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schandfleck.ch_textkritik/2006/märz
david manuel kern
Kurze Nachbemerkung zu D. Costantinos Textkritik "Martin Walser: Tod eines Kritikers"

Ich konnte nicht umhin, mir nach der mehrmaligen Lektüre der Textkritik meines geschätzten Kollegens Daniel Costantino über Martin Walsers Roman "Tod eines Kritikers" lose Gedanke zu machen über die hie und da erfolgten Unrichtigkeiten und Falschurteile, die ich, meinem Wesen zufolge, das sich nun einmal der Literatur verschrieben hat, nicht belanglos in der Luft schweben lasen kann, um nicht in jungfräulichen Köpfen literarischer Unwissenheit zur Erstarrnis sich zu bemängeln.

Der mir vorliegender, zur Auseinandersetzung gezwungener Text beginnt mit einem verbalen Hackbeil: "walser schreibt miserabel." Nun, Walser schreibt nicht miserabel. Vielmehr hat er über Jahrzehnte hinweg literarischer Höchstleistungen stets von Neuem bewiesen, dass er in die Warteschlange der bedeutendsten Dichter deutscher Gegenwart einzureihen ist, deren Zeit einer Einbettung in die Weltliteratur längst gekommen ist. Walser ist der Erfinder einer neuen Sprache. Es ist eine Sprache der Knappheit, qualitativster Einfachheit, eines mundartigen Geflechts von Sprachpräzisierung, gepaart mit höchster Dichtkunst, die, um sie zu suchen, eine Endlosigkeit bedeutet.
Doch versuche im am gegenständlichen Roman zu bleiben, um nicht die Geduld der Leser zu sprengen.

Würfe man "Tod eines Kritikers" "unzulänglichen wortschatz" vor, so könnte man dies bei jedem beliebigen Roman tun. Zum einen sollte übermäßiger Wortschatz nicht mit der Qualität eines Textes verwechselt werden, zum anderen ist hier ohnedies keine karge Wortschatzfähigkeit beim Lesen des Romans zu erkennen. Vielmehr handelt es sich um typisch Walsersche Wortkonstruktionen und -Gebrauch, der seine Texte zu einer Einzigartigkeit macht.

Dem Vorwurf der nicht klar umrissenen und erkennbaren Figuren ist wohl nichts beizumessen. Walser verzichtet auf Unverwechselbarkeit und Klarheit in der Stilisierung der handlungstragenden, aber stets am Rand des Geschehens anzusiedelnden Personen. Doch kann ich mir nicht erwehren, dass dies in vollkommener Bewusstheit geschieht, um die Austauschbarkeit und Belanglosigkeit der einzelnen Individuen, die schlussendlich zu einem zusammengefasst werden können, hervorzuheben und sie so als Marionetten einer undurchsichtigen Branche wiederfinden zu können.

Daniel Costantino glaube "dieser schmierenkomödie kein wort. ich glaube an keine figur, keinen dialog, an keine schielderung und nichts." Ich glaube, Walser versucht tatsächlich, die Wahrheit zu sagen. So wie er sie sieht und erlebt. Ich glaube ihm. Ich glaube an die allgemeine Hinterhältigkeit, die Intrigen, die Falschheit und die Macht. Ich glaube seiner Geschichte, auch wenn sie nicht wahr ist.

"Bei Walser lernt man keine Wörter kennen." Ich sehe Walser wahrhaftig als ein Wort- und Sprach- und Satzkonstrukteur, wie selten in der deutschen Literatur:
Aber am nächsten Morgen, nach dem Frühstück zwischen den blauweiß karierten Vorhängen, ging ich hinauf, setzte mich an meinen Tisch, sah, zum ersten Mal, zum Fenster hinaus auf eine steil ansteigende Wiese, auf ein paar Tannen. Es regnete. Der Regen webt mit Wasserfäden das nasse Gewand. Dachte ich. Glasgrün. Zumfensterhinausschauen macht Lyriker aus uns allen. Ich mußte mich Näherem zuwenden. Dem nächsten überhaupt. Also dem Unaufschiebbaren. Hochgefühl, sei willkommen! Und fing an.
Was will man mehr! Das ist ausgezeichnete hervorragende Dichtung. Das ist Moderne. Das ist was die Literatur in ihrer Belanglosigkeit und Immergleichheit braucht, um sie nicht endgültig verhungern zu lassen. Diese Sprache, dieser Absatz ist eine kleine Rettung im großen langsamen Untergehen.
Walser scheitert nicht an der Sprache. "Tod eines Kritikers" ist nicht "spiessig, peinlich und überflüssig". Er ist bloß nicht der bedeutsamste Roman des Dichters. Doch ist eine sprachliche Vernichtung der Übertreibung nicht wert, da der Text nichts von alledem verdient hat.

schandfleck.ch_textkritik/2006/märz
daniel costantino

replik zur kurzen nachbemerkung david kerns

das ist nicht ausgezeichnet, nicht hervorragend, nicht dichtung:
> Aber am nächsten Morgen, nach dem Frühstück zwischen den blauweiß karierten Vorhängen, ging ich hinauf, setzte mich an meinen Tisch, sah, zum ersten Mal, zum Fenster hinaus auf eine steil ansteigende Wiese, auf ein paar Tannen. Es regnete. Der Regen webt mit Wasserfäden das nasse Gewand. Dachte ich. Glasgrün. Zumfensterhinausschauen macht Lyriker aus uns allen. Ich mußte mich Näherem zuwenden. Dem nächsten überhaupt. Also dem Unaufschiebbaren. Hochgefühl, sei willkommen! Und fing an. <
ich will tatsächlich mehr, erwarte viel besseres von einem schriftsteller, vor allem vom wörtchen dichtung. das 'frühstück zwischen den blauweiss karierten vorhängen' - man stelle sich das bild vor, mindestens rechts und links oder von vorne und hinten müsste einer von vorhängen umgeben, umflattert sein, um zwischen den vorhängen frühstücken zu können. wahrscheinlich befinden sich aber die vorhänge einfach am fenster vor oder neben ihm. ich kann ein frühstück zwischen zwei terminen einlegen, ich kann zwischen aufgestapelten büchern und nicht abgeräumtem geschirr frühstücken oder dergleichen. aber zwischen vorhängen: sie müssten mir im wege sein, mich von allen seiten umgeben. dass es sich hier so verhielte, ist nicht einsehbar.
dann: 'setzte mich an meinen tisch, sah, zum ersten mal, zum fenster hinaus auf eine steil ansteigende wiese, auf ein paar tannen'.
er hätte niemals zuvor zum fenster hinausgeschaut? die hervorhebung zwischen kommas jedenfalls behauptet es. zum ersten mal ist zum ersten mal, am arbeitstisch beim schreiben, zum ersten mal. vielleicht meinte er ja nur zum ersten mal an diesem morgen oder ähnliches. das könnte man glauben. dass ein schreiber nie vom tisch aufschaut und die wiesen und tannen vor seinem hause wahrnimmt, ist völlig unplausibel. zumal zumfensterhinausschauen ja lyriker aus uns allen macht, wie er weiter schreibt. wie ich aber nicht finde: die präzise form, die verwandlung eines seelischen erlebens in eine sprachlich adäquate, künstlerische form, das kann lyrik sein. aber gewiss nicht die ansteigende wiese und die paar tannen, die kann jeder andere auch sehen, der kein lyriker ist. einen blick zum fenster hinaus werfen kann jeder, lyriker sein aber nicht. 'der regen webt wasserfäden' ist beinahe ein lyrisches, sprachschöpferisches bild. aber es ist zu bekannt, zu oft von andern gebraucht. wer es heute zitiert, weist sich nicht als dichter aus. die wasserfäden sind nur noch durchschnitt. glasgrün denken. naja. glasklar wäre mindestens besser. 'ich musste mich näherem zuwenden. dem nächsten überhaupt. also dem unaufschiebbaren'. typische walsersche steigerung, sie begegnet dem leser auf jeder seite. eine art hintendreinpräzisieren. warum nicht gleich dem unaufschiebbaren zuwenden? gute sprache ist knappe sprache, nicht umständliche. zwischen näherem, nächstem und unaufschiebbarem besteht keine seelische spannung, es ist blosse deklamation. stümperhaft. 'hochgefühl, sei willkommen!' jaja, hochgefühl. bin ich in ein hochgefühl versetzt, wenn ich das lese? glaube ich dem schreiber, er befinde sich in einem hochgefühl, wegen einer ansteigenden wiese, ein paar tannen, ein bisschen regen und dem unaufschiebbaren? ich glaube kein wort. walser ist ein bluffer und nichts mehr.
ich bestreite aufs blut, walser schreibe eine sprache der knappheit, eine sprache qualitativster einfachheit. ich bestreite am meisten auch das präzise dieser sprache. walser schreibt kompliziert, gewunden, ungelenk. er kann gerade das einfache nicht sagen, er bringt nichts auf den punkt. er flunkert. er macht dem leser was vor. mit dichtung hat das nichts zu tun, nicht einmal mit ehrbarem handwerk. deshalb finde ich seine schreibe peinlich, unlauter und schlecht.

> replik zur kurzen nachbemerkung david kerns
daniel costantino
das ist nicht ausgezeichnet, nicht hervorragend, nicht dichtung:
> Aber am nächsten Morgen, nach dem Frühstück zwischen den blauweiß karierten Vorhängen, ging ich hinauf, setzte mich an meinen Tisch, sah, zum ersten Mal, zum Fenster hinaus auf eine steil ansteigende Wiese, auf ein paar Tannen. Es regnete. Der Regen webt mit Wasserfäden das nasse Gewand. Dachte ich. Glasgrün. Zumfensterhinausschauen macht Lyriker aus uns allen. Ich mußte mich Näherem zuwenden. Dem nächsten überhaupt. Also dem Unaufschiebbaren. Hochgefühl, sei willkommen! Und fing an. <
ich will tatsächlich mehr, erwarte viel besseres von einem schriftsteller, vor allem vom wörtchen dichtung. das 'frühstück zwischen den blauweiss karierten vorhängen' - man stelle sich das bild vor, mindestens rechts und links oder von vorne und hinten müsste einer von vorhängen umgeben, umflattert sein, um zwischen den vorhängen frühstücken zu können. wahrscheinlich befinden sich aber die vorhänge einfach am fenster vor oder neben ihm. ich kann ein frühstück zwischen zwei terminen einlegen, ich kann zwischen aufgestapelten büchern und nicht abgeräumtem geschirr frühstücken oder dergleichen. aber zwischen vorhängen: sie müssten mir im wege sein, mich von allen seiten umgeben. dass es sich hier so verhielte, ist nicht einsehbar.
dann: 'setzte mich an meinen tisch, sah, zum ersten mal, zum fenster hinaus auf eine steil ansteigende wiese, auf ein paar tannen'.
er hätte niemals zuvor zum fenster hinausgeschaut? die hervorhebung zwischen kommas jedenfalls behauptet es. zum ersten mal ist zum ersten mal, am arbeitstisch beim schreiben, zum ersten mal. vielleicht meinte er ja nur zum ersten mal an diesem morgen oder ähnliches. das könnte man glauben. dass ein schreiber nie vom tisch aufschaut und die wiesen und tannen vor seinem hause wahrnimmt, ist völlig unplausibel. zumal zumfensterhinausschauen ja lyriker aus uns allen macht, wie er weiter schreibt. wie ich aber nicht finde: die präzise form, die verwandlung eines seelischen erlebens in eine sprachlich adäquate, künstlerische form, das kann lyrik sein. aber gewiss nicht die ansteigende wiese und die paar tannen, die kann jeder andere auch sehen, der kein lyriker ist. einen blick zum fenster hinaus werfen kann jeder, lyriker sein aber nicht. 'der regen webt wasserfäden' ist beinahe ein lyrisches, sprachschöpferisches bild. aber es ist zu bekannt, zu oft von andern gebraucht. wer es heute zitiert, weist sich nicht als dichter aus. die wasserfäden sind nur noch durchschnitt. glasgrün denken. naja. glasklar wäre mindestens besser. 'ich musste mich näherem zuwenden. dem nächsten überhaupt. also dem unaufschiebbaren'. typische walsersche steigerung, sie begegnet dem leser auf jeder seite. eine art hintendreinpräzisieren. warum nicht gleich dem unaufschiebbaren zuwenden? gute sprache ist knappe sprache, nicht umständliche. zwischen näherem, nächstem und unaufschiebbarem besteht keine seelische spannung, es ist blosse deklamation. stümperhaft. 'hochgefühl, sei willkommen!' jaja, hochgefühl. bin ich in ein hochgefühl versetzt, wenn ich das lese? glaube ich dem schreiber, er befinde sich in einem hochgefühl, wegen einer ansteigenden wiese, ein paar tannen, ein bisschen regen und dem unaufschiebbaren? ich glaube kein wort. walser ist ein bluffer und nichts mehr.
ich bestreite aufs blut, walser schreibe eine sprache der knappheit, eine sprache qualitativster einfachheit. ich bestreite am meisten auch das präzise dieser sprache. walser schreibt kompliziert, gewunden, ungelenk. er kann gerade das einfache nicht sagen, er bringt nichts auf den punkt. er flunkert. er macht dem leser was vor. mit dichtung hat das nichts zu tun, nicht einmal mit ehrbarem handwerk. deshalb finde ich seine schreibe peinlich, unlauter und schlecht.
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