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schandfleck.ch_archiv/2002/nr.2
max schnyder
p o l i t i k

aus: "die missratene kultur"

als mann von der strasse weiss ich, was ich zu tun habe. das wurde mir eingebläut:
"du sollst nicht töten. du weisst, was geschieht, wenn du tötest. ausser du bist im krieg." dann befiehlt die ‚real-politik': "du sollst töten. wenn du es nicht tust, wirst du getötet, wegen feigheit vor dem feind. wenn du viel tötest, wirst du belohnt, wegen tapferkeit vor dem feind." als ob ich zum wirklichen töten je den wunsch gehabt hätte.

du, die ‚realpolitik', bist keine person und doch persönlich. trotzdem sage ich du zu dir, aber kleingeschrieben.
du lässt deine untertanen in den krieg ziehen, obwohl "du sollst nicht töten" auch für dich uneingeschränkt gilt. warum missachtest du das? du glaubst es zu dürfen, denn du führst ja auch, so bildest du dir ein, gerechte kriege, z.b. um menschenrechte. dass du sie dabei verletzest, muss dich nicht kümmern, denn du opferst dich, bzw. deine untertanen, mit dem segen der weltöffentlichkeit, du bist populär. ausserdem hast du dir ein uno-mandat erschwindelt, also das ‚recht' zum töten. dass du dabei dein eigenes ideal opferst, das zur gründung der uno und zur menschenrechtskonvention führte, weisst du. wie viele deiner jünger sind so dumm, das nicht zu wissen?
du hättest allerdings etwas eleganter vorgehen können, z.b. mit boykott. das hätte weniger lärm verursacht. in den nachrichten würden nicht täglich die erschossenen gezählt; und über verhungernde ‚zivilisten' hört man kaum etwas in den medien. irgendwie hättest du dich besser produziert, in den augen der weltöffentlichkeit. aber das braucht dich auch nicht zu kümmern, denn wahrscheinlich vergehen jahrhunderte, bis die feststellt, dass du keine gute politik warst, z.b. kolonialzeit, sklavenhandel. jetzt bist du die moderne ‚realpolitik', obwohl du auch mit deinem boykott menschenrechte verletzest. hörst du, du verletzest die natürlichsten rechte der menschen, die dich gewählt haben, dich, die ‚realpolitik'. viele deiner jünger wollen nichts davon wissen, dass sie die konventionen verletzen. glaubst du wirklich, du könntest so das vertrauen in dich, das ich verlor, jemals zurückgewinnen? vergiss das, du würdest dich selbst belügen, was allerdings zu deinem alltagsgeschäft gehört.
wenn du in deinem namen krieg führst, also einen ungerechten, solltest du dich vorsehen. verlierst du ihn, musst du damit rechnen, gnadenlos vor die weltgeschichte treten zu müssen. wenn du sieger bist, sind deine chancen bestens, und wenn du zudem der weltwirtschaft einen lukrativen handel anbietest, unantastbar. du würdest in diesem fall als held in die geschichte eingehen. die weltgeschichte akzeptiert dann, dass du getötet hast. deine helden werden gefeiert, obwohl sie kriegsverbrecher sind.
in deinem sehr langen leben handeltest du mit immer derselben mentalität. du hast jungen menschen deine uniformen übergestülpt, sie zum abschuss freigegeben und zugleich als henker verurteilt, in den krieg befohlen. dabei durftest du das wunder erleben, dass sie gingen, sich abknallen liessen und deinen auftrag, henker zu sein, heldenhaft erfüllten. billigend hast du dabei in kauf genommen, dass ihre angehörigen auch umkamen.

töten bereitet dir ohnehin wenig kummer, denn du weisst: nur wenn es in der ganzen menschheit niemand mehr gäbe, der die gewalt akzeptiert und rechtfertigt, könntest du nicht mehr töten. du kannst dich also getrost hinter dem volk verstecken und von dort aus das töten befehlen. schliesslich hat es dich ja gewählt. ‚es' ist der mann von der strasse, den du dankbar opferst. dankbar deshalb, weil du ihn, nicht er dich verheizen kann.
du solltest dich aber nicht zu sehr freuen. denn du bist nur eine figur, meistens eine lächerliche, welche der menschheit vordemonstriert, dass die gewalt ein wahnsinnsrad ist - das ist das einzig gute an dir - an dem jeder mensch dreht, der die gewalt als letzte alternative akzeptiert. und wer tut das nicht? als figur bestimmst du deine mentalität nicht, sie ist das spiegelbild der gesinnung des mannes von der strasse.
eines vergisst du gerne: weder du noch ich - deine ‚lieben mitbürgerinnen und mitbürger' - können uns aus unserer verantwortung stehlen. wir sollten handeln wie die bedingungslose liebe. nur die versöhnlichkeit, eine ihrer stärksten eigenschaften, beendet alle konflikte, das weisst du - ja, noch mehr: sie lässt gar keine aufkommen. wir haben dieselbe aufgabe: die versöhnlichkeit, die gleichwertigkeit aller menschen und die gewaltlosigkeit üben, bedingungslos auszuüben. du und ich wissen schon längst wie, weil wir die wahrhaft göttliche lebensregel bestens kennen:
"liebe deinen nächsten wie dich selbst"

wir können auch weiterhin diese regel missachten, und die frau von der strasse, mit ihren kindern vom mann von der strasse, in ihrem blut ertränken. ich sage wir: denn ohne mich kannst du das nicht tun und ich nicht ohne dich. ich möchte das aber nicht, weil ich eingesehen habe, dass nicht die gewalt, sondern die liebe allein frieden und gerechtigkeit schaffen kann. diese einsicht fehlt dir noch, obwohl deine praxis seit jahrtausenden dir keinen erfolg zum nachhaltigen frieden gebracht hat. das gegenteil ist der fall. warum siehst du das nicht ein, mit deiner hohen intelligenz, auf die du dir so viel einbildest?
warum propagierst und praktizierst du nicht die liebe, ‚die politik der gewaltlosigkeit'? warum ist m. gandhi für dich eine komische randfigur, den du spöttisch halbnackter fakir nennst? hat er nicht das ‚grosse' england mit dieser politik auf die knie gezwungen? warum hast du jenen anschauungsunterricht nicht dazu ausgewertet, deine mentalität zu ändern?
glaubst du mit kriegen deinen wert erfüllen zu können? für m. gandhi erfüllte er sich in der gewaltlosigkeit. hitler, der zur selben zeit wirkte, scheiterte an der gewalt. wie alle und alles, findest auch du deine werterfüllung nur gewaltlos. warum begreifst du das nicht?

ich weiss nicht, warum du die liebe nicht praktizierst. ich, ein mann von der strasse, versuche es und kann dadurch sehen, was du schon immer warst: eine blutrünstige und meistens lächerliche figur, die das weltgeschehen je länger desto weniger im griff hat. du wirst kaum nochmals weltkriege in szene setzen, viel eher wird es ein morden alle gegen alle geben. deine ‚lieben mitbürgerinnen und mitbürger' haben genug von deinen lügen, sie werden je länger desto gewalttätiger. du brauchst dich nicht zu wundern, wenn sie rebellieren. selbst schulkinder tragen waffen, die sie auch einzusetzen wissen. glaubst du, dass die in zehn jahren noch unbewaffnete freunde haben werden? ich weiss nicht, warum ich dir trotzdem noch zuhöre. sind wir beide feiglinge, die den mut nicht aufbringen, der wahrheit in die augen zu sehen, auf gewalt zu verzichten und bedingungslos versöhnlich zu sein?
vielleicht berufst du dich auf gott, der seine auserwählten, angeblich, in den krieg befahl. dabei weisst du in deinem innersten, dass das religiöse lügen sind und es den gott der religionen nicht geben kann. warum solltest du das nicht wissen, wenn ich das weiss, der dümmere von uns beiden?! versuche dich nicht herauszureden, denn du weisst, welcher weg zu frieden und gerechtigkeit führt. so lange du nicht nach dem grundsatz regierst: "niemand darf die macht haben, als der wille zur konsensfindung zum besten aller menschen", bist du zum regieren untauglich. diesen grundsatz kannst du aber nur mit der nächstenliebe praktizieren, von der du nichts wissen willst.

wir sollten mit und für einander leben. du solltest aufhören, mich zum kriegshelden auszubilden. ich sollte mich dir verweigern, wenn du es befiehlst. wir sollten uns gegenseitig daran erinnern, wie bedingungslos die liebe ist. ich bin ratlos, weiss nicht, warum wir die liebe missachten und dadurch bereit sind, menschen für unsere interessen zu opfern. was mich von dir unterscheidet, ist nur die einsicht, dass das der falsche weg ist. das hast du zwar auch erkannt, aber du schraubst lieber an deinen gesetzen und institutionen herum, anstatt zuzugeben, dass das seit jahrtausenden nichts nützt und du dich selbst ändern musst.

ich wünsche dir den mut zum bekenntnis, damit auch du deinen beitrag leisten und endlich mithelfen kannst, den frieden und das recht nachhaltig aufzubauen. erst dann kann es eine kultur geben, die diesen namen verdient. es wäre die erste, seit es dich gibt.

wäre es nicht besser, ich könnte aus überzeugung mit dir arbeiten, anstatt gezwungenermassen, bedroht von deinen sinnlosen strafen? warum lasse ich mich zwingen?

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