schandfleck.ch_textkritik/2008/mai |
daniel
costantino
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betrachtungen zu ernst stadler |
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Worte Man hatte uns
Worte vorgesprochen, die von nackter Schönheit und Ahnung und zitterndem
Verlangen übergiengen. je älter ich
werde, desto stärker ergreift mich dieses gedicht. mehr durchgestanden
als blosse abnutzung durch gewöhnung. den untergang eines glaubens
überlebt. wie manches damit fortgespült. und gift und galle
drum erworben. stadlers worte eines 30-jährigen - vom dichter zum leser fast eine ganze generation - überzeugen durch ihre schönheit und konzentration. stadler führt einen hochmusikalischen, souveränen, mitreissenden bogen. intensive verlebendigung einer tiefen menschlichen erfahrung. ebenso ausgeprägte reflexion wie hoher grad der intuition. dichte des wohlklangs, einer unaufdringlichen und wohlproportionierten lautmalerei, ein meisterhaft komponierter stabreim sind nicht forcierter effekt als wie mit dem zaunpfahl auf die sprache eingedroschen, sondern reicher ertrag kultivierter sensibilität und einer grossen liebe zum wort. Man hatte uns
Worte vorgesprochen, die von nackter Schönheit und Ahnung und zitterndem
Verlangen übergiengen. man fühlt sich
umfangen von magischer kraft. die reinheit des frühen empfindens.
die treue zum wort, das man sich gab. die von scham zurückgestaute
verwegenheit. das prickeln des eros, im weiten und engen sinn. die wie
von zauberspruch verheissene zukunft, die aussicht eines grossen abenteuers
auf messers schneide. das heldentum und die mannbarkeit. man hat nichts
vergessen. man gäbe sein altes, verpfuschtes leben ohne zögern
dafür. Aber Wochen liefen
kahl und spurlos, und nichts wollte sich melden, unsre Leere fortzutragen. eine auszehrende
monotonie setzt ein, ein gegensog zum leben selbst. affektunterdrückung
und kompensatorische idealbildung durchaus nietzscher prägung.
Wir wußten:
sie waren unerreichbar wie die weißen Wolken, die sich über
unserm Knabenhimmel vereinten, man achte beispielshalber
auf: knabenhimmel - heimlich - verhallenden. wussten
- waren - wolken. unerreichbar - heimlich
- weinten. Tage II O Gelöbnis
der Sünde! All' ihr auferlegten Pilgerfahrten in entehrte Betten!
ein weniger überzeugendes,
deutlich konventionelleres gedicht. ihm fehlt im vergleich der mehrdimensionale,
polyfon zusammenklingende gehalt. die poetische substanz ist dünner,
die ganz persönliche, unverwechselbare sprache schimmert nur hie
und da durch die verse, die künstlerische gestaltung erleidet einbussen
durch zu parate, zu naheliegende, zu stark verstandesmässig geprägte
und entsprechend poetisch etwas abgegriffene worte und metafern. die
entehrten betten, die 'stationen' der erniedrigung, worte, 'denen leben
längst entglitten' scheinen mir nicht mehr von erstrangiger qualität,
von genialität durchdrungen zu sein. ebensowenig gewinnt nach reiflicher
überlegung die zeile von der wackligen kommode mit dem zerschlagenen
spiegel meine sympatie, sie hat etwas zu demonstratives, berechnetes,
fast plattes. Gegen Morgen Tag will herauf.
Nacht wehrt nicht mehr dem Licht. stadler, 'der konservativste der expressionisten', wie ich vernommen, entwickelt das religiöse tema hier nicht wie häufig im zusammenhang mit der sexualität, mit schmach und sünde, sondern mit der sehnsucht nach einkehr und verklärung, nach meiner auffassung einem paradiesischen zustand. bis hierhin hoffe ich ihn verstehen zu können, da mir die religiöse konnotation, die symbolik des christentums seit je fremd gewesen und ich nicht übers 'unverständnis der litaneien' hinweggekommen bin, sich gerade dieser punkt negativ auf mein verhältnis zur religion ausgewirkt. vielleicht sind die dinge des glaubens in frühster kindheit entschieden und ein junger, schon frommer mensch nimmt in demut das unverständnis hin, das seinem wachsenden intellekt in die quere kommen muss. nichtsdestotrotz streift mich eine ahnung hier, was zumindest im erleben des kindes vor sich gehen mag, dessen inbrunst nun einmal mit religiösem brauch verbandelt. Tag will herauf.
Nacht wehrt nicht mehr dem Licht. sind das nicht wunderbare
worte? den nenn ich einen dichter, der es versteht, der sprache neue
tragende säulen aufzurichten. dessen arbeit einer bewusstseinserweiterung
verpflichtet, einer filosofischen und künstlerischen transzendenz,
einem disziplinierten gedanken- und stimmungsgefüge. der in der
tradition alter meister das neue entdeckt, das unerforschte freilegt,
eine nichtgehörte tonart komponiert. O jetzt ins Stille
flüchten! Eng im Zug der Weiber, der sich übern Treppengang
zur Messe zerrt, als konsequenter kitsch- und kirchengegner erfährt man kraft der worte eines künstlers etwas vom reize der verblendung hier: das einssein mit der herde. geteilte last der verlorenheit ist leichte last. dieses 'alle sind wir gleich', derselben macht untertan, wandelt sich zur erhebung. das dargereichte opfer des verstandes, die befreiung vom denkenden selbst wird, wie alles feierlich getötete, mit einem rauschhaften wahn vergütet. O Engelsgruß
der Gnade . . ungenannt im Chor der Gläubigen stehn und harren,
daß die Pforte einem so persönlich
formulierten bekenntnis eignet etwas unaufdringliches gegen einen leser,
der mit dem christlichen inhalte nichts gemein. er kann es stehen und
gelten lassen als einen vorgang, dem er in anderer form nicht weniger
ausgesetzt. ein wie gläubig tier ist man als mensch! Winteranfang Die Platanen
sind schon entlaubt. Nebel fließen. Wenn die Sonne einmal durch
den Panzer grauer Wolken sticht, was ich an dem gedicht
bewundere, sind die bestechenden bilder und vergleiche. Die Platanen sind schon entlaubt. Nebel fließen. aus diesen zwei sätzen, die jeder denken und sagen könnte, entwickelt stadler einen so guten vergleich, dass er tausend dürre worte über den winteranfang ersetzt: Wenn die Sonne
einmal durch den Panzer grauer Wolken sticht, und wie wohlklingend
gesagt, wie sprachsinnlich, wie formverliebt! Alle Geräusche
sind schärfer. Den ganzen Tag über hört man in den Fabriken
die Maschinen gehn - eine fabrik mitten
in die naturlandschaft gestellt, der poesie mit maschinen das gesicht
zerfetzt! dazu gehört schon dichterische rechtschaffenheit, gegen
den poetischen mainstream noch sogar der heutigen zeit gesetzt! Und treibt die
Gedanken wie surrende Räder hin und her, die bodenhaftung bleibt, kein vergleich ist aus den fingern gesogen, kein bravfrommer betrug, kein wolkenkuckucksheim. die sprache folgt ebenso treu den sichtbaren vorgängen wie sie zur inspiration anstachelt, licht und schatten wirft, transzendenz erschafft. kunst machen heisst den rahmen sprengen. kunst erleben heisst stadler lesen. Bald wird es
schnei'n, der letzte gedanke ist nicht neu. schnee und frieden. aber bleibt gültig. und stadler zitiert ihn nicht bloss herbei, sondern fügt ihn ins bild, in die landschaft, organisch ins gedicht, und dies fast schmunzelnd, scheint mir, gütig, aber an der versöhnung zweifelnd. was eingewickelt, wird schon wieder ausgepackt. Heimkehr (Brüssel, Gare du Nord) Die Letzten,
die am Weg die Lust verschmäht; entleert aus allen ein fast wortkarger beginn. Die Letzten,
die am Weg die Lust verschmäht; entleert aus allen die aussparung des
prädikats, gar des subjekts. so sehr sich dieser dichter aufs drängende
versteht, aufs erhebende, wie mitreissend er sich ins patetische, rauschhafte
steigern kann - hier wirkt die reduktion, der lakonische befund, die
kalte distanz. Tag läßt
die scharfen Morgenwinde los. Auffröstelnd raffen der verzicht auf
den artikel. die desillusionierung ohne exklamation. nicht klage noch
larmoyanz. es wirkt allein 'verschmäht' noch nach. die gewohntheit
des kleiderrichtens und die monotonie des atmosfärischen. knapp
und treffend gesagt. ohne schonung. ohne die geringste emfase. Geschminkte Wangen
klaffen welch grossartiges,
grauenhaftes bild! diese verzerrung, diese fratzenvision! dieser erbarmungswürdige,
genial inszenierte totentanz! und dann der grosse schlussatz. gespenstisch. sfärisch. formvollendet. Nun schleppen
sie ihren Leib wie eine ekle Last in arme Schenken stadlers 'aufbruch' sei einem an dichtung interessierten leser besonders angeraten. über das grossartige gedicht 'gang in der nacht', das ebenfalls den zyklus ziert, habe ich mich in meinen 'betrachtungen zur deutschen lyrik' schon ausgelassen: http://www.schandfleck.ch/textkritik/rose_dc.html ich möchte meine kurzen anmerkungen zum können eines deutschen dichters aus dem elsass mit einem liebesgedicht beenden. ein zärtlicher, recht romantischer stadler hier, der im selben jahr, als er den gedichtband publiziert, 31-jährig im krieg gefallen. Glück Nun sind vor
meines Glückes Stimme alle Sehnsuchtsvögel weggeflogen. "schon das
tema, das er sich erwählt, verrät den lyriker" - diesem
mustergültigen satz eines dummkopfs, vor jahrzehnten in einer gedichtbesprechung
publiziert, haben sich inzwischen noch unerhörtere ansichten beigesellt.
natürlich verrät sich die kunst nicht am tema. der obige ausspruch
ist selbst ein verrat an der kunst. es gibt recht wenige gedichte auf
der welt, und es gibt eine millionenzahl löchriger verse. man lerne,
zu unterscheiden, so lernt man etwas fürs leben. es hat keinen
wert, in die löcher bedeutung hineinzulegen. |
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