommission hindurchgegangen ist. ich weiss nicht,
wie es kam, jedenfalls geisterte es umher. wir haben geschlossen gesagt,
eine quotenregelung akzeptieren wir nicht, ganz klar. nachher hiess es
dann, es sei gar nie die rede davon gewesen. da haben wir gesagt: o.k.,
dann haben wir jedenfalls mal profilaktisch unsere meinung gesagt. mir
ist also kein numerus clausus bekannt. dc - die militärjustiz
hat es über jahrzehnte geschafft, zwischen 32% und 35% der verweigerer
einen gewissenskonflikt zuzugestehen. die haben immer bestritten, eine
quote zu haben. dann plötzlich, mit dem arbeitsdienst, gab es auf
einmal 60% gewissensverweigerer, auch ohne quote. würde mich nicht
wundern, wenn ihre 77% mit zwei oder drei punkten abweichung nun lange
bestand hätten... r.l. - wir
müssen aufpassen: es gibt im moment noch massive schwankungen. man
kann noch keine aussagen machen, wo es sich einpendeln wird. im tessin
gibt es zum beispiel eine massiv höhere ablehnungstendenz (40%).
es ist wirklich noch zu früh zu sagen, wie das in zukunft aussehen
wird. irgendwo wird es sich aber bestimmt einpegeln. dc - andere druckversuche,
mit ausnahme der genannten gespensterepisode, erlebten sie nicht? r.l. - einfach
insofern, dass die kriterien ausgeweitet wurden, die vom bwa an uns gehen,
und dadurch die hürde doch höher wird. dc - woher hat
das bwa diese kriterien? r.l. - das
weiss ich nicht. (pause) ich weiss nicht, ob man von druckausübung
reden sollte, oder ob das einfach nur ausdruck des lernprozesses ist,
in dem wir stecken. dc - herr leuenberger,
wie stehen sie persönlich zur arbeit der beratungsstellen? r.l. - ich habe sehr gerne leute, die bei einer beratungsstelle waren. ich habe überhaupt nicht das gefühl, die wollten uns linken oder brächten verfälschte antworten. im gegenteil! man hat bei denen das gute gefühl, sie sind vorbereitet, sie wissen, dass dies die entscheidende stunde ist, wo sie was herausholen können. wenn einer sich nämlich gut vorbereitet hat, und da sehe ich die arbeit der beratungsstellen als wichtig an, dann wird für uns sein gewissenskonflikt auch schnell einmal greifbarer, als wenn einer sich die sache nicht zweimal überlegt hat. dc - aber verstehen
sie, dass beim recht schlechten informationsstand in der breiten bevölkerung
über das zivildienstgesetz halt weniger tiefgründig argumentiert
wird? wenn etwa die meinung aufkommt, heute könne man ja etwas viel
sinnvolleres tun als militär, dass dann schnell einmal das tema der
anschiss im militär ist, die schlechte atmosfäre, das schräge
männlichkeitsbild, der leerlauf, das geld und überhaupt! r.l. - ja,
und aus diesem grunde rate ich auch jedem, sich in irgendeiner weise beraten
zu lassen. ich denke, die viel höheren ablehnungsquoten aus dem tessin
und aus der romandie sind darauf zurückzuführen, dass diese
leute schlechter beraten sind, sich nicht genügend beraten lassen,
worum es hier überhaupt geht. es gibt aber auch bei den deutschschweizer
gesuchstellern heute noch solche, die meinen, sie hätten die wahl.
das gibt es tatsächlich noch! und wir müssen dann sagen, es
tut uns leid... dc - und das ist
dann tatsächlich plausibel? r.l. - er kann
natürlich nicht dasselbe gesuch nochmals schreiben, sonst wird nicht
darauf eingetreten. dc - aber er kann
also schreiben, was ich vorher geschrieben habe, ist zwar alles richtig
und stimmt, aber ich habe nicht gewusst, dass ich ihnen die tiefern zusammenhänge
erklären muss, ich dachte, es wäre einfacher? r.l. - es wäre
zu versuchen. ich kenne die hürde in der vorselektion nicht genau. dc - der ideale
gesuchsteller wäre jemand, der sich sehr viele gedanken gemacht hat,
aber auch einer, der sich ich sage mal über seine emotionen im klaren
ist? r.l. - ja,
das problem kennen wir. wir wissen, dass sich männer im allgemeinen
schwertun, wenn es um ihre gefühle geht. dies ist sicher auch ein
grund, dass es viele frauen in der kommission hat. dc - sie verlangen
nicht nur eine intellektuelle argumentation. r.l. - richtig,
es ist für uns sehr wichtig zu sehen, wie eine person, die vor uns
sitzt, mit dem schriftlichen gesuch übereinstimmt, das ja teoretisch
irgendwer geschrieben haben könnte. gehört das alles wirklich
zu ihm, ist es seine welt, die er da beschreibt, sind es seine gedanken,
die er äussert. wir suchen diese bestätigung, wir suchen auch
die vertiefung der gründe in der anhörung. dc - hatten sie
nach einer anhörung auch schon das gefühl, sie hätten sich
falsch entschieden? r.l. - ich
war schon zwiespältig nach einer anhörung, konnte nicht klar
ja oder nein sagen. das hat es schon gegeben. in so einem fall gilt für
mich: im zweifel für den angeklagten. ich bin auch schon 2:1 überstimmt
worden und war nicht ganz einverstanden, aber ich musste mich der übermacht
fügen mit dem kleinen trostpflaster, dass der gesuchsteller ja rekurs
einlegen könne. dc - ist für
sie ein punkt vorstellbar, an dem sie sagen müssten: jetzt mach ich
das nicht mehr? r.l. - durchaus. dc - wo wäre
dieser punkt? r.l. - er wäre
sicher dann erreicht, wenn von oben herab eine quote angeordnet würde.
dann wäre der zeitpunkt gekommen aufzuhören. ich muss, wenn
ich dieses freiwillige nebenamt ausübe, meine entscheidungsfreiheit
haben. sonst bringt es mir nichts mehr. ich würde mich nicht unter
druck setzen lassen. wenn ich nicht mehr nach meinem gewissen sagen könnte,
zivildienst ja oder nein, weil der druck von oben zu stark geworden ist,
dann müsste ich aufhören. dc - diesem bereich
sind sie aber noch nicht nahegekommen? r.l. - (lange
pause) dc - welche? r.l. - dazu
will ich mich hier nicht äussern. dc - versuchen
wir, ein résumée zu ziehen - was, herr leuenberger, ist
ein gewissenskonflikt? r.l. - (sehr
lange pause) eine ganz schwierige frage! was ist ein gewissenskonflikt!
ich versuche es häufig in den anhörungen so darzustellen: wir
haben aus der einen seite den gesuchsteller, auf der andern seite das
militär. das, was den gesuchsteller daran hindert, den militärdienst
zu leisten, ist der gewissenskonflikt, und zwar dann, wenn der gesuchsteller
eine für ihn selber unbedingt gültige norm verleugnen oder unterdrücken
müsste, wenn er ins militär geht. einfaches beispiel: ich kann
mich nicht zum töten ausbilden lassen. wenn diese norm so wichtig
ist, dass körperliche oder psychische schäden auftreten würden,
wenn einer ins militär ginge. das ist ein gewissenskonflikt. können
sie mir in etwa folgen? dc - ich kann ihnen
folgen. r.l. - es ist ein bisschen verworren. wie definiert man ein gebilde namens gewissen? dc - ab wann kann
man von psychischem schaden sprechen im hinblick auf - ja, was ist denn
eigentlich der hinblick? die rs, der wk oder erst der kriegsfall? die
einen sagen doch, sie könnten es gar nicht vertreten, dass eine armee
überhaupt bereitgestellt wird, um mögliche konflikte zu lösen,
andere, sie würden im ernstfalle nicht töten können. r.l. - ja,
das ist eine nuance. aber irgendwo würden beide einen schaden davontragen.
ich sage: wenn jemand etwas in sich stark verleugnen müsste, ginge
er ins militär, entsteht hier ein gewissenskonflikt. dc - nehmen wir
einen jungen idealisten, dem ist das militär gegen seine natur, er
denkt und spürt und weiss, es kann doch zu nichts gutem führen,
wenn ich im leben dinge gezwungenermassen tue, schon gar nicht,wenn viele
das tun. es kann doch nicht um die freiheit in der schweiz gehen, wenn
man wie ein hund abgerichtet wird im militär. überhaupt kann
ich nichts dafür, hier geboren zu sein, vaterländer und grenzen
sind absolut künstliche einrichtungen. darf er ihnen das in der anhörung
erzählen? r.l. - eher
nicht... dc - obwohl auch
da viel kaputtgehen kann. es gibt doch noch dinge, die man ihnen trotzdem
nicht sagen darf, die in ihrer definition eigentlich drinstecken. r.l. - ja,
es kann auch gegen den stolz gehen, gegen das, wofür man in seinem
leben einstehen will. das hatten wir auch schon. das ist der märtyrertyp. dc - so nennt sich
das also! r.l. - so nenne
ich das. das ist meine bezeichnung für ihn. der steht nämlich
bei uns überhaupt nirgends geschrieben, den gibt es eigentlich nicht,
nirgends. ich will jetzt einfach zivildienst machen, weil ich es will.
weil ich ein zeichen setzen will. so gut diese vorsätze sein mögen,
sie reichen nicht aus. aber es kommt auch hier draufan: wenn das ein friedensaktivist
ist, der sich zum beispiel in exjugoslawien engagiert, der einen ganz
bestimmten lebensstil lebt, ein gefestigtes weltbild hat. der so lebt,
dass das militär in krassem gegensatz dazu steht. da ist ein gewissenskonflikt
wiederum möglich. man kann es nicht pauschalisieren. es kommt auf
den einzelfall an. dc - ich schliesse
mich ihrer definition des gewissenskonfliktes, wie er vorgesehen ist,
an. ich muss aber hinzufügen: es darf einer auf eine gewisse weise
nicht kritisch sein, er darf eine gewisse autorität des staates nicht
angreifen. er muss seine gründe in jedem fall erhöhen, wenn
er nicht von gott sprechen kann, muss er dartun, dass eine andere ganz
zentrale instanz in ihm vorhanden sei. wenn einer die staatliche autorität
angreift, ihm befehlen zu dürfen, er müsse jetzt ins militär
kommen, jetzt in den krieg ziehen - wenn einer diese verfügungskompetenz
angreift, dann kriegt er in der schweiz gefängnis dafür. r.l. - ich
würde nicht so weit gehen. es sind einfach nicht die gründe,
die laut gesetzgeber zu einer zulassung führen können. was sie
vorher sagten von der höheren instanz: das finde ich gar nicht schlecht.
das gewissen ist eben diese höhere instanz. das innere eines menschen. dc - was denken
sie, ist die zivildienstlösung schweiz mit diesem zulassungsverfahren
etwas, was sich über zehn, zwanzig oder noch mehr jahre halten wird? r.l. - ich
hoffe es eigentlich nicht. ich sehe den enormen aufwand, der getrieben
werden muss. wir haben schon jetzt 1500 pendenzen. ich kann mir vorstellen,
dass die zulassung über kurz oder lang liberalisiert wird, ich hoffe
es zumindest, vielleicht im sinne einer "deutschen lösung"
oder anderswie. dc - herr leuenberger, herzlichen dank für das gespräch. |
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