schandfleck.ch_textkritik/2008/mai |
david
manuel kern
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Nicolai Gogol - Die toten Seelen |
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Abermals
schreibe ich über einen Russen. Die Russische Literatur, hochgelobt,
gepriesen über alle Maße, verfolgt mich auf Schritt und Tritt,
verfolgt mich weit über mein Interesse hinaus, wähnt mein Verlangen
in all den Feuilletons der großen Zeitungen, in alle den Gesprächen,
in all den Schriften über Literatur deutscher Romanciers wie Thomas
Mann und Hermann Hesse, in den theoretischen Abhandlungen eines Milan
Kunderas, in der unendlichen Kanonbildung des Bildungsbürgertums.
Selten aber erhaschte ich ein Antlitz einer Begründung für diesen
beinahe schon manischen Beifall. Dostojewski langweilt auf weiten Strecken,
Tolstoi trieft vor religiöser Leidigkeit. Nicht genug mit dem russischen
Antisemitismus, der wie Gift durch die großen Schriften jener Nationalliteratur
fließt, ist es der vor allem der christliche Fundamentalismus, der
einen allgemeinen Ekel verbreitet und dazu führt, am liebsten einen
weiten Bogen um dieses Schrifttum zu leisten.
Und doch, bewusst oder unbewusst, streife ich immer wieder die Gefilde dieser Literatur und erhöhe damit unwillkürlich die Aussicht auf Enttäuschung. Vor Jahren bereits las ich Gogols Mantel mit dem Gefühl der Entzückung. Ich kannte damals noch nichts Russisches, erhielt einen Band mit "Erzählungen aus Russland" und las kurze Texte von Gogol, Dostojewski, Tolstoi, Cechov, Babel, Charms und Bunin. Im Gegensatz zum restlichen Allerlei prägte sich in mein schäbiges Kurzzeitgedächtnis hauptsächlich Der Mantel ein. So dachte ich lange Zeit an Gogol und vermehrte im Heimlichen meine Erwartungen. Doch sollte es noch viel Gelesenes dauern, bis ich die ersten Sätze eines Gogols in den Händen halten sollte. Gogols Die toten Seelen, die manchesmal als Erzählung, manchesmal als Roman proklamiert werden, ist ein fragmentarischer Text, der ursprünglich vom Verfasser intendiert als dreiteiliges Zyklus veröffentlicht hätte werden sollen. Tatsächlich erschienen sind der komplette erste Teil, der eine zaristische gesellschaftliche Wirklichkeit darstellen, und der mit Lücken versehene zweite Teil, der die Läuterung des Protagonisten einleiten möchte. Eine Tatsache, die jedem Leser gewahr werden sollte, da ein Ende der Geschichte nicht erfolgt. Was wiederum aber nicht dem inhaltlichen Gehalte zuschlechte kommt. Der halbadelige Tschitschikow reist von Gut zu Gut mit dem Ziel, eine beträchtliche Anzahl von "toten Seelen" zu erwerben: Es sind dies die verstorbenen Bauern der Landadligen, mit deren schriftlichen Besitz er Kreditbetrug ins Auge fasst. Im Zuge seiner Reise durch Russland macht er die Bekanntschaften mit mancherlei Gutsbesitzer, deren Heruntergekommensein selbst an tote Seelen erinnern. Es ist Gogols moralisches Kunststück des Buches, den boshaften und menschenverachtenden Umgang der adeligen Herrn mit ihren leibeigenen Bauern ins Auge zu fassen und Anklage zu erheben. Auch wenn der Bauer als Stereotyp zum Säufer und Taugenichts vereigenschaftlicht wird, so stellen sich die Herren der oberen Adelsschicht nicht anders dar: Taugenichtse, die ihrem Selbstmitleid und ihrem Geiz verfallen, unnütze, träge, unheilvolle Zeitgenossen. So fallen die Unterschiede innerhalb der zu dieser Zeit so stark manifestierten sozialen gesellschaftlichen Schichten und es gibt keine gerechtfertigten Gründe mehr, jene über die anderen zu erheben. Gogol aber schrieb keinen naturalistischen Roman, der, wie es ein paar Jahrzehnte später erfolgen sollte, das brutale Elend und die unausweichliche Knechtschaft der mittellosen Bevölkerung haargenau beschreibt; Gogol schrieb eine Burlesque. Das fortwährende Einmischen des Erzählers, die stetig sich verschiebende Erzählperspektive und die narrative Priorität lassen es zu, einige Male laut aufzulachen, was dem Verfasser dieser Besprechung einigermaßen selten widerfährt, und das Buch bei jeder erforderlichen Unterbrechung heiter im Regen stehen zu lassen. Der Eindruck entsteht, Gogol schrieb seinen grotesken, mit beinahe schon manischer Detailhaftigkeit versehenen Roman mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Der Erzähler fragt sich und den Leser gelegentlich, was denn der Erzähler über den Held, der nach seinen Worten kein Held im herkömmlichen Sinne des Tugend sein könne, da es sich ja um einen russischen Held handele, wissen könne über denselben und seiner Umgebung, über jene Gespräche und Mutmaßungen, die in Abwesenheit des Helds angestellt werden, und der dann doch alles weiß und alles erzählt. Jedoch bei allem
galgenhaften Humor, der bisweilen an Poe erinnert, schleicht sich ein
Unbehagen ein. Es ist das schon erwähnte und immer wieder zu erwähnende
Unbehagen des religiösen Glaubens. Tschitschikow symbolisiert mit
seiner Handlungsweise, die ausschließlich auf den Erwerb und die
Vermehrung von Geld gerichtet ist, das Ende des zaristischen Russlands
und den Anfang des Kapitalismus. Der Held wird, trotz seiner Vermenschlichung,
als moralisch verwerflicher gekennzeichnet; der Kapitalist, der ohne
soziale Geburtsbevorzugung und um jeden Preis, auch den der Illegalität,
zu Reichtum zu kommen trachtet, scheitert und muss, um des Autors Absicht
zu erraten, geläutert werden. Diese Läuterung kann nur durch
Bestrafung der Sünden geschehen; ein Antikapitalismus, der durch
Gott legitimiert wird. Der zweite Teil ist überfrachtet von Gottesanrufungen
und Sündengeschwätz. Man wird der bemerkenswerten zeitlichen
Distanz zwischen dem ersten und den zweiten Teil des Romans gewahr,
wenn man bedenkt, dass Gogol zum Ende seines Lebens hin einem religiösen
Mystizismus verfiel und schlussendlich nur noch christliche Ideale predigte. |
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